UeBer baS
Ire« Safcitt«,
Ue6er ba§
Mij]i:enum IHagniim
tiB^ Ba|>in0.
35on
|[» $v0ljyajammev.
1891.
2)a6 ^töft bev Ucbcrfetjung ift borbe^alten.
^ovvebi^.
Sem „großen ©el^eimnife be^ ^afein^" tft bie folgenbe
Hnterfud^ung unb S)arftellung geiribmet. ^Den 3Jli^güttfttgen, \)k
ettpa f(^on an bem ^ttel ,,Mysterium magnum" 2lnfto§ nehmen
ober benfelben §u prätentiös finben tüoEen, fei bemerft, bafe eS fid^
felbftt)erftättbli($ eben nur um timn S^erfud^ l^anbelt, unb ba§ au§er=
bem baS IXnternel^men !ein neues, bisi^er unerl^örteS tft, ba, lr>te
befannt, bie ^l^ilofopl^ie ir>ie bie 9fteligion toon uralterS i^er \iä)
bamit befd^äftigt ^at ©S l^anbelt fid^ um ein unenblid^eS $ro=
blem, 'oa§> im ßaufe menf(^Ii($er ©nttüidelung nie gang gu löfen
ift. Sitte Söiffenfc^aft, inSbefonbere auä) hk ^J^aturmiffeufd^aft,
gel^t barauf aus, t)a^, toaS nod^ unbe!annt unb gel^eimnifeöott
ift, p erforfd^en unb §ur Offenbarung gu bringen; 'i^k ^:^iIo=
fopl^ie öerfud^t hk^» nur in umfaffenber, in allgemeiner SBeife,
inbem fte Urprincip unb Söefen beS ^afeinS §u ergrünben unb
eine einl^eitlid^e SBeltauffaffung banad^ gu getrinnen ftrebt. gür
bie meiften SJlenfd^en, inSbefonbere für 'ok am menigften gebil^
beten, beftel^t freilid^ !aum ein (SJel^eimni^, il^nen ift SllleS !lar
unb tenüiä), it»eil fie hei ©innesmal^rne^mung für bie ft(j^tbare
SSelt unb bei ben ©laubenSüberlieferungen unb bem Slberglauben
für bie unfid^tbare ^k^zn bleiben. S)ie auf il^ren attein iral^ren
VI SBorrebe.
Glauben ^oc^enben unb t>on @lauBen§!)0(^mut^ ber 2öij'fenf(^aft
gegenüber ©rfüHten tüoKen ebenfo toenig toon ber 2ßifyenf(^aft,
t>on ber $]5)iIofo))^ie irgenbi:)el(^en 2luff(^Iu^ erl^alten, beffen fie
gar niä)t p Bebürfen meinen in il;rem SBal^ne, bie abfolnte
2Ba:^r:^eit in abfoluter SBeife \6)on in biefem irbifi^en ^afein
gu befi^en. ^iefe finb felbftt>erftänblid; meinem 3]erfn(^e nn^u^
gängli^; inbefe n^irb e§ bo(^ auä) an folc^en ni(^t feilten, benen
berfelbe ni(^t nnit)iIl!ommen fein mag, ha fie, Don ben geiftigen
Strömungen ber S^tit manni6)\a6) berührt unb betnegt, nic^t in
ber Sage finb, einge^^enber fie p :prüfen unb \iä) tlax in il^nen
p Orientiren. Qfjnen I;offe iä) burd^ meine S3emü^ung einiger^
mafeen förberliij^ p fein.
2)afe ein 2öer! biefer 2lrt, hervorgegangen au§> langjäl^rigem
geiftigen Solingen unb 5!ämpfen in einer geiftig fo betüegten Seit,
tr>o fo toiele IXeberlieferungen unb geftfteHungen lf)infällig gen)or=
ben finb unb neue Stic^tungen t)erf(^iebener 2lrt auftau(^en, ot)ne
z§> p ^eftimmtl;eit unb ^larljeit ^u bringen, — gemiff ermaßen
ein geiftigen 6(^mersenMinb fein muffe, ift begreifli(^. ©igene
unb frembe, lange ge!)egte 2lnfi(^ten unb IXebergeugungen muffen
geprüft ioerben, um il^re 2öaf)r^eit unb §altbar!eit gu er=
proben unb attenfall^ im Dramen ber Sßal^rl^eit gurücfgutDeifen,
tr>a§ bi^l;er für 3ßal)r]^eit gel^alten unb innig mit bem ganzen
geiftigen Seben toerbunben getoefen. 3nbefe I;ilft e§ nun einmal
ni(^tic, hk Singen p fd^liefeen, um bie bigl)er feftge^altenen
3rrtl)ümer ni^t gu feigen unb fid^ felbft unb anbere in ^äufd^ung
§u erl)alten, bie bod; jeben Slugenblid in (^efal;r ift, f($tüinben
p muffen, unb nur geiftige IXnrul^e unb $ein verurfad^t, ober
§u bem abfc^euli($en beginnen fül)rt, mit (^eloalt 'oaS» tlnl;alt=
bare feft^uljalten ober rt>ieber geltenb gu machen unb aufpbringen.
2öem in ber ^l)at bie 2öal)rl)eit lieber ift, al^ in felbftifd;er
SBeife feine eigene fubjectitoe Ueberjeugung , bem !ann ee nur
ermünfd^t fein, toenn entf (Rieben unb eingel;enb att ba§ l)ert»or=
S5ombe. VII
gel^oBen tt»trb, tüa§ fii^ gegen bi^^erige Slnftd^ten geltenb machen
lä^t unb ipa^ fid^ ai§> urü)alilax ertüeift. ©ie^ nun tft im gol=
genben guerft gefd^et)en, el^e bie :pofitit)en In^fü^rungen öerjni^t
iüurben.
@ro^e Erfolge finb t)on Unterfui^ungen unb SDarfteHungen
biefer 2lrt in näd^fter 33älbe aUerbingS nid^t gu erit»arten; gu
grofee, feftgetüurgelte 3J^ä($te, bie ba§ geiftige Seben au(^ ber
(Eulturt)öl!er no(^ bel;errf(^en, fte!)en bem entgegen unb 'tia§>
^oli felbft ift t)on altgeiüol^nten, burc^ ©rgie^ung unb beftänbige,
geiüiff ermaßen ge!)eiligte Untertüeifung Beigebrachten ^Iauben§:=
Uebergeugungen nid^t fo leidet gu beffern Infid^ten §u bringen,
fonbern leidster no(^ gu öottftänbiger SSerneinung, §um lln=
glauben, ^afe bef(^eibene 33ereitn)ittig!eit, ber Sßa^r^eit W
(S^re SU geben, h)ol^er fie au(^ !omme, beffer fei al§ bünfel^afte
9}ieinung, bie eigene 2lnfi(^t fei abfolut vodi)x, f($on tüeil man
fie ^db^, iüirb nic^t eingefe!)en. 2öie gerne laffen fid^ bo(^ auc^
ungebilbete 3}lenf(j^en überreben p ber 2lnna^me, 'i)a^ fie nur
geiDiffe @ä|e p glauben, b. ^. gelten p laffen, gelüiffe 3Sor=
fd^riften p befolgen !)aben, um über aEe übrigen SJlenfd^en unb
Golfer ergaben p fein aU fol(^e, benen attein 2Sa^r!)eit unb
§eil pt^eil getüorben fei t»on @ott! IXnb iüie mu§ e§ ber un=
gebilbeten 3}laffe fd^meid^eln, in^befonbere ben armen, gott=
lofen, ungläubigen ©ele^rten gegenüber im fidlem ^efi| ber
Söa^rl^eit p fein, ol^ne lange forfd^en p muffen, it>ä!^renb biefe
immer fud^en unb forfd^en unb bo($ hk unbebingte 2Ba^r!()eit
nid^t finben !önnen ! S)er Gtol^ ber Untüiffenl^eit unb ber ^o^-
müt^ige ©lauben^bünM finben babei reid^Iid^ i^re Oled^nung
unb W 6elbftfud^t ift gefd^meid^elt, foba^ man auä) aufgelebte,
unfrud^tbare unb im 2Bid^tigften toiberlegte ©lauben^f^fteme
aufredet erl^alten !ann. ©§ fe^lt aud^ nid^t an feiler, hkn^U
bereiter ^l)ilofop^ie, W fid^ hdbti pr Verfügung fteEt; benn
nod^ immer ift ja 't)a§> ©efd^Ied^t berer nid^t au^geftorben (im
VIII SJorrebc
©egentl^eü), ipelc^e fid^ bie ^l^tlofopl^ie nur im ©ienfte irgenb=
eine^ ©lauben^f^ftem^ unb irgenbeiner ©etpalt ober Partei
benfen !önnen unb ni^t einfel^en, ba^ bie^ nid^t mel^r ^]^ilo=
fopl^ie fei, fonbern nur enttneber ^ogntati! niebern Stange^ ober
©opl^iftü. Unter biefen Umftänben märe fd^on t)iel gewonnen,
inenn burd^ S3erfud^e, tüie ber gegentnärtige, lüenigften^ ba^ er=
x^iä)t lüürbe, ba§ bie 3)Zenjd^en unb 3SöI!er fid^ um il^rer ab--
loeid^enben 3)leinungen über fo gro§e unb fd^toere Probleme
nid^t fo töblid^ l^affen unb t)erfolgen, n)ie in t^ergangenen Seiten,
unb ba^ iüenigften^ nerl^ütet mürbe, bafe biefer ©Iauben^^a§
neu trieber angefad^t tüerbe, tpoju e» gegenwärtig an Se=
ftrebungen nid^t fel^lt. ^ie^ !önnte bod^ iDo^l erreid^t merben,
tüenn bie 9)lenfd^en mel^r unb mel^r einfel^en toürben, — burd^
!lare Darlegung atter ©d^mierigfeiten in biefer 6a($e — mie
tüinjig il^re 2lnfid^ten, felbft menn fie ganj toa^x mären, in ber
%\)at feien unb fein muffen angefid^t^ be§ ungel^euern ^roblem^,
ba^ SU löfen ift begüglid^ be^ großen 3Jlpfterium^ be^ ^afein^; —
fo minjig, bafe e0 bod^ in ber X^at nid^t ber SJlül^e lof)nt, ba&
fie S)emutl^ unb 9)^enfd^enHebe barüber aufgeben unb fid^ in
giftigem §aber unb müt^enbem §a6 ba^ ßeben verbittern unb
ba§ Söefen ber ^Religion felbft jerftören. ©^ ift gu biefem ^el^ufe
toor Willem aud^ notl^menbig, bie gläubigen 3}lenfd^en pr ©infid^t
zubringen, bafe il^re SSorftellungen öon @ott nid^t ©Ott felbft
feien, unb bemnad^ aud^ nid^t abfolute^ S^ted^t anbern 3Jlenfd^en
gegenüber beanfpruc^en !önnen, al^ mären fie ©ott felbft unb al^
märe il^re ^Serf^eibigung eine ^Sertljeibigung unb 33erl^errlid^ung
©otte^ felbft, il^re 33e!ämpfung aber ein SSiberfprud^ unb ^ampf
gegen @ott felbft. 2)iefe l^eillofe ^Inmafeung ber ©inen 3}Zenfd^en
gegen bie anbern fottte bod^ enblid^ fd^minben!
@§ lonnte im 3Serlaufe ber Unterfud^ung unb ^arfteHung nid^t
anbern gefd^el^en, al^ bafe i^ §u mieberl^oltenmalen mieberum auf
mein plj^ilofopl^ifd^e^ 6pftem, in^befonbere auf beffen ^rincip, „bie
»orrcbe. IX
^l^antafie al^©runbprinci^ be^SBeltproceffe^" ober bte ,,Slöeltpl^an=
tafie", ju toern)eifen unb au§> bem 6pftem felbft mand^e @runb=
©ebanfen angufül^ren l^atte. 5Die§ mag tniebetum für SJland^e ärger=
li^ fein unb fie öon toornl^erein gegen meine Slu^fül^rungen einne]^=
men; benn bie ^^antafie aU ©runb^rincip l^at gar SSielen, bie fi(^
für befonber^ ,,triffenf($aftli(^" Italien, Slnfto^ gegeben — fc^on
um be^ SßorteS mitten, — ol^ne ba§ man bie 6ad^e felbft ernftU(^
prüfen tPoHte. ©^ trarb nid^t einmal bie urfprünglii^e S3ebeutung
unb Slntüenbung bes Sorten im tüiffenfd^aftUd^en ©inne bead^tet,
fonbern man l^ielt fid^ einfad^ ober blinbling^ an 'ok toulgäre, tri=
toial geiporbene ^ebeutung beffelben. ©al^er !am e^, ba^ man
gtnar aEe möglichen unb unmöglid^en ^rincipien, loenn nid^t gelten
lie^ unb Xä^t, bod^ ber näljem 93ead^tung loürbigt, nur mit ber
^^antafie al^ ^rinci^j glauben SSiele toon öornl^erein ol^ne ir»ei=
tere§ fertig p fein. Wlan belnunberte ober htaä^Utt menigfien^
hk logifd^e Sbee mit il^rem bialeltifd^en ^rocefe ober 3)ied^ani^=
mu§ unb fanb barin feinen ©runb §ur ^gnorirung, ba§ "Damit
nur eine 3Jlet:^obe, nid^t ein ^rincip au^gefprod^en unb geltenb
gemad^t fei. Man t>er]^anbelt enblo^ über ©pino^a'^ abfolute
©ubftans, obtool^l fie eigentlid^ tobt unb unfrud^tbar ift für 6ein
unb @r!ennen, "t^a e§ im gangen Softem bod^ erft burd^ bie
Imagination gu einem 2öeltfein mit feinen ^rfd^einungen, unb
alfo aud^ gu einer ©rlenntni^ !ommt. Man l^atte Qntereffe für
bie Snbiffereng ober ^bentität be^ Slbfoluten al^ (^runb ber
Söelterfd^einungen, obtnol^l aud^ bamit lein tl^ätige^ ^rincip,
fonbern nur ein an fid^ n)ir!ungglofer 3itftcinb au^gebrüclt toirb,
ol^ne atte ^Inbeutung eine^ realen Qn^alt^, eine^ 2öefen§ mit
Söirlen^Mften. 3Jlan liefe unb läfet felbft ben blinben, bummen
Sßitten menigfteng al^ bi^cutirbareg ^rincip gelten ober na^m
Sntereffe baran, obtüoljl burd^au^ unerfinbbar ift, ioie e§ burd^
benfelben al^ loirlenbe^ ^rincip gu irgenbettoag SSernünftigem
!ommen follte, maö)^ fid^ al^ fold^e^ aud^ nur bie 6d^open^
X iBorrebe.
l^auer'fd^e ^^iIofopI)te felbft geltenb! Hnb ir»ie Ijat man gierig
md) bem „Unbetnufeten" aU ^eftimmung be^ Slbfoluten ge^
griffen, aU h)äre bamit ber Stein ber SBeifen gegeben, nnb e»
t)ielfa(^ blinbling!§ toerfi^ludt, aU genöffe man babei bie reiffte
gruc^t öom kannte ber ©rfenntnife ! Unb bo^ !ann and; bamit
burd^an^ fein ^rincip begeid^net fein, fonbern nnr ein 3^ft^^^
(nod^ bagu Uo§> negativ) eine^ ©ein^ ober einer 2^t)ätig!eit t»on
einer 2öefenl;eit, bie babei ol^ne atte 33eftimmnng bleibt, ol^ne
atte @igenf($aft ober ^raft, bie i)ielme^r erft l^ingngefügt ober
nntergelegt tüerben mnfe al§> 6eienbe§ ober 2öir!enbe§, iüeld^em
IXnbeiünfetfein pfommt. Sleljnlic^ t>erl;ält e§> fi($ no($ mit mand;
anberm :pf)ilofop^ifd)en Softem nnb ^rincip. Sf^nr eine 2öelt=
^^antafie barf man \a nid^t al§> ^rinci^? behaupten, nm aniS i^r
al§> objectitoer nnb fnbjectirier ^l^antafie ben nnbeiDnfeten nnb be=
tünfeten ^roceg be§ 2)afein§ abgnieiten. 1)a§> inäre ja ganj nn=
n?iffenfc^aftli(^, ein Uo^e§> ^^antafiren; benn n>iffenf($aftli(^e ober
gerabegn eyacte ^f)iIofopl^ie ift \a nnr ba!§, ina^ biefe ^l)iIofopI;en
nnb il^re ©etjattern ober SSorgefe^ten greifen, eine anbere ad^ten fie
lieber gleid^ gering, fo brand^en fie nxä)t t?iel gn benlen! ®a§
n3al)re Sßefen ber ^Ijantafie ift für biefe Sentc, fc^eint e§, noc^
mit bem ©d)leier ber Tla\a ober t>ielmel)r ber tonigären 3)lei=
nnng nnb bem biefer gemäßen 6pra($gebranc^ toerbedt, 't)tn fie nid^t
jerreifeen fönnen ober mögen, fonbern lieber in biefer 39esiel)nng
mit 't)em nngebilbeten $öbel gelten, ober iüenigften^ \id) möQ-
lxä)\t na^e an biefen babei l;alten! ®o l^aben fid^ felbft fold;e,
meldte bie ^l)ilofDpl;ie vertreten trollen, nid;t entblöbet, über
bie ^^antafie alc^ ^rincip ^nr @r!lärnng beö Seltproceffe^^ t»om
©tanbpnnft biefeiS tonigären ©prac^gebrand^g an§> abgnfpred^en
ober 5n l;öl)nen nnb fid^ babei gu geberben, al§> ptten fie bamit
'i)a§> gan^e (Ei;ftem abget^an! ?^reilid; barf man fid^ barüber
nid^t gn fel;r toerttonnbern, ipenn man anf bie (^ef($id;te ber
geiftigen Gntn)idelnng ber Wltn\ä)^tit blidt nnb beachtet, n^eld^e^
3>orrebe. XI
©d^idfal in ber Siegel neue ©eban!en unb ©rfenntniffe l;atten.
)Ri^t Uo§> bie ungebübete 3)laffe ^ai \iä) t»on jel^er bagegen ge=
fträubt, fold^e anguerfennen ober gelten gu laffen, fonbern ftet^
^at e§ auä) ©eleljrte gegeben unb auä), it)enn ni^t ^l^ilofopl^en,
fo bo(^ 3nl;aber :p!^ilDfo^l)ifd^er @elef)rfam!eit, n^eld^e neue @e=
banfen unb ^el^au^tungen (sententiae novae et inauditae) nid^t
sollten auf!ommen laffen, tneld^e t}ielmel)r l)artnä(fig baran feft=
Italien, bag ba^, tna^ früher ober bi^l^er nid^t bel^auptet toorben ift,
auc^ nun unb in atter 3w^wnft ni^t bel^auptet iperben bürfe, ober
't)a^, vok ettüag Bi^^er aufgefaßt ober üerftanben n)urbe, fo ba§=
felbe für immer aufgefaßt ober öerftanben n?erben muffe. 60 ift
e^ benen, toeld^e bem bi^l^er Ueblid^en gegenüber $Reue^ auf 'ok
SSal^n gu bringen fud^ten, grö§tent!)eil^ übel ergangen; benn
trenn fie auä) nid^t immer gerabeju perfönlid^ angefeinbet unb
tierfolgt iüurben, fo l^atten fie bod^ in ber Spiegel 't)a§> Ifierbe (^e=
fül)l be^ 3gnorirt= unb 33er!anntn)erben§ burd^^uloften unb erft
Inerlennung finben fönnen, nad^bem fie fd^on t3om (Sd^aupla^
ii)xt§> 2öir!en^ terfd^tüunben iüaren. 3ft e^ bod^ fogar ber ^0=
pernüanifd^en Seigre toom Sßeltfpftem 'h^i il)rem ©rfd^einen nid^t
anberg ergangen. 2)ie bi^^^er üblid^e Seljre unb bie üermeint^
lid^ fidlere @en?äl)r be§ 2lugenfd^ein^ fd^ien ber flad^en Sßi^elei
unb bem trägen llnt»erftanb t)oEftänbig genügenb, um o^ne
näl)ere Prüfung barüber l^inioeggulommen, unb bie befd^rän!te
@läubig!eit meinte gubem, 't^a§> gan^e ß^riftentl^um muffe gu
(SJrunbe gelten, it»enn biefe neue Seigre gur 2lner!ennung !omme.
S)a]^er toerfd^mä^te man felbft hk ^unft be^ §an^n?urfteg nid^t,
um burd^ SSerl^ölfjnung ba^ neue Sel^rf^ftem in SJli^crebit gu
bringen unb ben l^erfömmlid^en Srrt^um in feinem S3eftanb gu
fidlem, gnbe^ toergeblid^. §ert)orragenbe ©eifter, benen e^ um
2Bal)rl)eit, nid^t um Xrabition gu ti^un Voax, nal^men fid^ ber
Baä)t an unb trog ber Spötter irie ber n^ütl^enben 3Serfolger
ber neuen Seigre, mufete berfelben fd^lie^lid^ 2lner!ennung gegottt
XII «orrebe.
inerben. 3Benn e» aber einer matl;entatij(^ Begrünbbaren neuen
Seigre fo erging, fo ift e^ begreiflid^, baß aud^ neuen p^ilo?
fop]^if(^en S^ftemen in ber Stegel feine Bereitn^illige Slufnal^me
5Ut()eil n?urbe. (So barf i(^ üietteid^t einige Hoffnung ^egen,
ba§ au(j^ mein Softem, tro^ langer Sgnorirung öon ber einen
6eite unb tro^ pmif($er Sc^abenfreube barüber t>on ber anbern
(ben geinben ber beutfd^en $!)iIofop^ie) , bod^ noc^ emfte S3e=
a($tung unb allenfaEö aud^ 5(ncr!ennung unb ^ertr>ert^ung für
ben gortgang ber $I?ilofop^ie finben merbe.
3Jlün(^en, im 9flot)ember 1890.
3. 5t.
|t«irrtU.
Seite
orrebe y
Einleitung 1
I. 2)ie religiöfc JiJfung be8 3)afein8^roBlcm8 unb bcren n^iffcnfd^aft^
lid^e Un^attbarfeit 7
II. 3)ie ^^ilofo^^ifc^en $?ö[ung8öerfuc^e 56
III. (Srfenntni^ beö SlBfoIutcn unb aBforutc @rfenntni§. 2)ie göttliche
^erfönlid^fcit 93
IV. 3ur 2;^eobicce 140
(£tttl€tfun0.
on bem 6t;ftem ber ^l^iIofo:p^ie auf ©runb ber ^^antafie
aU ©runbprincip be§ Söettproceffe^ tüarb ber SSerfuc^ gema(^t,
bie ^Übungen unb ^^ätig!eiten beg S)aj'ein§, bie finnli^en
(!örperli(^en) tüie bie geiftigen au^ (Einern (^runbprincip abgu?
leiten ober §u erüären, bal tnir al§> SBeltpl^antafie bezeichneten
unb feiner 33etl^ätigung unb Offenbarung naä) in objectiöe unb
fubjectiöe ^^antafie unterf (Rieben.* 6oIIte e§> nun aud^ ge=
lungen fein, biefen ^aä)\oei§> fo §u fül^ren, bafe bemfelben im
Sßefentlic^en 2lner!ennung niä)t mit 9fle($t toerfagt inerben !ann,
fo bleibt bo($ noi^ aU le^te^ unb l^öc^fte^ Problem bie§ übrig,
ob biefe 2öelt:p!)antafie, bie toon un§ gunäc^ft nur aU VozlU
immanente^, nid^t über= ober au§ertt3elttli($e^ ^rincip geltenb
öema($t tüurbe, iüirüii^ aud^ ba§ Ie|te, pd^fte ©runbprincip, ba^
Slbfolute ober in ber ©prad^e ber Sfleligion, ^oit ober ha^) ®ött=
lid^e felber fei ober toon biefem no(^ unterfd^ieben inerben muffe
aU bem eigentlichen, l^öd^ften ßJe^eimnife ober Mysterium mag-
num be§ SDafein^. 2ßir l^aben bamal^ biefe^ Ie|te, metapl^^fifd^e
unb f^eologifc^e Problem au^brücfli($ auf fid^ berufen laffen**,
t)a e§ fid^ bod^ gunäd^ft barum l^anbelte, bie ©rfd^einungen unb
3ßir!ungen beg SDafein^, finnlid^e tüie geiftige, au^ einem tüelt=
immanenten, ber ©rfal^rung unb ®r!enntni^ gugänglid^en ^rinci:p
* @. bc8 SSerfafferö Ser!: „S)ie ^^antafie als (Srunb^rinci)) beö Sett*
|)roceffe8" {miinä}zn 1877).
** 2t. a. D, iBorrebe.
groj^jd^ammer, ajitjfterium $l[Ragnum. 1
2 (Sinleitung.
unb einem aUgenteinen (Eaufalgufammenl^ang imb bem baburd^
Bebingten 2öeltproce§ abzuleiten; in^befonbere aber barum, alle5
lebenbige unb geiftige 6ein unb 2öir!en baraua gu erforj(^eu
unb tvo möglid^ gu begreifen, — ba man bod^ an ba^ le^te
Problem, bie ©rforfd^ung be^ ]^ö(^ften IXrgrunbeg ober ber legten
llrfa($e, iüenn fie befielet unb aufeerireltlic^e^ ©afein l^at, nid;t
mol^I l^erantreten unb einen Söfung§t)erfu($ mad^en !ann, el;e
man ba^ (Gebiet ber ©rfd^einungen unb ber un§ zugänglichen llr=
fad;en unb SCßirlungen gu erforfd^en tierfud^t unb fie er!annt \)at
Wlan !ann nic^t bie IXrf ad^e, in^befonbere nic^t ben legten tlr=
grunb be^ ©afeing er!ennen, trenn man nid^t bod^ guerft bie
2Belt alg 2öir!ung, bie man ^um ©rfenntnifeprincip (principium
cognoscendi) für il^re IXrf ad^e mad^en tüill, erforf d^t ^at, unb
!ann jene nur in bem 9}Za6e erfennen (im beften gatte), aU bie
@r!enntni6 t)on biefer gelungen ift. ©a§ man aber bie SBir!-
fam!eit unb bie 2Bir!ungen be§ allgemeinen ©eftaltung^principS
ober ber n? eltimmanenten ^l^antafie gu erfennen vermöge, ot)ne
erft ben legten, tiefften ober göttlid^en Söeltgrunb ober fogar bie
©ottl^eit an fid^ erfannt gu ijaben, ift bem ^l^ilofop^en voo^ mög?
lic^, fo gut aU e^ bem ^^pfüer möglid^ ift, aug ber allgemeinen
mec^anifd^en ^raft ober 33en)egung aEe§ pb^f^^^^W^ ©efd^el^en
abzuleiten, ol)ne ba§ er t)orl^er gu erforfd^en unb gu erfennen
brandet, njeld^eg bie le^te ober @runburfad;e be^ ©afeing felber fei,
b. l;. ob über ober !)inter biefer med^anifd^en ©runbfraft ober 33e-
tüegung nod^ ein anbere^ le|teS ^rincip anzunehmen fei, tt»ie etn^a
5lriftoteleg ©Ott (ben voO?) al^ le^te, felbft überragte Hrfad^e
aller ^eiregung ober al^ erfte0 Säetnegenbe^ im SßeltaE annahm,
©ie bamal0 (im erften 5^1^eile meinet :pl)ilofopl)ifd^en ©^ftem§)
nod^ abgelel^nte Unterfuc^ung über biefeS l^öd^fte Problem ober
3Jl^fterium triE nun im golgenben gemagt Serben, ©abei ift
inbefe gleid^ z^ bemerlen, ba^, iüie aud^ 'Da^ 9lefultat berfelben
aulfatten mi3ge, ha§> pl^ilofop^ifd^e 6t)ftem auf ©runb ber 2Belt=
pl^antafie bat>on unberührt bleibt in feiner (gntn)idelung unb
feinem Stefultat; benn aud^ im gaUe bie 2ßeltpl^antafie al^ lefete^
Urprincip nid^t genügt, fonbern nod^ ein anbere^, ein gottlid^eg.
@in(citung. 3
abfolute^ Urprincip anjunel^men ift, !ann biefe^ bo(^ nur in
ber gorm ber Sßeltpl^antafie aU fd^affenbe^, Bilbenbe^, ermatten-
be^ ^rinctp im 2ßeIt:proce^ tpMfam gebadet iüerben — irofern
nur bte (grüärung be^ äßeltproceffeg au§ biefer SSelt^l^antafie
üUxf)au)ßt aU xiä)tiq §u Utxa^Un ift. ®a§ Problem ift bann
eben nic^t mel^r, ba§ in ber S^latur unb ©efc^id^te h)ir!fame aU-
gemeine Sßeltprincip p finben unb 'Den 2öelt:proceg haxan^ §u
erüären, fonbern Befielt öielme'^r barin, tüo mögli($ ju ent=
f (Reiben, tva§> biefe^ iDeltimmanente ^runbprincip felbft fei,
tool^er e^ ftamme, ob e§ an fid^ etüig unb abfolut fei ober üom
2lbfoIuten aB relatiö trir!enbe§ ^rinci^ ausging, — fo tüie
man etiua ben lr)eltf(^Dpferif($en göttlid^en Sogog aU in ber
Söelt fortit)ir!enbe§ ^rincip \i^ badete. @ott al§ Urprincip ber
Sßelt ift in biefem gatte eben in ber Söelt unb für bie 2öelt
bie fd^affenbe, bilbenbe, in Statur unb ©efd^id^te h)ir!fame 2öelt=
pl^antafie, trag er aud^ fonft nod^, an fid^ aU abfolute^ Söefen,
2e.Un unb (^eift fein mag. Unb iebenfatt^ mu^ aud^ W
SBeltp^antafie aU toeltimmanente^ ^rincip be§ ©nth)icfelung^=
^roceffe^ in realer SBegie^^ung, im ©afein in bie @lx)ig!eit münben,
in htn abfoluten IXrgrunb, ipeld^e^ aud^ fonft il^r SSer^ältni§ §u
biefem fein mag, fotüie biefelbe im l^öd;ften ^robucte be^ Sd^affen^
unb ^ilben^, im perfönli($en, vernünftigen äRenfd^engeifte fid^
ben!enb (in formaler Sßeife) §u bemfelben im vernünftigen
SBetüu^tfein §u erl^eben vermag. Slber tin fid^ere^ SBiffen
ge^t au0 biefem le^tern Umftanbe be§ügli(^ be^ abfoluten Ur-
grunbeg bod^ nid^t o^^ne ioeitereg l)ervor, aU eine^ betüu^ten,
:perfönlid^en Söefen^, ha fd^on im relativen Seben^proceffe tvir
S3eh)u6tfein beftänbig au§> bem Unbetvu^ten entspringen feigen, —
ein §tvingenber 33eivei^ fid^ alfo niä)t barau^ mit Strenge fül^ren
Iä§t, tvie mir fpäter eingelfienb gu erörtern l^aben. 2(ud^ fonft
nel^men toir \a iva^r, bafe aEgemeine ^rincipien gerabe in (^nU
gegengefe^tem fid^ !unb geben, fid^ realifiren unb offenbaren.
60 ift ber 0laum an fid^ unfic^tbar unb bod^ ©runbbebingung
unb TOttel aEer 6i(^tbar!eit, an \iä) o^ne S3eir»egung unb bod^
SBebingung atter SSetvegung, an \iä) immateriett unb bod^ @yiften§=
1*
4 ©intettung.
Bebingung aEe^ 3JZatertelIen, an fi(^ oT^ne Stid^tung, nnb bo(^
SSebingung ber ©yiftenj aller 9lid;tungen u. f. tu. ©o au6) lann
man tii(^t oI)ne iDeitere^ bie Slnnal^me al§ unftattl^aft abireifen,
bafe bie Söeltpl^antafie, obiüo!)! felbft ol^ne concrete gorm, bod^
^princi^ aEer gormen, nnb obiüol^I felbft nic^t inbitoibnett, boc^
^rincip ber Qnbitibnation fei, nnb ferner, ba^ fie, obn)o]^I felbft
ol^ne ©ntpfinbnng, o^ne SBetnn^tfein, o!^ne ©efü^l nnb betünfete
®infi(^t n. f. ip., bod^ ÜneHe nnb ^rincip toon aE biefem fei; —
lüenn and^ fonft ber grofee lXnterfd)ieb §h)ifd^en Plannt (nnb Q^ii)
einerfeitg nnb ber fc^öpferifd^en Sßeltpl^antafie anbererfeit^ nid^t
gn überfeinen ift.
SBelanntlid^ tt»irb biefe^ größte, l^öd^fte Problem, i)on bem
l^ier 'Die SHebe ift nnb t»on bem bie l^öl^ere ^ebentnng be§ menfd^-
lid^en ^afein^ bebingt tüirb, feit nnbenüid^en Q^ittn anf gtueierlei
SBeife §n löfen nnb fo 't)a§> Mysterium magnum be^ ©afein^ gn
beftimmen gefnd^t: bnrd^ ©lanben in ber Dleligion nnb bnrd^
SSerftanbegforfc^nng in ber ^^iIofopl)ie (nnb Sßiffenfd^aft über-
l^anpt). 33eibe Söfnng^i^erfnd^e t>erliefen toon iel;er mä)t in ^ax-
monifd^er SSeife, fonbern ftanben ftet^ ntel^r ober tneniger in
(gegenfa^ nnb Sßiberftreit gneinanber; nnb iräljrenb bie religiöfe
£öfnng im ©lanben mel^r ha^» ^emiiti) bnr(^ 'oa^ SSorfteEnng^^
vermögen befriebigt, aber ber SSerftanbe^forfd^nng, fobalb fie nur
einmal eriüad^t nnb gn einiger ©nttüidfeinng ge!ommen ift, nic^t
6tanb plt, fo getr>ä!)ren nmgefe^rt bie p-^ilofop^ifd^en Söfung^=
tjerfud^e gmar bem SSerftanbe einige S3efriebignng, obiüol^l fie
pmeift einfeitig nnb oft inl^altlic^ bürftig finb, aber für 'i)a§> @e=
müt!^, für ©efül^I^^ nnb SSorftettnng^betljätignng erfd^einen fie
ganj nngenügenb. Unfere Unterfnd^nngen yierüber iperben bie^
näl^er jeigen nnb begrünben. (^Un biefe Unterfnd^nngen tx>erben
gnr Genüge h^n S3en)eig liefern, njie öiel ©rnnb gnr Sefd^eiben^
l^eit beibe, fotüol^l Sfteligion al^ (p^ilDfo))l)ifdne) SBiffenfd^aft,
l^aben begüglid^ i^rer ^eftimmnngen über biefen l)öd;ften @egen=
ftanb für ttn menfd^lid^en Greift; ebenfo, tüie trenig @rnnb fie
beibe \)aUn, abfolut gelten tüoEenbe ober abfolnt fertige Se^
l^auptungen aufjnfteEen. 5Den ^l^ilofop^en pflegt toon ben religiös
Sinteitung. 5
©laubigen ber Sßottnurf be§ Qo^mut^§> ^tma^t gu h?etben, "i^a
baS SBiffen aufbldl^e; attein btefe ©laubigen finb fidler nid^t
ipeniger l^od^mütl^ig, im ©egentl^eil, iPä^renb fie bo(^ atte Ux-
\a6)t ^aben, auä) U)xex\eit§> bef($eiben gu \zin begüglic^ il^rer
©lauben^fä^e, 'i)a biefelben, irenn fie au(^ nod^ fo fe^r für ah
folut ri($tig unb gültig auggegeben tnerben, bo(^ regelmäßig,
ipie bie @ef($i($te ber ^Religionen geigt, bie ftrenge Prüfung
fd^ließlid^ ni($t beftel^en !önnen unb i^re ^raft unb ©eltung für
bag menf(^li(^e 33en?uBtfein verlieren. greili($ pflegt in bem
3Jla§e, aU bieg eintritt, ber ©laubengbün!el berer, bie ni^t
beulen unb forfd^en, um fo größer gu tnerben unb bie gorberung
gu entfielen, bag, tnag bem prüfenben ©eifte nid^t me^r Staub
l^ält, burd^ ©emalt unb ^errorigmug alg bie alleinige Söal^r^eit
aufreiht gu erhalten. (Bin ebenfo ungered^teg alg fd^ließlid^ nu|=
lofeg unb ber 2öal^rl)eit unb SSernünftigMt tt)iberfpre(^enbeg
SSerfal)ren! 2lud^ h)enn beibe £öfunggarten, 'oie burd^ religiöfen
©lauben unb bie burd^ iriffenfd^aftlid^e S;i)ätig!eit fid^ bereinigen,
iüie eg in hen großen, f^ftematifi^en D^teligiongbilbungen gefd^iel^t,
ift bag enblic^e <Bä)id\al hin anbereg, tüenn aud^ burd^ biefe
35erbinbung aEerbingg eine längere ®auer verbürgt ift; benn
bie tüirllid^e, lebenbige Sßiffenfc^aft muß tüeiter forfd^en, um
neue, beffere ©rfenntniffe gu getninnen unb hie bigl^er geiDonnenen
gu berid^tigen ober gu eriüeitern. ©aburd^ muß fid^ ber ^unb
glpif d^en ©lauben unb Söiffen löfen unb bie t>on ber ©laubenö=
lel)re nod^ feftgel^altenen iüiffenfd^aftlid^en gormein verlieren
i^re §altbar!eit un'^ tüerben gu bloßer Sd^eintoiffenfd^aft.
2Bir trerben nun im golgenben guerft bie religiöfe Söfung beg
in grage ftel^enben ^roblemg ober öielme^r hie religiöfe Sluffaffung
beg Mysterium magnum begS)afeing in33etrad^t giel^en; tim Unter=
fud^ung, treidle gufammenfäEt mit ber über hzn (Glauben ober
bie S3e^auptung ber ^erfönlid^feit ©otte§, unb bal^er bie grage
gu beanttüorten '^at, ob biefe religiös geglaubte ^erf önlid^feit
©otteg unb beffen angenommene^ SSer^ältniß gur Sßelt fic^ nod^
aU annelf)mbar ertreife ober nid^t. (B§ tüerben hie ©rünbe gegen
hie ^e:^auptung biefer $erfönlic^!eit eingel^enb gur 33etrac^tung
ß (Sinteitung.
fomnten muffen. 5Dann ipirb bie Söfung^meife ber ^^ilofopl^ie
bem großen 2)afein§probIem gegenüber gu erörtern unb gu nnter=
fu$en fein, \m§> baran fidler nnb ^Itbar fei, toa^ nic^t. §ieranf
ift auf ©runb ber pl^ilofopl)ifc^en unb n)iffenf(^aftlid^en er!ennt=
nif[e ber mobernen 3^^^ gu iprüfen, voa§> fid^ allenfaE^ nod^ für
bie ^erfönlid^!eit beS Slbfoluten beibringen lä^t trofe atter an=
gefül^rten 6($tüierig!eiten, unb n)ie enblid^ biefe fo gut aU
ntöglid^ gu befeitigen unb üteligion unb ^^^ilofopl^ie foinie 2öiffen=
fd^aft überl^aupt fic^ in Harmonie bringen laffen bepglid^ be^
größten ©e^eimniffe^ be^ SDafein^.
L
Die relt0i(jfe füfung it$ ^aftmpxoblmB nnb
htxtn mfftnfä)afUxä}t Knl)aUbarkeit
2){e religiöfe ©rüärung ober Söfxing be§ ^roblemg be§
©afeing, bie in ber 2lnna!)me üBermenf(^lt{^er, obtüol^I menf(^en=
äl^nlti^er 3Jlä($te ober im ©lauben an Dotter ober an einen
perfönli(^en, menfd^enäl^nli($ toirfenben (Sott befielet, nnb bie ber
ältefte, aEgemeinfte unb populärfte SSerfud^ ta^u ift, tnirb gerabe
in ber mobernen geit öon 6(^tüierig!eiten gebrüdt, voie !anm
jemals pöor; 6c^n)ierig!eiten, bie ni($t etma öon öerberBtem
^iUen ober öerfinftertem gnteHecte ftammen, fonbern im @egen=
tl^eil, fotDol^l t)on l^ö^erer etl)if(^er (ibealer) S3ilbung be§ @e=
mütl^e^ unb SBiUen^, tüie öon fortf($reitenber ©nttüidelnng be^
Qntettect^ nnb Befferer ©rfenntnife in aUtn (BebuUn be^ ^afeing,
in ber 9^atnr tr>ie in ber ©efc^id^te. 3a nic^t blo0 an§ befferer
^rfenntni^ ber SRatur unb ber menfd^Iic^en ©efd^id^te ftammen
hu^e ©c^mierigMten, fonbern fogar unb ^auptfä($Ii(^ au^ ber
i)öl)ern ©ntnjidelung ber ©otte^ibee felbft unb überhaupt ber
ibealen Slnlage ber 3Jlenf(^ennatur entftel^en biefelben. 3e mel^r
nämlid^ hk ^aiux unb bie (S^efd^id^te er!annt ir»erben unb p?
glei($ bie (SJotteMbee im menf^lic^en Söelou^tfein l^öl^er unb
reiner fic^ entiüidelte, befto mel^r erfd^ienen nid^t blo0 \>k ©otte^-
torfteEungen frü!)erer SSöüer unb ©ulturftufen aU unpaffenb
unb unl^altbar, fonbern n?urbe aud^ bie ©yiften^ ober ütealität
eine^ ©otte^, ber biefem abfoluten 3beal ber SSernunft entfprid^t,
gtoeifel^aft ober gerabegu unannehmbar — angefid^t^ ber IXu^
8 I. 2)te reUgiBfc !Oö[ung bc8 2)a[em«^ro6tcmö
tooHfommenl^eiten be§ unS tpa^rnel^mbaren ^Dafeing unb ©e?
fd^el^enö; ober bie Sftealttät ber ©ott:^eit fd^eint gh)ar nod^ fidler
5U fein, tnirb aber ein uner!annte^, \a unerforfc^Iid^e^ @ef)eim=
ni§ für bcn 3}ienf(^engeift. 60 gtüar, bafe ba^jenige, lpa§ man
§ur ©rüärung beS 3}lpfterium§ be^ 2)afein^ annal;m, bie Söelt
al^ 6d^öpfung eines perfönlid;en (SJotteS, felbft mieberum gum
unerlennbaren 9Jlt)fterinm lt>irb; ein ^ßorgang, ber atterbingS
niä)t fo ganj toertpunberfam ift, iüie eS fd^eint, ba felbft in ber
D^aturforfd^ung baS, n^oburc^ man bi^l^er nnerllärbare @rf(^ei=
nungen ober 3öir!ungen §u erüären vermag, felbft ipieber als
nnerüärt ober unerüärlic^ erfd^eint. ßin toenn auä) nur !urger,
flüd^tiger Slict auf ben SSerlauf ber allgemeinen 9fleIigionS=
gefd^id^te !ann uns bas ^emer!te ^inreid^enb bezeugen.
2luf ben IXrfprung ber ^Religion tooHen tüir l^ier ni$t auS-
fü'^rlid^ eingel;en. ©emä^ ber ISntiüicfelungSbebürftigfeit unb
©ntmidelungSioeife ber menfd^Iic^en D^atur unb ber 3Jienfd^I;eit
ift anäune!)men, bafe fie nii^t burd^ t^eoretif^e Sflefleyion unb
als 5L;^eorie entftanben fei, fonbern als (EuItuS unb burd^ ^^an=
tafietl^ätigleit unb in :pra!tifd^er 2lbfid)t, b. ^. gur 2öa{)rung unb
görberung beS irbif($en SDafeinS im Kampfe mit ben ^ebürf=
niffen unb (SJefal^ren beS ßebenS. 33ei ber nod^ mangeinben
^enntnife ber natürlid;en Gräfte unb (SJefege, aus hcmn baS
D^aturgefd^e^en l^ert»orgel)t, erflärte man allenthalben antl)ropü=
morp^ifd;, b. ^. fingirte ober imaginirte fid^ tüirfenbe, gum
^^eil unfid^tbare SJläd^te, ioelc^e analog ber menf($lic^en 2:^ätig=
!eit in ber 3^atur tnirlten, — nur aber t»ori^errf(^enb in ge^
l^eimni^üoller gauberifd^er 2Beife. ^ie 3^aturgegenftänbe iourben
mit biefen Gräften auSgeftattet, perfonificirt unb baburd; gu
©egenftänben primitiver religiöfer ^erel^rung unb beS Kultus
gemacht. 2llS SSorftufe eigentlid)er SSergöttlid^ung möd^ten loir
aber bod^ annel)men, bafe ber (SJlaube an gortbauer ber menfd;=
lid^en Seelen nad^ bem leiblid^en 5Cobe bem ©lauben an eigent^
lid^ göttlid^e ober n^enigftenS gaubermäd^tige SBefen voranging.
S)iepf^d^ifd^e (Snttr>idelungS= unb33etl)ätigungsn}eife ber 2Jienfd^en:=
natur fd^eint uns bies gu forbern unb ber faft in aUen 9fleligionen
unb beren lütffenfc^afttic^c Un^attbarfeit. 9
fortlet)enbe Sll^nenbtenft fd^etnt 3^^9^^fe ^«füt gu geben!* 5Die
tüitfenbe öeifttge ^raft ober bte ©eele be§ ^SerftorBenen, in^befon-
bere einer be^errf($enben, antorttatitien ^erfönlid^feit, fd^ten beni
^rimittt)en 3}Ienf(^en nod^ fortbanern nnb irgenbtoie anf 'Da^^ ßeben
nnb <Bä)id\al ber §interlaffenen einmirlen §u muffen, allenfatts au^
in ben Körper prüdfel^ren gn fönnen ober iDenigften^ nod^ !örper-
li($er lüie feelif($er ©enüffe fä^ig gn fein. S)al^er tünrbe il)nen and}
nad^ bem 5Cobe noc^ SSerel^rnng gepHt, tDnrbe gnrd^t öor i^nen
gel^egt nnb tonrben il^nen nm att biefer 9M(ffi(^ten loitten ^aUn
bargeBrad^t, felbft bintige Dpfer (3Jienfd^eno:pfer too^I auä) ein=
gefd^Ioffen), nm fte gn e^ren, gn getoinnen ober gn befänftigen.
Man ftränbt fic^ toielfad^ gegen 't)k Slnnal^me be^ ^obten= nnb
Sll^nencnltn^ aU Slnfang ober ioenigften^ ^orftnfe ber 3fteligion,
'i)k ja, tDie fd^on bemerft, nid^t al§> S:;beorie ober Seigre, fonbern
aU ßnltn^ begann. 2lllein e^ fd[)eint nn§ fein genngenber ©rnnb
üorl^anben, biefe §^pot^efe ab3nn)eifen. (S§ f^rid^t toielme!)r fo^
too\)l bie gefd^ic^tlid;e Sfleligion^entiüidelnng aU auä) "Dk ^f^d^o=
logifc^e ©rtoägnng bafnr, ba allenthalben 't)k pf^d^if(^en Gräfte
ober Einlagen i^re befonbere, au§> anderer ober innerer ©rfa!)rnng
ftammenbe 2lnregnng bebnrfen gnr ^et!)ätignng nnb ©nttüidelnng.
^iefe Slnregnng fommt nid^t ansfd^Iiefelid^ öon ganj (S^leid^ artigem
fommen nnb hk erften (Sntmidelnng^ftabien geigen nid^t immer
f(^on 'tiaSi künftige ^robnct in feiner gangen Eigenart, fonbern
laffen im ©egent^eil oft fd^toer errat^en, tpeld^e^ 3^^^ enblid;
erreid^t trerben fott. S)ie embryonale ©nttoicfelnng gibt ja
batoon l^inreid^enb gengni^. ©elbft 'i)a§> ^egentl^eil öon bem,
toa^ f($lie^li(^ errei(^t toerben fott, geigen oft bie erften ^e=
tl^ätignngen :pf^(^if($er Einlagen, lr>ie hk erfte ^etl^ätignng be^
äftl^etifd^en Sriebe^ Ui bem 3Jienf d^en beinnbet, bie e"^er gnr
©ntfteEnng aU gnr ^Serfc^önernng be^ menfd^lic^en ^örper^ fnl^rt
bei n)ilben SSölferfc^aften. äßenn nnn einmal gngegeben n>irb.
* ®. mein 2Ber! „®enejt6 ber SD^enfd^^ett unb bercn getjltge (Snttt)t(fe*
lung in ^Religion, ©ittli^feit unb (Sprache" pünd^en 1883), <S. 68—98.
10 I. S)ic rctigibie ^öfung beg 2)afeinS^vobktn§
bafe bie 5lnfänge ber Sfteligion bur(^ ^erfonificatton unb 25er=
^öttlic^ung öon Sf^aturbingen ober ©rfc^etnungen mittele ber
^l^antafie entflunben, inbem bei fel^Ienber (Srfenntni^ be^ natür=
Uc^en ß^aufalpfammenl^ang^ unb bei bem SJiangel ber 3Serftanbeö=
(Sntiridelung burcf) bie ^et^ätigung ber ^^antafie ant^ropomor^
pl^ifd^ ba^ ßaufalbebürfni^ befriebigt rpurbe, — fo ift lein ent=
fd^eibenber @runb bafür 'oa, bie ßntftefjung ber ^Religion ober
toenigften^ bie Slnregung gnm ^otte^beiüu^tfein au^ bem (Glauben
an bie gortbauer ber 6eelen ber SSerftorbenen abzuleiten. 5Da^
geiftige Söefen !ann bod^ immerl^in fogufagen für ein befjere»
^laterial gelten, um barau^ göttlid^e ober gunäc^ft jaubermä(j^=
tige äßefen pl;antafiemä6ig gu bilben ai§> bie äufeerlid^en un=
geiftigen S^laturbinge, feien fie lebenbig ober unlebenbig. ^uxä)
ben allerbing^ noc^ fel^r untoottfommenen IXnfterblic^leit^glauben
tpurben bie 3)2enf($en befähigt unb toeranla^t, auä) anbere geiftige
SJläd^te, Gräfte ober SBefen angunel^men, bie mä)t toon t)er=
ftorbenen 3Jienfd^en ftammten, fonbern felbftänbig ejiftirten unb
tt)ir!ten, a\i§> benen bann burc^ gortbilbung im (Steifte ber 3}lenfd^=
l^eit bie eigentlid^en ©ötter ipurben. S^re Gräfte unb Sßir!^
famfeiten fonnten babei immerl^in an äußere ©egenftänbe ge=
!nüpft tnerben, bie babur(^ felbft :perfonificirt unb öergöttlid^t
lourben. 3)ie fubjectiöe menfd^Ud^e ^l^antafie !ann tüo^ äußere
(Segenftänbe perfonificiren unb fid^ al^ perfönlic^ ir»ir!enb t?or=
fteEen, toie fic^ bieg bei ben £inbern geigt; aber baraug geiftige
unb göttlid^e Wlää)tt gu bilben, inar ipol^l nur möglii^ babur($,
'tiai man bie ^l^antafietjorftellung toon Söefen fid^ gebilbet l^atte,
bie ben äugern Körper toerlaffen 'f)atUn, aber unfid^tbar unb
gauberifd^, n?unberbar, b. ^. nid^t auf geloö'^nlid^e äugerlid^ natiir-
lid^e Sßeife bod^ nod; fortiüirften. 3^9^^^ ^^6^ f^^ ^^^ 'ok'jzx
5luffaffung beä Slnfang^ ber Steligion ober be^ religiöfen (Sultug
leidster erflären, tüie bie 3Jlenf d^en bagu !amen, ben ©öttern
Dpfer, in^befonbere blutige Dpfer toon ^l^ieren unb felbft öon
3Jienfd^en bargubringen unb fo lange halizi pi üerl^arren. 2)en
©eiftern ber SSerftorbenen, bie man fid^ tuieber antl^ropomorpl^ifd^
tjorftettte, mit menfd^lid^en Sebürfniffen, S9eftrebungen unb ©e=
unb beren h)i[fenf(^aftltc6e Un^attbar!cit. 11
nüffen, hxa6)U man an tl^ren (Sräbem irie an Elitären ba§ bar,
\va§> man für geeignet l^ielt, fie §n erfreuen, gu toerfö^nen, in=
fofern fie (^enufe batoon |)atten unb SBol^tgefallen baran fanben.
©^ trar bie§ in^Befonbere bei gamilienl^äuptern unb fonft 1^0(^=
angefelijenen 3Jlännern ber gatt. Sjfjan glaubte, ba^ 'i^a^, tüaS
il^nen im £eben ©enu§ unb (^^re Brachte unb Qkl i^^reg ©tretend
Jpar, il^nen aud^ na^ beut ^obe angenel^m fein toürbe. ©al^er
©^eife unb ^ran!, 'iS^ein unb befonber^ aud^ Slut, all bie
eigentlid^e Sebeniquette an i^xen ©räbern unb fonft bargebrad^t
iüurben, bamit fie batjon n)enigften0 etma bie toergeiftigte ©ffen^
genießen lönnten, inbem fie unfid^tbar ba§u l^eranfamen ober in
einem S^tifeitl haS» Gebotene in Empfang nal^men. tiefer
©laube unb biefer ©ultulbrau^ mod^te bann bei ir>eiterer ©nt=
n^idfelung aud^ auf bie ^eifter ober (Sultugn?efen, bie nid^t ab-
gef(^iebene 6eelen toaren, übertragen toerben unb enblid^ aud^
auf bie ^öl^er gebadeten göttlid^en Söefen, ja auf "ok aU einzig
gebadete ©ottl^eit, refp. i^ren ©ultul übergel^en; h^nn tüie 'ük
3Jlenfd^en ba§u l^ätten !ommen !önnen, 't)tn blol burd^ bie ^^an=
tafie perfonificirten unb t>erg öttlid^ten SRaturbingen Dpfer, in§=
befonbere blutige D^fer unb fogar 2Jienfd^enopfer bargubringen,
ift nid^t tool^I ein^ufe^en, mäl^renb biefe $Darbringung aU ©]^ren=
gäbe ober 3^al^rung für bie ©eifter üerftorbener, tierel^rter ober
gefürd^teter 3Jlenfd^en tpol^l erHärlid^ ift. S)enn toenn aud^ 5. S3.
bie ^inber toermöge i^rer lebl^aften ^l^antafie il^ren perfonificir-
ten ober iüenigftenl aU lebenbig fingirten ©ipielgeugen (Saben
barbringen, fo ift bod^ nid^t angunel^men, ba^ bie iprimititoen
3}lenfd^en ganj fo ünbifd^ inaren unb in^befonbere nid^t, "oa^
\iä) biefer religiöfe Dpferbienft aud^ bei iüeiterer ©ntmid^elung
be^ menfd^lid^en ©eiftelleben^ fo lange ^iU erl^alten lönnen!
^od; toie bem fei, für bie n?eitere ©nttüidfelung ber Sieligion
ift biefer primitit)e (Eultul fernerl^in nur infofern toon S3ebeu=
tung, aU ber S^obten^ unb Sll^nencultul attent^^alben, toenn
auä) in "Otn §intergrunb gebrängt, mel)r ober minber eine Stolle
fpielt unb befonberl ipojDulär geblieben ift. S)ie Steligion felbft
nal^m aber bei ben SSöllern, bie in einiger ©ultur gelangten.
12 I- 2)tc religtöfe !?öfung beS 2)a[ein«^rottem8
mit bem gortf($rttt ber geiftigen ©ntmtMung !)ö^ete ober
n?cnigfien0 größere gormen an. Mit ber @nttüi(felung ber geiftigen
Gräfte, mit ber @rii?eiterung be0 natürlid^en ©efic^t^!reife§
trurben au^ bie ©egenftänbe ber SSerel^rung größer unb er'^abener
gebadet, obtpol)! fie nod^ immer ber äußern Statur angel^örten
unb erft bur^ menfd^li($e Imagination toergeiftigt unb perfoni-
ficirt njurben. S)ie größten ©egenftänbe, ©rfd; einungen unb 2ßir=
!ungen in ber Df^atur erful^ren ant^ropomorp^ifc^e 33eftimmungen;
fie rüurben perfönlic^ gebadet, mit perfönlid^en ©igenfd^aften aug=
geftattet unb aud^ i^r 2Bir!en auf einanber h?arb aU perfönli($e§
2öit!en aufgefaßt, aU Setl^ätigung :pft)d^ifc^er unb felbft aud^
p!^t)fifd^er ©igenfd^aften unb Gräfte, befonberg aud^ ber gefc^Ied^t=
lid^en, ba allentt)alben ©ötter unb Göttinnen unb baio ©rgeugniß
toon beiben angenommen trurben. ®aß hierbei ba^ ©öttUd^e
ober 2lbfolute, ioie toir e^ gu beulen lf)aben, nur fel^r unt?oE=
fommen gum religiöfen SSen^ußtfein gebrad^t n^erben !onnte, ift
unfd^tt)er ein^ufel^en. 6oh)oI;l bie (^eiftigfeit aU bie 2lIIgemein=
l^eit unb ©ingigfeit be^ ©öttUd^en mußte babei unerfannt bleiben
unb überl^aupt hk SSottfommen^eit unb ^bealität beffelben, 'Du
ßrf)aben^eit über ba^ S^bifd^e unb Wlen\ä)liä)e, ^aä) ber 33e=
fc^affenljeit be^ ßanbe^ ioarb 'oa^» (^öttlid^e §ur beftimmten con=
creten ©ott^eit ober gur ©ötterfd^ar gebilbet unb bie ^Rationen
nal;men biefe il^re ^Übungen ioie ein ©igent^um in Slnfpruc^,
bilbeten S^lationalgötter barauS, — n)obei in ber ^rabition ux^
göttlid)te 3taturbinge unb große l^iftorifd^e ^erfönlid^!eiten man=
nic^fad^ in (^in§> toermud^fen. ®ie S^ealität, bie 33oII!ommenl;eit,
in^befonbere aud^ bie etl^ifd^e, fe!)lte biefen Göttern faft burd^meg;
fie toaren perfonificirter Slu^brud^ ber blo0 mirüi^en, t^atfäd^=
lid^en ®inge unb S^erljältniffe unb famen barüber felbft 'Da ni($t
eigenttid^ l)inaug, ioo fie, n)ie bei 'Den alten Hellenen, eine l^ol)e
äft^etifd^e gortbilbung erfu!)ren. 2ln Seftrebungen, barüber
l^inauääufommen, unb bem ©öttlid^en insbefonbere intettectueüe
unb et\)i\ä)e 3Sott!ommenl^eit gu§ut{)eilen, fehlte e^ atterbingg ni^t
ganj, njie befonber^ bie perfifd^e Dfteligion bezeugt ; allein infolge
biefeä (Strebeng, ben ©otte^begriff gu er^ö^en, gu üerebeln.
unb beren h?i[fen[(^aftUd^c Unl^altbar!cit. 13
!am man gut fd^roff bualiftifd^en Sluffaffung, Umli^ ber ^ö^ern
3Jiä(^te, sunt SDuali^mu^ eine0 guten unb bofen $rincip§ int
S)afein unb 2Btr!en ber Söelt. 3n ben übrigen 9teligionen tnurbe
näntlic^ ben ©Ottern fotDo!;! bag ©ute aU ba0 6d^Iimme, mal
immer fi($ in ber Statur ereignet unb voa§> 'oen 3Jlenf($en tüiber^
fä^rt, pgef (^rieben ; benn inenn au6) bie gunctionen unter bie
üerfd^iebenen ©ötter unb (Göttinnen toert^eilt tüaren, fo tüurbe
i^nen boc^ ant!)ropomDrp^if(^eg 2öir!en nad^ Slbfid^ten unb
Slffecten in @unft unb 3Jlifegunft gugefc^rieben, 'oa§> ben 3Jlenf(^en
foiüo^^I ©utel al§> ©(^limmel brad^te, je nad^ IXmftänben unb
(^efinnungen ; — tüie \a aud^ bie großen 3^aturmäc^te, §. 33. bie
©onne, bal geuer, Söaffer u. f. tp. fotüo^l ©egen aU SSerberben
bringen lönnen. ^iefe Sluffaffung aber erfd^ien bem 3^ad^ben!en
über bag göttlid^e äöefen unb SSotten nid^t ganj genügenb unb
rid^tig gu fein. S)er toa\)x^ ©ottelbegriff fd^ien gu forbern, ba^
t)on bem l;öd^ften (^otte nur ©utel, §eilfame§, ^eglüd^enbeg
fommen bürfe, nid^t aber aud^ ©d^limmel, SSerberblid^el. S)a
aber bod^ aud^ hW^f in ber D^atur unb 3}lenfd^enir>elt fo reid^lid^
toor^anben ift, fo nd^m man aU ^rincip bat»on ^in giDeitel,
getüiffermafeen aud^ göttlid^el ober tr»enigften§ übernatürlid^el, per=
fönlid^el 2Befen an, ba§ in beftänbigem Kampfe mit bem guten
Urprincip unb feinen 2Ber!en unb 33eftrebungen liegt. ®em ^\)uxa
SJtasbao (Drmugb) fteEte man all böf el $rincip Slngramainiu (Sl^ri*
man) entgegen. S)amit l^atte man gtnar einerfeiti einen gereinigt
teren (SJottelbegriff errei^t, aber 'i^u Sfiealität beffelben burd^ eine
giüeite, gemifferma^en ebenfaEl göttlid^e SJiad^t befd5)rän!en muffen,
foba^ bie Slbfolut^eit ©ottel bod^ iüieber nid^t erreid^t ober
erlannt ift. ®al Hebel im S)afein, bal p^^fifd^e faft nod^ mel)r
all bal moralifd5)e, ift toon je^^er haS» gro^e ^inbernife ber ©nt-
toidelung einel reinen ©ottelbegrip getoefen, benn el ]f)inberte
bie Sluffaffung ober 3(ner!ennung (SJottel all h^§> abfolut öoE=
!ommenen SBefenl an fid^ unb feinel göttlid^en Sßirlenl in ber
Sßelt; ober toenn aud^ biefer reine S3egriff erreid^t n>arb, bod^
bie 2lner!ennung ober ben Glauben, '^a^ biefem Segriffe aud^
3tealität ober toirflic^e (Sjifteng entfpred&e.
14 I. 2)ie reltgibfe ^öfuiig beS 3)afeinö^robIcme.
®a^ Subent^um litt menigfteng gum ^l^eil nod; an äl^ti^
li(^en ajJängeln. 3^^^^ ^ßtt naturaliftif($en (SJrunb(^ara!ter ber
übrigen Sfieligionen, in^befonbere au6) ber femitifd^en f)at e^
fd^on früi;er übertüunben, ben Ttonot^ei^mu^ im (Glauben
erfaßt unb, tnenn au^ mit fielen ©d^tüanfungen unb 9lüctfäIIen
in ben naturaliftifd^en, )Dül^t^eiftif($en (Eultu^, feftgel£)alten, fo
unrein unb unt>oll!ommen er auä) nod^ fein mo($te. ©ie^ ge=
fd^al^ ^auptfäd)Ii(^ baburd^, 'oai "oaS» ©efd^le($tlid;e gang au^ ber
^eftimmung be^ ©öttlid^en au^gefd^ieben iparb; — tüie e§ f($eint
infolge 'oon energifd)er etl)if(^er Sfleaction gegen ben gefc^led^tlid^
au^fd^toeifenben ßultu» bei ben übrigen femitifd^en 3Söl!ern.* 2ln=
t^ropomorp^ifd^ unb infofern naturaliftifd^ blieb aber trogbem
bie SSorfteEung t)on ©Ott unb feinem SÖBir!en, befonber^ in ber
frül)eften Qtit, trenn auä) in ber nac^ = ejilif($en hierin eine
3JJilberung eintrat, obtpol^l ber blutige Dpferbienft nod^ immer
fortbauerte, tüie er M ben naturaliftifd^en S^leligionen üblid^
inar. 2lber aud^ ber ^uali^mul l^atte ©ingang gefunben unb
iüarb forterl)alten, um bie Hebel be^ ^afein^ aug einer un=
göttlid^en, b. l;. au^ einer toon bem eigentlichen 3^ationalgott toer=
fd^iebenen ben 3)ienfd^en iniberftrebenben l^öl^ern 3Jlad^t er!lären
unb baburd^ einen reinem monotljeiftifd^en ©otte^begriff be-
l^aupten gu lönnen; tpenn aud^ immerl^in biefe l^ö^ere Wlaä)t,
ber ©atan aU böfe^ Sßefen, eine gtüeite, untergeorbnete Stellung
einnimmt. 2lud^ entfprid^t e^ bem reinen Segriff ©otte^ aB
abfoluten 2öefen§ !eine^n)egg, 'iia^ (ber ifraelitifd^e) @ott nur
vok ein befd6rän!ter 3f^ationalgott betrachtet unb t^ätig gebadet
mirb, tüie bie „falfd^en" Götter ber l^eibnifd^en Völler, '^oä)
ioeniger aber entfprid^t eg bem t»erüott!ommneten Segriff t>on
©Ott, ba§ i^m eine lüillfürlid^e Slu^ertüäljlung ßine§ 3Jlanne^
unb feiner 5Rac^!ommenfd^aft gugefd^rieben tüirb aU be§ eigent=
lid^en (augertr>äl;lten) Sollet ©otte^, tüäl^renb atte übrigen
SSölfer ton il^m unbefd^üfet gebadet tüerben unb l^öd^ften^ al^
* SSgl. mein SBerf : „UcBer btc ©encfiö ber 2)?cn[(^^ctt iinb bereit getfltge
(änttoidelung in 9?eligion, ®ittli(^fcit unb <^pxa6}t" (2«ünc^en 1883), @. 160 ff.
unb bereu iriffenfd^aftUd^e Unl^altbarfett. 15
(felbft öetiüerfli($e) Drgane, eyecutit>e SBerfgeuge göttlii^en gorne^
unb ©trafeng SSertüenbung finben foEen. (Sine foli^e Stuffaffung
ber ®en!= unb 3:f)ättg!eit§tr>etfe Lottes entfprid^t iebenfaH^ bem
©Dtte^begriffe burd^aug nid^t, tr»ie er im reinen, einfa^en
e^riftentt)um ^xi\ii gelehrt ift, aU aUgütiger SSater atter
3}Zenf(^en, W atte feine ^inber feien unb bemnad^ aEe feiner
Siebe unb 3SDrfef)ung t]^eill;aftig tperben foHen. konnte (^ott
©inen ober einige 3Jienf($en augerinä^len, belel^ren unb fc^üjen,
fo !onnte huS» au^ für anbere unb für bie gange Wltn\ä)^eit
ebenfo gut unb ebenfo frü^ gefd^el^en, it»enn aud^ o!)ne i^r 35er=
bienft, — h)ie biefer @eban!e im (i;f)riftent!)um pr Geltung ge=
bra$t iüerben foEte. ©in ebler Tlen\^ tüürbe bieg \a get^n
l^aben toenn er !onne, gef($treige, ba^ ein aUgütiger ©Ott bieg
l^ätte tr>iE!ürIi(5 unterlaffen foEen. — unb analogifd^, in antt)ro=
pomorip^ifd^er 3Seife, Jpirb bod^ fonft aEentI;aIben aud^ über
@öttlid)eg geurt!)eilt! ©inige ber erften (^riftli(^en ^ir($en^
lel^rer fd^einen WS» in ber ^^at aud^ gefül^lt gu ^aben, ba^er
fie geneigt toaren, an§une!)men, bie göttlid^e ^orfel)ung '^dbe
fid^ auf aEe 3Jienf d^en erftredt, toenigfteng ber göttlid^e Sogog
^dbz aEe 3Jlenf(^en me]f)r ober n)eniger erleud^tet, bie in biefe
2öelt !ommen. Slnbere freilid) unb bie c^riftlid^e £ird^e im
5lEgemeinen ma<^Un toenig ©ebraud) t»on biefem ©eban!en,
fonbern Utxai^ieUn bie au^erjübifc^en 9teid^e unb SSöüer alg
bag Gebiet ber Sßelt, ber falfd^en Götter unb Dämonen ober
gerabegu ht§> 5^eufelg — tro^ i^reg ©laubeng ober i^rer t^eo-
retifd^en S3e^auptung, "i^a^ ©Ott ber liebeüoEe SSater aEer
3Jienfd^en unb ^öl!er fei. Privilegien ber SCugeriüäljIung , ber
^räbeftination u. bgl. finb bamit bod^ lüo^I nid^t vereinbar!
©0 !onnte burd^ aE biefe ^Religionen, bur($ biefe verf d^ie=
benen SSorfteEungen von ber ©ott^eit, von ©Ott unb ©öttern
unb bereu SSer^ältnife gur 2öelt bag Sftät^fel 'iiz§> S)afeing nid^t
gelöft, bag Mysterium magnum nid^t entpEt erfd^einen. Qu
ber ^^at irurbe bieg aud^ am Stuggang beg 2lltert^umg, um 't>xe
Seit ber ©ntftel^ung beg ©!)riftentl^umg faft aEgemein von ben
©ebilbeten eingefel^en ober tnenigfteng gefüllt unb fie ^abtn.
16 I. 2)ie reltgtöfe !i?öfung beS 2)afem«^robIcm8
entmeber gerabegu auf alle Söfung be^ SSeltproBIetn^ burd^
teligiöfen ©lauben i)eräid;tet unb fid; bem Sltl^ei^ntti^ ergeben,
ober man i)eräid;tete auf eine Söfung beffelben tDenigften^ infos
fern, aU man ha^, tüa§> bi^ljer al§> Söfung be^ 3}Ipfteriunt§
geltenb gemacht n)urbe, 'i)a^ 5Dafein unb 2ßir!en einer ©ott=
l;eit felbft für ein 2J^i;fterium erflärte, für ein Unerforfd^Iid^e^,
an fic^ llnerfennbare^, öon bem feine :pofitit)en, fonbern
attenfaH^ nur negative SSeftimmungen mögli(^ feien. 2öie
befannt, !amen gu biefer 2Innaf)me fomo^I bie l^ellenifi^e,
al^ au(^ bie jübifd^^aleyanbrinifd^e ^^ilofopl^ie. Qene in bem
DZeupIatoni^muS öom gtneiten Qaljrl^unbert nai^ ©l^riftu^ an,
biefe f(^on gur Sf^ii (Sl^rifti felbft, l)auptfä$li($ burd^ 't^tn iübifd&=
aleyanbrinifd^en ^^ilofop^en ^^ilo, ber nid^t me^r ©ott felbft,
fonbern nur 't)^n öon ©Ott ftammenben Sogog nebft untergeorb=
neten 3Sermittlung§tr>efen in ber 2Belt roirffam fein lä^t, na(^=
bem fd^on früher in ber eriDai^enben jübifd^en ©peculation bie
„2öei§^eit" ©otte^, 'iia§> „2öort" @otte0 ober ber Slbglanj ©otteg
t>on ©Ott felbft unterfc^ieben lüorben tüar. 3n biefer gangen
3eit ber ©ntftel)ung unb (Snttoidelung be§ (fird^Ui^en) ß^^riften-
t^umS geigt fid^ in $Cl)eologie unb ^^ilofop^ie ta§> Streben,
an bie 6teEe be^ an fid^ uner!lärbaren, ber SBelt fernfteljenben
©otteg bie 2!l^ätig!eit toon 3Jiitteln)efen gu fegen unb im d^ultu^
geltenb gu mad^en; mit ber ©ott^eit an fi(^ aber attenfaHio nur
in m^ftifd^er SSerfenlung ober burd^ ^rei^gabe be§ «Selbft in
innige 33egielf)ung gu treten, ^ie tüeitere ©nttoidelung füljrte aber
bal^in, bafe fd^liefelid^ ba^ l;öd^fte biefer 3Jlitteln?efen, ber Sogog
felbft lieber gur l)öd^ften ©ott^^eit ipotengirt tüurbe, al^ gtoeite
göttlid^e ^erfon unb bamit n)ieber ©ott felbft mit ber Sßelt unb
ber 3Jlenfd^]^eit in unmittelbare SBegiel^ung unb äöirlfamleit gefegt
n>arb.
3}lan !ann bal^er lüol^l geneigt fein, gu behaupten, bafe
gtoar alle übrigen 9leligionen, nid^t aber ha§> ei)riftentl)um toer=
geblid; baä Sflät^fel beg SBeltbafeinö ober be§ S)afein§ überl)aupt
befriebigenb gu löfen toerfud^t l^aben. $Daä (S^riftentl^um fteUe
einen ©otte^begriff auf, ber SSerftanb unb ©emütl^, irie aud^
unb beren triffcnfc^oftlid^e Un^alfbarfcit. 17
ben SSillen in gleicher SSeife befriebige. ©Ott fei aufgefaßt aU
ber allgütige ©c^öpfer unb SSater aEer 3Jlenf(^en, beffen gür-
forge fid^ auf Sitten, felbft auf bie ternunftlofen unb unbebeuten=
ten @ef($öpfe erftrede unb ber ni($t bIo§ burd^ feine Offenbarung
"Dk 3}^enf(^en über fid^ unb i^re Slufgabe belehrt, fonbern fie
aud^ felbft burd^ fd^mere^ Seiben, \a huxä) benD^jfertob in ©eftalt
eim§> 3Jlenfd^en erlöft 'i)abe, |)öl)ere§ !önne bod^ in ber X^at niä)t
rm^x gebadet unb erwartet iüerben unb ta§> 3Ji^fterium be§ ganzen
2)afein§ fei 'oamit l^inreid^enb Üargelegt unb Mm IXngetüifel^eit
unb ^unMI^eit über bie 3Jienfd^ennatur, i^ren Urfprung, il^re
^afein^s^lufgabe unb i^r ©nbgiel möglid^. 2)aniit ^rmonire
biefer 33egriff ©otte^ ganj tPof)l mit bem pl^ilofop^ifd^en Segriff
©otte^ alg beg 2lbfoluten, be^ allüottfommenen unb aUgemeinen
tpal^ren Söefen^, t>on bem alle§ S)afein unb aUe SSoHlommenlf^eit
au^gel^e, in bem 2lHe§ begrünbet fei unb feine ©ri^altung finbe.
3n ber ^^at !ann man tüoi)I gugeben, ba^ ber c^riftlid^e ©otte^s
begriff ber i)öd^fte, öoHfommenfte fei, ber bi^ bal^in in ber
©efi^id^te ber 9teIigionen aufgeftettt tüorben, unb ba^ er an fid^,
abftract betrad^tet, iroT^I geeignet fei, bem menfd^Iid^en 5ßerftanbe
§u entfpred^en, 't)a^ ©emüt!) §u befeligen unb ben Sßillen gu
leiten unb §u toerebeln. IXnb irenn aud^ allerbing^ in ber @nt=
iüidelung ber d^riftlid^en ^ir(^e in Seigre unb 9legiment ein ge-
tüiffer Slbfatt öon biefer l;o^en Sluffaffung ©otte^, tnie fie toon
ßl^riftu^ ftammt, ftattgefunben l)at, unb aug bem allgemeinen,
gütigen SSater ber 3Jienf4)en nad^ 2lrt ber frül^ern D^ational=
©Otter ein ^ird^en= unb ßonfeffiong=©ott getüorben ift, ber nur
für bie 33e!enner biefer beftimmten Sfleligion unb für bie lXnter=
tporfenen biefer beftimmten Slutorität ein §er§ l^at, ©üte unb
Erbarmen übt, — fo ift bod^ tnenigfteng tl^eoretifc^ ber eblere,
tüal^re, d^riftlid^e ©otte^begriff ftet§ aud^ bel^auptet inorben, tüenn
er aud^ in ber ^rayi^ iDenig S3ead^tung unb ©eltung fanb. —
©leic^njol^l aber !ann ha^» 3Jl^fterium be^ ®afein§, bag gange
fftäf^fel biefer Sf^atur unb ©efd^id^te, irie fd^on W @rbe eS
bietet, feine ©rüärung mel)r finben unb leine befriebigenbe
Ä^öfung, — unb §h)ar um fo tceniger, je tooll!ommener bie ©otte^-
18 I. 3)ie religte[e ?ö)ung be8 2)ofeine^robIemö
3bee erfaßt unb geltenb gemad^t iinrb. Unb bieg be^l^alb, ix»ci(
bie 35efd^affen]^eit ber S^Iatur, iüie ber 33erlauf ber ^JJenfd^eiu
gefc^t($te um fo tneniger mit bem ©afein unb bem SSirfen eineö
fo t)oE!ommenen ©otte^ aU ©(^öpferS unb Senferg berfelben in
Harmonie \iti)en, — lüäl^renb bie frül;ern untoottlommener ge=
backten ©ötter mel)r mit il^nen übereinftimmten, b. 1^. ben=
felben in ber menf($Iid^en SSorftellung angepaßt tnaren. ^in
lurjer S3li(f auf bie gefi^id^tlid^e ©ntiüicfelung unb bie 6d^i(!=
fale ber 3Jlenf($^eit, fomie auf 't^k Statur unb ba§ ©efd^el^en
in berfelben !ann uns baüon I)inrei(^enb überzeugen.
6(^on bie gefd^ic^tlid^e ©nttüidelung ber 3}lenfd^]^eit fc^eint
in i^rem IXrfprung unb il^rem ireitern S3erlauf burd;aug un=
vereinbar §u fein mit einem abfolut t)ott!ommenen, perfönli($en
©Ott, ber öott ^aä)t, Sßeigl^eit unb ©üte bag 3[Renfd^engefc^le($t
ing ^afein gerufen unb fid^ ix»ie ein ^ater ba^u üerl^alten foU
in gürforge unb ©nbabfid^t. 2öie ber eingelne Mm\d) in tooKer
§ülfIofig!eit unb Unfenntniß feiner felbft, ber 9^atur unb ©otteg
in^ ^afein tritt unb erft mü!)fam pm 33etüußtfein lommen,
feine geiftigen n?ie förperlid^en Gräfte unb Organe §ur ©nttr»icfe=
lung bringen unb gebraud^en !ann, fo aud^ bag 2Jienf($en=
gef(^Ied)t felbft. Unb toie ber einzelne 3rtenfd^ erft allmä^li(^
pi einiger Äenntniß ber ^laturbinge unb feiner felbft, fotoie beg
©öttlid^en gebracht toirb, — babei bem Qu\aü feiner ©eburt
unb Umgebung in ber 2lrt unb SSoHfommenl^eit berfelben preig=
gegeben alg feinem ©(^idfale, — fo auc^ bie 3}Zenfd^^eit. Tiad)
ben 9flefultaten ber mobernen gorfc^ung in ^atnv unb (^efd)id)te,
fönnen toir nur annehmen, ha^ fie auc^ aug bem 9kturproceß
][)erüorging unb nur attmäl^lid^ bur(^ toiele, fel^r unt»olI!ommene
Stufen ber ©nttoidelung l)inburc^ gur enblid^en eigentlid^en
3JJenf(^tüerbung !am unb ben gefd^id^tlid^en ^roceß beginnen
fonnte. Unb aud^ biefer mußte loieber in fel)r unüoEfommenem
3uftanb beginnen unb l^atte unter ©efal)ren unb SJiül^falen aller
2lrt \id) bag $Dafein, bie gorter^altung nebft einigen !örper^
lid^en unb geiftigen gortfd^ritten gu erfämpfen, — fo §tt)ar, baß
au§> Unfenntniß ber 3^atur unb infolge beffen aug $ülflofig!eit
unb beren n.>i[fenfc^aftltc^e Unl>altbar!ett. 19
ii)xzn Tlää)Un gegenüber OJltEionen gu ^runbe ge^^eu mußten. Qu
©runbe gelten burd^ 6d^u|loftg!ett ber Sßittexung gegenüber, buri^
üerberBlid^e S^a^rung, burd^ gefä^rlid^e ^^iere n. f. m., e!^e man
nur gu einiger rid^tiger ©rfenntnife nnb einigen 6($u|mitteln ba=
gegen !ommen !onnte. ^ollenb^ in ^ejng auf ©rfenntnife @otte^
unb auf ©nttniiielung religiöfen S3etüufetfeing, toaren bie :primi=
tiüen 3Jlenfc^en im 3iift^^^^ ^^^ tiefften llnt>ott!ommenl^eit be=
pgli(^ be^ 6ein§ unb 2öir!en^ eine^ (^öttlid^en, b. ^. einer
übernatürlichen Tlaä)t ober ]^i3!)erer Gräfte. Unb nod^ me^r:
21B hu ©ntinidelung in biefer Se^iel^ung begann, !onnte hie^,
ber menfd^lic^en Statur unb ben 3Ser!)ältniffen gemäfe, gar nid^t
anber^ gef($ei)en al§> burd^ 3rrt!)ümer, äöal^ngebilbe unb lüilbe
©ebräud^e öerfd^iebener 2lrt. 2)ie geiftige ^^ätig!eit unb infolge
bat)on bie geiftige ©nttüid^elung lonnte, tr»ie in ber ä^^aturbetrad^^
tung, fo in 33egug auf ba^ @öttli(^e, bei ber gän^lid^en @nt=
inic^elungMoftgfeit ber übrigen geiftigen Gräfte, nur burd^ 33e=
tl^ätigung ber fubjectiöen ^^antafie beginnen; baburc^ tnarb
ber fubjectitoen Sluffaffung unb ©id^tung unb bamit S^^tt^ümern
aller 2lrt freie 33al)n gegeben. S)ie gange Sfteligion^gefd^id^te
geigt bal^er einen forttüäljrenben l^ampf ber 3Serftanbe^forfd^ung
mit 'oen in frühem QeiUn gebilbeten unb in hit religiöfe Xxa^
bition unb @läubig!eit aufgenommenen $l)antafiebeftimmungen.
<So toarb 'i)a§> religiöfe SSetoufetfein ber Wt^n^ä)^^it burd^ ^l^an=
tafietl^ätigfeit öerfd^ieben geftaltet unb mit äßal^ngebilben aller
3lrt nad^ Drt, 3^^^ ^^^ Sl^erl^ältniffen angefüllt unb fd^on ba^
burd^ get^eilt nad^ Säubern unb 3Söl!ern. ®abei aber uod^ in
fi(^ gefpalten unb für ba§ geiftige 2cben ^emmenb infolge ber
beginnenben 3Serftanbe^t^ätig!eit unb iüiffenfd^aftlid^en ©rfennt*
nife, bie burcl; nichts mel^r gehemmt toarb al0 burd^ bie ^er=
götterung ber 3fJatur mittele ber ^l)antafiet^ätig!eit unb burd^
bie t)erf(^iebenen Sßal^ngebilbe, bie barau^ l)ert)orgingen. S)a=
burd^ fd^on tourbe bie 9teligion, ber ^otte^gebanfe, öielfad^ gum
Unheil für bie 3}^enf d^en unb 3Sül!er, unb ebenfo baburd^, ba^
infolge ber notl^toenbig im Saufe ber natürlid^en (Snttnidelung
entftanbenen SSerfd^ieben^eiten hit Völler unb 3}lenfd^en mit §a^
2*
20 I- ®^c retigiiJfe ?öfung bcS 2)ofetn8^jrobIcni3
unb geinbf(^aft gegeneinanber erfüllt tüurben. ©o gtoar, ba^
fie nid^t blo§ al§ grembe unb im Kampfe um^ ©afein, fonbern
um ber t)erfd;iebenen S^leligion njiHen einanber irie 5ßerbre(^er
unb ©otte^feinbe verfolgten unb in Unl^eil unb ßlenb brachten,
foöiel e§ nur mögli($ mar, — tüä^nenb, ba^ bieg auä) ber ©ott=
'tieit ober 't^en ©öttern lPDf)lgefäEig fei. Man mufe bod^ beulen,
'oai ein attgütiger @ott unb SSater aller 3Renf d^en, ber aEtoott=
!ommen unb alfo au^ aHmäd^tig ift, toie eg ber begriff eineg
abfoluten, perfönlid^en Sßefeng forbert, — biefe 3Jlenfc^en, feine
^inber, nic^t l^ätte fd^affen unb fie bann in tjoEer Unioiffen^
l^eit unb Dl^nmad^t allen 2)rangfalen eine^ l^arten, gefäl^rlic^en
Sflaturlebeng preisgeben lüoHen, menn er iüirüid^ eyiftirte unb
fo für baS 3Jlenfd^engef(^Ied^t gefinnt föäre. Qn^befonbere l^ätte
er unmöglid^ fi^ felbft fo fel^r toor ben gefdfiaffenen 3Jienfd^en
üerl^üllen, biefelben fo fel^r in Untriffenljeit über fic^ laffen
unb a\itn 3n:tpmern über fid^ hzi il^rem beftänbigen ©ud^en
nad^ il^m preisgeben !önnen. SBenn eS bie l^öd^fte ^flid^t beS
3Jlenfd^en ift, um ©ott gu gefallen unb als fein eirigeS 3^^^ bie
©eligfeit gu erreid^en, — an (Bott \iä) gläubig l)in§ugeben unb
feinen SBillen §u vollbringen, irar eS 'Da möglid^, bafe er fogar
über ©otteS ©afein unb ©igenfd^aften in votter tlngetri§l)eit
gelaffen irurbe unb er bal^er aud^ über beffen SSillen gar nid^ts
SeftimmteS iüiffen ober erfal^ren !onnte, alfo bie (^runbbebingung
jur @rreid^ung feines emigen gieles von ©ott unerfüllt ge=
laffen njurbe? ©er 3)lenfd^ l^atte bo(^ tool^l fd^on genug §u
leiften, trenn er unter ben gegebenen 2Serl)ältniffcn feine ^flid^t
vott unb treu §u erfütten ^atU, o^m erft mül)fam unb unter
vielen unvermeiblid^en Qrrtljümern nad^ bem forfc^en gu muffen,
h)aS er notl^toenbig babei tviffen mu^te — eben biefen göttlid^en
SBiüen, nad^ bem fi($ feine ^flid^t unb 't)ie ©rreid^ung beS @nb=
gieleS feines gangen ©afeinS rid^tet! ©iefe Ungemifelfjeit über
©Ott, fein ©afein unb feine (Sigenfd^aften, erfd^mert ilf^m aber
nid^t bloS feine ^flid^terfüllung unb fittlidf)e SServoUfommnung,
fie ift fogar 3Seranlaffung, bafe er fie vielfad^ misfennt unb miS=
ad^tet. ©a nämlid^ bie SJienfi^en unb SSölfer gerabe burd^ bie
unb beren tt)i[fen[d^aftüc^e Unl^dtBarfett. 21
llngetüife^jett in SSe^ug auf bte ©ott^eit t>eranla§t tüerben, t»er=
fd^iebene 2lnfic^ten, ©lauben^meinungen unb (Sultugbräu(^e fid^
gu btlben, fo gerat^en fie baburi^ in ßtüift unb geinbfd^aft,
»erfolgen fi(^ gegenfeitig in fanatifd)er 2öutl) unb üergeffen
babei ni$t bto§ öottftänbig beffen, trag fie fonft aU ^fli($t ber
S^läd^ftenliebe, ber ©erei^tigfeit unb Humanität behaupten unb
üon anbern erfüllt feigen tüotten, fie treten aU biefe Sftüdfid^ten
unb ^flid^ten mit güfeen unb glauben baburd^ @ott nod^ einen
befonbern S)ienft ^n ertneifen! Unb ^n^ar gefd^ie^t bieg atteg
um fo ntel^r, ie ftär!er ber ©laube an ©Ott, refp. an bie 3Sor=
fteEung ift, bie fie fid^ toom göttlid^en 2ßefen alg il^rem ©Ott
gebilbet l^aben, unb je eifriger fie biefem i^rem ©otte bienen
tüotten. 60 ift ber ©otteggebanfe, ber ba§ ^öd^fte (BIM ber
3Jienfd^^eit unb bag fid^erfte 3Jlittel i^rer ©r^ebung unb 2Sereb=
lung fein fottte, baburd^, ba§ bie 3)lenf d^en öon jel^er in fo
großer Unlenntni^ besüglid^ beg göttlichen SSefeng fid^ befunben
l^aben unb auf unfid^ereg haften, ^l^antafiren unb fd^iüierigeg
gorfd^en angetüiefen tr>aren, — ^eranlaffung ju großem IXnl^eil
geiDorben, §ur S3efeinbung nämlid^ unb SSerfolgung unter ben
3Jlenfd^en unb 3Söl!ern, unb l^at ©lenb unb Unglüd in oft un=
erl^örtem 3Jla§e über biefelben gebrad^t, fotüie me^r gur 3Ser=
iüilberung unb Xlnmenfd^lid^!eit beigetragen, alg §ur SSereblung,
S3ilbung unb ^untanifirung. 3ft eg irol^l glaublid^ unb an=
nel^mbar, bafe ein gütiger ©Ott unb aEmäd^tiger ©d^öpfer ber
3Jlenf(^en, biefe in einen fold^en 3^^^^ l^ineinüerfe^t unb
barin gelaffen 'fjdb^n fottte, trenn er ejiftirt unb i)on il^m, feinem
SBillen unb feiner ^l^ätig!eit Sllleg ausging unb bie S3efeligung
ber 3}^enfd^^eit feine @nbabfi(^t babei tr>ar? — S)ie 9leligion
mit il^rer gangen gefc()id^tlid^en ©nttricfelung in ber 3Jlenf(^l^eit,
bie ein ^auptgeugnife für bag ^afein unb bie SSoHlommenl^eit
©otteg fein fottte, fd^eint bemnad^ gerabe am meiften "oa^^ ©egen-
tl^eil batoon ju bezeugen, fd^eint bargutl^un, ha^ eine ©ott^eit,
bte bem i^öc^ften Segriff beg Slbfoluten entfprid^t, nid^t eyiftire
ober tpenigfteng nid^t auf bie 3)^enf(^en unb i^re ©efd^id^te unb
6d^idtfale eintüirfe, fonbern biefelbe burd^aug il^rem l^erben
22 I- 2)te rcUgiöfc göfung bc8 2)a[ein«proMcm8
6d^tc!fale überlaffe; t^rer llnit)iffenf)eit unb il^ren Qrrtl^üTnem
nid^t bIo§ in SBejug auf bte Söelt unb tljre eigene Statur, fon=
bern auä) gerabe in ^egug auf ba^ 2ßi(^tigfte, unb biefelbe allen
Seiben :preiggebe, hk batoon bie not!)n)enbige golge finb.
Sßenben n^ir ung nun §ur ^Betrachtung ber S'latur, fo be=
gegncn tnir f)ier feinem beffern ©d;aufpieL ®ie D^atur tüirb
toielf ad^ al§> ba§ ^tneite ^u(^ ber Offenbarung, aU bie natürlid^e
tonbgebung @otte§, im Unterfd^iebe t)on ber33ibel aB ber über=
natürlichen, betrad)tet, unb auf fie, refp. il^re ©rlenntni^, ipitt
man einen fidlem ^zmi§> grünben für "oa^ 2)afein unb für hk
©Ute, ^ti^'i)eit unb Slllmad^t ©otte^, foiüie für feine er^altenbe
unb fürforgenbe 5t;^ätig!eit in ber Sd^öpfung. Slllein tok bie
fog. übernatürliche Offenbarung, iDeld^e bie 33ibel entl^alten foH,
!eine unerfd^ütterlic^e ©eiüi^l^eit für t)k ©rfenntni^ ©otte^ unb
feinet 2öir!en§ in ber Söelt beipirl't l;at unb n)ir!t, unb ebenfo
toenig bie SSiell^eit unb ä5erfd^iebenl)eit ber 2lnfid^ten über ba^
©öttlid^e befeitigen !onnte feit fo fielen Qa^rljunberten, im
@egentl)eil bie ^^arteiungen, ©treitigleiten unb fanatifd^en Sln^
feinbungen unb SSerfoIgungen nur t>ermel^rte unb fteigerte, unb
^iatt 2lner!ennung ber ©otte^ünbfd^aft atter 3Jlenfc£)en öielfad^
SSerflud^ungen, SSerfolgungen unb unmenfd^lid^e (S^raufam!eiten
toeranlafete, — fo aud^ gel^t e^ mit biefer natürlid^en @ottegoffen=
barung, tpeld^e bie 9ktur entl^alten unb bie au^ i^r gelefen
lücrben foll. 3n)ar fo fel^r fanatifd^e unb gen)iff ermaßen giftige
©egenfä^e unb unmenfd^Ud^e Verfolgungen ipegen toerfc^iebener
2luffaffung be^ ©öttlic^en, t^a^ iiä) in i^r offenbaren foll, ent=
ftunben unb entfielen babei nid^t, trie au§> ber öerfd^iebenen
Sluffaffung unb SluMegung ber 9teligion§=Ur!unben, §. S. ber
Sibel mit i^rer übernatürlid^en, birect göttlid^en Offenbarung;
aber Srrtl^ümer, 2öal)ngebilbe aller 2lrt in Se^ug auf ha^ ©ött=
lid^e unb baburd^ gugleid^ SSerjd^iebenljeiten in unenblid^er 3Jlenge
begüglid^ be^ religiöfen ©lauben^ unb (Eultu^ gingen immerl^in
aud^ baraug l)ert)or, — bie man ja unter t^ie gemeinfame 53e=
geid^nung be^ ^eibentl^um^ Sufammen^ufaffen pflegt unb öon
©eite ber SSertreter ber übernatürlid^en Offenbarung gerne ber
unb bercn triffcnfd^aftüd^e Un^ItBarfctt. 23
^rtti! ber Söiffenfd^aft preisgibt; ber 2öiffenf(^aft, bte man bagegen
ber übernatürlid^en Offenbarung ^u untertüerfen unb nur aU bte=
nenbe ©tü|e gu t^ertrenben fu($t. Snbefe bie 3flatur mit i^ren ©r=
fd^einungen, mit i^rem ganzen ^rocefe nnb i!)rer (Einrichtung im
(^rofeen unb kleinen gibt !eine§tDeg§ 3^wgnife öon einem gütigen,
lieBetoolIen IXrl^eber unb t»orfe!)enben Sen!er beffen, tDa§> in i^r
gefd^iel;t, fonbern fd^eint im (SJegent{)eiI auf ba^ ©tärifte ein
geugnig bagegen abzulegen. S)ie S^^atur ift gmar ein ^eWi
be§ Äebeng, beg ©enuffe^, ber greube, aber ebenfo auc^ be§
5^obeg, be§ £eiben^, be^ Sammer^ unb (Elenbja; unb glüar in ber
äöeife, 'oa^ Seben, ©lud unb greube ber ©inen Söefen auf ben
5Cob, 't)a§> Unglüd, ben 6(^mer§ ber anbern gegrünbet ift. ^a^
Seben ber ©inen @ef($öpfe forbert ben Xoh ber anbern, ber
©enufe unb bie ©rl;altung ber ©inen ben Sd^merj unb Untergang
ber anbern; atfo ift ba^ Seben auf ^tn ^ob, 't)k greube auf
ben 6(^merj gegrünbet. 3e l^errlid^er, entgücfenber bie 3flatur
blül^t unb gebeibt, unb je lauter ber Subel in ibr ift, um fo
me^r ir>ütf)et ba§ ^erberben, ber 5Cob, ber 6(^merj in il;r, unb
um fo tiefer, fd)merälid;er tönen bie 3Be!)!lagen ber Söefen im
tiefern ©runbe, auf bereu Soften bag Seben unb fein ©ebeii^en
unb bag Subeln ftattfinbet. — 3)kn toeifet ^in auf hie ^tüedmäfeige,
n)eife ©inri(^tung, befonber^ ber organifd^en unb lebenbigen
SBefen in il^rer eigenen Drganifation unb gegenüber ber äußern
3flatur §u t^rer ©rbaltung unb görberung. 'Man grünbet auf
biefe teleologifc^e ©inrid;tung ber Söefen, tr>ie befannt, ben fog.
teleologifi^en 33en)ei^ für 't^a^ ®afein ©otteg, ba aüent^alben
!Iare Qtdedt in ben Organismen realifirt erf (feinen, unb in§-
befonbere bie lebenbigen Söefen 't)a§> i^nen görberlic^e fud^en
unb erfennen unb ha^^ (S(^äbli($e toermeiben unb flie!)en, ol^ne
bafe fie eigentlicher SSerftanbeSt^ätigfeit fä^ig finb, — ir»a§ tin
3ei(^en fei, 'Da^ ein anberer, böserer SSerftanb, ber göttliche 33er=
ftanb be§ felbftbeiDU^ten, iperfönlid^en ©d^öpferS nämlii^, fie bilbe
unb fül)re. Mein abgefe^en baöon, ha^ bo(^ au^ öieleS aU
un§h)edmä^ig un§ erfc^eint unb unfere ©rlenntnife überl^aupt
au gering ift, um über ba§ ©ange gu urt]5)eilen, ift biefe 3^^^=
24 i- ^tc religiöfc ^öfung beS 2)a[emö^robIem8
mä^igfeit in ber Drganifation, in^befonbere bet lebenbigen Söefen,
eine än}eibeutige ober streif eitige @abe, — gngleic^ nämlic^ gut
nnb fd^Ied^t; benn bie §tüec!mäfeige ©inrid^tung bei ben ©inen
h)itb infolge be^ attgemeinen ^ampfeg unt§ 2)afein gefä^rlid^ unb
toerberbli(^ für bie anbern, infofern fie bie ©inen fä^ig maä)t
gur SSerfoIgung unb ^erni(^tung ber anbern, um fi(^ babur(j^
felbft §u erl^alten unb ©enufe unb görberung gu fd^affen. 2ßenn
alfo bie teleoIogif($e€tnri($tung au^ irirfUd^ auf einen benlenben,
planmäßig ipirlenben Url^eber l^ingumeifen fd^eint, fo ift bodE)
bamit nod^ nid^t beftimmt, bafe biefer IXrl^eber gegen alle feine
(^efd^öpfe aud^ üottfommene ©üte geige unb toottlommene 2Beiö=
l^eit unb ©ered^tigfeit be!unbe, — toenn er bod^ ba0 ©lüct, ben
©enu§ unb 'Dk ©r^ltung ber ©inen auf ba§ Unglüdf, Seib unb
SSerberben ber anbern grünbet, immer bie ©inen beglückt auf
Soften, mit bem Unglüii ber anbern. Sßenn fid^ ein t>ernünf=
tiger, benfenber Url^eber l^ierin geigt, alfo nid^t blo§ ein allgemein
njaltenber, objectiner SSerftanb (allgemeine ©efe^^ unb ^tded-
mäfeigfeit), fonbern fubjectiöe, perfönlic^e 3^erftanbegt^ätig!eit
im Urfprung, bie bann aU allgemeiner, objectitoer, ber 9fiatur
immanenter SSerftanb (tmmerl)in unperfönlid^) fortmirft, fo ift
biefe tjerftänbige $erfönlid^!eit jebenfall^ nid^t gan§ gütig ober
nid^t fo mädf)tig, um feiner (Süte unb gürforge für atte ©efd^öpfe
gemä§ iüirlen gu lönnen, — ift alfo nid^t ein abfolute^, fon=
bem nur ein relatiüe^ 2Befen. 2lngefid^t§ ber unenblid^en Seiben
nnb ©d^mergen in ber S^latur unb beö unaufl)örlid^en Silben
^ampfe^ um^ ^afein, möä)tz fogar ber @eban!e entfielen, ob
nid^t Itte^ öon einem gttjar tierftänbigen, aber nid^t gütigen unb
für aEe fürforgenben 2ßefen ftamme, ober ob nic^t, trie ber
2)uali^mu^ annimmt, gnjei Sßefen hei ber Söeltfd^öpfung unb
im Dfiaturprocefe äugleic^ iüir!en, ein gute^, t)on bem aUe gute,
förberlid^e ©inrid^tung ber Sßefen ftammt unb ein böfe^, feinb=
felige^, 'i^a^» bie fd^limmen triebe, Gräfte unb 6trebungen für
Äampf unb SSernidf^tung hinzugefügt l}at unb forterl;ält. 3nbe6
ift biefe Slnnal^me fc^on barum nid^t l;altbar, toeil biefelben
©inrid^tungen unb Gräfte für bie eingelnen 3Befen unb für ba^
unb bcrcn njtffcnfc^aftüd^e Un^altBarfeit 25
©ange jugletc^ gut unb förberltd^ unb fd^Untm unb tjerberblic^
\iä) ertneifen.* ^te S^latur alfo, irie fie ift, mit i^rem unenbli($en
^ampf nm§> tafeln unb aEem IXnglüd unb ©(^merg, bie barau§
f)^x'üoxq^f)^n, geigen !etnegtüeg§ !lar unb entfd^ieben einen att=
gütigen unb in aller ^egiel^ung t>ott!ümmenen 6($öpfer, f($eint
öielmel^r mit bem reinen, öottfommenen ©otte^begriff fo tüenig
vereinbar, tüie bie ©ef($i(^te ber 3Jlenfc^^eit, in^befonbere bie
gefd^i($tli($e @nth)i(lelung be§ religiöfen ^etüufetfein^.
^u tüittft alfo, mö($te man, iüie im 8u(^e §iob, entgegnen,
bu tüittft alfo mit ©Ott redeten unb über feine 6(|Dpfung unb
beren ©inrid^tung mit bem f(^n}ad^en menfc^lid^en SSerftanb ab-
urt^eilen? ©egiemt e§ nid^t toielmel^r bem 3}lenf(^en, fid^ §u
befd^eiben unb fid^ mit inniger ©rgebenl^eit in ben ^Serlauf ber
Singe unb SSerl^ältniffe gu fügen, tüeld^en bie göttlid^e ^orfel^ung
anorbnet ober guläfet, ber fidler §um heften aller berer ge=
reid^en toirb, bie gottüertrauenb unb \ittliä) ftrebenb il^r eioige^
3iel SU erreid^en ftreben? Sarauf ift gu bemer!en, ha^ bie^
SlHeg ganj rid^tig fei unb bafe man tiertrauen^tioll fo henUn
unb l^anbeln !ann, tpenn einmal unumftöfelid^ gett)ig ift, ha^ ein
©Ott t)on fold^er 2lrt unb 3SoII!ommenl^eit toirüid^ eyiftirt unb
bie 6d^öpfung n^a^rnimmt unb gum heften leitet. Wein ^^v
^anMt e§> \iä) niä)t barum, toon biefem feften, gtoeifellofcn
©lauben au^gugeljen unb 'oanaä) 5(tte^ in D^atur unb 2Jlenfd;en^
gefc^id^te §u beurtifjeilen, p er!lären ober unerllärt gu laffen,
ol^ne be^l^alb gu gtoeifeln unb n)an!enb gu toerben im ©lauben,
ben man auf irgenbeine Sßeife erlangt ^at ©^ fragt fid^ öiel=
* 2)al6ci ijl nod^ ju Beachten, ba^ bie teleologifc^e (Smric^tung ber
Organismen auä) bie @m^)finbung§fä^ig!eit fcegrünbet, alfo tok grcube unb
®IM, fo auc^ ©d^merj unb (Stenb ber lebenben 3ßefen ermöglicht unb ijer*
ttjirfüc^t. SBenn besüglic^ beö aJJenf^en bemerü toirb, ba§ bag JBeiben ju
feiner fittlid^en S3en)ä^rung unb SJerboIIfommnung bienen foH, fo ift bagegen
i)or(äuftg ju fcebenfen, ba^ bieg jebenfattg für bie 2:^iere nic^t getten fann,
unb baß au|3erbem bie i^eiben eBenfo fe^r jur fittli($en 35er!ümmerung unb
33ertDiIberung unb jur ^erfuc^ung bienen fönnen, tt>k jur SSeiüä^rung, ab==
gefe{)en baöon, Da§ biefetBen fo ungleich öert^eift finb unb fo oft benen am
ti^enigften jut^eit tt)erben, bie berfelBen am meiften ju Bebürfen f^einen.
26 I- 2)i« reügiöfc i^öfung beg 2)afein8^roBtcmS
tnel^r barum, ob D^atur unb ^Jlenfd^engefc^ic^te 3^^9^^6 9^^^^
für 't)a§> '^a\dn unb 2ötr!en ©otte^, aU he§> absoluten, t3oII!om=
menen unb perfönltd^en Söefen^, ober ob fie hzi bem gorfi^en
l^terüber toiel mel^r bagegen al^ bafür 3^W9^^6 ä^ Ö^^^ß^^ wnb
^eireife gu begrünben fd^einen. ©^ l^anbelt fic^ alfo nt($t um
eine ©ebuction, bie t)on einem fi^on geftftel^enben, 6i(^ern au§=
gel^t unb barau0 bie Iogif($en Folgerungen ableitetunb ha§> ©in=
gelne bamit in ©inüang ^u bringen ftrebt, fonbern e§ l^anbelt \iä)
umeininbuctiöe§3Serfal^ren, ba§ t)om ©ingelnen unb(^rfa^r=
baren au§gel)t, um barau^ auf ein entfpred^enbeg SlUgemeineS
unb ber ßrfalfjrung nid^t unmittelbar gugänglid^e^ §u fi^lie^en,
— lr>ie bie 2öiffenf($aft bie^ forbert. §ier alfo foll erforfc^t
n)erben, ob ba§, n>a§ tüir !ennen in S^^atur unb @ef($ic^te, t»on
ber 2lrt fei, bafe tr»ir mit t)otter ©id^erl^eit auf ba§ ^afein eine^
iperfönlid^en gottUd^en SöefenS fc^lie^en !önnen, tion ber 2lrt,
iüie 'i)a§> ßl^riftent^um e^ annimmt unb toie 'oa§> ip'^ilofopl^ifd^e
abfolute Qbeal ber 3Sernunft e§> forbert. IXnb bie^ eben fc^eint
auf ©runblage ber D^atur unb @ef(^i(^te, foipeit ipir fie !ennen,
nid^t möglich gu fein.
®o(^ mir fommen nun gum §auptpun!t ber IXnterfud^ung.
2111 bie genannten 2:^atfa$en in 9^atur unb ©efd^id^te finb, mag
man fagen, allgemein hetannt, — iüenigften^ jebem, ber nur
einigermaßen bie SBelt ben!enb beobachtet; unb fie feien aud^
bereite m6)i blo^ Ijinreic^enb geinürbigt irorben, fonbern alle
baraug entftel^enben 6d^it>ierig!eiten in Se§ug auf ba^ ®afein,
bie (Sigenfd^aften unb 2öir!fam!eit (S)otte^ für 9Zatur unb
3J?enf(^l)eit feien auc^ bereite erlebigt. 6o erlebigt, "Da^ fie
n}enigften^ für 't)^n d^riftlid^ Gläubigen !eine ^ebeutung me^r
l^aben, fein ©runb be^ Unglauben^ mel^r fein fönnen. 3n ber
X^at l)ai aud^, iüenn nid^t ha§> urfprünglid^e, einfadf)e ^xi^ien-
tl^um , f bod^ bie ürd^lid^ = d^riftlid^e Se^rentinidfelung biefe
6d^tr>ierig!eiten, foipeit fie be!annt toaren, §u überirinben unb
bie toorliegenben großen Probleme gu löfen gefuc^t. '^ox aUen
l)dben ber Slpoftel ^aulug unb Sluguftinu^ mit biefen buuMn
Sflät^feln fd^lüer gerungen, l^aben fie burd^ 6peculation auf
unb bcrcn toiffenfc^aftnd^c Un^attBarfett. 27
<^runb bibltfi^er 33ert(^te nnb 5lu§fprüd^e §u löfen gefud^t unb
"oie Ürd^lid^en Sel^rbeftimmungen l^dben fid^ gro^ent^eil^ mel^r
ober minber genau baran angefd^loffen. ®te Söfung foUte ge=
geben \zin in ber Seigre öon ber 6(^öpfung unb bem ^arabtefe
aU urfprüngli(^en Suftanb ber SSoHfontmenbett ber Söelt unb
3Renf(^l^eit, bann in ber Seigre t)om ©ünbenfall ber erften 9}lenfd^en,
bem 3SerIufte ber 3Sott!ommen^eit be§ ursprünglichen 3^ft^«^ß^
unb toon ber aU ©träfe über bie^ gange 3}Zenf($engef(^le(^t t)erl^äng=
ten ©rbfünbe unb ©rbfd^ulb mit atten Hebeln, bie in golge batoon
aug 9ktur unb ©efd^id^te über bie äRenfi^en !amen; ferner bur(^
hie Seigre tion 2lu^ern)äl)lung eine^ befonbern SSol!e§ ©otte^
al§ SSorbereitung ober Einleitung ber enblic^en ©rlöfung, unb
enblid^ huxä) hk (^riftlid^e gunbamentalle^re toon ber göttli($en fe
löfung burd^ bie 9}lenfd^tr>erbung ©otte^ unb burd^ ben blutigen
Dpfertob beg ©ottmenf d^en ß^riftu^, be§ göttlid^en Sogo^, am
^reuge. S)amit alfo follen aEe bie erl^obenen ©c^iüierigleiten,
tr>eld)e bie IXntooHfommen^eit ber Sßelt bereitet, befeitigt unb
jebeg §inberni6 ber unbebingten 2lner!ennung eine^ abfolut öoll=
!ommenen ©d^öpfer^ unb perfönlic^en ©otte§ aU gütigen, all=
erbarmenben SSater^ aller 3}lenf d^en übertüunben fein, foba§
für Jeben 3}lenfd^en, bem biefe ^^atfad^en unb Seigren t)er!ünbet
h?erben, 'tik ^flid^t be§ Glaubens beftelje unb ^ic^tannal^me
unentfd^ulbbar fei. 2öir l^aben bie <Baä)e nun näl^er gu prüfen.
Sm Slllgemeinen ift gunäd^ft gu bemer!en, ta^ ^^x t>on
^l)atfad^en unb ü^el^ren W Stebe ift, bie burd^ !eine (Srfal^rung
irgenbirie gu controliren ober gu beftätigen finb, benn fie be^
giel^en fid^ enttoeber auf eine ungugängli^e SSorgeit ober ge=
rabegu auf ba§ Qenfeit^, in 'i^aS» niemanb einzubringen toermag,
fobafe fie nur bem Gebiete be^ ©laubenS unb ber fubjectitoen
$^antafiet)orfteEung ange:^ören. gür SSerftanbe^tl^ätigfeit, für
toiffenfd^aftlid^e ©rlenntnife ift babei !ein fefter 5ln^altgpun!t
gegeben, benn aud^ erfa'^rbare 2öir!ungen ober golgen ber gel=
tenb gemad^ten uncontrolirbaren X^at^aä)tn unb SSer^ältniffe
finb nid^t mit 6i(^erl^eit gegeben, t»on benen au^ fidlere logifd^e
©d^lüffe auf bie 2öir!lid^!eit ber ^^atfad^en unb bie Sßa^r^eit
28 I- 2)te reltgiöfe Söfung be8 3)afeing^roBIem8
ber Seigren gegogen tüerben fönnten. ®te UntoUfornmenl^eit ber
9^atur, bie kämpfe unb Seiben ber ©ingeltrefen in i^x finb ge-
tüife unb be!annt genug ; barau^ aber ift nid^t ber ftdf)ere 6c^lu6
§u sielten, ba^ fie burd^ irgenbeine ^ataftropl^e il^re urfprüng^
lid^e £eibenlofig!eit unb SSoIIfommen^eit toerloren l)aben muffen.
Um fo ju fd^ liefen, müfete man eben fd^on ipiffen, bafe fie t>on
einem t)oIl!ommenen Schöpfer au(^ in3Sott!ommenl)eitunbäumgIüd=
tilgen SDafein^genu^ gefc^affen tüorben feien. Hm aber fo fd^Iie^en
gu !önnen, mü^te man fd^on bie ©etri^l^eit l^aben, ba^ ein
gütiger, geredeter unb aEmäd^tiger 6d^öpfer fei, tüogegen aber
gerabe i^re S3efd^affenl^eit S^^g^^^fe 5^ g^^^^ fd^eint. 2lu^ il^rer
33efd^affen]^eit felbft Iä§t fid^ nid^t belüeifen, ba§ fie nid^t fd^on
urfprünglid^ in biefem S^f^^^^ ^^^ IXnüottfommenl^eit fid^ U^
funben l^aben nad^ bem Saufe ber D^atur felbft, ^aä) ben 3fle=
fultaten ber mobernen 9fiaturn)iffenfd^aft mu§ bieg öielmel^r
burd^aug angenommen werben, ha ©mpfinbunggfä^ig!eit unb
Seiben §ur Sebenbigleit unb ©rl^altungsfäl^igfeit ber befeelten
SOBefen gel^ören unb nid^t minber ber ^ob aU integrirenbe^ SJlo-
ment in "ozn S^aturproce^ eingefügt erfd^eint. — S)ie behauptete
©rlöfung geigt fid^ im S)ieffeitg feinegtnegg al§ %^at\a^t, ha
atte Uebel, tüetd^e aU golgen be^ 6ünbenfattg gelten, nod^ tl^at=
fäd^lid^ üorl^anben finb, fo fel^r fie aud^ ben Glauben auf eine
fd^tüere ^robe ftetten. S)ie geiftige ©rlöfung unb ©lüdfeligleit
aber toirb in0 Qenfeitg verlegt, !ann alfo nur im ©lauben an=
genommen tüerben unb für bie SBiffenfd^aft feine ©runblage ju
©d^lüffen bilben. 2)enn aud^ fel)r beftimmte unb unbegmeifelbar
moralifd^e ©rfolge, refp. ^efferungen, bie burd^ hk Dffenbarung
unb ©rlöfung, tpeld^e bie d^riftlid^en ^ird^en »ermitteln, foHen
erhielt tporben fein unb nodf) ergielt toerben, finb leine^ioegg ge=
geben, tnenigften^ nic^t in ber SBeife, bafe gut^erläffige ©d^lüffe
auf birecte göttlid^e ©inipirfung moglid^ mären. 2ßie bie Hebel
unb Seiben ber 3Jlenfd^]^eit, bie bod^ al^ ©träfe für ben 6ünben=
faH ber erften 3Jienfd^en toon ©Ott über bie gange 3^atur über=
^aupt unb ha^ 3Jlenfc^engefd^led)t in^befonbere foUen toerl^ängt
iDorben fein troj ber ©rlöfung, n)eld^e bie (Sdjiulb aufgehoben
unb bercn h?iffenfc^aftlt(^c Un^alttorfcit. 29
l^abe, geblieben finb (aU ©träfe alfo ol^ne 6(^ulb), fo ift auä)
offenbar bie moralif^e SSerberbt'^ett ber 3J^enf($en (concupis-
centia), bie ebenfalls t>on jenem ©ünbenfaE ftammen fott, ge-
blieben — au^ in ben ©etauften, benen alfo "t^k ©rlöfnng
fc^on §ugeiüenbet irorben ift. 2)ie ^efd^id^te ber d^riftlid^en
SSölfer im Drient unb Dccibent gibt l)inlänglid^ 3^^9^^6 baöon!
Seibenfc^aften unb Safter^aftigfett aEer 2(rt l^errfd^en 'ok 3a]^r=
l^unberte ^inburd^, §a^ unb SSerfolgung, unerl^örte ^raufam=
!eit (in ^onftantinopel trie im Slbenblanb), finnlid^e £üfte nebft
SBal^ntorfteHungen unb abergläubifd^en 33räU(^en aller Slrt, §u
man($en 3^^^^^^ '^^'^ ^^^ mand)^n 3Söl!ern fo arg, ir>o nid^t
ärger, aU je im ^eibentljum — iriie felbft bie (^riftlid^en $re=
biger ungäl^ligemale laut rufen unb tabeln. 2Bie fott t)on fold^en
©rfd^einungen unb ^l^atfad^en auf eine göttlid^e IXrfad^e, auf
birecte göttlid^e ©iniüirlung unb t)on ba auf ba^ ^afein unb
bie 58oE!ommenl^eit @otte§ ein fidlerer ©d^lug gemad^t n^erben
!önnen? Söir l^aben 'ou^ alle§ nod^ näl^er im ©ingeinen §u be=
trad^ten.
2öie e^ ber 33egriff ©otte^ al^ tooElommenen, allgütigen
Sßefen^ forbert unb bie ®lüd^felig!eit ber ©efd^öpfe aU ßnbs
^md ber ©c^opfung öorau^fe^t, foE bie ©d^öpfung gut ober
n>enigften0 relatiö üollfommen in^ 5Dafein gerufen tborben fein
burd^ ben göttlid^en 6d^öpfer; in^befonbere auä) ber 3}lenfd^,
t)on bem in ber 3Jiofaifd^en @enefi§ au^brücflid^ gefagt ift, ha^
er nad^ ©otte^ 33ilb unb ©leid^ni^ gefd^affen fei; — inie benn
aud^ öon ber gangen 6($öpfung bemer!t toirb, bafe fie al^ gut
befunben tnarb. S)amit iüirb tüol^l gemeint fein, ba^ fie am
beginn ol)ne aU bie IXebel unb Seiben mar, bie fpäter über alle
©rbeniüefen unb hzn äJlenfd^en in^befonbere !amen. ©^ l^armo*
nirt freilid^ nid^t gang bamit, 'oa^ gugletd^ )izxiä)tet toirb, (Sott
l^abe zimn befonbern harten, 't)a§> '>!^axa'i)k^ gebilbet unb ben
Menfd^en l^ineintoerfe^; benn ioenn Silier gut mar, in^befonbere
aud^ ber 3Jlenf($, fo foHte man meinen, ba§ e^ beffen nid^t be=
burft l^abe! S)iefer parabiefifd^e 3uftanb fott fid^ nid^t blo^ auf
ba§ förperlid^e ©afein unb 2öol)lbefinben begogen l^aben, fon-
30 I- 2)ie religiöfe Söfung be« 3)afcin8^robIcmS
bem, tüie bie Stl^eologen eittge^^enb au^geflügelt, !^auptfä(^lid^
auf bie geiftige SSoEfommen^eit. 3^ ^^^ Seiten natürlid^en 2ln=
lagen foE no(^ eine libernatürli($e ©rlend^tung unb (Snabe bie
Seele erhoben l?aben über ben natürlid^en S^tftönb, fobafe il^re
©rfenntnife unb i^x SöiEe übetnatürlid^ — alfo nod^ über bie
3f?atur erl)ö^t fein mu^te. S)ie erften SRenfd^en mußten bem-
gemäfe i^re Sage, il^re Slufgabe, ii)x SSerl^ältnife gum göttlid^en
6(^Dpfer, mußten beffen ^üte, Ttaä)t unb ©ered^tigleit, trenn
ni($t natürli(^, fo "Oüä) übernatürlid^ !Iar erlennen unb fonnten
fi($ banad^ rid^ten. Unb bennod^, tpa^ gefc^iel^t? ©^ gelingt
bem gotttpibrigen äßefen, bem 6atan al§> SSerfud^er, biefe erften
3}lenfd;en burd^ SSorf^iegelung, burd) Släufd^ung unb Slnrei^ung
jum llngel)orfam gegen ©Ott gu herleiten tro^ aEer natürlidf)en
@üte, in tpeld^er fie gefd^affen unb tro^ aller übernatürlichen
©aben ber ©rfenntnife unb be^ Sßitten^, bie üom ©d^öpfer nod^
l)ingugefügt iüorben iüaren! ^iefe erften 3Jlenfd^en erfd^einen
fonad^ gleid^fam aU ber ^ampfpla^ gn^eier SJläd^te, ber gött=
lid^en unb tr>ibergöttlic^en, fatanifd^en, unb hie legtere bleibt
6ieger. ^a ift bod^ unbegreiflid^, tüie ber göttlid^e 6c^öpfer in
f old^er Sßeif e ba§ ©ef(^affene !onnte tierberben laffen, — trenn er eg
ju l)inbern t)ermod[;te — nid^t, inbem er bie grei^eit ber 3Jlenfd^en
befd^rän!te ober aufl)Db, fonbern inbem er hk Tla^t unh ha^
2öir!en be^ böfen ^rincipg bef(^rän!te, gu t)erberben, tDa^ er „gut"
gefd^affen unb nod^ übernatürli(^ au^geftattet l^atte. Surfte er "Da^»
ni6)t, bann erfd^eint bie böfe '^a^t aU gleid^berei^tigt, ober für
ben göttlid^en 2Beltplan gerabeju al^ notl^n?enbig! Unb ebenfo
unbegreiflid^ ift, mie biefe mit fo übernatürlichen ©naben an @r=
!enntni§ unb 2öitten^!raft auggeftatteten 3)?enfd^en fid^ fo leidet
betl)ören unb gum Ungel^orfam t)erleiten liefen, 'i)a bod^ fd^on
il^re natürlid^e 33egabung, toenn fie bod^ t>on ber 6d^öpfung an
gut njar, fie batjor benja^ren foEle! ©nttpeber fel^lte il^nen bie
!lare, fidlere (Srfenntnife ©otte^, i^reg ©d^öpfer^, bann l;atten
fie nid^t einmal eine rid^tige, natürlid^e Sluöftattung erljalten,
ober fie befa^en biefe ^rfenntnig ^ottesc, feiner Gebote unb ber
golgen be§ Ungel^orfam^, bann mußten fie trog i^rer fog. über
unb bereu tüi[fenid)aftU(^e Un^altbar!ett. 31
natürli(^en Erleuchtung unb SSegnabigung ma^Io^ t^xiä)t ober
fogar fd^on f($led)t fein, ir>enn fie bod^ ber 3Serfü^rung be§
<Batan§> erlagen, bereu gofgen i^nen ni($t tierborgen fein fonnten.
®enn e§ gilt ha jebeufatt^ ber @o!ratif(^e @runbfa|, bafe nie=
manb freitoiEig fd^Ied^t fei, b. I;. fid^ felber fc^abe, n)enn er bie
ri($tige Einfielt 'i)at; bal^er infofern rid^tigeg fid^ere^ Söiffeu unb
^ugenb getoifferma^en @in^ ober ibentifcf; feien. 2Ber bal^er
aud^ nur einigermafeen über biefe S)arftellung be^ 2lnfangg=
guftanbe^ ber 3}lenfc^l)eit, ber Sßerfü^rung unb beg jgalle^
ber erften SReufd^en gu 't)tntzn öermag, ioirb biefe 2lrt, 'oa^
Sftät^el be^ ^afein^ gu löfen ober iüeuigften^ 'i)zn fd^limmen
guftanb ber 5latur unb ber 3Jienfd^l)eit gu erüären, für ganj
ungenügenb l)alten, nur geeignet für Äinber unb ganj ungebil=
bete 3Jlenf(^en, W nid^t n?eiter §u benfen vermögen unb fi(^ mit
Silbern ober S^orftellungen begnügen, toeld^e bie ^l^antafie unb
t)a§> (Bemüti) anfpred^en unb einigermaßen befriebigen. — SSoti
äl)nlid^er IXn^altbarleit ift t)a^, tra^ toeiter über bie golgen be^
fo l)erbeigefü!)rten 6ünbenfaE^ ber erften 3Jienfd^en berid^tet
ioirb. 3ur 6trafe bafür fott nämlid^ uid^t blo^ bie 6d^lange
(ber <Batan), fonberu auc^ bie ©rbe (ber 2ld^er) üerflud^t toorben
fein, 'oa^ fie Unfraut trage, unb fotten bie fc^ulbigen 3Jlenfd^en
au^ bem ^arabiefe vertrieben unb ben 3Jlül)en, ©efa^ren unb
^zMn be^ ©rbenlebeng preisgegeben toorben fein. IXnb nod^
mel^r: S^re 6ünbe unb 64>ulb foE auf atte il^re 3ftad^!ommen
als ©rbfünbe unb ©rbfd^ulb übertragen n>orben fein, foba| atte^
obtool^I ©efd^öipfe unb Mnber ©otteS (bereu 6eelen fogar aEe
als birect oon (Bott gefd^affen betrad^tet ioerben), unbarml^ergi^
barunter §u leiben l^aben. ^lußerbem aber fott nic^t bloS il^r
leiblid^es Seben ben Seiben unb bem ^obe üerfaEen, fonbern
aud^ ber ^eift tl^eiltneife corrumpirt, mit 33egierlid^!eit, böfen
(belüften, 3f^eigung gum ^öfen inficirt loorben fein; — unb gtoar
infolge göttlid;en Strafgerichts, fobaß bie menfd^lid^e 9Ieigung
gum Unred^ten, bie 6elbftfud^t, bie Sieblofigfeit gegen 3Kit=
menfd^en unb ber lXnge:f)orfam gegen göttlid^e (S5ebote, fotoie
3Jlangel an religiöfer ©efinnung als 6trafe ©otteS erfd^eintl
32 I- 2)ie religiöfe Jöfung beö 2)a[em8^rob(em§
Slugerbem irurbe bem 6atan, obti3o!)l bte t>ertü!)renbe (5($Iange
toerftud^t tparb, bod^ gelrifferma^en bie §errfd^aft über bie Sßelt
übergeben unb i^m für feinen 33etrug ein getüiffe^ 'öieä)t über
bie 3}Zenf(^en gugeftanben, ba^ i^m erft iüieber abgefanft ober
abgerungen tüerben mu^te. ^ie ^^iere mußten an btefcm ©traf=
guftanb t^eilnel^men unb finb, tvk e§> fd^eint, biefer ^^eorie §u=
folge ebenfatt^ bnrd^ ben 6ünbenfaE ber 3Jienf(^en ben Seiben
unb bem ^obe toerfaEen.
2ßa^ nun gleii^ biefeg le^tere betrifft, fo ift ber mobernen
9^aturforfd^ung gemä^ !aum no(^ irgenbein S^^^f^^ möglid^,
bafe tüie Gmpfinbunggfäl^igfeit unb Suft, fo anä) Seiben, ^ran!=
l^eit, ©d^merj unb ^ob in ber Statur bei ben lebenbigen Sßefen
ge^errfd^t l^aben, el^e nod^ ba^ 2Jienfd^engefd^led^t auf biefer @rbe
entflel^en unb leben lonnte. S)emna(^ !ann Seiben unb ^ob tt)enig=
ften^ ber X^mvoelt (aud^ trenn fie mit ben erften 3Jlenfd^enim fog.
^arabiefe mar) nic^t erft burd^ bie ©ünbe biefer erften 3Jlenfd^en
al^ Strafe ©otte^ entftanben fein, — gumal biefelben ol^nel^in
leinerlei 6d^ulb an bem genannten ©ünbenfaE tragen fonnten, ba
bie 6d^lange bodf) aU blo^e^ 2öer!§eug be^ 6atan^ eingefül^rt ift.
S)emnad^ l^at ber Slpoftel $aulu§ Unred^t, wenn er (9flömer=
brief V, 12) fagt, ba^ burc^ bie erften 3Jlenfd^en bie ©ünbe in bie
2öelt ge!ommen fei unb burd^ bie ©ünbe ber ^ob. ©elbft für bie
3Jlenfd^en !ann bie§ ni(^t gelten, ba bei il^nen bie anatomifd^en
unb p^^fiologifd^en ^erl^ältniffe ber !örperlid^en Drganifation
biefelben finb it>ie bei ben ^^ieren unb nic^t abäufel)en ift, toie
fie öor bem fog. ©ünbenfalle h^i bem 3}lenfd^en gang anber^
functionirt l^aben fottten, aU hti ben ^^ieren unb hti bem
3Jlenfd^en nad^ bem gaUe, unb alfo bie ©rfd^öpfung ober Äran!-
l)eit unb ^ob l^ätten tjermieben toerben fönnen, auger ettr»a über-
natürli(^ burd^ ein fog. Sßunber, ha^ ettüa burd^ t)cn ©ünben?
fatt beenbigt morben n)äre. ®ie ^^aturföiffenfd^aft mufe alfo
aud^ in biefer SSegieljung infolge i'^rer ©ntiricfelung burd^ genauere
©rforfd^ung ber ^Raturtoer^^ältniffe bem in ber fog. göttlid^en
Offenbarung behaupteten entgegentreten. Q:hen barin aber
geigt fid^, bafe biefe geglaubte Offenbarung nid^t toon einem
unb beren tinf[en[d^aftltc^e Unl^altbarfeit. 33
:perföTiIi(^en, mit ©iite unb @inft(^t h)ie ^orau^fiij^t tüirfenben
(SJotte ftammen !ann, ha fonft berglei^en unspaltbare ^Infic^ten
mä)t an 'i)en tpefentltd^en ©tauBeuMnl^alt ge!nüpft, fonbern toer=
mieben tr»otben tüären, in ber 3Sorau§fid;t, ha^ \6)lu^li^ bo(^
\}on ben SKenfd^en beren IXnric^tigfeit er!annt i^erben unb ber
(Glaube eine grofee ©rfc^ütterung, too nic^t 35erni(^tung erfal^ren
mü^te. 6ottte ber göttlid^e ©eift berglei($en infpirirt Ijaben,
'i^a er boc^ bie fpäter für ben ©lauben an @ott felbft eintretenbe
©efa^r öorau^fe^en mufete? gn ber %^at ^db^n toix z§> an biefer
Stelle be^ SlpofteB unb bei ä!^nli(^en 6tetten ber 6(^rift mit
^robucten menfc^li($er ©peculation gu tl^un, bie für i(;re gßit
too^ ^ebeutung l^aben lonnten, aber Mnen 2lnfpru($ auf un-
bebingte Geltung l^aben.
2öa§ ben SSerfuc^er ber erften 9Jtenf($en, ben Satan betrifft,
ber eine fo t»erl^ängni6t)0lle SftoUe am ^Beginn ber 3Jlenf(|l^eit ge=
fpielt ^aben fott, fo ift f(^on oben barauf l^ingetoiefen toorben,
ha^ bamit eine gleite übernatürliche SJ^ad^t eingefül)rt tüorben
ift, bie au§ ber bualiftif(^en Sluffaffung ber SBelt ftammt, unb
aEenfaH^ au^ ber :parfif($en ^Religion in ben j;übif(^en Segenben-
!rei§ ^ereinge!ommen ift. 2öenn au^ l^ier biefe iüibergöttlid^e
3Rac^t f(^on al§ untergeorbnet erfd^eint, fo gel)t bod^ ber 6atan
bepglid) ber 3}Jenfc^^eit aU Sieger ^er\}or unb erf($eint toon
ba an getüifferma^en al§> ber gürft biefer SBelt unb al^ §err
unb gleid^fam ©igentl)ümer ber 3}ienfd^if)eit, bie il^m erft t)on
©Ott felbft iüieber abgerungen ober abgefauft werben mu§ um
ben treuem ^rei§ be§ blutigen Dpfertobe^ beg menfd^getoor^
benen ^otte^fo^ne^ — h)ie bies toon manchen ^ird^enle^rern
iüeiter au^gefü^rt tnorben ift, inbem fie 't^en Speculationen be§
Sl^oftelg ^aulu§ babei folgten, ©elbft innerl)alb be§ ei^riften=
tl)um^, alfo nac^bem bie ©rlöfung be§ 3Jlenf(^engef(^led^t§
burd^ ©Ott felbft fd^on aU öoEbrad^t angenommen ift, tr>irb
ber Satan nod^ aU grofee 3Jlad^t, \a aU übermächtiger §err ber
Sßelt angefe^en unb in fpätern Saljr^unberten U^ in bie neuere
Seit ^atU eg ben 2lnfd^ein, aU ob ber Si^eufel nid^t blo^ über
alle nic^td^riftlid^en 3Söl!er unbebingt l^errfd^e, fonbern aud^ in
34 I- 2)ie rcligtöfe Söfung bc« 2)afein8^ro6Iem8
ber c^riftli^en Äird^e bei ineitem bie etfte unb mäd^ttgfte 9ioIIe
fpielte, — tDogegen man meniger mit geiftigen Söaffen, aU
mit geuer unb @($mert, ten ^efeern unö §eyen gegenüber,
äu !ämpfen fud^te. 5lud^ fonft ift e^ immerhin eine eigent]^üm=
lid^e SftoEe, bie man ben 6atan aud^ innerl^alb be^ (5^riften=
t^um§ f^ielen lä^t. (Sinerfeitg erfc^eint er al§ mibergijttlic^e
3Jlad^t, bie, tuenn aui^ principieH untergeorbnet, boc^ factifd^,
tl^eolo gif d^en 6pecuIationen gufolge, aU minbeftenS gleich mäd[)tig
mit ©Ott erfd^eint unb beffen 5tbfid^ten allentl;alben gu burd^=
freugen fud^t — unb giüar mit vielem ©rfolg. Slnbererfeit^ aber
tüirb er lt»ieber aU eyecutit)e^ Drgan ber göttlid^en ©trafgered^tig^^
feit betrad^tet unb infofern aU Wiener ©otte^, ber notf)ir)enbig
in bie göttlid^e Delonomie be^ Söeltaüic gel)ört! 3Jlan tr»irt) in
all bem !aum eine befonber^ !Iare unb befriebigenbe Söfung beg
SBelträt^felg, b. 1^. @r!lärung ber SBefd^affeni^eit unb be^ @nb=
giredfeg biefe^ S)afein^ erblidfen fönnen !
Söenben toir un^ bann §um 6trafgerid^t ©otteg, ba§ über
bie erften 3}ienfd[;en um il^re^ Unge^orfam^ tüitten, fotrie über
i^r gangem @efd)led^t erging, fo !önnen tt)ir barin ebenfo njenig
bie Söfung be^ in grage fte^enben Söeltproblemö ober 3Jit)fterium^
be0 2)afeing erbli(fen. ©^ toirb gunäd^ft ein geiriffer glud) nid^t
blo^ auf bie ßrbe, fonbern aud^ auf bie menfd^Ud^e Slrbeit
gelegt, aU lüäre biefe erft burd^ bie <Bünbe notl^trenbig geworben
unb eine 6trafe für ben SD^enfd^en! 2)ie^ ftimmt inbefe fd^on
mit einer anbern ©teile !urg gutoor nid^t überein, toonad^ ber
3Jlenfd^ gefd^affen unb felbft in t)a§> (^hen gefegt trorben, bamit
er bie ©rbe bebaue unb bilbe. ©leid^n)o^I fonnte biefe ©tette
üielfad^ ter^ängnifeöoll toerben, ba nad^ i^r ber 3Jtü§iggang al^
baS ©blere, ^ornel^mere, 3Jlenfd^entüürbigere erfd^einen mufete
al^ hk 2lrbeit, bie nur für bie 3^iebern unb ©flauen gut genug
erfd^ien, tüäl^renb fie bod^ aU fd^affenbe SSertrenbung ber leib=
li(^en unb geiftigen Gräfte aU bie eigentUd^e ©l^re unb Sßürbe
be^ 3Jlenfd^en gu bejeid^nen ift, unb il^m attein SSertl^ unb
33ebeutung gibt in ber ©d^öpfung. ^06) bemerfenstDertl^er aber
ift bie auf ©runb biefer unb anberer ©teilen ber 33ibel au^^^
unb bereu toiffenid^aftlid^e Unl^attBarfeit. 35
gebilbete ürd^Ud^^d^riftlid^e Seigre, ba^, iüie f($on oben eriüä^nt,
hk über bie erften 3Jlenf d^en t)erl^ängte göttltd^e Strafe naä) aUen
Regierungen auf aße 3}lenf($en au^gebel^nt tüirb, foba^ fte, (au^
f($ün o^ne 2)afein), an ber ©ünbe unb 6d^ulb ber erften Menfd^en
tl^eüne^men foEten, obiüol^l bie ©eelen biefer folgenben OJienfd^en
fogar birect öon göttli($er ©d^öpfert^ätigMt gefc^affen tüerben,
nid^t aber t)on t)en Gleitern burd^ bie geugung ftammen foEen, ber
öielme^r nur bie ©ntftel^ung be^ 2eibe^ jugeftanben toirb. S^^un
ift 6ünbe eine SSeleibigung ©otte^ l^auptfäd^lid^ burd^ Unge^^or-
fam, iüorau^ bie ©d^ulb refultirt. 5Da ift bod^ tüol^I nid)t angu=
nehmen, bafe (Sott bie 3Jlenfd^en ftraft mit einer 6ünbe unb
beren ©c^ulb, nad}bem er bie 6eelen rein erfd^affen 1)at\ Unb
lt»o§u fott, gleid^fam burd^ eine Sßunbert^ätigMt ©otte^, ^k
6ünbe unb 6d^ulb ber erften 3}ienfd^en auf bie folgenben ©e^^
fd^led^ter übertragen toorben fein, menn biefelben fogar in gar
feinem geiftigen 3ufammenl)ang mit jenen ftel^en f ollen? 2öo§u,
tüenn bod^ !ein gtpang, !eine Sflot^toenbigfeit bagu 't)a fein !onnte,
fonbern biefe^ SSerfa^ren au^ göttlid^er SSitten^frei^eit folgen
foEte? 9^od^ bebenflid^er ift, 'Da^ fogar bie Regierlid^feit, bie
9f^eigung gur 6ünbe aU ©träfe über aEe äJ^enfd^en öon (^ott öer-
]^ängt tDorben fei, alfo bem 3}lenfd^en öon ©Ott felbft bie Sf^eigung
gleid^fam ftraftt}eife foE eingepftangt tüorben fein, i^n (©Ott)
felbft 5U beleibigen burd^ ©elbftfud^t, ©innenluft unb überhaupt
burd^ Uebertretung feiner ©ebote unb SSerbote! ^a^ ift fidler
nid^t blog bie feltfamfte, fonbern bod^ aud^ bie am Joenigften
rationale 2lrt, für eine Seleibigung §u ftrafen, toenn man hei
bem 35eleibiger bie Steigung gur forttpäl^renben 33eleibigung
fteigert unb bie X!^atfäd^lid^!eit berfelben in^ Unenblid^e t>er=
mel)rt unb üergröfeert! Unb ein feltfame^ SSerpltnife ©otteg
gum ©atan tierrät!^ fic^ barin, n^enn ©Ott feinem 2Biberfad^er
bie gange 3)lenf d^l^eit, vorläufig lüenigfteng, überlädt, ja i^m
biefelbe nod^ bagu bur(^ ein ftrafenbe^ SBunber DoEftänbig au^^
liefert, o^ne bagu gegmungen gu fein, unb ol^ne burc^ feine ©d^ö^fer=
unb SSatergüte fi(^ beftimmen gu laffen, fie, bie bod^ ein Dpfer
beg SSetrugg üon ©eite be^ geinbe^ ©otte^ unb ber SJlenfd^en
36 I- 2)ic reltgiöfe Söfung be« 2)afem8|)robIcttiS
mürben, t>or i^m §u retten unb bemfelBen biefe^ ungerecht er=
langte Dpfer, trie eg feiner ©üte unb ©ere(^tig!eit gemäfe tüar,
iDteber gu entreißen. 3Jlan l^at njol^l f^on bel^auptet, ^ott ))db^
bte§ nid^t toermoi^t, tl^eil^ tnetl bie 6ünbe fi(^ in ber 3JJenf(^=
l^eit aufleben mn^te bt§ §ur Erfüllung ber 3^^^^^/ t!)etl^ ineil
bie ©ere($tig!eit e^ forberte, auä) bem Teufel gegenüber, bafe
il^m ni($t entgegen merbe, tüa§> er ftd^ eriDorben, o^ne ba^ il^m
ein entfprec^enbe^ Söfegelb bafür gegeben marb; trir tnoHen
biefe le^tere 5lnft($t nad^^er näl^er betrachten. 2öa§ aber bie
Sln^Iebung nnb @nttt>i(felung ber 6ünb'^aftig!eit betrifft, fo ^ai
fie i)or (El^riftng unb feiner ©rlöfung ^Wax reid^lid^ ftattgefunben,
erfd^öpft aber tDurbe fie nid^t, benn fie tüirfte nad; ©l^riftu^
nod^ ebenfo tüud^ernb fort Ui ben 3SöI!ern unb SJ^enfd^en unb
jnjar nid^t etlr>a nur bei ben ni($td^riftlid)en, fonbern auä) 'bei
ben c^riftlic^en !aum Weniger, fon)ie \a auä) ber @atan feine
'tSla^t unb §errfc^aft nod^ fortträl^renb tro| ber ©rlöfung be=
Raupten fott! ^ie t)ermeintli($e 3luglebung ober Slu^^geftaltung
l^at §ubem !aum einen vernünftigen ©inn, ha ni(^t abgufel^en ift,
\Da§> baburd^ erreid^t werben foH für (^ott unb für bie 3}Zenfd^=
l^eit; benn pd^ften^ für ben 6atan !onnte irgenbein Sftefuttat
babei l^erau^lommen, für ©ott aber nur ein immer tooHereg Ma^
toon SBeleibigung, irofür bod^ fein ©efe^ ba fein fann, für bie
3}lenfc^]^eit nur ärgere SSerftod^tl^eit unb ©trafbarleit. ^lufeerbem
tüirb \a berid^tet unb angenommen, 't)ai ©ott fd^on toielfad^ t>on
Slnfang an in ba^ @efd^i(f ber SJlenfd^^eit eingegriffen l^abe,
n)enn auc^ nur in einzelnen gätten, hti befonber^ pritoilegirten
^erfönlid^feiten. 2öar aber bie^ tro^ beg ©efege^ ber natür=
lid^en ober übernatürlid^en (öermeintlid^ notl^iuenbigen ober ge=
fepd^en) (Sntn)idfelung ber ©ünbe in ber 3Jienfd^l)eit möglid^,
bann mufete e^ aud^ für hk gange 3Äenfd^]^eit unb alle Golfer
möglid^ fein, fo gut tüie für einzelne ^erfonen unb für ein
eingige^ augertr>äl^lte§ 3SoI!. ®ie tl^eologifd^e ©rllärung unb
^egrünbung biefer SSerl^ältniffe, refp. biefer 33el)auptungen,
ift ba^er nac^ aEen leiten l;in o^ne @etr>id[)t unb $alt; ha§>
S^lätl^fel ber Sßelt unb ber göttlid^en 2ßir!fam!eit in berfelben
unb bcren tütffenfd^aftUd^e Un^altbarfeit. 37
unb tn^befonbere in ber SJlenfd^^eit finbet niä)t 'i)k minbefte
Söfung.
^0(j^ ^etxaä)ten tüix nun bie öon ber ürd^Iid^-d^riftlid^en
£e!)rentn)icf elung auggebilbete X^eoxk ber (^riftlii^en Offenbarung
unb (Sriöfung burd^ "bk HJlenfc^to erbung ©otte^ unb ben blutigen
Dpfertob be§ 3}lenf(^=getr>orbenen Sogo§. S)ur(^ biefen Dpfcrtob
unb 'iia^» S3Iut (s;i;rifti fott gleid^fam ba^ Söfegelb für bie aEge=
meine 6ünbe unb 6(^ulb ber 3Jlenf($l^eit ©ott entrid^tet Serben
— ober eigentlid^ bem 6atan, ba biefer ein getoiffe^ ©igen=
tl^um^red^t auf bie SJ^enfd^^eit burd^ jene ©ünbe erlangt '^dbzn
foE. S)iefe eigentlid^ fpeculatit)e @r!lärung beg ^rlöfung^tobeS-
lüarb fd^on t»on bem Sl^oftel ^aulu^ eingeleitet, ber nic^t blo§
t)on gried^ifd^er ^^ilofop^ie 2lnregung erfahren l)atte, fonbern
aud^ bie mit ber geiftigen ©ntinicfelung fid^ bilbenbe jübifd^e
©peculation über 't)a§> Opfer lannte. S)er urfprünglid^e Glaube
begüglic^ ber Dpfergaben für "i^k ©ötter ober bie ©ott^eit, bafe
biefe nämlid^ ein Sßol^lgef allen bar an l)aben um be^ ©enuffe^
toitten, ben il^nen ba§ 33lut unb t)k verbrannten ^^eile be§
Opfert bereiteten (f. 1. 3Jiof. 8, 21), — biefer gröblid^e SBal^n n)arb
attmäl)lid^ toenigfteng in ^^n gebilbeten Greifen überiounben unb
eine l^öl^ere, toergeiftigte Sluffaffung an 't)k 6teEe gefegt, foba§
'tia§, S3lut nic^t mel^r al^ ^enufemittel, fonbern al^ ^lu^brudf ber
Dpfergefinnung geltenb gemad^t iourbe. 2)iefe 2luffaffung l)aupt=
fäc^lid^ toarb auf 'o^n S;ob unb ba^ öergoffene S3lut (S^rifti gur 2ln=
Jrenbung gebrad^t. 2)emna($ tnaren e^ alfo ^lut unb Sob ©l^rifti,
iüorin man bie ©rlöfung^t^at beffelben für bie 3}lenfd^I;eit er=
blid^te, nid^t fein ^Seifpiel gottinniger, l^ingebenber ©efinnung
gegen ben l^immlifd^en SSater, tootoon bie Eingabe in ben Xo'i)
nur ba§ äußere 3^^^^}^^ iü<^^; it^^ ^i<^t hk Söal^rl^eiten, bie er
öerlünbete unb bie Seigren unb Gebote, bie er gab, um 'i^k
©eelen ber 3}ienfd^en burd^ religiöfe^ unb fittlid^eS 2^Un gu
toerüoElommnen unb §ur freien ©otte^ünbfd^aft an§> bem Sod^e
beg ©efege^ mit feinen Sleufeerlid^ leiten §u führen, toa§> er bod^
fo beftimmt al^ feine eigentlid^e Slufgabe erllärte. Q§> Voax bie
Uebertragung be^ im S^bentl^um toie im §eibentl)um üblid^en
"38 I- 2)ie religiöfe ?ö[ung beS 25afein«^robIem8
D^fercultu^ unb fetner 33ebeutxing auf ben ^ob Qefu in ber
Sebeutung, bie er fpäter im 3ubentt)um erl^alten ^atte mit bem
3Jiomente ber 3öuberma($t, d[§> tr»el(^e man bag @öttli<$e unb
feine 2ßir!fam!eit allentl^alben auffaßte, geleitet babei burd^
^rabition au^ ben primitiven Qeitcn ber Religion, tlnb eine
fel^r groblid^e (Srlöfung^le^re iüarb in ben erften Qtiten ber
(3^riftli(^en ^ird^e t>on manchem £el{)rer au^gebilbet; benn felbft
ßift unb 33etrug gegen ben Teufel, um il^m fein ©igentl^um, bie
3Jlenf(^l)eit, su entreißen, fd^eute man fi$ nic^t, ©ott ^u^ufd^reiben.
^iä)t einfad^ aU Söfegelb, al^ S^W^^Ö (für betrügerifd^ er=
njorbeneg ©igent^um!) follte ba^ ^lut, ber Dpfertob (S^rifti :^in=
gegeben, fonbern t)or bem 6atan fott e^ gel^eim gel^alten tnorben
fein, 'i^a^ unter ber menfd^lid^en ^erfon 3efu ber ©ottegfol;n
verborgen fei, um i^n baburc^ su veranlaffen, bie SSerurtl^ eilung
unb ben S^ob 3efu gu betreiben, i^n lüenigften^ toon biefem
Streben nid^t burd^ @ntl)üttung ber SBal^rl^eit abgu^lten. S)em=
gemäfe l)at er felbft ba§u mitgemirlt, bafe bie SJlenfd^l^eit burd^
biefen ^ob au^ feiner Tlad)t befreit ivurbe, ol)ne bafe er e§
al^nte! S)iefe rol^e, uniüürbige 3luffaffung ber ©rlöfung toarb
atterbing^ in ber golgegeit, — fd;on burd^ Tregor von 9'^t)ffa
im 4. Qal^rl^unbert unb fpäter im 11. Sal^rl^unbert burd^ Slnfelm
von ©anterbur^ befeitigt unb eine eblere, geiftigere an bereu
©teile gefegt: bie fog. (5ati^faction^tl)eorie. ^ie ^enugtl^uung
unb Sü^nung für hk unenblid^e ^eleibigung ©otteg (burd^ ben
lXngel)ürfam, bie 6ünbe ber erften 3}tenfd^en) !onnte nur burd^
ein unenblid^eso SBefen, alfo nur burd^ (^ott felbft gef d^e^en
unb mu^te bod^ gugleid^ von einem 3}lenfd^en au^ge^en, n)eil
eine ßeiftung be^ fc^ulbigen 3)tenfd^engefc^led^te§ fein. 5llfo
!onnte nur tin 2Befen, ba^ ©ott unb 3}knfd^ jugleid^ mar,
ber ©ottmenfd^ bie @enugtl)uung für bie unenblid^e ^elei=
bigung (Sottet unb hk unenblic^e ©d^ulb leiften. ©Ott felbft
lonnte auf anbere Söeife, burd^ feine Slümad^t unb einen
2(ct ber Söittfür bie ©d^ulb von ber 3Jienfd^^eit nid^t tveg-
nehmen unb bem 6atan feine ©rrungenfd^aft (9fled^t?) nid^t
entgiel^en, benn bie ©ered^tigfeit tonnte bas nid^t gulaffen.
unb bereit totffenfc^aftltd^e Unl^altfcarfcit. 39.
fonbern forberte biefe ^enugtl^uung. @egen biefe feinere f^ecu=
Mm ®enugt^uungg= unb ©rlöfungglef)re lä^t \iä) fogleid^ bie^^
eintpenben, 'Da^ bod^ tüol^I eine unenblid^e ^eleibigung ^otte^
burd^ ein enblid^e^ Söefen, tnie ber Wltn^^ ift, nid^t ftatt=
finben !ann, alfo auä) eine unenbli($e @enugt!)unng nid^t nötl^tg
ift. äßenn '^k Unenblid^feit ^tüar nid^t toom 3)knfd^en, n)ol;l
aber t>on ©Ott babei au^ge^t, aU bem Dbject ber ^^eleibigung,
fo !ann er aud^ bie ntenfd^lid^e ©enugt^uung al§> giel berfelben
t)on Seite be§ SRenfd^en gu einer unenblid^en mad^en. 3ft bie
©enugt^uung, burd) (SJott felbft gegeben, lr»ie Ut ^eteibigung
unenblid^, alfo nur in ©Ott felbft, fo ift "t^k lu^gleid^ung ein
Vorgang, ber au^er allem enblid^en unb menfd^lid^en ©ebiete
ftattfinbet unb !ann trog 3}?enfd^ Werbung ©otteg nid^t au^ bem
äJlenfd^engefd^led^te felbft ]^ert)orgel)en. Sßenn e§> ferner 'i)k ©e=
rec^tigfeit ift, treli^e biefe gottmenfd^lid^e 2lrt toon ©enugt^uung
forbert t>on ©ott felbft, fo ift 't)amit ©Ott unter 'ok ©ered^tig=
Mi aU eine unperfonlid^e reale '^aä)i ßbee) gefteHt unb biefe
ift bann ba§ eigentlich Slbfolute, nid^t ber perfönlid^e, lebenbige
©Ott mit feinem Söiffen unb Söollen — ä^nlid^ tüie bie alten
©Otter unter ber ©enjalt be§ gatuneö fte^enb gebadet trurben.
(Snblid^ ift eg ein geipiffermagen grote^fer ©eban!e, bafe bie un-
enblid^e 33eleibigung ©otte^ unb bie barau^ l^erüorgel^enbe
©d^ulb burd^ ben größten gret>el, ber ben!bar ift, burd^ ben
©otte^morb foll gefü^nt n)erben !önnen, ba bod^, fottte man
glauben, bie ©d^ulb ber 3Jlenfc^l^eit unb "oie gereifte Strafe
©otteg babur(^ nur um fo größer njerben mufete. ©ine S3elei=
bigung ©otte^ unb gugleid^ eine SSerlegung ber ©ered^tigleit felbft,
bie gefül^nt tnerben follte, mujgte bod^ biefe ^öbtung toor allem fein,
tpie follte alfo eine 6ü^nung babur(^ ftattfinben !önnen, unb
eine S3efriebiguug ober 9tealifirung ber 3bee ber abfoluten ©e=
rec^tigMt? 2)ie§ gilt um fo me^r, "oa biefer gotte^mörberifd^e
gretoel ni4>t etma t»on ber blinben fanatifd^en unb gebanfenlofen
2}laffe ausging, fonbern ton ber legitimen, toon ©Ott felbft ge=
fegten 2lutorität, ber jübifd^en ^l^eofratie, toon ben ^ol^enprieftern,
treidle bod; bie Präger unb Sßäd^ter ber göttlid^en Offenbarung
40 I- 2)ie religiöfe Söfung beö 2)a[ein«^vobIem8
U§> tcdjin iüaren! ^iefe ®atiöfactiDngtt)eorte, bie \a D^nel)in
nur ein ^robuct tl^eologifd^er 6pecnIation ift, ertüeift \id) bem-
nad; nad^ atten SSegiel^ungen al0 nn!)altbar.
2)a^ ei)riftent!)um trirb alg birecte Offenbarung (BotU§> öer=
fünbet unb geltenb gemacht; uub gtüar al§ Offenbarung burd^
DJlenfc^merbung ©otte^ felbft unb burd; bie @rlöfung§tt)at mittele
beS ^reugeötobe^ — alfo aU eine ^unbgebung unb Set^ätigung
©otteö, bie !aum noä) größer gebadet iperben !ann. gn ber
^^at, iüenn mit ttoller ^larfjeit unb ©id^erlfjeit er!annt unb be=
Jüiefen Serben !ann, bafe biefe;o Ungel^euere inirlUdE) gefd^el^en
fei, bann ift für ben, ber glaubt unb er!ennt, fidler H§> 3R^fte=
rium bea S)afein^ gelöft, — iüenigften^ fo mit, aU e^ für bie
enblid^e ©eifte^fraft be^ 3}lenfd^en überhaupt möglid^ ift. ^a§
S)afein ©otte^ ift bann felbftüerftänblic^ über aEen S^^^f^^t ^^'
l^aben unb bie göttlid^e ©efinnung toie bie 2lbfid;t ©otteg begüg?
lid^ ber Sd)öpfung über!)aupt unb be^ 3}lenf(^en in^befonbere ift
üoEfommen !unbgegeben unb betüä^rt, — für jeben iDenigftenö, ber
baran aU einer fiebern ^^atfad^e einfai^ gläubig feftl^ält unb
fid^ bie 6ad^e nid^t ettna burd^ enblofe tl^eologifc^e 6peculationen
unb 6pintifirereien öertüirren unb toerbun!eln läfet. 3ft nun
aber bie ^l^atfad^e ber 3)Zenfd^tDerbung unb Offenbarung @otte^,
wk bag eijriftentl^um (bie ^ird^e) fie üerlünbet unb §u glauben
üorfd^reibt, iüirflid^ aud) gan§ fidler unb burd^ 33etüeife über
aüen QtDei^cl ergaben feftgefteHt, iDie e^ bei einer fo unenb=
lid^ jpid^tigen, ja entfd^eibenben 6a(^e notl^roenbig ift, trenn
man nid^t leid^tgläubig fic^ öerl^alten tritt? 33ei näherer SBe^
trad^tung feine^tneg^ — tnenn man iüir!Ii($e ^etr>eife »erlangt
unb ni(^t ettpa bie l)er!ömmlid^en, gang unb gäben fog. 33etDei^=
fü^rungen felbft nur gläubig l)innimmt, iüeil fie al^ 33etreife
nun einmal geltenb gemacht unb getüiffermafeen autoritatit) t)or=
gefd^rieben finb. 2)ie äöunber 3efu, bie Sßeiffagungen im Sllten
^eftamente, bie SSerbreitung be§ ei)riftentl^umg o^ne SSaffen^
getralt, bie lange 3)auer ber d^riftlid^en Sfteligion unb ^ird^e
fotten biefe ^Setreife fein, bie "oa^) llngel;euerfte fidler begeugen
unb beven hjiffenfd^aftlid^e Uni^attbarfcit, 41
follen, iDag ie ftattgefunben '^aUn !önnte! S^befe att biefe Se^
Jüeife finb gan§ ungenügenb, finb t)Dn ber 2lrt, ba§ fie ntc^t
einmal einen natürli(j^en, gefi^ineige benn einen nbernatnrlid^en
©lanben begrünben lönnen. @ie finb fold^er 2lrt, ipie auä)
anbere 9fleIigionen, bie im ©l^riftent^nm für nngöttlic^ gelten,
fie für \iä) anführen Unmn nnb finb fo, ba§ man fie !anm
in getüöt)nli(^en, unwichtigem fingen für genügenb l^alten
!önnte ober gelten liefee. Söunber glaubt man aud^ in an'i)^xn
9teligionen unb felbft in ber !atl^oUfc^en Itird^e nimmt man an,
ba^ aud^ ber ^Teufel 2Bunber tüirlen !i3nne. ^emgemä^ mü^te
erft entf(^ieben iperben, ob ^§> göttli(^e ober ungöttlii^e 3ßunber
feien. S)ie ©aij^e, für bie fie getoirft toerben, fott babei in SSe-
trad^t !ommen unb "oit religiöfe 5luctorität fott babei entfd^eiben.
S5ei ben Söunbern (E^rifti entfc^ieb bie religiöfe 2luctorität im
Qubentl^um gegen il^re (S^öttUd^leit unb Wofür Qefu^ fie getoirlt
l;aben foE, wirb felbft aU ungöttli($, gott= unb auctorität^wibrig
er!lärt. SDie Söeiffagungen im Sitten ^eftament finb fe^r un?
beftimmt, be§iel)en fi(^ auf einen 9tetter ober (Srlöfer be^ 3Sol!e§
Sfrael, auf einen lommenben SJieffia^ unb werben toon benen,
für weld^e t)ie $ropl5)eten gefproi^en, t>on 'tizn jübifd^en 6d^rift=
lu^legern unb t^eo!ratif(^en Sluctoritäten nid^t auf Qefug be=
sogen, weil fie in il)m nid^t ben erwarteten 3)?effia§ erblidten.
S)ie legitime SluMegung alfo erflärte fi(^ gegen bie im ^^riften^
t^um §ur (Geltung gefommene 2lnnal)me, unb biefe fanb erft
bann ftatt, also man in 3efu^ fd^on 't)en öer^ei^enen 3}leffia§
unb göttlid^en Sogo^ erbliifte, alfo ha§> fd^on al^ fidler annal^m,
toa^ man burd^ biefe Sßeiffagungen begrünben ober erfennen
wollte. — Slud^ bie lange S)auer be^ ßljriftent^umg pflegt man
aU 33ewei^ für bie ©öttlid^leit an§ufül)ren. Slber anbere 9fleli=
gionen )^aUn eine nod^ öiel längere ^auer Wie: S^bent^um,
S5ubb^i^mu§, 33ral)mani§mu§, ^inefifd^e Sfteligion beg ©onfuciug,
^arfi^mug (be§ goroafter), — ol^ne bafe man barauio einen ^eWei^
für il;re ©öttlid^leit fc^öpft ober gelten läfet, — am wenigften
toon 6eite ber d^riftlid^en ^Ijeologen, bie für ha^ (S^riftent^um
42 I- 2)te retigtöfe Söfung be« 2)afem«proBtem8
biefen SSelretö gut Geltung gu bringen pflegen.* 3)iei'e öer=
meintlic^en ^^etoeife ^ben alfo !ein befonbere^ @etr)i(^t nnb
n)ürbe felbft in geiröl^nlid^en fingen ein fo fd^irad^e^ ^etr>ei§=
SSerfal^ren feine @ültig!eit in ^Infprui^ nel^men fönnen, ge{d)it>eige
benn in einer fo an6erorbentIi($en, \a in ber 'i)ö^\kn, mic^tigften
5lngelegen^eit be^ gangen ^afein^.
dagegen ift anf offenbare, befannte ^i^atfad^en ^ingnn)eifen,
tütiä)t niä)t blo^ bie bel^anptete (^öttlid^!eit, b. )). bie 3)lenf(^trer=
bnng nnb Offenbarung ®otte§ im ©l^riftentl^um nii^t bezeugen,
Jonbern im ©egentl^eil nad^ menf(^Ii(^em IXrtl^eil nnb ber Qbee
©otte^ nnb feiner S3et^ätigung gemä§ al^ bnrd^an^ bagegen
fpred^enb betraij^tet njerben muffen. 2)a iDirb g. 33. toon ^^oma^
t»on 2lquino bie tonnberbare SSerbreitnng be^ ßf)riftent{)um^ ol;ne
3öaffengeit»alt aU SSelpeiö für bie birect göttlid^e ^rünbnng
beffelben angefnl^rt, — h)ä|)renb, iüie er fagt, ber 3Jlu]^ammebani§=
mu§ fid^ verbreitet f)aU bnrd^ 3JlitteI, treidle S^läuber nnb ^^=
rannen antnenben, burd^ Söaffengeiüalt nämlid^ (Cont. Gent. 1, 6).
Slber bie toer'^ältnifemäfeig immerl^in langfame SSerbreitnng be^
ß^riftentl^nm^ in ben erften brei 3a|)rl^unberten im Stomifd^en
^tiä)e läfet fid^ gan^ tool^l natürlid^ erflären au^ ber geiftigen
SSorbereitnng, meldte burd^ bie gried^if(^e ^^iIofopI)ie, befonber^
bnrd^ ben ^latoni^mn^, 6toici^mu^ nnb 6!eiptici^mng gegeben
toax, foiüie burd^ ben SSerfall ber alten S^ieligion. gerner burd^ 'oa^»
©lenb ber Qtiten in pl^pfifc^er nnb moralifd^er 53e§iel^ung, n)0=
burd^ ebenfalls eim t»on ber SBelt nnb il^rem eitlen treiben fid^
abtoenbenbe ©efinnnng Ijerüorg ebrad^t iparb, ix»eld^er "oa^ uv-
fprünglid^e (E^riftenti^um fpmpatlfjif^ fein mu^te. 6päter aber
n)arb (SJeiralt nnb S^ang, ©treit nnb SSerfolgung xtiä)li<^ and^
gu ©nnften beg ür^lid^en (El^riftentl^um^ angetrenbet nnb bie
@nmme ber @eit>altt]^aten nnb SSerfolgungen gu (iJunften ber
^ird^e njürbe !aum geringer fein di§> bie ju (fünften be^
3J?u]^ammebani^mng, nnb jtebenfaH^ fielet in biefer Segiel^ung
* yiä^txtS fjterüber in meinem SBerfe: „2)ie ^^ilofo^^ie beö Xi)oma9
i?on ^quino fritifc^ gelrürbigt" (^eipjig 1889, @. 30 ff.).
unb beren ttjtffenfd^aftUd^e Un^aItBar!ctt. 43
allen öeric^ten ^ufolge ber 33ubbbi§mu§ l^ö^er al§ bie griecj^ifd^e
unb römtf(^e Rix^en^txx'\ä)a^i unb !önnte alfo naä) ber in ^^rage
ftel^enben Setüei^fü^rung mel^r auf @öttlid^!eit ^Infprud^ mad^en.
®ann aber entfielt bo($ aud^ bie grage: 3ft ^^nn ber ©rfolg
ber (^riftli($en 9teligion, toa§> äußere Slu^breitung unb innere
©nttüidfelung in fittli($er 33ilbung unb religiöfer SSereblung be=
trifft, dn fo au^erorbentlid^er, ba§ er nur aU tüunberbare
Sßirfung @otte^, ja nur burd^ SJlenfd^tüerbung unb birecte @rfd^ei=
nung unb Offenbarung (^otte^ felbft erklärt merben !önnte?
^oc^ tüol^t feineötneg^. S)ie ^Verbreitung unb geiftige 2ßir!=
fam!eit ift im SSergleid^ pr langen ®auer tim immerl^in nur
befd^ränfte ^u nennen, fo ha^ g. 33. ber 33ubb]^i^mu§, htm man
Mnen cjöttlid^en Urfprung gufd^reibt, toeit me^r S3e!enner jäl^lt
aU ba§ ß^riftentl^um unb aud^ gur SSerfittigung groger 3Söl!er=
maffen öiel beigetragen ^at 2lu§ ber ^Verbreitung be§ d^rift=
lid^en ©lauben^ !ann alfo Uin ^etüei^ für eine fo ungel^euere
%^at\aä)t gefd^öpft loerben, ipie bie älfleufd^iüerbung @otte^ iüäre,
im ©egent^eil, ber ©rfolg ftel^t gu einer fold^en ^Ijatfad^e in
gar feinem SSer-^ältnig, unb gibt el^er 3^W9^^6 bagegen al^
bafür. — 33etrad^ten iüir bann bie Slrt biefer SSerbreitung. (Sie
gefd^ie^t nid^t ettt)a iDunberbar unb birect göttlich, fonbern er=
n?eift fid^ allenthalben auf menfd^lid^e 3Jiittel angetüiefen. Unb
nid^t bloö öon ber 5lugbreitung be^ @lauben§ über hen (Srb=
!reig burd^ fümmerlid^e einzelne 33e!e]^rungen ertr)ir!enbe 3Jlif=
fionare gilt hie^, fonbern auä) t)on ber Slneignung ber d^riftlid^en
©üter burd^ hk (SJläubigen felbft inneri^alb ber Äird^e, t>on ber
%\)txlndi)xm an ber göttlid^en SSal^r^eit unb (^nabe, bie ber
(Sottmenfd^ nad^ ber Seigre ber ^ird^e gebrad^t l^at, gilt hk^.
Ittentl^alben ift e^ nid^t ®ott felbft, üon bem ber 3Jlenfd^ bie=
felben erhält, fonbern eine menfd^lid^e ^IRittel^perfon fielet ba=
gtüifd^en unb t>on beren Sßitten unb 2Bir!en ift e^ abl^ängig, ob
ber gläubige (s;^rift hk i^m toon ©Ott gegebene Söal^rl^eit unb
(Snabe erl^alten foK ober nid^t; er mu§ fid^ nid^t blo§ ©Ott
unteriüerfen unb §u il^m feine 3iiffw<^t nel^men, fonbern toor
allem öor 3Jienfd^en mu§ er fid^ beugen unb fid^ i^nen geiftig
44 I- S^ie rcligiöfe Söfung beS 2)afeingproBIcnT8
unteriüerfen unb auf eigene ©infid;t tüie auf eigenen SöiHen t>er=
gid^ten! 5)a entftet)t hoä) biegrage: Sof)nte e^ tr»o!)I ber 33Zü^e,
bafe ©Ott felbft HJienfd^ tpurbe unb burd^ birecte Offenbarung
feine 2öa]^rf)eit unb ^ülfe ben 3Jlenfd^en burd^ Seigre, ^eifpiel
unb Dpfertob brachte, tt»enn er bod^ l^ierauf ben 3Jlenfd^en lüieber
üoEftänbig ferne gerückt n?urbe, \a iüenn bie 3Kenfc^en fogar
i)on i!)m, üon bem birecten 55er!el^r mit il^m glei($fam abgefperrt
ID erben fottten burd^ 3Jlittel§perfonen, bie aud^ nur 3Jlenf d^en
finb, unb fo oft fel^r fd^tDac^e, uniriffenbe, felbftfüd^tige, \a felbft
lafter^afte 3Jienfd^en? ©Ott ift alfo felbft gu ben 3Jlenfd^en ge=
fonimen, um i^nen gu l^elfen, unb nun bürfen fie fid^ gar nid^t
l^erausnel^men, birect mit il^m t)er!el)ren gu tootten! S)ie 3Ser=
mittler l)aben gleic^fam ©ott felbft mit feiner Sßa^rl^eit unb
©nabe mit S3efd^lag belegt ober annectirt unb geben bat)on nur
unter h^n ü/mn beliebten 33ebingungen an Ue unter tüürfigen,
allentl^alben gefügf amen 3Jlenf d^en ab\ 3ft e^ ba glaublid^, bafe
njirllid^ eine fold;e 3}Ienfd)n)erbung unb Offenbarung ®otte§
ftattgefunben Ijabe unb t^a^ ©Ott gugeben toürbe, ba^ man
fo mit feinem 2öer!e öerfal)ren unb in biefer Sßeife baffelbe toieber
toottftänbig üermenfd^lic^en bürfte? ^aum beffer geftaltet fid^ bie
^a^e, totnn an bie Stette beg menfd^getporbenen (3otU§> ein
tiielbeutige^ ^ud^ gefegt Jüirb für alle 3u!unft, benn irie hjenig
flar unb beftimmt ift biefem 33ud^ jufolge gerabe ba^ gelehrt
ober geoffenbart tnorben toon Qefug felbft, njaö nad^ biefer 2luf=
faffung bey 6l;riftent]^um^ 'S)a§> SltterlDid^tigfte, (Sntfd^eibenbe ift,
nämlid^, ta^ er ©ott unb OJlenfd^ fei unb burd^ fein S3lut öon
ber ©rbfünbe unb =6d^ulb erlöfen tooUte. Segenbenl^aft finb
n)ol)l S5erid)te barüber ^tn ©toangelien beigefügt, aber nid^t ge-
fagt, öon n)em fie ftammen unb njer bafür S^^^G^^fe 9^^^/ ^^"^
Sefu^ felbft fagt barüber nic^t^. 3ft ein fold^eS ^Serfa^ren mög=
lid^, tt}enn auf ben ©lauben baran Me^ ankommt? ©elbft bie
bunfeln 2lnbeutungen, bie fid^ im ©öangelium So^anne^ finben
(bie anbern (Süangelien fd^n?eigen barüber oljneljin ganj, al^ ob
bie0 al^ ttwa§> Unnjid^tigeS o^ne 8eben!en tr»eggelaffen n^erben
fbnnte!), finb fo un!lar unb melbeutig, bafe ja^r^unbertelang
unb bereit ttjtffenfd^aftttd^e Unl^altBarfeit. 45
barüber geftritten iüurbe in ber (^riftltd;en ^irc^e, hi§> eine be=
ftimmte geftfteHung gunäd^ft gu S^icäa (325) §u 6tanbe !am,
bie au^erbem iüeit entfernt irar, üon allen 33e!ennern ßl^rifti
angenommen gu tperben, benn bie Slrianer t^aUn bie§ nid^t,
fonbetn blieben bei ben gormein ber jübifi^^aleyanbrinifd^en
^]^iIofopI)ie begüglid^ ber £ogo^lef)re. ^ann "i^a^ für eine birectc
göttlid^e Dffenbarnng gelten, über beren 6inn erft fo lange
geftritten incrben !ann? ©obafe burc^ biefe Dffenbarnng ber
6treit nnb S^tiiefpalt in religiöfen fingen nnr toerme^rt tünrbe,
anstatt ha^ griebe nnb @inig!eit, fotcie ^iä)t nnb Älar^eit über
ba§ Söelträtl^fel 'D^n 3Jienf$en gnt^eil tünrbe? Slnfeerbem: Söenn
ha§> Snbent^nm bie göttlid^e SSorbereitnng für 'i)a§> ßl^riftentljnm
fein foHte, fo !onnte e§ gerabe be§ügli(^ biefeg 5Dogma§ öom
Sogo§ nnb ber ^rinität feine tüeniger :paffenbe, ineniger gtpe(f=
entfpre($enbe SSorbereitnng geben aU ben ftrengen, abftracten
3J^onot^ei^mn^ be^ Snbentl^nmg, n^ie berfelbe fid^ in ber na(^=
eyilif($en geit in Qernfalem an^gebilbet I)atte. S)a]^er fanb bie
(^riftologifc^e Se^renttDi(felnng gerabe hei ben 3nben, ref:p.
Snbend^riften, am menigften 2ln!lang nnb tooEe ^eiftimmnng,
wogegen bie §eiben(^riften toiel mel^r ©^mpatl^ic entgegen^
brachten; benn il^nen trar bie ^reil^eit göttlicher ^erfonen
iüeniger anftöfeig infolge be^ ^ol^tlfjei^mn^, ben fie i)erlie6en.
'^dbei toax i^mn 'Dk SSorfteEnng gelänfig, bafe bie (iJott^eit,
H^ ein @ott ober Götter in 3Renf(^engeftaIt anf (Srben er=
erfd^einen, nm irgenbn)eld^e 3^^^^/ für einzelne 3)lenf($en ober für
SSöüer gu erreid^en. ^iefe ^Dogmaentn^idfelnng nnb i^r ^ä)iäi
fal nahmen alfo einen 3Serlanf, tr»ie er gan§ in ben natürlichen,
l^iftorifd^en SSerl^ältniffen begrünbet loar, nnb 'oexxäti) bnrd^an^
feine übernatürliche ober aufeerorbentlid^e birecte ©iniüirfnng
ober gü^rnng be^ göttlid^en ©eifte^, — ber inilbe, leibenfd^aft=
lid^e Streit möd^te ^^^x für ba§ (^egent^eil 8^^9^^6 geben!
Sßie mit ber 3[>orbereitnng nnb ber SSerfünbnng ber Dffen=
barnng nnb ©rlöfnng, 't}k im ß^riftentl^nm a[§> birecte 2öir!nng
beg menfd^getüorbenen (Bdik§> geltenb gemacht irirb, fo toer^ält
e§> fid^ anc^ mit ber ^eranftaltnng nnb ben 3Jlitteln für bie
46 I. 2)ie religiBje ?ö|ung bes 2)afein6probIem«
gotterl^altung unb 5lugbreitung ber Bel;aiipteten göttlichen Stif^
tung über bie ganje SJtenfd^l^eit, burc^ alle Seiten (jinburd^.
^uä) in biefer ^Be^ie^^ung finben toix ni^tö, tDa§> einem fo un=
gel^enern 2ßer!e, n)ie bie 3Renf(^ir> erbung ©otte^ unb bie ba=
bur($ vermittelten Dffenbarung unb ©rlöfung irgenb angemeffen
erfd^iene. 2Bie bie äußere Slu^breitung , fo auä), tüie fd)on be-
mer!t, bie innere @nttüi(felung, ift rein menfd^lii^en Gräften über=
laffen, auf 2lntüenbung ber natürlichen menfd^lid^en ^^ätigleit
gefteEt, bereu Qu^aU unb ber 2Bitt!ür überlaffen unb bem ©treite
ber Parteien preisgegeben, fobafe, anftatt griebe unb ©intraij^t,
vielmehr QtDktxaä)t unb 3a^rl)unberte bauernbe 6treitig!eiten
mit §a^ unb gegenfeitiger SSerfolgutig ber 3}ienfd^en, aud; lüenn
fie (Sl)riften tüaren, barauS !)ertoorgingen. |)ätte nic^t eine birectc
göttlid^e Dffenbarung beS menfd)getr)Drbenen ©otteS, trenn tr>ir!=
liä) nid^t 'oie eble, einfädle religiöS^ittlid^e Se!^re 3efu, lüie bie
©tiangelien fie entl^alten, bie §auptfad^e trar, fonbern bie d^rifto=
logifd^en unb ant^ropologif(^en S)ogmen ha§> ©ntfd^eibenbe inaren,
l)äiU nid^t in biefem gälte gerabe biefeS Gebiet ber ©egenftanb
ber üarften, beftimmteften .Offenbarung unb Selel^rung fein
muffen, um allen 6treit auSgufd^lie^en unb bie ©efal^r möglid^ft
äu befeitigen, bag 3rrtl)ümer, 3JliSt)erftänbniffe unb Uneinigfeiten
entftanben? Iber nichts öon allebem gef d^al^; bie erften brei
©öangelien entl^ielten !aum unbeutlid^e Spuren öon bem, maS
fpäter für ha^ Söefentlidfie beS ß^riftent^umS er!lärt mürbe, als
tDäre bieS biefen (Evangelien, obtpo^l fie für vom göttlichen ©eifte
tnfpirirt gelten, eine ganj gleid^gültige 6ad^e getvefen! äöäre ha^
möglich unb benfbar bei einer birect von @ott gegebenen Dffen-
barung? 5DaS vierte Evangelium enthält gtvar, tok bemerft,
me^^r vom (E^riftologifd^en, aber fo, 'Da^ man allentl^alben an bie
iübifd^=aleyanbrinifd^e Seigre von ^^ilo erinnert tvirb unb ber
©ebanfe bei naiverer Äenntnife ber ©efd^i^te ganj unvermeiblid^
ift, bafe biefe d^riftologifd^e Se^re eine 3J^obification biefer bur(^
natürlid^e p^^ilofopl^ifd^ = tl^eologifc^e 6peculation errungenen
®otteS= unb SogoSlel^re fei, nid^t eine gang übernatürlid;e gött=
lid^e Dffenbarung. konnte ©ott bie 3Jienfd^en fo irreleiten burd^
unb beren toiffenfd^aftlid^e Un^altbarfeit. 47
Unflarl^eit ber Dffenbarung unb fo in 3Serfn$nng fül^ren, fie gu
ntife!ennen? Söogu n^ären fie 't)enn gegeben tüorben, toenn bod^
mieber !eine Ilarl^eit unh 6i($erl^eit über i^^ren Urfprung unb
über i^x ri(^tige§ SSerftänbnife iüäre gegeben iüorben? ©ine un-
flare, öielbeutige, bem S^^^f^t unb bem Streite jugänglid^e gött=
li($e Offenbarung ift eigentli($ !eine unb bie 3Jleinung, eine
foI($e §u TE)aben, ^at no($ bie fd^limme golge, bafe ber 3tt)ift
unb ber ganati^mu^ ber Parteien um fo fd^ärfer irirb, tüeil
jebe birect W <BaiS)e @otte§ felbft gu t?ertreten n)ä^nt unb fi(^
göttlid^e ©tellt?ertretung unb göttlid^eg Sfled^t gufd^reibt.
2öie bepglid^ ber Sel^renttüidelung feine ^orforge getroffen
ift, ba6 fie auf !lare, un^ttieibeutige 2lu§f))rü(|e ^n fid^ ol^ne
äRiöterftänbniffe unb ©treitigleiten Verläufen !onnte, tr>ie e^
bod^ ertnartet n}erben mu^, trenn ©Ott felbft eine Offenbarung
gibt, bantit bie Tlen\ä)en fidler SSal^rl^eit unb $eil erlangen,
— fo ift aud^ begüglid^ ber SSerfaffung, ber (Einrichtung unb
^ertoaltung ber Mrd^e al^ beS 9teid^e§ ©otte§ auf @rben nid^t^
33eftimmteg geleiert unb angeorbnet toon (Sl^riftu^ felbft, ber ho6)
aU 6tifter be^ (E^riftent^um^ gilt. ©^ ift aud^ in biefer ^e:=
giel^ung aUe§> unbeftimmt gelaffen, unb finben \iä) am ^Beginne
!aum 2lnbeutungen l^ierüber, fonbern bie 6a($e ift H fo ge=
artet, bafe erft 'i)k 3Serl^ältniffe bie natürlichen l)iftorifd^en Um=
ftänbe unb fd^einbaren ober mirflid^en 33ebürfniffe über bie ©in-
rid^tung unb Drganifation entfd^eiben. Sn^befonbere gilt bie^
gerabe öon beut, tva^ fpäter unb nod^ jegt a[§> ba^ äBid^tigfte,
©ntfd^eibenbe beljauptet unb geltenb gemad^t iüurbe unb tpirb:
üom Dber^^aupte unb 3Jiittelpun!t ber fat^^olifd^en ^irc^e, üom
römifi^en $apfttl)um. 3Son einem abfoluten päpftlid^en ^err-
fd^er, t>om ^apft, üon D^tom unb öon einem tpeltlid^en 9leic^ für
feine Äird^e, üon einem ^ird^enftaat fagt S^fu^ felbft nid^t eine
6ilbe. 2öie l^ätte er al^ Stifter be§ allgemeinen ©otte^reid^e^
auf ©rben gerabe l^ierüon fd^n^eigen fotten, h?enn er baffelbe für
nof^menbig ^ielt unb grünbete, unb iüenn biefe ©rünbung ein
birecte^ 2ßer! ©otte^ fein fottte, um beffenttüillen ©Ott (fo i}er=
ftanben, tnie "i^a^» (Eljriftentl^um unb 'ok Mxä)t felbft il^n auf^
48 I« 2)is reUgiöfc JOöfung beS 3)afeing^robIcm8
fa^t) felBft 3Jlenfd^ geworben? Hnb tpie l^ätten bie ^ßerfaffer
ber ©öangelien, bie boc^ toom göttUd^en ©eift felbft tnfpirirt
fein fottten, baöon fd^tüeigen fotten, tüenn e^ bie inid^tigfte 2ln=
orbnung ir>ar unb tf)atfä($lic^ ftattgefunben l^ätte, — tpäJjrenb
fie fo Diele iintr»i($tige S)inge berichten? ^un ift ipeber tion
^etru^, alg abfoluten 33ef)errf(^er ber ^ir($e unb Dber^au^t ober
gürften ber Slpoftel je bie 9iebe im gangen Sfleuen Sieftamente,
no(^ ba§ er je naä) 9lom gefomnten nnb SBif^of bafelbft ge=
tiefen fei, fonbern tpo immer bie Stiebe ift toon il)m, ba ift er
nic^t in ^om nnb nid^t bafelbft 33if($of, nnb ebenfo menig er=
fd^eint er je al§> ©ebieter ber übrigen Slpoftel ober tüirb t>on
biefen al^ fold^er anerfannt; im ®egentf)eil, er tüirb mit 3o=
^nne§ toon ber ß^riftengemeinbe in ^ernfalem nad) Intiod^ia
gefanbt, erl;ielt alfo Slnfträge öon ber ©emeinbe, anftatt aU
^errfd^er t>or biefer gn erfd^einen, nnb ber Slpoftel ^anlng be=
rid^tet gerabegn, ba^ er bem ^etrng in^ Ingefid^t tpiberftanben
'i)dbe.'^ S)a6 ber römifd^e Sifd^of bag Dberljanpt ber gangen znU
fte^enben ^ird^e fein mnffe, ift ebenfo toenig irgenbtno toon ©^ri=
ftn§ angebentet nnb berfelbe n)nrbe bieg nnr babnrd^, ba^ er
in 9^om, ber beljerrfd^enben §anptftabt ber Sßelt, 33ifd^of iüar
nnb balb eine l^erüorragenbe ©teHnng bafelbft errang, nac^bem
ber ^aifer feine S^efibenj nad^ ^onftantinopel toerlegt !?attc.
SBenn H^ (Sl^riftentl^nm eine birect göttlid^e ©tiftnng tüäre nnb
ha^ römifc^e ^a^ftt'^nm öon ©Ott felbft birect getüoüt nnb ge=
ftiftet fein foE, nnb jtpar fo, "t^ai jebermann, ber fid^ bem
^apfte ni d^t toottftänbig nntertpirft, feinen ^Intl^eil an (E^rifti
2ßer! nnb an ber göttlid^en §nlfe nnb ©nabe l^aben foEte, toie
lr»äre e§> ba möglid) ober ben!bar, bafe gerabe bat>on 6!)riftn§
felbft feine 6ilbe fagt, nid^t einmal eine Slnbentnng gibt, ge=
fd^tüeige benn !lar nnb beftimmt fi(^ bariiber an^fprad;. ^ag=
felbe gilt ebenfo t)om ^ird^enftaat, ben and^ ber $apft für nn--
* hierüber meine (Schriften: „2)er ^elS ^etrt in 9?om" (Schaff Raufen
1875, 5. Stufl.), unb: „2)er ^rimot ^etri unb beö ^a^ftcö'' (Qlbcrfelb
1875).
unb bereit toiffenfd^aftlic^e Unl^attBarfeit, 49
bebingt notl^irenbtg al^ ©runbtage ber Rix^e unb feiner ^err-
fd^aft er!lärt Qefu^ l^at nie öon bergleid^en gefprod^en nnb
fogar 2lu§f:prü(3^e getl^an, bie ba§ ©egent^eil aufjagen, ipie:
„3}lein S'leid^ ift nid^t öon biefer SBelt" u. a. Sag in feinem
^lane, bafe ein ^ird^enftaat aU notl^irenbige^ gunbament ber
^ird^e entftel^en follte, fo trar e§ nid^t Blo§ l^öd^ft forglo0, ba-
üon nid^t^ gu fagen, fonbern fogar "^öd^ft gtüecftüibrig fo §u
fpred^en, 'i)a er bod^ (al§ @ott unb fogar aU bloßer 3}lenfd^) öor=
ausfegen mu^te, ba^ baraug ftet^ unb befonber^ in fpäterer 3ßit
öiele ©d^iüierigMten für bie ©rünbung eines folc^en Staates
ermad^fen mußten, unb ba^ öiele barauf l^in pm 3^^^fß^ ^^
ber @öttlid^!eit ber ^ird^e fommen mußten — in biefer S3e-
jief)ung unb in allen anbern, tüorüber er \i6) nid^t !lar au^-
gefprod^en ^at unb 'Da^ bod^ fpäter in feiner ^ird^e für bie
§auptfad^e, für bie gunbamentalbebingung beS §eils erflärt
tüarb. @S ^ätt^ ein unbegreiftid^ unstüed^mäfeigeS SSerfal^ren M
biefer ©rünbung ftattgefunben, ein foId^eS, H^ notl^inenbig §um
Streif el unb Unglauben fül^ren mufete, toenn ^k S)inge näl^er
erforfc^t unb insbefonbere bie ^tpeibeutigen, ia fd^limmen SJiittel
ber gälfd^ung unb ^eiraltanmenbung naiver erfannt tüurben,
burd^ tüeld^e man ber mangelhaften ©rünbung nad^gul^elfen
fud^te! ^in OJlenfc^, ir»enn er ein großes 2öer! grünben iDoEte,
^iU fidler ftd^ Mm^ fo ungeeigneten, jtnedtDibrigen SSerfal^renS
fd^ulbig gemad^t, gcfd^tneige ein ©Ott, ber Tkn\ä) geirorben unb
eine §eil§anftalt für bie gange 2Jlenfd^l^eit gu grünben Uabiiä)--
tigte. S)en gangen römifd^en Primat ^ätte er fidler nid^t mül^^
fam auf ein paar Heine, bunlle unb jtoeibeutige 6tetten fid^
grünben laffen für bie gorfd^ung ber fpätern Q^it l^ierüber —
tüie ba§ je^t ber gall ift. — 3^un möä)U man tpol^l fagen,
ba0 finb menfd^lic^e llrtl^eile über ein göttliches 2öer! unb über
göttlid^e Slnorbnungen unb gügungen, 'i^it tnir nid^t gang gu
erlennen, gu burc^fd^auen vermögen, benen tpir uns alfo in
S^teftguation gu fügen l^aben. Söol^l! t)a§> könnte man geltenb
mad^en, tnenn bie ©öttlic^feit beS äßerleS f(^on anbermeitig ge=
fid^ert unb über allen 3i^ßif^l erl^aben toäre, nid^t aber 'oa, iüo
50 I' 2)ie religtöfe Söfung be« 2)a[ein8))rol6rcm8
man, mie in unferm gaEe, inbuctiü au^ ^tl^atfad^en unb 58er=
nunftgrünben biefe ^öttUc^fett erft §u erfennen nnb p begrün=
ben ^at ^Infeerbem aber ift §u bemer!en, bafe tütr cUn feinen
anbern äRa^tab für biefe ^öeurtl^eilnng l^aben, aU einen ntenfd^=
liefen, unb lt>enn fonft W ^^eologie unb bie fid^ biefer an=
fd^lie^enbe ^^ilofop]f)ie in Sejug auf ba^ Söefen @otte§ an \iä)
aUentl^alben antI)ropomorpI)if$er S3etrad^tung^iüeife l^ulbigt unb
für S3eftimmung üon Söefen, ©igenfd^aften unb 2Bir!ungen (^otteö
eine analogifcS^e ©rfenntnife — bem 3}^enfd^engeifte entnommen —
geltenb mad^t, bann mu§ e^ um fo mel^r geftattet fein, bie be=
]j)auptete SJienfd^ tu erbung ©otte^ unb fein 3Ber! am 3}la6ftabe
menf(^lid^er SSernunft unb menfd^lid^er ©ef($i($t§t>er^ältniffe §u
prüfen, bemnac^ ant!)ro:pomorp!)if(|e ^etrad^tung unb analogifd^e
©rfenntnifetpeife an^uiüenben. — 2luc^ ha§> S^riftentl^um alfo,
obit)o!)l t§> immerhin aU bie l)öc^fte gorm ber 9leIigion §u be=
trad^ten ift, löft 'oaS» Stätl^fel be^ S)afein0 nid^t in Ijaltbarer
Söeife, entl^üHt ba^ gro^e 3Jit)fterium, ba§ über bemfelben fd^mebt,
Mne^tüegg, benn ^§> erlpeift fidf) in feinen l^öd^ften Se^au^)tungen
nic^t aU begrünbet. 33e]^auptungen ober Slufftettungen, bie aEer=
bingg, tt»enn fie begrünbet it>ären, eine fold^e Söfung, fo tüeit 9Jlen=
fd^en fie f äffen !önnen, bieten iüürben. Iber fie ift ehen un=
l^altbar — tPenigftenS für 'ok genauere miffenfd^aftlid^e, für
rationale unb l^iftorifi^e Prüfung, it>enn au6) ber ©laube baran
'iitn Ungebilbeten nod^ 33efriebigung getnä^rt, hu fid^ ein\a^ an
bie ^rabition unb ben !)er!ömmlic^en ©lauben^in^alt unb ß^ul^
tu0 l^alten, ol^ne felbft tt»eiter barüber gu ben!en ober einer Prü-
fung aud& nur fällig gu fein.
60 fott alfo ber S^eligion, felbft ber d^riftlid^en, leine
Sftealität g^lommen, b. 1^. bem Glauben ber 3Jlenf d^en lein
inirllid^eg ^afein unh 2öirlen @otte§ §u ©runbe liegen unb
entfprec^en? SDemgemäfe biefer religiöfe ©laube eine SHufion
fein, auf Schein unb ^rug berul^en? Unb fott all ha^f ©rofee,
^eglüiienbe, ba§ au§> ber 9leligion für bie 3]^enfd^l)eit l^eröor^^
ging, foEen att bie w^röftungen unb Hoffnungen au^ berfelben
auf ^äufd^ung beruljen unb bie 33öl!er unb 3Jlenfd^en in 3^=
unb bercn tüiffenf^aftlid^e Un^attbar!eit. 51
fünft ol)ne biefe leben muffen in ber ^ümmerltc^lett unb Debe
be§ ®afein§? IXnmöglid^, bafe ba^ ^öc^fte ©lud, bie ^öi^fte S3e=
feeligung ber SJienfc^en unb alle§ Sefte im Seben auf fo ntd^=
tigen ©runb geftettt fein fott! darauf tft junäc^ft ju bemer!en,
ba§ ^lüd unb SSefeeligung be§ 3}^enf($en no(^ !etn Säemei^ für
bie ^Realität beffen finb, iüorau§ fie entfpringen; bie meiften
^eglüdungen ber 3Jienf(^en entfielen öielme^r au§> ^Hufionen,
^f)antafiebilbern üon ©enufe unb (^\M, bie au§> geipiffen 3Ser=
l^ältniffen unb (Sreigniffen für fie ^ert>orge]^en. Sebeg Sllter be=
glüdt fi(^ an foli^en ^{)antafiebilbern: bie ^inbl^eit o^ne^in,
bann in^befonbere ba^ Süngling^alter unb felbft bie fpätere
ßeben^geit, unb in^befonbere Siebe, ©l^re, 9fleid)t^um u. f. to.
bilben ben Sn'^alt foI($er SEufionen mit il^ren glü(Jt)er]^eigenben
^l^antafiebilbern. 2Benn alfo ber religiöfe Glaube (mie öer=
fi^ieben ei' aud^ fei) unb bie barau^ !)ertoorge^enbe Hoffnung
beglü(it, fo ift 't)i^^ noä) hin SSetüei^, "i^a^ i^m tüirüic^ dtzalität
entfpre(^e in S3e5ug auf feinen Sti^^It. 3^^^^ ^ft au^ ber 9te=
ligion in i^ren t»erf(^iebenen gormen auä) öiel IXnl^eil für 'i)ie
3Jlenf($en ödu je^er !)eri) orgegangen, t)iel Streit, geinbfd^aft,
§a6, Sieblofigleiten aEer 2lrt, anftatt ha^ ha§> (SJegentl^eil bar=
au^ I)ätte :^ert»orge!)en foEen: griebe, Sf^äd^ftenliebe, gegenfeitige
2ld)tung unb görberung. Tlan tann fogar o^ne Unrecht be=
l^auipten, ba§ h)ol;l ber größte ^lf)eil be§ (Slenb^, ba§ bie 3Jien=
fi^en unb SSöüer felbft, abgefel^en öon 9^aturgen)alten, fid^ gegen=
feitig pgefügt l)aben, an§> ber SSerf($ieben]^eit ber 9teIigionen
unb ben barau^ ^ertoorge^enben §a§, ©treit unb SSerfolgungen
entftanben fei, — unb 'i^ai gerabe bie giftigften unb erbarmungg^
lofeften ^elämpfungen unb SSerfolgungen bie um be§ religiöfen
©lauben^ h^iEen entftanbenen gemefen feien. S)te^ barum, n^eil
bie !äm:pfenben Parteien ni($t il)re, b. 1^. eine menfc^li(^e Sad^e,
fonbern bie 2lngelegenl)eit (3otU§> felbft gegen beffen 2ßiberfad;er
§u vertreten ioä^nten unb in biefer göttlichen, übernatürlid^en
2lngelegenl)eit !eine menf$li(^e Sftüdfid^t, toie fie fid^ einbilbeten,
Jr> alten laffen burften.
Snbefe l)anbelt e§> fid^ l^ier gar nic^t barum, bie S^leligion
52 I- 2)ie reügiöfe üöfung bes 3)afcin«proBIcm6
für btofee Qttufion, ber gar feine Stealität, b. 1^. lein tr>ir!lic^e§
Dbject religiöfer ^Serel^rnng entfpred^e, gu er!lären unb alfo ben
2(t^ei!omu§ al^ bie allein bered^tigte Söeltauffaffung ^n bel^aupten.
3nr 33el)anptnng beg 5lt!)eigmu^ finb tnir bei unferer ©eifte»^
fraft nnb unferer bisher errungenen ^enntnife ber 3Ratur unb
be§ geiftigen Söefen» nx6)i im (Sntfernteften bereij^tigt; benn tüir
müßten §u biefem Sel^ufe ha^ gange Söeltall ober toielmel^r bie
ganje ^iefe be^ S)afein^ burd^fd^auen, müßten in^befonbere ba§
äöefen ber 3Jlaterie iüie be§ ©eifte^ fennen bi^ auf ben ©runb.
33on all bem finb lüir aber nod; fo tr>eit entfernt, ha^ e^ faft
ünbifc^ erf($eint, über ba^ ©ange ein ©nburtljeil abzugeben, fo
nämlid;, n>ie bie ^inber nad) bem befd^ränlten ^orijont ber
äußern 2öal)rnel^mung ein Urt^eil über bie SBelt abgeben gu
fönnen meinen. 2öir lennen felbft unfere ©rbe mit aüem, ma^
fie entl^ält, nur toerl^ältnißmäßig inenig unb nur ba§ Sleußerlic^e,
©rfd^einenbe unb t>ermögen "i^a^» 2Befen unferer ©eifte^, unferer
6elbftbemußtfein^ nid;t gang ju ergrünben. 2öir fd^treben fo
auf unferm ©lobu^ im unermeßlid;en 2111 tüie über einen Slbgrunb
bal)in! 2öie fotten n}ir "oa über 'i)a^ ^öc^fle, tieffte aller Probleme
f^on eine ©ntfd^eibung geben unb "otn 2ltl)ei^mu^ al^ legte, enb=
gültige Söfung beffelben bel;aupten fönnen?*
S)er Steligion fann bal^er, fo untooEfommen fie auc^ ift unb
fo tüenig einer ber gormen berfelben abfolut (Geltung guerfannt
toerben fann, ^tealität unb 2öal;r^eit feine^ipegg abgefprod^en
ujerben. 3ftealität im 6inne eine§ unenblid^en 6trebenö, mit
bem eiüigen ©runbe be§ ^afein^ in ^e§iel)ung ju treten, um
in p^pfifd^er lr>ie geiftiger ^ejie^ung barau» ©rgängung, @r=
* S§ \üax öon 2). i^, Strauß ebenfo oberfläd^üd; alQ abge[d;macft, ju
Ibc^au^tcn („bev alte unb neue ©laube"), baö 3)afcin ©otteö [ci fc^on tregen
„SSo^mmgönotl)" beffelben nic^t mögtid; unb nic^t onjune^men. 2ßenn infolge
ber mobernen (gnoeiterung unb 3Jcrtiefung ber SBeÜerfenntui^ bie bisherigen
formen ber 9?eIigion ber SBernunft unb bem 2ßa^>r^eit8finn nid;t me^r ge-
nügen (ttjie bieg in ber geiftigen (Sntn^idetung ber 3)?enfc^^eit naturgemäji fc^on
öfter fo gefd^a^), fo folgt barauö nic^t 2lt^ei«inue, fonbern nur bie DJot^lüen^
bigleit ber ^^ortbilbung unb S3ertiefung aud; beö religiöfen 33ettju^tfein«.
unb bereu tt)iffen[(^aftUci^e Un:^aU6arfeit. 53
l^ö^ung, S3egIü(Jung gu fd^öpfen; 2öa!^r!^ett, im Sinne beg un=
au^Iöfc^ltc^en SSerlangen^ mit bem maleren, bem \)öä)\kn Söefen
be^ S)afein§ in SSerfe^r gu treten unb "oa^ eigene Söefen ju öott^
enben. ^ie 9fleligionen ftnb gormen unb 6tabten biefel Strebend
unb glauben bie tDirllic^e 2öefenf)eit unb f)öd^fte Sßal)rl;eit ge=
funben unb in ben ^^antafiegeftaltungen formulirt unb feft=
gel^alten gu :^aben. ©rtreifen fi(^ biefe an^ aU unrid^tig, fo
finb eg bod^ nid;t leere ^ttufionen, fonbern finb ber bebeutfame
5lu§bru(f eben be^ ernftl^aften Strebend nad^ bem §ö($ften unb
©ntfd^eibenben be§ ^afeing. 3ft e^ bod^ bei ber Söiffenfc^aft
unb 6ittlid^!eit nid^t anber^. S)ie frü^^eften 5(ufftettungen ber
menfd^Itd^en gorfd^ung, be^ tpiffenfd^aftlid^en Strebend ern)iej'en
]id) ber fpätern Q^it faft grögtent^eila aU 3rrtl)ümer; bennod^
!ann man m6)t beljaupten, 'i)a^ bie Sßiffenfd^aft früherer Qdt
barum leere gUufion unb ein ©efüge toon 5t^äufd^ungen geitiefen
fei, benn fie l;atte 2Bal;rl;eit fi^on in \iä) a[§> ernfteg Streben
nad^ 2öal)rl)eit, fie tdax infofern lebenbige Söa^rl^eit al^ 2öal^r==
l;eit^ftreben, unb erhielt attmä^lid^ aud^ objectiüe Söal^rl^eit gu
il^rem Snljalt, b. l). n^urbe getreue 9^a(^bilbung beffen, n)a§ tt»ir!=
lid^ ift ober fein fott in realer unb ibealer S3e5ie]^ung. ©benfo
ir»ar hiz Sittlid^feit in frül;er Qzit unb burd^ alle Sa^rl^unberte
l^inburc^ Ui ben 3Söl!ern fel^r untooHfommen, fobag 3)land^eg
für red^t unb fittlic^ gut gel^alten marb, it>ag fpäter fid^ ber
beffern ©infid^t aU unfittlid^ ertrie^. 2)ennod^ tüirb man nid^t
mit ^tä)t bel^aupten !önnen, ha^ ü)v nic^t§ 2ßal;re§ gu ©runbe
lag, ineil fie bem Sbeal ber Sittlid^feit niä)t entfprai^. ^ag
ernfte fittlidC;e Streben, it>ie fe^r t§> auä) irregehen mod^te, toax
ftet§ bod^ iüenigften^ fubjectito fittlid^, ir»enn aud^ ni^t objectii)
unb ber Qbee gemä^. ®a§ ©elriffen, tütnn t§> auä) irrt, ift
ftetg eine n^a^rl^aft fittlid^e Ma6)t unb begrünbet fubjectito rt»ir!=
lid^e Sittlid^!eit. So ift e^ nun aud^ mit ber ^Religion tro|
aEer llnt)oE!ommen^eit berfelben, trog aller äöal^ngebilbe,
5^äufd^ungen unb Sttufionen, öon benen fie erfüttt ift. S)iefe
Sllufionen, $l;antafiegebilbe finb §um ^^eil untoermeiblid^, toetl
bie menfd^lid^e 9f^atur fo geartet ift, U^ in i^r 'i)k ^^antafie
54 I- 2)ic religtbfe ?öfung beS 2)afein8:|)ro'6Icm8
aU bie l^errfc^enbe 3Jlad^t tr»ir!t, folange bie ©eifte^fräfte nid^t
enttüidelt finb unb bie @ntn)i(!elung berfelben felbft nur bur(^ fie
beginnen !ann. ^al^er bie 5ßerftanbe^tl;ätig!eit, bie SBiffenfd^aft
gnjar bie S^eligion nid^t erfe^en Unn, aber bod^ au(^ auf fie ein=
gutoirfen ^at, um biefelbe ju reinigen öon 2lu^n)ü(^fen unb öer-
berblid^en 2ÖU(j^erungen, tok ettoa ber ©ärtner bie Säume unb
^flanjen gtüar ni($t fünftlid^ l^erto orbringen, bo(^ aber bilben,
reinigen, öerebeln !ann. ^ie 9fleIigion unb inSbefonbere ber
Tlxtieh unb £eben^pun!t berfelben, ba^ ^otte^betüu^tfein, refip.
ber ©otte^begriff, iüurben in bem bi^!)erigen 35erlaufe ber geiftigen
(Sntmictelung ber 3}lenfc^l^eit immer meljr üerebelt, in^befonbere
t)on ben naturaliftifc^en unb rol) antl^ropopatl5)if($en Seftimmungen
gereinigt, ^er tüeitere SSerlauf biefer ©ntmicfelung tt>irb tpol^l
auä) für bie B^^^^^ft bie golge Ijaben, "oa^ biefe S^leinigung be§
religiöfen S3etüu^tfeing in Segug auf hen ©otte^begriff unb
©ultug no(^ toeiter fortfd^reitet unb infolge ber immer reinem
©rIenntniB be^ gbealen in allen ©ebieten be^ ©afein^ aud^ ®ott
al^ 'i)a§> abfolute Sbeal ber SSernunft immer mel^r er!annt unb
üon allen befc^ränlten ant^ropomorpl^ifij^en 33eftimmungen befreit
ioerbe. 2Bir werben barauf §uriic!äu!ommen Ijaben, muffen aber
guerft in ^ür§e unterfud^en, toa^ bie $l)ilofopl)ie für bie Söfung
beg in grage ftel)enben ^roblem^, für bie ©rfenntnife be^ Myste-
rium magnum be^ ©afein^ geleiftet l^abe unb ir>ag fid^ über=
^awpi tüiffenfd^aftlii^ l^ierüber mit ©id^erl^eit bi^jejt feftftetten
laffe. gum 6d^luffe nur noc^ bie 33emer!ung: bie ©laubigen
ber toerfd^iebenen 9leligionen unb 33e!enntniffe unb in^befonbere
bereu Sluctoritäten unb SSertreter tootten ber 2Biffenfd^aft ^a^
9led^t nid^t gugeftel^en, bereu S^^alt, ©runblage unb ©runbfä^e
ernftlid^ gu prüfen, b. l). fo, bafe nic^t gleid^ t)on ber unbebingten,
unantaftbaren SBal^r^eit berfelben ausgegangen tüirb, fonbern
biefelben eben nur aU Problem betrad^tet tüerben. 6ie pflegen
entrüftet ju fein, eS tüol^l gar als ein ungläubiges ober gottlofes
Unternel^men gu betrad^ten, iüenn bie Sßiffenfc^aft bennod^ t»on
i^rem unteräu^erlid^en Üled^te ©ebraud^ mad^t. §ö^er nod^
fteigt natürlich bie ©ntrüftung unb Empörung, ipenn bie SBiffen-
unb bercn iriffcnfci^aftU(!^c Unl^altbarfeit. 55
fd^aft finbet, ha^ bie behauptete ®öttlt(^!eit unb SBa^rl^eit nid^t
begrünbet jet; bieg tnirb burd^au^ aU ein Qei^en toon Ungläubig^
Uit unb ©ottlofig!eit betrad^tet unb öerfd^rien. Unb bod^ öer-
^ält fid^ bie SBiffenfd^aft bei fold^' ernfter, objectiöer Prüfung
bzi tpeitem nid)t fo rücffid^t^lo^ unb feinbfelig gegen bie Steli-
gion, tüie bie 33e!enner ber toerfc^iebenen 9leligionen unb ^on=
fefftonen eg gegeneinanber öon jel^er getl^an ^db^xi unb nod^
tl^un t)om 6tanbpun!t i^re^ (fubjectiüen) ©tauben^ au^. 6ie
bejeid^nen fid^ gegenfeitig al§> in 3i^t:tl^um, 2öal^n unb 5trug be^
fangen unb fe^en fid^ alfo gegenfeitig al^ S^renbe, Sßa^nbet^örte,
too nid^t gerabeju aU SSerbred^er an, bie §u verfolgen unb gu
beftrafen feien al§> gottlofe 3Jienfd^en ober aU 3Serbred^er, @m=
pörer gegen @ott. ©ing bod^ Qa^r^unberte l^inburd^ ber §afe
ber ^efenner ber tnid^tigften, einflufereid^ften 9ieIigionen fo tr>eit,
ha^ fie fic^ gar nid^t einmal mel^r al§> eigentUd^e OJienfd^en,
fonbern etrioa aU ^unbe begeid^neten unb fid^ aud^ aU fold^e,
iro eg moglid^ toar, be^anbelten. ©o !)at fid^ bie Söiffenfd^aft,
insbefonbere bie ^l)i(ofopl^ie, gegen bie Sieligionen unb tl^re Se*
lenner nid^t t)erl)alten, fie ift billiger, geredeter unb t)ernünf=
tiger in i^rer ^eurtl^eilung unb il^rem SSerl)alten gegen atte
Dfteligionen unb i^re Se!enner. Tlu^ fie aud^ M il)rem fritifd^en
3Serfal^ren, hä geredeter, unbefangener Prüfung bie äßa^rl;eit
berfelben beftreiten unb i^re Un^altbar!eit enthüllen, fo fprii^t
fie barum bod^ benfelben nid^t allen SBertl^ ah, lägt fie al^ (EnU
tüid^elunggftabien unb befonbere gormen ein unb beffelben @runb^
ftrebeng ber 3}ienfd^:^eit gelten, ha^^ ein ©runbbebürfnife berfelben
gu befriebigen fuc^t unb geftel^t il^nen allenthalben me^r ober
minber Sßal^r^eit unb Sered^tigung ^u, ba eine Einlage, ein ^rang
unb 33ebürfni6 ber 3)lenfd^ennatur baburd^ befriebigt werben fott,
menn aud^, toie hei aEem S^bifd^en eö ber gatt ift, bieg nur in
untooüfommener Sßeife je nad^ natürlid^en unb gefd^id^tlid^en SSer^
^ältniffen gefc^iel^t unb gefd^e^en !ann.
56 n. 35te ^)^itofo^^if(^cn S!3fung«j)erfu(^e.
n.
Die pl)tbfopl)i|'d)en föfungBtierfudie.
^ie Söfung be§ ©runbproBIeml be^ ®afein§, treidle bie 9teU=
gtonen geben bur(^ Slnnal^me t>on petfönlid^en, menf(^enäl^nlt($en
unb na^ 3}^enfd^enart mMenben ©ötteru ober aud^ ©ineö perfön=
lid^en, antl^ropomorpl^ifd^ gebadeten ©otte^, — ^at §it>ar für 35or=
fteEung^5 unb ©emütl^Sleben ber 3}^enf(^en unb au(^ für i^v pra!=
tif(^eg S5erl)alten gro^e ^ebeutung (im guten unb freiließ aud^
im fd^limmen 6inne), fonnte aber ber miffenfd^aftlid^en gorfd^ung
bei ^ö^erer ©nttüictelung be^ ©eifte^lebenS nid^t genügen, trenn
aud^ nod^ fo fe^r bie menfd^Iid^ errungenen inteHectuetten SHefuItate,
fotrie bie (5Jemüt^g= unb SöiEen^üereblungen auf bie anfänglid^
nur rol^ gebadete ©ott^eit übertragen iDurben. ^iefe trurbe
baburd^ menfd^Iid^ ebler, geiftiger, fittlid^er, äft^etifd^ öoEfom^
mener, aber bod^ nid^t eigentlid^ göttlid^er unb nid^t naä) i^rem
eigentlid^en ©runbmefen be!annter. ©^ blieb ba§ Mysterium
magnum, tüie t)u§> bie le^te $f)afe ber gried^ifd^en ^^ilofopl^ie,
meldte fi(^ am meiften ber Sfleligion näl^erte, ber 3^eu^Iatoni^mu§
geigt, ©er tüiffenfd^aftlid^en gorfd^ung, refp. ber ^]^ilofop]f)ie,
gaben jiüar bie religiöfen SSorfteHungen toiele ^Inregungen, 3Rotit>e
unb 3iß^pitti!te, aber fidlere, I;altbare ©rfenntniffe ober ^a^x-
l^eiten boten fie nid^t bar; bagegen aber öiele §inberniffe für bie
iüiffenfd^aftlid^e gorfd^ung unb @r!enntni§, f^eil^ burd^ bie Sßor=
urtl^eile, bie fie überlieferten, t^eil^ burd^ bie ©efal^ren unb
^Verfolgungen, iDeld^e burd^ fie ben gorfd^ern öfter bereitet
lüurben. S)urd^ bie religiöfe, b. 1^. bie m^f^ologifd^e SBelt=
©rflärung, burd^ bie fubjectiüe ^^antafietl^ätigfeit ber SSölfer, bie
Slbleitung be^ 2öelt=2)afeing unb =@efd^e]^en§ au§ ber ^raft unb
2Bir!fam!eit göttlid^er, n?enn aud^ menfd^enäl^nlid^er 3Jiad^t, tparb
getüiffermagen eine protoiforifd^e @r!lärung ber SBelt unb be^
©efd^el^en^ in i^r gegeben. Sine ®r!lärung, ineld^er bann in ber
golgejeit mit ^Beginn ber p^ilofopl^ifd^en ^^ätigfeit bie natura
II. 2)te ))^ttofo^^tf(^ en SöfungSöerfuc^e. 57
lxä)^ tr>iffenf(^aftli(^e ©rüärung erft aHmäl^lic^ unb unter fi^tüeren
kämpfen mit 'ozn Vertretern ber religtöfen Heb erlief erung ah-
gerungen tt>erben mu^te. ©in ^ampf, ber \a au^ in unferer
Seit no(^ fortbauert unb t>orau§fic^tIi(^ noc^ lange bauern toirb,
ja !aum ein ©nbe nel^men !ann ber menf($li(^en Statur unb
i^ren ©nttridelung^gefejen unb S3ebürfniffen gemäg, icenn auc^
bie gegentDärtige Schärfe be^ ^antpfe^ burc^ ein jn»ecfentfprec^en=
beg (Sompromife iüieber gemilbert n?erben bürfte.
S)ie abenblänbifd^e, refp. griec^if^ie ^^iIoj'op:^ie, begann bie
Söfung il^reg ^roblem^, nämlid^ 't^k ©rüärung ber dlatux unb
il^rer ©ebilbe au§ ©inem ©runbprincip, in tüeld^em aber ha^
eigentlid^e (^el^eimni^ be^ Sßeltgefd&e^en^ verborgen fein foHte,
mit giemlii^ bürftigen SSerfud^en unb mit äufeerlii^er 58etra($=
tung^i^eife, inie e^ eben für ben Slnfang !aum anber^ gu ertcarten
n^ar. ^ie j[onif(^e Sf^aturp^ilofo^lfjie toon %^alt§> an glaubte in
irgenbeinem materieEen ©toffe ber D^atur ba^ le^te ^rincip
erfennen p fotten, au§> bem aEe ©eftaltungen be§ irbifd^en
^Dafeing l^erüorge^en, aud^ hit lebenbigen mit i^ren ?^unctionen
unb felbft auä) H§> geiftige Men ber 3JJenfc^l^eit. ©» n?ar bieg
atterbingg eine fe^r naturaliftifd^e, ja guerft fogar materialiftifd^e
^uffaffung, U^» naö) unb nai^ man 'oa^ ^rincip felbft me^r
t>ergeiftigte HHx^, bafe man geiftige ^otengen ober Gräfte in tfa^^
felbe t)erlegte, iüie bieg 5Diogeneg öon StpoHonia mit ber £uft
(bei Slnayimeneg) al§> ©runbprincip t'^at, um fie au6) für 'Die @r-
üärung beg geiftigen Sebeng braud^barer gu ma($en. 3n ä]^n=
lid^er Sßeife ettt>a, tdie in ber mobernen S^aturiDiffenfd^aft hie
Sttome nun toielfac^ mit verborgenen geiftigen ^otengen neben
i^ren p^^füalifc^en unb (^emif($en ©igenfd^aften ober Gräften
auggeftattet n?erben, um auä) 'oit geiftigen Functionen baraug
erklären gu !önnen; eine 2lnnal)me, tooburd^ aud^ 'oiz Sltome
§u 3}lonaben erhoben, b. 1^. aU le|te (Sinl^eiten gebadet Serben,
'i)iz ein an \iä) toerborgeneg Sunereg f)aben ai§> eigentlid^eg SSefen.
SSottftänbig naturaliftifc^ unb äu|erlid^=med^anifd^ faxten bie
alten Sltomiften 'oa^ ©runbprincip auf, aug bem fie bie S3il=
bungen unb 2ßir!ungen in ber D^latur gu erllären tiermeinten.
58 n. 2)ie :>>^iIofo^^ifd^en ?ö[ungSi>cr[ud^c.
inbem fie biefelben au^ ber 33eir)egung unb Lagerung fleinfter,
untl^eilbarer Stofftl^eild^en, ber Sltome ableiteten, bie bem Söefen
nad^ 9lei($, nur ber ©röfee, gcrm unb Sd^tüere nad^ öerfc^ieben
gebadet ipurben nnb burd^ bie bat}on bebingte med^anifd^e 33e=
tüegnng t»erf(^iebene 33ilbungen, finnlid^e ir>ie geiftige, l;ert)or=
bringen foHten. ®a^ 2öir!enbe ift l^ier nur bie nted^anifd^e ^e=
tüegung ol^ne atte 3^^#^^big!eit, — bie aber bann bod^ tüieber,
im 3}lenfd;en ipenigften^, §um 35orfd^ein !ommt, gunäd^ft freilii^
nur aU 2öir!ung, aber aU eine fold^e 2Bir!ung, bie nun felbft
al§> Urfad^e nad^ Qwedtn ober 3^^^^" ^^^^^ ^^^ infofern ge-
tüifferntafeen eine pieToßaci? el^ aXXo ^evo^ barftellt. ©aburd)
aber erfd^eint bie gange ©rllärung^tüeife al^ ungureid^enb unb
bie f(^einbare Älarl^eit nnrb tr>ieber unerflärlic^, \a räti^fell^aft
gemad^t unb gtpingt anjunel^men, ba§ in ber mei^anif d^en Se=
ioegung felbft boc^ im tiefften (S^runbe unb al^ giel JDieberum
3n)edftrebig!eit verborgen fei. 2)a§ tiefe Sßelträtl^fel ift burd^
bie ^Itomifti! nur nod^ bunfler gemalt, al^ e§ ol^nel)in bie^ fd^on
ift. — §era!lit, einigermaßen öertranbt mit ber jonifd^en 9^atur=
p^ilofo:pl)ie, infofern er "oaS) geuer aU ©runbprincip annimmt,
baö in unaufl)örlid^em glufe be^ Sßerben^ bur(^ Umtüanblung,
burd^ ©egenfag gur Einigung begriffen ift, — Ijat biefer 33e=
t^ätigung be§ 6tofflid^en außer ber 33eti)egung bod^ aud^ noc^
eine 3Rotl^nienbig!eit, ein ©efeg l^ingugefügt, tPobur(^ 2lEe§ einiger-
maßen al^ Sluöbrud^ ber SSernunft (Sogo^) erfd^eint, unb ^at
hiermit bem gloar finnlid)en, ftofflid^en Söeltprincip bod^ aud^
ein geiftigeg 3Jioment al^ immanent angenommen. S)er Äo^mo^
mit feinen ©ebilben erfc^eint bemnad^ fd^on al0 Slugbruc^ einer
§u ©runbe Uegenben (SJefe^mäßigfeit ober Vernunft. Smmer^in
fc^on ein toeiterer ©d^ritt in bem pl)ilofopl)ifd^en 6treben, ba^
3Jl^fterium be^ Söeltgefd^e^en^ ju begreifen. — ©mpeboflei^
ging fpäter in biefer 9^id^ tung infofern iüeiter, al^ er an ber
Stelle ber nod^ unperfönlid^en (^efeglid^feit ober vernünftigen
3^otl^n)enbig!eit ba^ geiftige ^rincip, ba^ er in ben Elementen
annahm, fd^on antl^ropomorpi^ifd^ auffaßte, freilid^ nur al^ 2lffect=
betl^ätigung (3tDang)in Siebe unb §aß, nod^ nid^t aU S^lationalität,
IL 3)ie ^^itofo^^ifc^en SöfungSöeriuc^e. 59
tüenigfteng nid^t aU Belpufete. S)em tlrprincip be§ 5Dafeiti^
mußten bemnad; felbft bie niä)t me^r blo^ finnlid^en ober me(^a=
nifd;en ^raft^etl;ättgungen t>on Siebe unb ^afe al^ immanent
gebadet iüerben. — ^^tl^agora^ fa^te bie ber ^aiuv imma-^
nente 3Sernnnftig!eit aU Qa{)lUt^äti%unii auf, b. 1^. nal^m eine
bem ©afein immanente äflationalität an, 'ok fi($ in gefe^mäfeigen
33ilbungen unb SSer^ältniffen offenbart, bie man burd^ gal^len
au^brüden !ann, foba^ au^ bem IXrprincip OTe^ nad^ Tla^,
3al^l unb ^elpid^t geftaltet l^ertoorgel^t. — 3e mel)r aber ratio-
nale^ (^efd^el^en in ber ^'latur erfannt unb anerlannt n^urbe,
um .fo me^r brängte fid^ ba^ S3ebürfm§ auf, für ba^ 3^id^t=
Diationale, für 'i)a§> Unvernünftige unb 6(^Ied^te im 3)afein nad^
einer befonbern Quelle fid^ um^ufe^en. 6d^on §era!lit, ber tro^
ber er!annten ^efegmäfeigfeit ober SSernunft (Sogo^) im ©afein,
bod^ ben Streit a[§> SSater aller ©inge begeid^nete, l^ulbigte einer
peffimiftifd^en 2Beltauffaffung unb äußerte mit aller 6d^ärfe feine
©eringfd^ä^ung unb Ungufrieben^eit SJienfd^en unb ©ingen gegen=
über. ^pt!)agora^ nun, ber l^auptfäd^lid^ bie ©efe^mäfeigleit,
bie ^lormalität be§ natürlid^en toie fittlid^en Seben^ betonte unb
feiner ^l^ilofop^ie einen religiöfen unb etl^ifd^en ^axatUx gab,
!am fd^on ba!)in, neben bem religiöfen unb fittlid^en S^eal dn
Stoeite^ ^rincip anäune^)men, um barau^ ba§ p^^fifd^e unb
moralifd^e Hebel §u erflären. ©r fd^ieb fd^on ftrenge 6eele unb
ßeib unb fafete biefen le^tern aU Werfer ober gerabegu aU
©rab ber 6eele auf, — mit biefem fd^roffen ©ualiMu^ ^k
Se^re t)on ber 6eelenn)anberung öerbinbenb. ©^ ift !Iar,
'iia^ bamit 'Da^ S^lät^fel ber Söelt unb il^rer ©rfc^einungen
nid^t er!lärt, fonbern ebenfalls nur bunfler gemacht toirb bei
fd^einbarer @infad^!)eit unb ^lar^eit; ja im ^runbe genom=
men öerboppelt n)irb, ba nid^t blo^ ba^ ©ute, fonbern
aud^ 'i)a§> 6d^limme ein Urmt)fterium öorausfe^t. S3ei t^en
©leaten tritt biefer ©uali^mu^ atterbingg toieber mel^r prücf,
))a fie überl^aupt nic^t eigentlid^ nad^ bem Urprincip, fonbern
nad^ bem Urn^efen be^ ©afein^, nad^ bem nja^r'^aft Seienben,
bem ^el^arrenben, llnt>eränberU($en unb ©inen forfd^ten, biefem
60 II- 2)te ^^t(ofo^t>i)cl^cn Süfungsterfud^e.
burc^ Slbftraction üon aUem ;(Srfd^einenben, 33eränberlid^en gu ge=
tüinnen glaubten unb bartn aEein ba§ iDa^re Dbject be!o @r=
lennen^, ba^ it)ir!li($ @r!ennbare unb Söal^re erblicften. ©ine
Sluffaffung, bie in ber na($folgenben griei^ifd^en ^^ilofopl^ie be=
fonber^ bei ^laton unb 5lriftoteIe^ bie l^errfd^enbe ipurbe unb
au6) in ben fpätern Sö^^^wnberten noä) ben ©runb(^ara!ter
be^ :pl^iIofopl;if(^en 2Biffen^ bilbete. ®en auftaud^enben 5Duali^=
mu^ übertüanben fie, trenn au6) nur fd^einbar, infofern fie bie
2öir!li(^!eit ber ©rfd^einung^trelt, be§ SSielen unb S^eränber=
IidC)en, foiüie über^uipt ber S3etr>egung unb 35eränberung in
Slbrebe [teilten, b. f). für blofeen, unrealen ^6)ein erüärten.
©ine Söfung, bie freilidfi um nxä)t§> beffer ift aU ber ^uali^muö
felbft, ba bod^ aud^ ber 6d^ein ober bie finnlid^e ^^^atur, bie
lüal^rne^menbe unb bie tüal^rgenommene eine ©rllärung ^ocx-
langen; eine ©r!lärung, bie überl^aupt bei ben ©leaten gar ni(^t
toerfud^t trurbe, ba fie mit Sgnorirung ber ©aufalterljältniffe nur
burd^ Slbftraction il^re Söeltauffaffung gu bilben bemül^t tüaren
unb burd^ S3egripbiale!ti! biefelbe gu [tilgen unb gu t>ertl)eibigen
füllten. S3ei 2lnayagora§ fte^t aUerbing^ bie urfäc^lid^e ©r=
!lärung§tr»eife tüieber im SSorbergrunbe, unb jmar bie @r!lärung
au§ 3^^cEurfad^en, bie teleologifd^e 33etrad^tung§= unb ©r!lärung^=
n)eife, fo §tt>ar, ba§ er baburc^ §ur Slnnal^me eine^ benfenben
2ßeltprincip§, be^ vo\>c, !am unb er auf pl^ilofopl^ifd^em ©ebiet
ber ®rfte ift, ber bag Urprincip ber Sßelt unb il^rer Silbungen
aU eigentlid^ geiftige^ SBefen auffaßte, o^ne bie religiöfe, mt)=
tl)ifd^e ®otte0t>orfteEung babei in bie ^^^ilofopl^ie einsufü^ren.
Söieberum aber ift burd^ biefe^ ^rincip ber ^Duali^mu» nid;t
übertrunben, im ©egentl^eil, ganj beftimmt baburd^ eingefül^rt
ober beibel^alten, ba^ ber voOc aU getrennt öom 6toff, aU in
fi(^ felbft feienb aufgefaßt iDirb, unb ba§ ftoffUd^e 6ein al^^ ein
jtDeiter Söefen^t^eil be^ ®afein§ erfd^eint, unb glrar fel;r ent=
fd^ieben n?ir!fam neben bem voOc, ba bie eigentlid^e 9iaturer!lä=
rung bei Slnayagora^, lüie aud^ Slriftotele^ l)ert)orl;ebt, toor^err=
fd^enb naturaliftifd^ ift — b. l). au§> ben flofflid^en 2öir!ungen
abgeleitet tüirb. 3ft bemnad^ burc^ 2lnayagora^ allerbing^ in
II. 2)ie ^^Uofo^^tfd^cn $?öfung«ijer[ud^e. 61
ber (^r!lärunc3 be^ Söeltproblemö tüieber ein ©(^ritt weiter ge=
fd^el;en im (Gebiete ber ^l^ilofopI;ie, fo toav boc^ eine Söfnng
nod^ bei iüeitem nt($t erreicht, benn ber (SJeiüinn ber @etftig!eit
unt ^Sernünftigfeit be^ Urprincip^ tnnrbe irieber fojufagen er=
fauft um ben 3SerIuft ber ©inl^eit ber Söeltauffaffung burd^
@infül)rung ober ^Seibel^altung eine^ rät^fel^aften ^uali^mu^
üon SSernnnft unb Unvernunft ober @eiftig!eit unb ©tofflid^feit.
^ei all biefen 3Serfu(^en, ba^ ©runbprincip beg S)afeing §u
beftimmen, inarb ber ^IRenfd^engeift mit feinem Sßefen un'i) ©e*
fc^icf !aum irgenbtoie näl^er berütffid^tigt, um banad^ hk Seftim=
mung beö ©runbprincip^ §u geftalten, — tnie ber SJienfc^engeift
überl^aupt a\§> Dbject ber gorf($ung in ber t>orfo!ratifd;en ^^'
lofopl^ie tierljältnifemäfeig nur n?enig ©egenftanb pljilofopl^ifd^er
^etrad^tung toar unb erft bur(^ 'Den 6ubiectit»i^mu§ unb 6fep-
tici^mu^ ber ©opl^iften attmäl^lic^ in 'i^en SSorbergrunb ber Unter-
fui^ung trat. 2lud^ bie Sieligion, 't)k religiöfe Söfung be^
©runbproblem^ be^ ^afein0 n^arb nod^ tt>enig beachtet, bie
pl}ilofop^if(^en Söfung^toerfud^e gingen nod^ neben jener l^er,
n)enn eg aud^ ni($t gang an (Eonflicten fel^lte, mie hei 3ceno =
pl^aneg, bem ©rünber ber @leatif($en^l^ilofop]^ie=6($ule unb aud^
bei Slnayagora^, — toie bie^ bei bem naturaliftifd^en ^^axatUx ber
3fteligionunb bem ebenf o naturaliftifd^en ber ^^ilof op^ie !aum anber^
fein lonnte. ^eftimmtere Slnnäl^erung unb getniffermafeen Mitia^
lität §tr)if(^en Sieligion unb ^^ilofop^ie aber trat nad^ unb nad^
ein, je mel)r "ok ^l^ilofop^ie felbft nid^t mel^r 6ad^e einzelner
2)en!er blieb, fonbern in größere Greife, iüenigften^ ber gebil-
heten klaffen einbrang. ^iefe ^Innäl^erung ift felbft barin §um
Slu^bruct gebrad^t, ^a^ §. 33. ber 6op^ift ^rotagora^ e^ db^
lehnte über 'ok ©ötter gu forfd;en, um @r!enntniffe gu getüinnen,
^a, \vk er meinte, bie (Baä)e gu fc^toierig unb 'oa^ menfd^lic^e
^eben bafür p !ur§ fei, — unb bafe gleid^mol^l unb ^tüar eben
um biefer ^Ible'^nung toiEen ^k SSerbannung au0 Sitten über
i^n tierl^ängt tourbe« ®a^ 6d}ic!fal be^ 6o!rateg geigte bieg
nod^ mel^r. 3Jlit il^m unb burc^ i^n be!am bie ^^ilofopl^ie, unb
itoax perft öor^errfd^enb, ja einfeitig unb auöfd^liefelid^ bie gei-
62 II- 2)tc )3^itofo^^ifd^en SöfungSöerfuc^c.
fiige S^latur beg 3Jlenf(^en gum ©egenftanb ber ©rforfd^ung. IXnb
jttjar junäd^ft bie fittlid^e 9^atur be§ 3Jlenf($en, ba ba§ tt)a!)re fitt=
li(^e @efe^ unb SeBen beftimmt iüerben foUte, bag ja mit bem reli-
giöf en ftctS in naiver 33e5iet)ung ftel^t. 6ittlid;!eit unb Sßiff en lüaren
für ©o!rate§ bie Quk beg Strebend unb gmar in fo nal;er S5erbin=
bung miteinanber, bafe fie i^m gerabegu ibentifd^ ju fein f(^ienen.
3ur redeten Sittlid^leit geprt ja not!)n)enbig n)at)re @r!enntnife
beffen, iDa§ für benäJienfd^en, für beffen 35DÜ!ommeni)eit unb ^IM-
feligfeit förberlid^ nnb not^tüenbig ift. Sßer nun bie^ einmal
er!annt ^at, ir>erbe au6) unfel^Ibar banad^ ftreben, ba boi^
iebermann fein eigene^ 33efte§ tüoUe unb niemanb ba§ verlange,
voa§> i^m fc^äbli(^ fei. 3)a§ ©runbproblem be§ 2ßeltbafein0 trat
bamit aEerbingg für bie ^l)ilofop!)ie äunäijft in ben §inter=
grunb, aber e§ ipar ba^ 6o!ratifci)e ^{)ilofo:plf)iren bie tüid^tigfte
SSorbereitung für eine erneute :p^ilofop!)if(^e gorf(^ung in 33esug
auf baffelbe; benn o^ne naivere ©r!enntni§ ber 3}lenf(^ennatur
ift \a iebenfaEg ber Hrgrunb unb baS ©nbjiel biefeB un§ em=
^irifi^ be!annten S)afein^ in feiner Sßeife §u beftimmen. ^laton
nun irenbete fid^ iüieber ber meta^)^^fif(^en gorfd^ung gu, fud^te
tt)ieber bag IXrprincip be§ ^afein^, toon bem alle 2öir!ungen
unb ©eftaltungen be^ ^oSmo^ au^gel^en, gu erfennen, iüie bie§
•om Slnfang an Dbject unb giel p!^iIofop:^ifd^er ^^ätig!eit mar.
<Sr öerbanb aber bamit gugleid^ bie gorfd^ung nad^ bem tva^^x--
l^aft 6eienben, llnt)eränberli($en im gluffe be§ 2ßerben§ unb
im Söed^fel ber 3Siell^eit unb 3Serfd()iebenl^eit ber öergänglid^en
©inge — alfo nad^ bem, iüa^, ben Sinnen mä)i gugängli(^, ben
loal^ren Snl^alt be^ 3)en!en§ unb ber p^ilofopl^ifd^en ©rienntnife
bilbet. @r trug babei ber 2luffaffung^ir>eife ber ©leatifd^en
^^ilofop^ie infotpeit S^led^nung, aU er ^hen nid^t bie er=
fd^einenbe Söelt, nid^t ba^ SSeränberlid^e unb 3SergängIid^e al§>
ben tüa^ren ©egenftanb ber ^l^ilofopl^ie unb aU bag tt»ir!lid^
gu ©rfennenbe, aU 3n!)alt beg maleren Sßiffeng geltenb mad^te,
fonbern (in t)erI)ängni6t)olIer ^efd^ränfung für bie n)iffenfd^aft=
Ii(^e gorfd^ung) ba§ nur im 2)en!en §u erfaffenbe 2lEgemeine,
ba§ 3ftefultat ber 5lbftraction t»on attem ßrfd[)einenben unb SSer-
IL 25ic ^^tfofo^^ifd^ett ?iJ[ungSöerfud^c. 63
änbetlid^en; nur trat SSielljeit ber Sßefenl^eiten an bte Stelle
beg ©inen ©leatifd}en Sßefeng ober ipal^rl^aften ©eirnS. (Sl
iüaren bie 3been Patent, bie IXrbüber aller (^eftaltungen be§
6ein^ nnb be§ SSott!ommenfein§, bie über ber erf($einenben
2öelt ber SDinge unb il^rer SSer^ältniffe fo^ufagen fc^tüeben unb
t)uxä) ^^eilna^me an ir»et(^en biefe felbft beftel^en unb Sßefen-
l^afte^ in \iä), l^aben tro^ ber ^Siell^eit unb ber SSeränberlic^!eit
im ©ntfte^en unb SSerge^en. ®e§ äöeltproblem^ Söfung, hk
QueEe alles tüal^ren ©eins unb atter tüal^r^aften S3ebeutung ber
S)inge unb X'^ätigfeiten mirb in ein SenfeitS \}erlegt, baS freili^
felbft tüieber unjugänglid^ ift unb für ben 3)lenf(^engeift im
©runbe hie D^tät^fel beS ^afeinS nur öermel^rt. 2)aS S5er^ält=
ni^ biefer gbeen gu ben fingen im ©ieffeits ift fc^on un!lar
unb niä)t ab§ufel)en, ipie fte iDirfen, 'ta fie als ©ebilbe ber
Slbftraction s^ar OTgemetn^eit unb allenfatts auc^ Slealität
ausbrüden, aber als Slbftracta feine MenbigMt unb feine
Sßirfensfraft befi^en, \oie eS tnoljl angenommen tcerben fönnte,
trenn fie toon t>ornl;erein burd^ Sd^lufefolgerung am gaben
fogufagen beS ßaufalgefe^eS toon Söirfung auf Urfad^e getüonnen
it»ären. SBenn, tüie tüo^ angenommen gu tüerben pflegt, bie
3bee beS (SJuten bem ^laton W ]^ö($fte ift unb eigentlid^ als
feine ©ottl^eit angefel^en tnerben mufe, fo ift il^m 'oie ©ottl^eit
eigentli($ unperfönlid^ , fd^on toeil eben au(^ biefe 3bee ein
©ebilbe ber 2lbftraction ift, nid^t am ßaufalgefe^ als lebenbige
^raft unb @eift erfd^loffen; bann tüeil ehen bie Sbee beS (Stuten
tüo^l als @efe| ober D^orm beS 6ittlid^en gelten !ann, nid^t
aber als 'Renten unb mit 33etr>u6tfein auSgeftattet geba(^t mirb
il)rem ^Begriffe gemä^. Slufeerbem als 3bee aud^ nid^t fd^on ben fitt=
lid^en SBillen als not|)menbige 2öir!ung ober als ©runblage ober
Urfad^e öorausfe^t, — tnie au6) hie Sbee beS Sd^önen als unöer^
änberlid^ unb unh)al)rnel)mbar (toie in einem ^enfeits) Qehaä)t,
gtoar als @efe^ unb gorm beS 6d^önen im ^afein gelten fann,
aber barum noc^ nic^t als Un^n^te, fd^öpferifd^e ^raft beS
©d^önen ober als ibealer ^ünftler in ber 3^atur. ^at ^laton
bennod^ in 2Bir!lid^!eit einen :perfönlic^en (Bott angenommen.
64 II. 2)ie )3l^iIofo^l^ifd^en ^löfungöberfud^e.
ber abfolute, lebenbige ©üte ober gerabegu Inbegriff ober Drt
ber Sbeen fein foH, fo ^at er biefen Segriff mol^l au§> bem
religiöfen ©ebiete l^erübergenomtnen, nid^t au§> feinem pl^ilo^
fopl^ifc^en Jorfd^en getüonnen. Uebrigen^ ift immerl^in au^ an-
juerfennen, bafe i^m ba^ 3fteid^ ber Sbeen bod^ nid^t gnfammens
fättt ettüa mit bem bloßen 6^ftem abftracter 33egriffe, h)ie bie
Sogi! e^ barftettt; bafe er alfo ba^ Sßeltproblem nic^t bnrd^ blo^
logifd^e ober rein bialeltifd^e Operation gelöft p If^aben glaubte.
2)ie§ gel^t fd^on barau^ l^ert)or, ba^ il^m nid^t bk Qbee be§ ab-
ftracten 6ein^ bie l^öd^fte ift, tpie e^ rein logifd^ genommen ber
%aU fein mn^te, fonbern bafe eben bie Sbee be)o (Stuten aB
l^öd^fte 3bee bei iljm erfd^eint, — toomit bie rein logifd^e regele
mäßige ^laffifüation ber Segriffe in il^rer lieber^ unb Unter-
orbnung für bie 3beenle!^re toerlaffen ober nid^t confequent geltenb
gemad^t ift. — 2lr ift o tele g lieg im ©runbe genommen nur
©ine 3bee aU jenfeitige Sßefenl^eit ber ©rfd^einung^loelt gegen-
über beftel^en, unb gtpar al^ eine lebenbige unb perfönlii^ ge=
'tiaä)U äßefenl^eit unb ^raft, ben vou^ nämlid^; atte übrigen
Patonifd^en Sbeen »erlegte er al^ toirlenbe gormprincipien in bie
2)inge ber 2Belt felbft. 211^ Snbegriff atter SSoEfommenl^eit fann
er aud^ al^ Cluette unb Snbegriff ober Drt ber Qbeen begeid^net
toerben, obiool^l biefer @eban!e nid^t §ur Geltung !ommt; bagegen
al^ 3^^^ öü^^ 6treben!o unb eben baburd^ al^ erfter Setüeger
toirffam, foE in biefem vou; (jugleid^ elboq ol^ne uXt], reine gorm
ol^ne allen 6toff) bie l^öd;fte Söfung beö äßeltproblemä gefunben
fein. ©^ lägt fid; nid^t leugnen, "oa^ in biefer 33e§iel^ung ba^
^öd^fte geleiftet toarb, wa§ hi^ ba^in in ber ^^ilofop^ie §u
6tanbe gebrad^t iDorben, unb bag l^ierburd^ fotoie burd^ ^laton'^
Sbee be^ ©uten al^ l;öd^fte^ Urbilb be^ ©uten unb Sorbilb
alle^ fittlid^en Strebend bie am meiften rid^tige unb üieEeid^t
für 'iiie äJtenfd^^eit aüein moglid^e Söfung be^ ©runbproblem^
be^ ^afein^ angebeutet unb angebal^nt tourbe — toie fpäter
nod^ nä^er erörtert tr»erben foü. Wzin t^ahei mürbe bod^ toon
Paton unb felbft üon 5lriftotele^ ber ftörenbe terl^ängnifetjolle
^uali^mu^ in ber Sluffaffung ber SBelt unb be^ ©runbprincipio
IL 2)ie ^^iIofo))l^tf(^en ?b[ung6öer[ud^e. 65
be^ ^afeinö ni6)t übertüunben. 2)ie Ttatexk nämlid^, bie am
beginn ber ^^ilofopl^ie OTeö irar, lüurbe gtoar aHmäl^ltd^ burd^
ba§ geiftige ^rincip an bie gtüette ©teile gebrängt ober (burd^
W ©leatifc^e ^^ilofopl^ie) gerabegu aU mefenlofer ©d^ein er=
!lärt, aber man !onnte i^rer bod^ nid^t lo^ derben, unb nad^bem
man ben (^eift aU iral^re Söefen^eit be^ 2)afeing gefunben unb
bemfelben atte^ (SJute unh SSernünftige gugefd^rieben l^atte,
!onnte man bod^ bie 3J^aterie, bie 6innlid^!eit nid^t auä)
barau^ ableiten, fonbern erblicfte in biefer H^ ©eift=geinb=
lid^e, bag §inberni§ ber 3Sott!ommen!^eit im 5Dafein^gebiete,
\a 'ok Quelle be§ S3öfen. S3ei ^laton txitt W^ fd^arf ^evoox,
ba er in biefer 33esiel^ung ber ^^tl^agoreif(^en 2luffaffung
fid^ zuneigte, 't^en £eib aB blofee SBo^nung ber 6eele Utxa(i)kiz
unb al^ ^inbernife ber SSoUfommen^eit berfelben anjal^. 2lber
aud^ bem 2lriftotele^ mar 'ok Wakxk nod^ ein niä)t iüa^rl^aft
6eienbe§ unb bod^ aud^ inieberum ein bem toal^rl^aft 6eienben
aEentl^alben Sßiberftanb Seiftenbe^, ba^ baburd) bie 3Sott!ommen=
l^eit ^inberte. 2)aburd^ mürbe au^ bei il^m ba^ 6tofflid^e bod^
lieber gu einem real tt)ir!enben, geipifferma^en tüibergöttlid^en
^rincip unb eigentlid^ aud^ tnieberum ^ur üueEe ber p^pfifd^en
unb moralifd^en Xlnt>oE!ommenl^eit, be^ Hebeln unb be^ Säöfen.
S)er ©egenfag unb Söiberftreit §h3ifd^en ©eift unb ©innlid^feit,
ben man in ber (grfd^einunggtnelt tral^rna^m, lonnte nid^t anber^
erllärt tnerben al^ baburd^, bafe man benfelben in ba^ IXrprincip
felbft l^ineinöerlegte, b. 1^. im ©runbe fd^on ^tüei ^rincipien
annahm, bereu 5Dafein unb 2ßir!en aber l^auptfäd^lid^ t)a^
Slätl^fel beg ©afein^ fo bun!el mad^t.
3Jle^r fd^ien ben ©toüern bie Söfung be0 ^roblem^ §u
gelingen, ©ie nal^men befanntlid^ in il^rer 3Jleta))]^^fi! (jugleid^
^^'g\it) bie ^ßel^re be^ §era!lit öom geuer unb feinen SSertnanb^
lungen aU Urprincip tüieber auf unb fegten infofern ba^
©tofflid^e öollftänbig in feine frühem 3ftec^te unb Söürben
lieber ein — al§ ioa^rl^afte^ Söefen, gegenüber ber @r!lärung
beffelben al^ blofeeg ©d^eintoefen unb eigentlid^ für fid^ 3^id^t=
feienbe». 3a bie 3Jiaterie ober 't)a§> (^runbtoefen berfelben, 'i)a^
3frof)fc^ammev, SÖitjfledum 9!J?agnum. 5
66 II. 2)te ^^ilofo^^ifc^cn ?i5[ung«öerfuc^e.
geuer, trurbe fogar au6) für "oaS^ ©runbmefen beio ©eifte^ ge=
l^alten, beibe^ bem Sßefen nac^ ibentificirt. ^enn ©eift ift ben
©toüern trarmer Suft^aud^, feurige ©tromung, tnoburd^ nid^t
ettüa nur !örperlid^e Sebett^functtonen üollgogen iüerben, fonbern
auä) geiftige 5l^ätig!eiten ; ja 't)a§> Sßort 7cv£i)jj.a, bag urfprüng^
Ii(^ $aud^ unb £uft bebeutete, erhielt aümä^Iid^ in ber p^ilc--
fop^ifd^en unb religiöfen 6prad^e gerabeju bie entgegengefe^te 33e=
beutung, brücfte ©eift im ©egenfa^ 5U 6toff ober SJlaterie aug.
S)ie ftoifd^e ^l^ilofop^ie ift bemnad^ tool^l al§> Tloni§\nu§> §u be=
gei(^nen, infofern fie nur (Sin @runbit»efen anna'^men für ba§
6innlic^e unb ©eiftige unb biefe^ ©ine ftoff(ic^= geiftige @runb=
JDefen gugleic^ aB bie @ott{)eit betrad^teten, ber fie gleid^lüol)!
aud^ tüieberum perfönlic^e ©igenfd^aften gufd^rieben in ber Söeife,
tüie bie t^eiftifd^e bualiftifd;e SBeltanfd^auung eö gu i^un pflegt.
3n biefem ©inen göttIid^=!ogmifd^en 2)afein l}errf d^t allgemeine
©efe^mäfeigfeit iuie göttlid^er Söille unb SSorfel^ung, unb bie 2luf=
gäbe be^ 3)lenfc^en befielt barin, fid^ in biefe Drbnung mit
SBetüufetfein unb SBiEen §u fügen, ber ^f^atur gemäjs ober toer^
nunftgemä^ §u leben, b. ^, ben ©efegen be^ göttlid^en ^Dafeinö^
Sfleic^eg gu folgen, ^fiaturgefegmä^igfeit unb göttlid^e gül^rung
ift ©in unb baffelbe, unb bie Söelt ift bal^er t>oE!ommen trog
il^rer 3JlängeI unb IXebel, benn gerabe biefe geigen il^re 3SolI=
!ommenl)eit um fo mel^r, infofern fie bie göttlid^e gül^rung ni^t
^inbern !önnen, ha^ bod^ ipieber We§> fid^ gum beften n>enbet.
3nfofern ift ber ©toici^mu^ entfd^iebener Dptimi^mu^. — SSer^ielte
fid^ nun SlUeö gan§ fo, bann iräre bie ftoifd^e ^^iIofopf)ie n?ol)l
eine befriebigenbe Söfung be^ grofeen ^roblem^ be^ 2)afeing;
allein treber ^l^eorie no(^ ^rayi^ ber 6toi!er bilben ein l^ar=
monifd^eö ©ange^, ba^ ber Prüfung Staub l^alten fönnte. 3Jlit
il^rer optimiftifd^en ©runb^ unb ©in]^eitglel;re fielet fd^on 't)ie§>
nic^t in ©inüang, bafe bennod^ ein grofeer 3^ißfr<^^^ "^^^^ ^^^
S)afein gel^t, 'Da^ ein fo großer Äampf nötl)ig ift, um natur=
gemä§ gu leben (naturae convenienter vivere), unb bag nid^t=
naturgemäße 2eben fogar ha§> ©etool^nlic^e ift, "t^a^» naturgemäße
aber erft mü^fam errungen tr» erben muß. 2Bie !ann au^ 'i^em
IL 2)ie ^^ilofc^^tfci^en SöfungSberfuc^c. 67
Vitien iüefentlid; ein]^eitlt($en Urprtncip, bem göttli^en f($öpfe=
rifd^en geuer, biefer gtüiefpalt l^ertoorge^en? S)iefe 5Ri(^tnatur=
gemä^eit, bte fo grofe ift, bag bie grofee 3}laffe ber 3Jienf($en
il^r toerfaEen erf(^eint unb eigentlid^ nur tDenige ^u^ertüä^lte, bie
ftoifi^en SBeifen fo leben, lüie e§ naturgemäß ift unb infofern
aU SSeife, ©lücfUd^e, ©öttergleic^e gelten !önnen, tüäl^renb alle
anbern 3Jlenf$en gur klaffe ber ^l^oren gehören? ®a§ 9^atur=
gemäße, foEte man beulen, macj^e fid^ t)on felbft, forbere iebenfall^
nichts ^lußerorbentlid^e^, tüenigften^nid^t^Sold^eg, voa^ im ©runbe
aEer 2Belt aU unnatürlid^, al^ eine @onberbar!eit erfd^eint, iüie
bie^ bod^ bei ber ftoif(^en @eringf($ä|ung beg 3leußerlid^en,
6iunlid^en ber gaE ift. ^a§ ©inulid^e, ba^ bod^ aud^ al0 natur=
gemäß unb gemiff ermaßen ©lud begrünbenb betrad^tet toerben
muß, ba z§> iDie 'oa§> beifüge au($ in bem ©inen göttlid^en lXr=
tüefen begrünbet ift. Seiben unb ©lenb für nid^t§ §u a^Un,
ift ebenfaE^ nic^t naturgemäß unb nid^t l^uman, — fd^on be^=
l^alb nid^t, treil e^ aud^ für ßeiben unb ©lenb ber SJ^itmenfc^en
gleichgültig ma^en muß unb fittlid^e ^flid^ten üernac^läffigen
läßt, ^er Dptimi^mug ber ftoifd^en Se^re ift nur für 't)i^
6toi!er felbft toor^anben, für biefe 2lu^ermäl^lten ober Söeifen,
njeld^e burd^ bie Tla6)t i^rer ©infid^t unb i^re0 SßiEenS bie
Sßelt befiegen, immer größer fein tooEen, gu fein ftreben, al^
i^r <Bä)iä\d[. 60 ift ber ©toici^mu^ ein 35erfud^, ber in
mand^er 33e§iel^ung eim getoiffe ßrl^aben^eit §eigt, ben Dpti=
miSmug gleid^fam mit ©etoalt burd^ bie ^raft be^ ^eifte^ ju
be^au:pten, infofern bie Hebel be^ ©afein^ bem ^^eroifd^^etl^ifd^en
SöiEen gegenüber toie ni(^tfeienb erfd)einen foEten. Slber bem
6treben entfprac^ bod^ felbft bei ttn 6toi!ern ber (Erfolg nid^t
unb fie mußten anerlennen, baß ba^ angeftrebte Qbeal be^
Sßeifen ni($t gu erreid^en fei. 6ie ermäßigten aud^ bie anfäng=
lic^e Strenge il^rer Se^re unb $raji^ jum 6treben nad^ biefem
unerreid^baren 3^^^^- Spätere 6toi!er ergel^en fid^ too^l aud^
in klagen über "oit IXebel be^ ©afeing unb xiä)Un i^ren S9lid^
fogar auf ein beffere^ Qenfeit^, 'iia^ eine Befreiung öon biefen
Hebeln bringen foE. 2lud^ auf biefem Sßege mar alfo 'oa^
68 n. 2)ic ^I^Uofo^l^ifd^cn 2öfung«bciiiid;c.
SBeltproblem p^iIofopl^tf(j^ nid^t gu löfen, föar 't)a^ rätl^fel^afte
^un!el be^ 2)afein§ nid^t gu übertüinben. Qm (Sl;nftentl^um
fud^te man butd^ ©tauben unb göttlid^e §iilfe ba^ 3^^^ h^ ^^'
reid^en, ba§ bie «Stoüer burd; ©rfenntnife unb eigene 2BiEeng=
traft anftrebten.) lieber ben ©püurei^mug fönnen ir»ir furj
]^inn3eggel;en. 33e!anntltc^ erneuert er in ipl^^fifd^er unb nieta=
pl^^fifd^er ^^egie^ung bie atomiftif($e Seigre be^ 2)emo!rit, 3n
biefer ^egiel^ung gilt bemnad^ toon il^m, \üa§> fd^on oben über
bie Sltomifti! bemerlt n^urbe. ßr wiU ba^ Sßelträt^fel gar nic^t
eigentlid^ löfen, jonbern nur eine ©rüärung für ba^ ©ebiet ber
©rfd^einungen fud^en unb 't)a§> barüber §inau^liegenbe, in^be=
fonbere ba§ gange ©ebiet be^ ©öttlidjen üottftänbig ablehnen
unb öon biefer erfd^einenben SBelt fernhalten, "tia baffelbe gur
3ft)ederreic^ung be^ menfd^lid^en ©afein^ nid^t^ beitrage, im
©egentl)eil burc^ gurc^t unb Seforgnife ben ©enufe be^ 2)afein^
nur ftöre. 2öie tpenig aber ber t>Dm ©pünrei^mu^ geltenb
gemad;te Seben^gtped, ^k irbif($e ©lüdfeligfeit luirflid^ gu er=
reid^en fei unb n^ie menig biefe Seigre unb ba^ berfelben gemäße
Streben n?a^rl^afte ^efriebigung gemäl^re, l^at fc^on bie l^ebü=
niftifd^e Sd^ule be» 2lriftipp gegeigt. 2lu§ biefer (^d^ule, ni^t
ettüa au^ ber bebürfnifelofen, tpeltüerad^tenben cpnifd^en ging
im Slltertl^um alöbalb ber ^effimismu^ l^ertoor, tk Ungufrieben=
l^eit mit bem menfd^lid)en (SJefd^id unb bie SergiDeiflung an ber
©rrei(^ung be^ eigentlid^en Seben^gmede^, ber irbifd^en ß)lüd^
feligfeit. ©ie» iuar aud) natürlich, benn tüer ben ©enu6, bie
Suft bes Sebenö aU eigentlid;en gioed be^ menfd;lid;en ©afein^
betrad^tet, mufe balb erfal^ren, 'i)a^ biefer 3^^^ ^^^^^ h^ erreid;en
fei, ba§ bie. SSerl^ältniffe ber äßelt, bie ^efd;affenl^eit be^ menf4)=
lid^en Drganiemu^ unb ber focialen Segiel;ungen unüberh?inb=
lid;e ^inberniffe babei barbieten — abgefe^en t>on ber nad^
§öl)erem üerlangenben 9^atur be^ menfd^lid^en ©eifte^ felbft.
2öir tüenben un^ gur legten ©eftaltung ber gried^ifd^en
^^ilofop^ie, gum 9teuplatoniömu^, ber eigentlid^ mebr tim
33ergn)eiflung an ber t^eoretifd^en unb prattifd^en Söfung be^
SBeltproblem^ barftellt, aU einen Söfung^toerfud^ burd^ bie natür-
IL 2)te \)^ioiop{)i\^tn Sbfungöberfud^c. 69
tid^e ^raft beg menf(^lid;en (Seiftet, unb ein Streben be!nnbet
naä) übermenfd^Iid^er, übernatürltd;er$ülfe babei, — mit attenfall=
figer ^rei^gebung ber natürlichen 3Jienf(^enüernunft in e!ftatif($en
Snflänben. ß^ ift \ä)on bemerft, bafe üor unb naä) ber ©ntftel^ung
beg (El^riftentfjumS auf :p]^ilofo^l^ifc^em unb n^iffenfi^aftlid^ t!^eo=
logifi^em ©ebiet bie 2lnfi(^t immer me^r gur Geltung !am, bie
^ottl^eit an \iä), bag göttlii^e SBefen fei für ben 3J^enf(^engeift
unerreichbar, fei unerforf($lic^, fei ba§ SSerborgene (Aman);
unb 't)ai man bafür immer me^r ein 3tei(j^ tion untergeorbneten
geiftigen Söefen di§> S)iener unb 2öer!§euge beg ^öc^ften, t>erbor=
genen @otte§ unb in^befonbere aU 3JlittIer gn^ifd^en biefem unb
ber 2©elt, imbefonbern ber SJlenfc^l^eit, annahm unb biefe ße^re au^=
pbilben fud^te. %U t)ö($fte§ biefer 3)^itteliüefen trat fd^on in ber
fpätern jübifc^en Speculation bie göttliche SSei^^eit ober "oa^^
{jbttlid^e 2Bort l)ert>Dr, unb bei ber SSerbinbung biefer iübif(^en
©peculation mit ber gried^ifd^en ^f)ilofo:p]^ie, bie ^auptfäi^lid^
in 3lleyanbria in 2legppten ftattfanb, trat W Seigre toom £ogol,
befonber^ burd; ^l^ilo, al§> l^öc^fte^ geiftige^ Sßefen, aber bod^
al§> 6(^öpfung ©otte^, aU eingeborner (SJotte^fo^n unb 3JlittIer
§n)ifd^en @ott unb ben 3JJenf(^en l^erüor. 3m ©Ifjriftentl^um ent=
brannten über biefe SogoöleI;re be!anntlid^ gro§e Streitigkeiten
unb 3al;r{)unberte anbauernbe Mmpfe, bie fd^Iie^Iid^ bamit
enbeten, bafe ber ßogo^, ber mit ber ^erfon Sefu di§> SJleffia^
((SJottgefanbter unb ©rlöfer) üerbunben n}urbe, ^ur ®Ieid^n}efentli(^=
!eit unb (^leid^emigfeit mit @ott an fid^ erf^oben marb unb 'oana^
bie £e!)re öon ber gottimmanenten, emigen 3^W9Wttg be^ Sogo^
burd^ 'Den SSater unb toon ber gottlid^en ^rinität gur SluSbilbung
gelangte. 5Der S^euplatoni^mug nun l^ulbigte au^ ber 9ln=
fid}t t)on ber tlner!ennbar!eit unb SSerborgen^eit be^ göttlid^en
3öefen^ an fi(^, unb nal^m aU ^ö(^ften an§> biefen verborgenen
göttlid^en Urtoefen l^ert)orgel)enben ©eift bie SSernunft (voOc) an,
i)on ber aEe^ ©efd^öpflid^e in abfteigenber Stufenfolge ün§> fi^
l)ert)orgebrad^t tüurbe, ba fie felbft 'Dzn Inbegriff ber Sbeen in fid^
enthält aU Ibbilb beg urfprünglic^ gefd^auten göttlid^en lXr=
toefeng aliS Urbilb. 2lu§ 't)en Sbeen ftammen bie Seelen unb
70 II- 2)ic ^]^tIofo^)l^tf(^en ^öfungSbcrfud^e.
bic btlbenben gormprtncipien, bie in bem BJ^aterieHen \iä) @e=
flaltung gaben. 211^ 5lufgabe be^ 3}ienf(^en mirb Sefretnng toon
ber ©innli(j^!eit, t>om 3JJaterieIIen betrad^tet unb baburd& ^M-
!ef)r in baö beifüge uitb @öttli(^e. ^ie^ ift gtrar burd^ 58er=
nunfterfenntnife unb 2l§cefe angnftreben, eigentlid^ gu erreichen
aber nur burc^ nt^ftifc^e ©fftafe, burd^ tooHe^ 5ßerfen!en be§
@eifte^ in 't)a§> ©öttlid^e unb Slufgel^en beffelben in biefem, foba^
(gr!ennenbe0 unb ßr!annteg ein§ ir»erben, nid^t mel^r ba^ ©riannte
aU Dbject bem @r!ennenben gegenüberftelf^t, tüie e0 felbft nod)
bei ber l^öl^eren SSernunfterfenntnife ber gaU ift, — mä^renb
'i>a§> finnlid^e Söal^rnel^men unb ^SorfteHen üottenbs nur ein 6d^ein=
unb 5t^raumleben gu nennen ift. SBieberum alfo l^aben tüir e0
^ier mit einem ^uali^mu^ ju tf)un, bem beifügen, au^ bem
göttlid^en Urirefen ©tammenben unb bem HJlaterieHen, ba§ gtoar
aud^ nur tou ein ^Rid^tfeienbe^ (piT] ov) betrad^tet tcirb, ba^ aber
boc^ fo tiiel ^raft unb 2lctit>ität befigt, ba^ au§ bem ©öttlid^en
ftammenbe ©eiftige (Sbeen, 6eelen unb gormprincipien) il^rer
SSoHlommenl^eit gu berauben unb gu immer niebrigerer ^afein^-
meife §u bringen, Je tr»eiter bie Entfernung t>om göttlid^en Ux-
inefen tüirb unb bie 3)lad^t be§ SJlaterietten baburd^ gunimmt.
^ie Sflätl^fell^aftigleit be^ ^afeing ift bamit nic^t gel^oben. ©^
bleibt unerllärt, marum ber vouc au^ bem eiüigen göttlid^en
Urlüefen ausgetreten fei, tüarum er in ber 3Jiaterie fic^ immer
mel^r toerenblid^te unb um fo unt>oII!ommener tpurbe, menn
bod^ feine Slufgabe im ©ingeinen unb im 5lttgemeinen tüieberum
leine anbere toar, aU biefen S^ft«^^ '^^^ 6innlid^!eit burd^
@r!enntni§ nid^t nur, fonbern toor Slllem burd^ Sl^cefe unb 2BeIt=
findet iüieber §u toerlaffen unb tromöglid^ im efftatifd^en 3^=
ftanb ber 6d^auung beS (^öttlid^en fid^ felbft aufzugeben, um mit
bem ©öttlid^en unmittelbar eins gu iüerben. Slbgefel^en alfo
t)on einer n)ir!lid^en S3egrünbung biefer 2öeltauffaffung , t)on
einem SSemeiö für baS angenommene (SJrunbf actum, bem 2luS=
tritt beS voO? aug bem göttlid^en Urtnefen ober bem ewigen,
abfoluten ©ins, — ber gar nid^t gu erbringen ift, — !ann bie
gange neuplatonifc^e 5tl^eorie aud^ für bie ©rllärung beS meitern
IL 2)tc v^ttofofc^ifd^en ^^öfungSöcrfuc^e. 71
SBeltbafetng unb ber 3Scr^ältntffe unb ©reigniffe in i^r nid^tg
reiften. 3n ä^nlid^er 3Beife, nur nod^ in iDeit mel)r pl^antaftifcJ^er
©eftaltung, ^at auc^ ber jog. ©noftici^mug in ben erften
Sal^r^unberten be^ (E^riftent^umö ba§ Söeltproblem ju löfen,
in^befonbere bie grage ^u beantworten gefu(^t, n^o^^er ba^ Söfe
(TTo^ev To xaxcv) fomme. ©in fd^roffer ^uali^mu§ stpifd^en
@eift unb 3J^aterie ixitt auä) bei ir)m me^r ober toeniger ^ertoor,
tüobei au^erbem noc^ in ba§ göttliche Urn^efen ober in bie gött-
lid^e 5t;iefe felbft ber Ursprung be§ Smiefpalt^ unb be§ SlbfaUg
üerlegt inurbe unb bie äßelt baburd^ entftanben fein foll, ba§
infolge baüon göttlid^e Gräfte in bie '^a^i ber finftern 2JJaterie
geriet^en, bereu Befreiung eben '^ie eigentli(^e Slufgabe be§
2Beltt)erlaufe^ Ul^en fott. Sunt Sitten ^eftamente, refp. gu bem
altteftamentli($en ^ott, fegten fic^ biefe ^noftüer grögtent^eiB
in ein feinblid^e^ SSerl^ältnife unb beuteten bie ^rabitionen, au^
t^enen 't)a§> D^eue ^eftament l^eröorgegangen, in i^rem ©inne
um gu einer eigent^ümtid^en (Srlöfung^lel^re, ber gufolge bie
(grlofung eigentlid^ iüeniger bem SJlenfd^en, aU tjielmel^r bem
©öttlid^en felber gilt, ^ieg tritt befonber^ ^eröor hd ben
2)lanid^äern, nad^ bereu £e^re ^^eile be^ £i(^treid^e^ ober be§
@öttli(^en öon ber finftern 3}Jaterie, aU bem tüefen^aft 53öfen
felber ergriffen unb in i^x gefangen fein fotten, — toag fie al§
t^tn Jesus patibilis begeii^neten, um beffen S3efreiung eg fi($ im
3öeltbafein l^anbelt. ^er Söeltprocefe roäre bemgemä^ ein @r=
löfunggprocefe @otte§ felber, unb ^toax einer ©rlöfung be§ (Sött=
lid^en burc^ bie 3}?enfd^en, bie fic^ gu biefem Q\üzd einer gen^iffen
Seben§n)eife unb getoiffen Seiftungen gu unterbieten ^aben. 3öir
brau($en hierauf Iritifd^ nid^t loeiter ein§uge!^en; e§ gilt l^ierüon
ha§> ^leic^e unb nur nod^ in t)erftär!tem ©rabe, toa^ oben fd^on
begüglid^ ber neuplatonifd^en ©runblel^re bemerlt toorben ift.
3m (^^l^riftentl^um unb in ber ürd^lid^^d^riftlic^en Se^rent=
njidelung tr>urbe 'i)i^ ^aä^^ t)iel einfad^er geftaltet unb bie
gnoftif(^::p^antaftif(^en, au^ orientalif d^en SSilbern unb occiben=
talifd^en Gegriffen gemifd^ten Slnfd^auungen grö^tentl^eil^ ab-
gelehnt, ®er urfprünglid^ d^riftlid^e ©otte^begriff toar, h)ie
72 n. 2)te ^J^ilofo^^ifc^en $?bfung§öerfu^e.
Mannt, l^öd^ft einfach, benn ©ott tüarb aU aUgütiger ^ater
bcr 3Jlenfd^en aufgefaßt, ber ba§ SSefte 5lIIer tüill unb bag 33er=
bergen feinet einzigen, ber feinen SBillen, fein ©efefe befolgt,
il^m \iä) toertrauenb Eingibt, feine SRitmenfd^en liebt nnb i^nen
^iilfe leiftet; ber aber and^ geredet ift unb bag S3öfe beftraft,
tpie bag ©ute belol^nt, %üx ©entütl^ unb 2ßillen tnar biefe ein=
fac^e ©otte^Iel;re fidler fel^r mol^ltl^uenb unb förberlid^, aber bem
fc^ärfern ^en!en unb ber näl^ern 2Beltbetra($tung boten fi(^ babei
bod^ balb 6d^h)ierig!eiten angefid^t^ ber 35er^ältniffe unb ^ä)iä'
fale ber 3Jlenf(^en unb ber 5Raturbef(^affen!)eit. @(^on bei beut
5lpofteI ^aulu^ finbet man biefe einfalle ^orftettung toon ©Ott
unb feinem 2ßir!en, tr>ie Qefu^ felbft fie bem ©toangelium gufolge
t)er!ünbet l^atte, nid^t mel)r, it)ie j. 33. ber Srief an bie 9lömer fo
beutUd^ geigt. ®a finben fid^ fd^on lünftlid^e ©))ecuIationen über
©Ott unb fein SSerpItnife gu ben 3Jlenfd^en, über bie ©ünbe
unb 6ünb^aftig!eit berfelben unb über 'i^a^ SSerberbnife, ba§
in bie SBelt gefommen hnxä) bie 6ünbe ber erften 3J^enfd^en»
©Ott erfd^eint aU ftrenger ©ebieter, ber unbebingt über bie
3Jlenfd^en toerfügt unb toerfügen !ann, toie eg i^m gefättt, fobafe
er nid^t felbfttoerftänblid^e ©üte unb 2kl>t geigt bem 3Jlenfd^en
gegenüber, fonbern nur toillfürlid^e ©nabe. S)iefe ©peculationen
n)ir!ten in ber folgenben 3^^^ allenthalben nad^ unb l^aben be-
fonbern burd^ Sluguftinu^ größere 2lu§bilbung erfaljren unb
mäd^tigen ©inftufe auf bie folgenben Qa^r^unberte in ber d^rift-
lid^en Sel^renttoidEelung erlangt, — nid^t eUn §um SSortl^eil ber
d^riftlid^en gumanität^tenbeng. Qnbefe immerl^in l^ielt man im
SlUgemeinen, in^befonbere in ber populären ^arftellung, aud^ an
ber ur($riftlid^en, t)om ©tifter be^ ©Ijriftent^um^ geltenb ge=
mad^ten gemütt)üotten unb ]itüi6) förberlid^en ©otte^toorftellung
feft, inbem man bie ©d^toierigfeiten, bie fid^ leidet au0 ber
93efd^affen]^eit ber 9^atur überl)aupt unb ber mcnfc^lid^en D^atur
mit ber menfd^lid^en ©efd^id)te in^befonbere bagegen erl^oben,
burd^ bie Seigre t)om ©ünbenfatte ber erften SJienfd^en infolge
ber 33erfud^ung burc^ ben «Satan unb burd^ ben SJ^isbraud^ be^
freien 3ßiEcn^, fotoie ber barau§ l^ert?orgel)enben ©rbfünbe unb
IL 2)ie ^^tlofo^^tfc^eti JBfungSberfud^e. 73
fünb^ften Steigung in ber menfc^lid^en 5Ratur erüärte. S)ur^
btefe ©rflärung l^ielt man bag f(^tr>ierige unb gefäl^rlii^e Problem
für genügenb gelöft in ber ^ird^e auf Qa^r^nberte l)inau^.
®ie ^l^eologte bilbete bie Seigre au§> unb öerfal^ fie mit atterlei
(Srüärungen unb ^egrünbungen unb au(^ bie ^l^ilofopl^ie, hk
ja o]^nei)in gu ^^eologie unb !ir(^li(j^=($riftli(5er 2e^r=2luctorität
in bienenbem ^^erl^ältni^ ftunb unb bie aufgefteEten £e^ren
eigentlid^ nur rechtfertigen, nid^t öon (^runb an§> prüfen burfte, —
hi^\z $]^iIofop^ie mufete fic^ anä) mit ber Söfung jufrieben geben.
5Dem l^errfc^enben S^^^^G^ gegenüber !onnte feine freie, tnirflid^
n)iffenfd^aftli($e ober rationale Prüfung ftattfinben, unb tPoHte
fid^ eine fold^e §ur ©eltung bringen, fo konnte fie ber gen)alt=
famen UnterbrüdEung gegenüber ni<^t auffommen. (So galt alfo
Sa'^rl^unberte l^inburd^ tl^eologifc^erfeit^ t^aS» grofee Sflätfjfel be§
®afein0 für öoEftänbig gelöft unb auc^ bie unteriDürfige ^^ilD=
fopl^ie mufete baffelbe für gelöft l^alten. @rft am Slu^gang be§
äRittelalter^ tüarb biefe§ gange Se^rgebäube einigermaßen erf($üt=
tert. ^ie§> gefd^al^ juerft burc^ ben au^ ber ©d^olafti! felbft
bert)orh)ad^fenben 6!e:ptici^mu^ unb tuxä) hie aufftrebenbe
S^aturlDiffenfd^aft, fotoie burd^ ten !ü^ner unb freier auf=
ftrebenben gorfd^unglgeift, ber burd^ 'oie lixä)li6)e Sfteformation ge=
tüedt n)urbe. S)urd^ att bieg !am aud^ bie ^l^ilofop^ie toieber baju,
fid^ t)on ber ^ird^engetoalt unb ber 5l^eologie §u emancipiren
unb in felbftänbiger Söeife über @ott unt 2öelt, Statur unb
IXebernatur gu forfd^en, um fo öiel al^ mögli(^ ta^ Söeltproblem
bur(^ bie ^raft ber menfd^lid^en SSernunft §u löfen. Unter "i^en
S^iaturtoiffenf d^aften tnar e^ guerft hie Slftronomie, meldte gur
Befreiung be§ forfd^enben (^eifte^ unb gur ©rfd^ütterung be§ feft=
gefd^loffenen ürd^lid^en Se^rf^ftem^ mä(^tig ioirfte.* 5Diefeg tüar
ja hem 2lriftotelifdf)en unh ^tolemäifc^en Söeltf^ftem, 't)a§> mit
ber 33ibel ganj im @in!lang ftanb ober gu fielen fd^ien, üott=
* <B. mein 3öcr!: „2)a8 S^rij^cnt^um unb bie ntobcrne Sf^aturteiffcn*
fc^aft" (Sien-8ei|)äig 1868), @. 21—53.
74 n. 2)ie p1)ilo^cp})i\^m 2öfungötoerfu(!^e.
ftänbig attge)?a6t. 2)ie (Srbe al§ feftftel;enber Wlittelpnntt ber
ganjeu 6d^öpfiing unb atte anbern ^immel^förper fid^ um fie
betDegenb unb tl^r, rejp. bem 3Jienfd;eugef(^led^t, bienenb, Sllleö
gufantmen ein in fid^ gefd^Ioffeneö (^an^t§> bilbenb, innerl^alb
ruelc^em, toon ber gijfternfpt)äre aU Sleufeerftem umfd^loffen, ber
^aum \iä) hilhet, iräl^renb t)xau^en, aufeerl^alb ber legten Um^
fd^liefeung, fid^ bie IXnräumlid^feit finbet, au§> tüeld^er man in ber
d^riftlid^en Se!)re ben §immel, ben 2ßo!)nort ber Seligen gemad^t
^aiU, in tüelc^em aud^ &oti felbft, tro^ feiner Slttgegenmart,
mel^r gegenwärtig fein f ottte a\§> in ber SBelt al0 feiner ©d^öpfung,
®ie beginnenbe moberne Slftronomie fprengte gleid^fam biefe^
gefd^loffene ©ange beg ÄoC^moö, entfette bie @rbe x^xex bet>or=
jugten Stellung aU 3}^ittelpun!t beffelben, geigte fie öielmef^r aB
fleinen §immel§!örper neben unenblid^ fielen anbern, ja al§
tjerfd^tüinbenb üeinen X^til be§ IXnitoerfum^, angefid^tg unenblid^
öieler unb unermefelid^ großer §immel§!örper. 6d^on baburd^
mufete bie bi^l^er bei mangell^after Äenntnife ber 2öelt ürd^lid^
feftgel^altene unb aud^ ber SBiffenfd^aft aufgebrungene Söfung
be» 3ßeItproblemg eine mäd&tige (Srfd^ütterung erfal^ren, bie nod^
baburd^ öerftärlt tnurbe, 'oa^ 'i)k ürd^Iid^e Sluctorität ber neuen
aftronomifd^en @r!enntnife, "oem Äopernüanifc^en 6t)ftem, al5
einer mit ber d^riftlid^en Sel)re unb ber 33ibel unvereinbaren,
fegerifd^en Slnnal^me, l^eftigen Söiberftanb leiftete unb fie öer^
folgte; bann aber fic^ aU befiegt, al^ im 3i^^tl;um befinblid^,
menn nid^t mit au^brüdlid^en Söorten, bod^ tl)atfäd^lid^ be!ennen
mufete, inbem fie ba^ SSerbot ber ^opernüanifd^en ^ßel^re aufhob.
2lud^ fonft erful)r ba§ ürc^lic^e Se^rfpftem (unb bie baran ge=
bunbene tl^eologifd^e SSiffenfc^aft) al^ enbgültige £öfung be§
2öelträt^felg mand^e (^efäl)rbung unb ©rfdjütterung hi^ in bie
neuefte geit l^inein, unb ertreift fid^ immer me^r al^ in mefent=
lid^en fünften uul;altbar, — h)ie mir fd^on früljer gefeiten l^aben.
S)ie ^l^ilofopl^ie ftrebte unter biefen Umftänben mäd^tig
empor unb fud^te felbftänbig, unabl^ängig toon bem ürd^lid^en
Se^rfpftem unb feiner ©lauben^auctorität, bie Söfung beö fo
bunfeln ©runbproblemö beö 2)afeing, um bag bie übrigen SSiffen^
IL 2)ic ^^Uofo^t|t[c^en ^öfungööerfud^e. 75
fd^aften in ber Siegel \iä) tüenig !ümntern, aU h)el($e e§ mit
t»en einzelnen Problemen ber ©rfd^einung^tüelt §u ti)un ^dbeUr
unb jeneö le^te tieffte Problem abple^nen pflegen, oft auä) gar
hin SSerftänbnife ntel^r bafür geigen, Jr>ie toon i(;rem ©tanbpun!te
ber @in§elit)iffenf($aften au§> aud^ eine ^Bearbeitung gar nid^t
möglid^ ift. S)ie ^^ilofop^ie aber ^at fid^ biefe 3lufgabe t)on
jel^er gefteUt, tüenn fte aud^ öon Qtit gn Seit gleid^fam in 6elbft=
befinnung immer toieber auf fid^ felbft, refp. ben menfd^lid^en
@eift (mit feiner @r!enntnipraft), fid^ rid^tete, um gu prüfen, ob
fie benn eine fold^e 2lufgabe fid^ fteHen bürfe, ob fie aud^ bie ^raft
bagu l^abe unb bie 33ebingungen ba§u gegeben finb. ^ie ^RefuI-
täte il^rer (frül^eren) gorfd^ung finb bann in bie ^lauben^f^fteme
felbft übergegangen, finb §u 3)ogmen befinirt hjorben, n^enn aud^
mannid}fad^ mobificirt, nad^bem fie in ben religiöfen Seben^frei^
be^ @lauben§ eingetreten n^aren; tüoEten bann aber be^l^alb
H)ie göttlid^e geftftettungen ober Offenbarungen felbft in abfo-
luter 2öeife gelten unb llnt>eränberlid^!eit, refp. Untjerbefferlid^s
!eit, beanfprud^en. ^ie^ mögen bie üerfd^iebenen pofitiüen S^^eo::
logien il^rerfeit» annel^men unb geltenb mad^en, bie ^l^ilofopl^ie
!ann unb barf bie^ nid^t, ba fie immer neu §u prüfen unb immer
njeiter in ber (Sr!enntni§ gu ftreben ^at, bal^er immer aud^ tia§>
mieber neu prüfen mufe, toa§ al^ göttlid^e Offenbarung in ben 9te=
ligionen t»er!ünbet unb geltenb gema(^t h)irb, ob e§ h3ir!lid^ t>on
ber 2lrt fei, bafe e§> für göttlid^e Offenbarung gel^alten toerben
bürfe, unb ob eg fo befd^affen fei, bafe e^ nur t>on @ott felbft
ftammen !önne, nid^t öon ber menfd^lic^en 3Sernunft erforfd^t su
ioerben toermod^te. — 3J^it SSeginn ber neuern geit ^at nun bie ^l^i^
lofopl^ie fid^ in freier unb mannid^faltiger äßeife an bem fraglichen
©runbproblem öerfud^t unb ©rofeeg geleiftet, loenn aud^ bie £ö=
fungen tierf(^ieben auffielen je nad^ ber eigentl)ümlid^en 9flid^tung
unb ^enlart ber gorfd^er, nad^ ben eigentpmlid^en SSerl^ältniffen,
in benen fie n)ir!ten unb ben 3^^^^^^/ ^^^ f^^ ^^ ^^9^ l^atten.
3lu6erbem ift ia 'i)a^ Problem ein unenblic^eg, toom 3Jlenfd^en=
©eifte im Saufe ber ©efd^id^te nie §u erfdfiöpfenbe^ unb ber SBe-
trad^tung t>on gar öerfd^iebenen ©eiten fällig.
76 II- 2)ie )5^Uofo^f)if^en Jötungeberfuc^e.
@§ !ann fi(^ l)ier nid^t barum ^anbeln, aUe neuen ^ljilo=
fop!()ifc^en SSerfud^e in nnferer furgen IXeberfti^t gu berüdfid^ttgen,
nur einigen ber mid^tigften foü eine !urge 33etrad^tung unb Äriti!
cjetüibmet werben. S)ie neue ^Iftronontie !)atte junäd^ft auf
einen genialen unb entM^aftifd^en ©eift in Italien, ©iarbano
SBruno (f 1600), fo anregenb gen)ir!t, bafe er eine erweiterte,
großartige SBeltauffaffung ber bi^l^erigen ürd^lid^en gegenüber
toerfud^te. S)a bie bi^ljerige 2luffaffung beg Äo^mo^, aU eine§
in fid^ gefc^loffenen, abgerunbeten ©angen burd^brod^en unb ber
SBIid in^ IXnenblid^e erweitert Warb, in ein unermeßlid^eg SöeltaH,
fo jd^ien il^m aud^ bie bi^l^erige antl^ropomorp^ifd^e Sluffaffung
@otte§ aB gu eng unb ungenügenb; bafür aber würbe freilid^
aud^ bie 33eftimmtl^eit unb Mar^eit ber ublid^en tl^eiftifd^en 2luf=
faffung verloren unb bie concreten religiöfen SSebürfniffe, wie
fie ber (Eultug gu befriebigen fud^t, inbem er fid^ an einen
menfd^enä^nlid^en, ^erjönlid^en (Sott wenbet, fd^ienen !etne 33e;
friebigung mel^r finben gu fönnen. 33runo'^ Se^re erl)ielt einen
ipantl^eiftifd^en ©^aralter, rotnn er aud^ toon ber bi^l^erigen
©ottegauffaffung unb toon ber d^riftlid^en Seigre ntoglid^ft t>iel
beigubefialten jud^te. ^a^ eigentlid^ große unb fd^wierige Problem,
wie fid) ©Ott aU öollfommenfteg SBefen unb biefe 2Belt mit il^rer
Xlnöoll!ommen!)eit unb il^ren gal^Ilofen Hebeln pl^^fifd^er unb
moralifd^er 2lrt gueinanber toerl^alten, ift nid^t in ernfte unb
ftrenge Unterfud^ung gebogen; ber ©ntl^ufia^muö l^alf barüber
l^inweg ober ließ 't)k große unb fd^were S3ebeutung bat)on über=
fe^en. Um fo ernfter unb tief einbringenber befd^äftigte fic^ mit
biefem Problem ber beutfd^e ^l^ilofopl^ ober öielmel^r ^^eofopl^
unb 3Kpfti!er 3a!ob ^ö^me (f 1624). tiefer war offenbar gu
feinen gorfd^ungen angeregt unb babei geleitet t)on bem quälen=
ben Sflät^fel, t)a§> fd^on bie alten ©noftüer fo fel^r in 2lnfprud^
genommen l^atte, warum in biefer 2öelt fo Diele Uebel unb fo
toiel S3öfeö eyiftire unb in ber 3Jlenfd^enwelt fo fel^r bel)errfd^enb
wir!e, wo^er e^ benn eigentlid^ ftamme, wenn bod^ ®ott al^
©d^öpfer unb Senfer ber 2öelt abfolut gut fei ber d^riftlid^en
©otte^toorfteUung §ufoIge. 3)a mit biefem d^riftlid^en ©otte^^
II. 2)tc ^^Uofo^fjif^cn $?ö)ungSüerfu(^c. 77
begriff e^ nid;t lüol^l öereinBar erf d^eint, bafe biefe IXebel burd^
@otte§ freien Sßitten unb tüiEfürlid^, ol^ne 5Rot^tr»enbig!eit unb
Untiermeiblid^Mt in bie 2öelt gebra($t tüorben feien, ba bie^
feine ©iite Ijätte öermeiben muffen nnb feine Tlaä)t l^ätte toer-
l^inbern lönnen, fo glaubte er bie 2öur§el unb 't^^n Urfprung
batoon in hu göttlid^e 91atur, in ba^ göttlid;e SBefen felbft »er-
fe^en §u muffen, foba^ bie SBelt fo geartet fei infolge gött-
li(^er 9fioti^trenbig!eit, bie in ber 3^atur @otte^ felbft begrünbet
fei. 3n unenbli($er, tiefgrünbenber ©eifte^anftrengung fud^t
^ül^me bieg gu begrnnben ober öielmel^r barguftellen. S)er ^ua=
li^mu^ gtüifd^en ©ott unb bem lln= ober gerabegu SBibergött::
lid^en tüarb fo in bie göttlid^e D^atur felbft, in bie göttlid^e
Smmanens verlegt. 3n ©ott felbft foH ber ©egenfa^ öon 3a
unb 9^ein fid^ finben, e^ foll in i^m felbft etir>a^ fein, toa^, ob-
iroif^l in @ott bod^ nic^t ©Ott ift, ein lXr= ober Ungrunb in
©Ott, au» bem fid^ ber perfonlid^e ©ott felbft erft erl^ebt unb
gewinnt, au^ bem aber auc^ ba§ Hebel in ber Söelt, in ber
6(^öpfung feinen Urfprung genommen. @otte^= unb 2Belt=
©nttüidelung finb bemnad^ berfelben üuette entftammt, unb finb
öielf ad^ ineinanber üerflod^ten. 60 tief finnig W Sluffaffung be^
^roblem^ ift unb gum ^^eil aud^ bie Slu^fül^rung, fo !ann man
bod^ fagen, ba§ bamit mel)r bie unenblid^e 6d^tüierig!eit be^?
felben gegeigt, al§> eine fiöfung gegeben ift. 3ö^it 3fted^t too^l
toirb in ba^ göttlid^e äöefen aud^ 'iiie Söursel ober Einlage be^
3JlaterieIIen tierlegt gegenüber ber Se^re öon ber „reinen @eiftig=
feit'', 'iiie fc^on üon Inayagora^, befonbers aber "üon Slriftotele^
ftammt, ber ©Ott al§ reinen 2lct, aU s^So;, reine gorm o^ne
alle SJiaterie (^otentialität) auffaßt unb nur al^ voO; in ber
©elbftbetrad^tung tl;ätig fein liefe. Slber biefe 3f^atur in ©Ott,
a\§> IXrgrunb ober Ungrunb auc^ be^ 3JiaterieEen, hxauä)U barum
nod^ nid^t aU 2ßur§el ober üueEe be§ pl^^fifd^en Uebels unb be§
moralifd^ S3öfen betrad;tet gu werben. Sßenn dn ©egenfa^ noti^-
inenbig ift ju bem ©nttoicfelung^procefe fotool^l ©otte^ aU ber
2ßelt, fo brandet ber ©ine ©egenfa^ nid^t aU t^a^ ^öfe, bem anbern
geinblid^e aufgefaßt gu tnerben. ^ie^ jeigt in ber 3^atur fd^on
78 n. 2)te ^^ilofo^^ifd^en i!öfungööcr|uc^e.
jener ©egenfa^, üon bem bie ©r^altung, SSerjüngung unb gort=
bilbung gerabe be^ Sebenbtgen unb be^ SSoIüommenften bebingt
ift: ber ©efd^Ied^t^gegenfa^, ber nid^t ein feinbltd^er, fonbern im
(Segent^eil ein fold^er ift, bei it>el(^em bie ©egenfä^e fid^ an=
gießen, ergangen unb eben baburd^ bie gortenttoicEelung unb 3Ser=
üottfommnung bebingen. Sßenn alfo ©ott felbft in feiner 3flatur
unb feiner ©nttüicfelung tüirüid) nad^ bem Sflaturproceg con*
ftruirt toerben foE, unb n)enn biefer felbft in ba§ göttliche 2Befen
mit feinem @nttpi(feIung^procefe l^ineinöerlegt tuirb, brandet man
nod^ nid^t ba§ SBöfe (SBibergöttlid^e) felbft aU emigen Factor
biefer ^roceffe^ auf^ufaffen, ipeber in @ott noc^ in ber SRatur.
Srgenbeine befriebigenbe Söfung be^ ^roblem^ ober eine ^xtlä-
rung beö Sßeltbafein^ ift bamit fo n?enig gegeben, bag biefeö öiel^
mel^r nur nod^ bunüer unb unlösbarer erf($eint unb bas ©efd^id
©otteS, ber 9Iatur unb bes ^enfd^en als ein unentrinnbares,
unbefieglid^eS betrachtet njerben mufe. 33öl^me )^at fid^, tüie fpäter
©(Delling, bei bem SSerfud^e, bas Unmöglid^e gu leiften in @nt=
l^üEung beS Mysterium magnum beS ^afeinS, in l^altlofe $^an=
tafti! t>erIoren hei bem hineintragen ber SRaturöer'^ältniffe in
hit göttliche ^atux, bie auf n}iffenfd^aftlid^e Geltung feinen 2ln=
fiprud^ mad^en !ann.
®ang anberer, ja entgegengefe^ter 2lrt ift ber 3Serfud^, baS 2öelt=
:probIem p^iIofo:pl)ifd^ gu löfen, ben ©pinoga (f 1677) gemad^t.
©r ift öon bem ©ebanfen ber (Sinl^eit unb beS ftrengen 2Red^aniS=
muS beljerrfd^t unb ift befeelt öon optimiftifd^er 2luffaffung beS
D^ne gmedmäfeigfeit t>or fic^ gel^enben ©efd^e^enS als eines 2luS=
brucfeS göttlid^er 3Rot^n)enbig!eit, @efe|mä^ig!eit unb 3^ernunft.
3Son ßartefiuS '^aitt er ben Dualismus t>on jmei Subfiangen,
nämlid^ ^tnttn (@eift) unb SluSbel^nung (Tlakxie) überfommen,
bie bei bemfelben als relatitoe aufgefaßt iüaren, ba er über
beiben nod^ eine abfolute ©ubftans, bie ©ottl^eit annal^m.
6pinoga bereinigte in feinem 6treben nad^ ©inl^eit atte brei
6ubftangen beS ßartefiuS in eine einzige abfolute Subftanj, bie
^ottl^eit, bie er als baS begeid^nete, toaS auS unb in fi($ felbft
ift unb burd^ fid^ felbft begriffen toirb, bie alfo Urfad^e i^rer
IL 2)te ^^Uofo^^tfc^en JöfungSöerfu^e. 79
felbft (causa sui) im <Bzin unb @r!ennen fei unb eine^ anbern
md)t bebürfe. ®en!en unb 2lu^be^nitng , 'ok §toei relatitjen
6ubftanäen be^ ©artefiu^, fa§te er aB bie strei 5lttribute ber
abfoluten 6ubftan§ auf, bie un^ attein be!annt finb (öon ben
unenblid^en 2lttributen be^ (^öttliä)en) unb hu fic^ in ben ©r-
f(^einungg= ober Offenbarung^formen (modi) barfteEen; unb
girar fo, bafe bie Drbnung unh ber 3^f^^i^^n^<ing ber 3been
(©en!en) biefelben finb, n^ie 'Dk Drbnung unb pfammen^ängenbe
SSerbinbung ber ^inge (^lu^bel^nung) (ordo et connexio idearum
idem est ac ordo et connexio rerum). ®iefe Söeifen be^ ®en=
hn§> unb ber 2lugbe!)nung fte!)en giüar mit ber abfoluten ©ub=
ftan§ in irefentlid^er 33egie]^ung, gelten au§> i^r l^erüor, tüie bie
geometrif($en (gigenfd^aften ber giguren au§> biefen folgen, aber
fie ftel^en bo(^ gugleic^ unter fid^ fo in caufalem 3^f^wmenl^ang,
ha^ nur W modi be§ ®en!en^ auf modi be^ ®en!en^ mir!en
unb 'i)i^ modi ber lu§be!)nung auf bie ber Slu^be^nung. ^on
einem SSerl^alten ber abfoluten ©ubftang ober @otte^ gu ben
3}^enf($en unb feinen B^id\aUn ift babei gar !eine Stiebe, iüenn
üuä) üon einem 3Ser!)aIten be§ 3}lenf($en pm Slbfoluten, — toa^
barin feinen lu^brud finbet, ba§ nad^ @^ino§a gtpar ber SJJenfd^
©Ott lieben fott, aber mä)t verlangen barf, ba§ @ott i^n toieber
liebe. ®a§ eigentliche, fogufagen lebenbige (SJrunb:problem ber
äöelt ift t>a im ©runbe §u einem matl^ematifd^en tobten, me(j^a=
nifc^en gemad^t, H^ man geometrifd^ conftruiren Unn. ^iefe
donftruction ift aber immerl^in auf menfd^lid^e^ 2)en!en unb
äßirfen nur in befd^ränftem Tla^^ antoenbbar. SSiele^ fügt fid^
nid^t unb iüiberfprid^t bemfelben fogar. 21E W^» nun: lüie freiet
äöoEen, 3^^<^^äfe^9^^^t ober teleologifd^eg 2Bir!en u. bgl. toirb
t>on Spinoza al^ 6(^ein unb ^äuf(^ung, al^ 2ßer! ber Si^agi^
nation betra(^tet unb bel)anbelt. 3^ (^runbe alfo ift bie gange
©rf($einung§tüelt ber modi tin (SJebilbe ber menfd^lid^en Qmagi^
nation o^m vod^xt ^zalität ober 2öir!lid^!eit. SBol^er unb tpa^
biefe Imagination felbft fei, ift freilid^ nid^t tpeiter unterfud^t.
SBenn bie menfd^lid^e SSorfteUung^toelt nur tin ©ebilbe ber
Imagination fein foE o^ne tüa^re Sftealität, bann mü^te njol^l
80 n. 2)te ^^Uofo^^ifc^cn ^löfunggücrfuc^e.
ber einzelne Mtn\^ unb ber toorftellenbe ober imaginirenbe
3Jlenf(^engeift felbft tüieber eine blofee 35orftelIung fein, ein ©e=
bilbe ber Smagination, unb e^ inäre bann bie ©pinogiftifd^e
^f)ilofopI;ie, anftatt ein ftrenger bogmatifd^er ^leali^mu^ gu 'i^in,
üielme^r nid^t blo^ erfenntnifet^eoretifd^er, fonbern au^ meta=
pl^pfifd^er Sbeali^mn^ ober öielme^r Smaginationi^mug ; unb
ta bie menfd^lid^e Imagination felbft hjieber aU (SJebilbe ber
Imagination gu betrad^ten märe, Sttufionigmu^ xn§> IXnenblid^e.*
2)ie;§ ftimmt aber feine^meg^ mit ber @runblef)re ©pinoga'^
überein, ber§ufolge bod^ hk äßelt auf etüige unb notl^iüenbige
äöeife au^ ber abfoluten ©ubftan§, au^ bem 2Befen ®otte^ l^er-
üorgel^t, tt)ie hk ©igenfd^aften einer geometrifd^en gigur au^
il^rem Sßefen folgen; ober eigentlid^ nid^t baöon bertoorgebrad^t
tnerben, fonbern bamit gegeben finb. S)a6 mit att bem ha^
gro^e Problem ber 2öelt ober be^ 5Dafeing überl^aupt nid^t ge^
löft ift, leud^tet ein. ®er SKenfd^ mit feinem gangen 2ßefen,
feinen Gräften, 6trebungen, Seiben u. f. vo, tüirb eUn auä) nur
geometrifd^, nid^t menfd^Iid^ betrad^tet unb fd^eint fein Seben,
33eh)u§tfein unb ©rfennen nur bagu gu l^aben, um fid^ mit ^e-
iou^tfein unb S^lefignation aU blofee geometrifd^e (gigenfd;aft gu
betrad^ten unb in ha§> ©ange gu fügen ober fid^ in ftoifd^er
l^atl^ie lüie $un!t, 2ink ober gläd^e in med^anifd^er Sßeife ju
üerl^alten, — toie benn ©pinoga felbft 'tii^ ©efül)le tDie fold^e gu
betrad;ten unb gu erörtern er!lärt. ©^ ift biefe ^Ijilofopl^ie
bemnad^ bod^ nur bumpfe 9ftefignation unb ^erjid^t auf alle
Söfung be§ ^lätl^fel^ be^ ©afein^, tüie fie ber gangen 9}lenfd^en=
•J^atur, nid^t bloö feiner geometrifd^en 2lnfd^auung§!raft tnU
fpred^en foll.
Slnber^ n)ieber ßeibnig. 2lud^ er ift öon bem geometrif d^en
ober matl)ematifc^en ©eift be^ 17. Qal^rl^unbert^ tjielfad^ geleitet
unb üon ber fd^roff bualiftifd^en Slnfid^t, tr>ie fie toon ßartefiu^
♦ ®. meine ©c^rift : „Ueber bie ©cbeutung ber @inBiIbung8fiaft in ber
^^ilofo^>^ie Äanfö unb ^pino^a'^" (ü«ünd^cn 1879).
II. 2)ic ^^itofo^^ifd^en 2öjung8))crfud^e. 81
ausgegangen mar, berül^rt, aber aud^, tok ©^inoga, beftrebt,
biefen Dualismus SU befeittgen unb t3oEe fuBftantiette ^in^tit
{)er§uftetten. 2lber er t^at bieS in gan^ anberer Sßeife aU ©pi=
noga, — nid^t montftifd^ nämlid^, fonbern pluraliftifd^, tnbem er
mä)t eine einzige einl^eitlid^e ©ubfiang annal^m, ber gegenüber
alle SSiell^eit unb ^erfd^iebenljeit eigentlid^ nur aU trefenlojer
6(^ein gelten lonnte, fonbern toielmel^r eine unenblid^e ^iell^eit
mefentlii^ gleid^er 6ubftansen finnli(^=geiftiger 5lrt: hk Mo-^
naben. S)aS Söefen berfelben ift i^m nid^t blo^eS ©ein, baS in
fid^ felbft befielet, tok bem Spinoza, fonbern ift i^m ^raft unb
^^ätigMt, unb §mar 3}orftettungS!raft unb 'Xf)&tiQUit, meldte
mel^r ober weniger in fid^ entinidelt finb. IXntereinanber [teilen
fie in feiner 2Bed^feItr>ir!ung, fonbern jebe ift ^in ©anjeS für
\iä) unb entlPic^elt fid^ auö fid^ C^^k 3Jlonaben ^abzn feine
genfter). S)amit ift 'i)k unfrud^tbare ©inl^eit ber 6ubftans 6pi=
noga'S burd^ ben Pluralismus unenblid^ t>ieler, inefentlid^ gleid^er
(Subftangen, 'i)k nid^t ineiter frud^tbar §u fein braud^en, befeitigt,
unb gugleid^ ber ßartefifd^e fd^roffe 2)ualiSmuS toom @eift
(Genien) unb Tlakxk (SluSbel^nung) öermieben, benn in jeber
3}lonabe ift beibeS ber 3}^öglid^!eit ober gä^igfeit nad^ grunb=
gelegt. Slber "t^k @inl)eitlid^leit beS S)afeinS unb bie Harmonie
beS SSeltproceffeS fd^eint bamit untoereinbar §u fein, bafe unenb=
lid^ öiele felbftänbige äöefenl^eiten eyiftiren, bie in gar feinem
felbfttl^ätigen 3Ser!e^r miteinanber ftel^en, bal^er aud^ burd^ hin
3ufammentDirlen ettoaS S3eftimmteS If^ertoorbringen fönnen. tiefer
6(^toierig!eit gegenüber nimmt nun Seibnig ^in ©intüirfen Lottes
an, eine präftabilirte Harmonie, bie fid^ befonberS in bem ^er=
pltnife ^toifd^en 2eih unb 6eele funbgibt, inbem angenommen
tüirb, ha^ ^a§> l^armonifd^e Sßirfen toon beiben babur($ -gerbet-
gefül^rt toerbe, ta^ hit 6eelenmonabe mit ber 3Jionabengefammt=
))tit, bie ben ^tih bilbet, öon IXrbeginn an fo georbnet fei, ha^
W öetoegungen ober 5ll^ätig!eiten beiber fid^ immer gegenfeitig
entfpred^en. (^ott ober feine üraft unb 2Bir!fam!eit erfd^eint fo
ptfäd^ft nur als baS gufammenl^altenbe unb leitenbe ^anb ber
3}lonaben; bod^ tpirb (^ott aud^ als Sd^öpfer berfelben aufge=
5rof)fd)ammer, SUJtjfterium 9J?aguum. fi
82 11- 2)ie ^^Uofo^^ifc^en JöfungSbcrfuc^c.
fa^t, aU lXr!)eber ber Söelt, ber biefe frei unb mit Ucberlegung
unb 2ßa]f)l inö ^afein gerufen l^abe. Unb l)ier nun ift bie
6teIIe, tdo Seibnij' 5>erfu(^ fic^ finbet, ba^ 2öeItproblem in be=
friebigenber äöeife ju löfen, tüie er fic5^ biefe 2lufgabe ja aud^
in einem befonbern Sßerfe ber „^l)eobicee'' geftettt ^at ^aä) i^m
l)at ©Ott bei feiner freien äßa{)l bie befte 2BeIt getoollt unb ge=
fd^affen, fo gut aU fie fein !onnte o^^ne abfolut gut, b. ^, ©ott
felbft ober ©Ott gleich p fein. 211^ 6d^öpfung !onnte bie 2ßelt
nid^t ©Ott gleid^ fein, ba fie fonft nid^t 6d^öpfung ober 2Belt n^äre ;
fie mu^te alfo enblid;, relativ, nid;t abfolut fein. SDarin befte^t
il^re metapl)^fifc^e llnt)oIIfommenf)eit, au§> tpeld^er bann hu p^t)-
fif(^e wie t)k moraIif($e Unt)oE!ommenl^eit öon felbft folgt mit
aE ben :p]()^fifc^en Hebeln, bie in ber Söelt l^errfd^en, un't) mit bem
fittli($ 99öfen, ba^ in ber 3Jtenfd^enmelt t)or]^anben ift unb au^
bem enblic^en Sßillen unb feinen ^efd^lüffen unb %^attn l^er=
»orgelet. 3^ad^ Seibnij ift alfo bie äßelt fo gut al^ fie fein
fonnte, njenn fie einmal gef($affen loerben fottte. ©leid^mol^l ift
fie \a immerl)in fd^limm genug unb !eine^tt)eg§ 2ll[e§ in il^r gut
unb öortrefflid^. ®a^ biefe SSelt bie befte fei, voiU alfo nid^t
fagen, ba§ in il)r Sitten gut unb nic^t^ t>om Hebel ober fd^led^t
fei, fonbern nur, ba^ fie fo gut fei, al^ fie fein lann. 5£)ie
Hebel irerben burd^ bie ^eljauptung öon ber beften Söelt niä)t
geleugnet unb ebenfo tüenig n)irb in bumpfer S^tefignation barüber
]^inh)eggefel)en, tpie man eth?a hzi ©pinoga'^ Dptimi^mu^ tl^un
möd^te. Slud^ finb fie nid^t burd^ bie Äraft ber (Sinfid^t unb
be^ ftarfen SBitten^ gleid^fam gu nid^te §u mad^en, tvit etn?a ber
©toici^mu^ toerfud^en mod^te. Slttein eine üoEe Söfung be^ ^ro=
blem§ ift bamit eben bo($ nid^t erreicht, benn e^ entfielt nun
tit iüeitere grage: Sßenn bie SBelt nic^t anber^ fein fonnte liegen
il^rer nof^tnenbigen ©nblid^leit, al^ fo, ba^ pl)pfifd^e toit mora^
lifd^e Uebel aHer 2(rt barin entftunben, tüarum ift fie bann iiber=
l^aupt gefd^affen unb marum foll 'iiie ©nblid^leit notl^tüenbig fitt=
lid^ ^öfeg bebingen (menigfteng ber 3)^öglid^!eit nad^j, ober menn
man batoon abfeilen Witt, marum fott ©nblid^Mt notl^njenbig
©d^merj unb (Slenb atter 2lrt im ©efolge l^aben, ba bod^ aud^
IL 2)te ^^tlofo^^ifd^en £öfung«ber|u(^e. 83
^nbli$e^ befiel)!, otjne tjon biefem gequält gu inerben, obtpo^l eS
nid^t aufl)ört, enblic^ gu fein? ^om moralif(^en Hebel ober bent
^öfen !ann ba§ P^pftf($e Hebel aud^ nid^t fommen, 'oa 'i)k gange
5Ratur, bie gange lebenbige 2Belt barunter leibet, ohtüo^ fie nid^t
bewußte SSernunft befi|t unb nx^t felbftänbiger 2Billen^entf(j^ei=
bungen fäljig ift. 60 bleiben noc^ S^tätl^fel genug ungelöft beftel^en.
2lu(^ fonft bietet \a Seibnig' ^l^ilofoipl^ie toiel ^un!le§ unb grag=
tüürbige^.* S)ie 3}lonaben felbft finb in il^rer ©yifteng ober
5ri)atfäc^li(^!eit nid^t beriefen (toa^^rfd^einlid^ auf 2lnregung burd^
^. 33runo al^ ip^potl^efe angenommen). S^re felbftänbige, in
fid^ gefd^loffene 9f^atur, tooburd^ fie für fic^ fein unb mit an'titxm
in gar Mner Söed^felmirlung ftel^en unb nid^t§ öon au^en foEen
empfangen ober na^ au^en fotten mittl^eilen !önnen, ftel^t mit
allen toaljrnel^mbaren %^at\a^tn be§ ^'^aturleben^ unb ber Tlen-
fd^en=^efd^id^te unb =:®efellfd^aft in ^i^l^armonie, bie erft irieber
üinftlid^ burc^ eine njeitere §ppotl)efe toon ber präftabilirten $ar=
monie übertounben toerben foH. ^ie D^iatur geigt t»ielme!^r im
©ro^en tüie im kleinen einen burd^gängigen S^^f^^wenl^ang,
eine unenblic^e 2öed^felh)ir!ung, fotüett toir fie in il^r betriebe in
ber ©rfd^einung^njelt verfolgen !önnen. SBir Ijaben barum mel^r
(SJrunb angune^men, bafe fie auc^ ba, ioo ioir i^r 2Bir!en nid^t
mel)r tjerfolgen !önnen, in äl^nlid^er Söeife irir!e, al^ ba§ fie fid^
nun entgegengefe^t toerl^alte. ^ie ©rgeugung neuer Organismen
ober lebenbiger Sßefen geigt g. 33. fel^r beftimmt eine fold^e 2öe(^fel=
toirlung unb maä)t bie 2lnnal)me burd^auS felbftänbiger, immer
feienber @inl)eiten ober 3Jtonaben burd^auS überftüffig, ja ungu=
läffig, inenn fie 33ebeutung ^aben foE. ©benfo geigt ba§ menfd^=
lid^e ©efd^led^t allentl)alben engften gufammenl^ang in gemütl^^
lid^er unb intettectueUer, n}ie in moralifd^er Segie^ung. ^ie 33e=
beutung unb 3lufgabe ber ©rgiel^ung ift bar auf gegrünbet, "i^a^
iin (^eift (3)lonabe) auf ben anbern irirfen Jonne, ioie im ©e-
mütl)§leben bie 6eelen in SBed^felirirlung ftel^en in 6^mpat^ie,
@. meine ©c^rift: „3}ionaben unb 2öclt^^antafie" (^Künc^en 1879).
6*
g4 II- 2)ic ^^iIo[o^)^i[{!^cn SBIungööerfut^e.
SlntipatT^ie unb ben öerfc^iebenften ©efül^Ien. 3n moralifd^cr
33e3ie]^ung enblid^ ift e^ gerabegu unftattl^aft, bafe fi(^ bie 3}len=
fd^en iüie abgefc^loffene 3)lonaben t>erl^alten, bie einanber nid^t^
angelten unb bereu Söec^felbesiel^uug, tr>euu je eiue ftattfiubet,
il^ueu uur burd^ eim präftabilirte ^armouie augetljau ^zin foE, —
Jüobei uod^ uuerüärt bliebe, ir>oI)er ba§ SSer^ältuife ber ^i^l;ar=
mouie giüifd^eu it)ueu ftamute. ®ie Seibuiä'fd^e Seigre toou ber
befteu SSelt uub beffeu ^l^eobicee fiub alfo giüar al§ bebeuteube
33eriu($e auäuer!euueu, ba^ IXebel be^ ^afeiu^ gu erüäreu unb
mit ber tl)eiftif($eu 6($öpfung^lel;re, mit ber Slnnal^me in ©in=
flang 5U bringen, bafe biefe 2Belt tro^ il^rer UuüoEfommeui^eit
bennod^ ba^ 2ßer! eine^ abjolut öoEfommenen, guten unb ge=
redeten 6(^öpfer^ fei; aber gelöft ift "oa^» fd^trierige Problem
au6) baburd^ nod^ !eine^it)eg^ unb ber ^effimi^mus unb 5ltl^eig-
mu:S baburd^, ipie belannt, feinesipeg^ pl^ilofo:pl)ifd^ unmöglid^
gemad^t.
dla^ Seibnij !ann gunäd)ft ^ant bei bem gunbamental^
Problem be^ S)afeing in ^ctxaä^t fommen, benn ^erfelei;'^
Qbealigmu^ bebarf in metapl^pfifd^er Segie^^ung !aum einer näl)ern
Sürbigung. ^l)eoretifd^ ^at ^ant eigentUd^ baffelbe t»oEftänbig
abgele^^nt unb al» für bie menf^lid^e S^emunft ober ©rlenntnife-
!raft ungugänglid^ erflärt, al^ tüeld^e e^ ja nur mit ben @rfd^ei=
nungen unb bereu ^Sejiel^ung gueinanber gu tl^un l^aben foE.
^raltifd^ atterbingg, b. ^. für bie fog. pra!tifd^e SSernunft, ^at
er bod^ einigermaßen eine Söfung üerfud^t auf @runb ber mora=
lifd^en D^atur be^ 2)^enfd^en, be^ 6ittengefegeö in i^m, baS fid^
im !ategorifd^en Qmperatiö anfünbigt unb geltenb mad^t. S)er
irbifdje Qwed be§ 3Jienfd^enbafein^ befielet nac^ iljm nid^t barin,
ta^ er glücflid^ fei in biefem Seben, fonbern ha^ er feine ^flid^t
erfüüe, t)a§> fittUd^e (SJefefe rein um beö (S^efe^eg unb ber ^flid^t
tritten, nid^t aug irgenbeinem anbern ©runbe äufeerlid^er ober
felbftfüd^tig irbifd^er 2lrt. greili(^ muß bod^ aud^ biefe reine
'4>flid)terfüllung noc^ einen toeitern 6inn unb S>^ed l^aben, nid^t
ten ber blofeen Unterlperfung, aU tpäre biefe ©elbft^loedf unb
bebürfte eine» ix»eitern nid;t. S)ie^ füfjrt nun ^ant bod^ toieber
II. 2)ic ^j^ilofo^^ifci^en ^öfungööerfud^e. 85
ba!)in, au^ in einem iDeitern ©afein be§ 3Jlenf(^en ein errei^*
bare§ 3^^^ 5^ poftuliren, eine S)afein§fornt, in melier bie innere
(fittlid^e) Säefd^affenl^eit mit bem gangen S^afein^guftanb in §ar=
monie fei, b. 1^. in n)el(^er ber fittlic^en 3SoE!ommenl^eit and^
tin t)oII!ommener, befeligter S^ft^^^ entfprec^e. ©in ^oftnlat,
mit iüelc^em gngleid^ §tt)ei anbete angenommen tüerben muffen,
nämli(^ bie gortbaner nad^ bem leiblichen ^obe ober bie Un^
fterBli(^!eit ber 3Jlenf$enfeele nnb ba§ ©afein ©otte^, ber allein
jenen :^armonifd^en 3^ft^^^ ^erbeifii:^ren !önne. äöarnm aber
biefer glniJli^e gnftanb an fo f(^n?ere Sebingnngen gefnüpft
fei toom 6(^öpfer, irie fie biefe^ ©afein für ten 2Renf(^en
bietet, mit att biefen Seiben unb ©efal^ren, iüenn eg bo(^ aud^
anber^ Ijätte fein !önnen bnrd^ (^otte§ Wlaö)t, ift bamit nid^t er=
!annt unb nid^t !larer gemad^t aU eg gut^or n3ar. — 3- ©• Sitzte
fte^t im Sßefentlid^en auf ^ant'^ 6tanbpun!t in 53e§ug auf bag
SSeltbafein unb bie eigentlid^e Slufgabe beö 3Jlenfd^en. 6ittlid^e
SSert)olI!ommnung ift bie Slufgabe be^ 2Jlenfd^enlcben§, bie burd^
^flic^terfüEung realifirt ipirb, unb bie finnlid^e SBelt ift nur
©d^auplal unb 3Jlaterial für bie Erfüllung ber fittlid^en ^flid^ten
für bie 9)^enfd^l)eit. ©a§ §öd^fte, ©öttlid^e für ben 3}lenf d^en
ift bie fittlic^e Sßeltorbnung, au§ ber bie ^fli(^ten ftammen unb
bie 3U tiottgiel^en ift. ©er gid^te'fd^e 3beali§mu^, ber nid^t blo§
ein erfenntnifet^eoretifd^er, fonbern aud^ metap^pfifd^er ift, ftimmt
freilid^ bamit nid^t ganj überein — tüenn ba^ Qd^ fid^ felbft
unb ba^ ^i^ii^ {ha§> Slnbere tiom 3d^, ba0 Dbjectiüe) fe^t, fo
mufe iDol^l aud^ bie fittli(^e SBeltorbnung felbft batoon gefegt
tt)erben unb biefe ^at bann bod^ nur einen fubjectiben ß^arafter.
3ft biefeg ^d^ aber aU allgemeine^ ober abfoluteg 3d^ auf§u=
faffen (toaä mit gid^te'^ Slnfid^t t>on ber Unmöglid^!eit eine§
^erfönlic^en Slbfoluten nid^t inol^l übereinftimmt), bann ift boc^
auger ber fittlid^en Söeltorbnung noc^ ein 2lnbere§, ba§ eigent^
lid^ ba§ §öd^fte, ©ntfd^eibenbe ift — no(^ über ber fittli^en
Söeltorbnung.
©d^elling, gmar t>on gid^te au^gel^enb, tierlieg bod^ be=
fanntlid^ balb beffen einfeitigen tranöfcenbentalen ^beali^mu^
86 11- 2)ie ^^Uo|o^)^tfd^en 2öfung«öcr|u(^e.
ober fügte biefem bie D^aturpl^ilofopl^ie l^in§u, beibe t)ereinigenb
im gbentität^f Aftern, in treld^em na6) 6pino§iftifd^er 2lrt au^
ßinem Urtpefen ober ©iner ©ubfianj öon no(^ inbifferenter 2lrt
gtoei @rf^einungg= unb (Snttoi(felung^rei^en l^ertorge^en, bie
realiftifd^e unb ibealiftifd^e, bie \iä) einanber entf^rec^en, toie
hei 6pinoga bie modi be^ ®en!en§ unb bie modi ber 2luä=
be^nung ber beiben Slttribute ber ©inen abfolutcn Subftang.
60 loarb bie 2öelt ber S^latur unb be0 (S^eifte^ conftruirt aug
bem 2lbfoIuten, aber ba§ eigentlid^e 2)afein§problem, ba§ 33er=
l;ältni6 be^ Slbfoluten jur SJlenfd^ennatur mit il^ren Gräften
unb S^ß^ß^/ 'i'^^ß^ ©trebungen unb Reiben, !am babei nic^t
eigentlid^ in ^etrad^t. 93alb inbefe fanb ©d^etting felbft burc^
biefe 2lrt t»on ^^ilofop^ifc^er (rationaler) ßonftruction, bie nur
in abftracten, leblofen gormein fid^ beioegte, fic^ nid^t me^r
befriebigt unb er [teilte ]id) ^^rit tiefere Slufgabe; bie nämlid^,
bie 33ef(^affen]^eit ber Statur überl^aupt unb bie be^ 3J^enfd}en
in»bef onbere in i^rem ^erl^ältnife gum 2lbf oluten ober ^ur ©ott=
l^eit gu erforfd^en, ba^ Söol^er unb 2öarum biefer 2ßelt mit il^rer
^efd^affenl^eit §u er!ennen, alfo jene grage pl^üofopl^ifd^ ju be=
anttoorten, ioeld^e ^ie S^leligion ftet^ für ben ©tauben beant=
ioortet unb beftimmt ^ai, — toie mir fallen in öerfd^iebener,
aber !einegmegg befriebigenber 2Beife, ba ©otteSbegriff unb 2öelt=
^Sefd^affenl^eit babei fo toenig in Harmonie erfd^einen. ©d^etting
fd^lofe fi(^ bei biefer gorfd^ung l^auptfäd^lid^ an Sai^ob S3öl^me
unb jum %^ti\ auc^ (xn ben alten ©noftici^mu^ an, verlor fid^
"üo^bti in ^l^antaftifd^e (s;onftructionen, in benen er ©ott mit
feinem ßeben^^roce^ unb bie Söelt unb äJ^enfd^^eit mit i^rer
©nttüidfelung miteinanber t»erbanb unb öermifd^te, unb bie menfd^*
Ud^e 9leligion§entn)idelung ju einem tl^eogonifd^en ©nttoidelung^-
procefe geftaltete. 3)ag über!ü^ne S3eftreben, ba^ gange 2)afein
big in feine legten göttlid^en unb menfd^lid^en @el)eimniffe gu
ergrünben, lie§ i^n bie SSal^n beg Haren, fidlem S)en!eng üer-
laffen unb fid^ in un!lare ^id^tungen unb unbetoei^bare 2luf:=
ftellungen t)erlieren. ®a^ er in )iCi^ Slbfolute nad^ S3öl;me'g Sßor=
gang aud^ bie Söurjel ober ©runblage be^ materieEen 6eing
IL 3)ie ^^tlofo^^ifd^cn SöfungSöerfud^e. 87
t^erlegte, !ann n)ol^I aU not^n?enbige§ ^oftulat gelten (it)ie bie§
aud^ bei Dem ^l)iloiop!)en ^aaber ber gatt tft), aber feine
treitern ßonftrnctionen naä) bem 35organge S3ö^me'g fönnen auf
miffenfd^aftlid;e ^ebentnng leinen 2lnfprnd^ mad^en unb bringen
auä) tüeber rationale nod^ ibeale 2luf!lärung über ba§ Mysterium
magnum biefe^ 5Dafein^, mad^en toielmel^r baffelbe nod^ bun!(er
aU e§> f($on ol)ne^in ift, infofern ©Ott felbft aB leibenber gactor
in ben ^roce§ be^ Sßeltgefi^el^eng öerflod^ten erfc^eint, — fobafe
bie S3egriffe r)on (^ott unb 2ßelt ^ugleid) i^re Sebeutung, i^ren
flaren 6inn verlieren. — §egel l)at fi($ ä^ar toon biefen fub^:
iectiten ^^antafiebilbungen frei gel^alten, unb bafür eine logifd^e
ober bialeltifc^e ßonftruction be§ 5Dafein§ au^ ber ©elbftbeiüegung
ber S3egriffe, au^ bereu (Segenfa^ unb fid; 2luf^eben t>on gloei ent=
gegengefejten berfelben in einen britten mit neuem ©egeufa^ u. f. f.
eingefül^rt; — eine S)iale!ti!, bie nid^t blo^ ben logifd^en ©ang
be§ ^afeing in 9latur unb ©efd^id^te barfteHen fott, fonbern
§ugleic^ ha§> SBefen ©otte^, h)ie e§ an fid^ ift, abgefel^en t>on
ber 2öelt unb bem enbli(^en ©eifte. 5lber biefe bialeftifd^e (Son=
ftruction gibt feinen lt)ir!lid;en Sluffd^Iufe über 'Da§> „Söarum",
über ben 6inn unb bie ^ebeutung be§ S)afeing, iüeber beg gött=
lid^en noä) be§ menf($Iid^en. 6elbft tpenn fie gan§ richtig ift,
erfäl^rt man nur t^a^f 2ßie, ben logifc^en ober mec^anifd^en SSer-
lauf be^ 9^atur= unb ©efd^id;tgproceffeg, aber ein ireitere^ 3Ser=
ftänbni^ beg Qn^alt^ batoon mirb un^ nic^t gu S^eil. ^a§
^erl^dltni^ ber leibenöoHen unb fo oft üernunftlofen, unlogifd^en
©nblid^feit gegenüber bem 2lbfoluten, 'oa^» lauter Sl^ernunft, b. f),
Sogi! ober ®iale!ti! fein fott, bleibt un^ bun!el unb üottftänbig
unbegriffen, befonber^ begüglid; be^ ©emüti^^lebeng unb beö fitt=
liefen ^erl^alten^ im 3}lenfd^enbafein. — 2Bir looHen nac^ biefen
nur nod; einen SSertreter ber neueften gur 3Robefad^e geiporbenen
(peffimiftifd^en) ^:^ilofo^l)ie furg in ^eixaä)t ^k^tn: 21. Sd^open-
l^auer, ben f(^mä^füc^tigen, fanatif d;en ©egner ^egel'^ unb
aller übrigen ^^ilofoipl^en ber S^eugeit mit 2lu§nal)me ^ant'§.
dx glaubt belanntlid^ ba§ grofee Sßelträt^fel baburd^ gelöft, bag
tieffte 3}l^fterium beg ^afeing baburd^ entpUt gu l^aben, ba^
88 n. 2)tc ^)MIo[o^^i|c^en $?öfung8toer[uc^e.
er ben Blinben, bummen Sßillen jum Sßeltprincip unb sunt
todf)xcn Söefen aUe§> ^afeinö maä)t unb bie 2öelt peffimiftif^
für grunbfc^Ied^t erüärt, für fo fd^Iec^t, bafe fie nur eben be=
ftel^en !ann, unb bafe e§ beffer inäre, tüenn fie nic^t eyiftirte,
aU 'üa^ fie toor^anben ift. ©ine Sßeltauffaffung, bie eigentlt(j^
fein 2BeIträt^feI, ba§ gu löfen tüäre, me^r übrig läfet. ®enn
wenn ber Sßeltgrunb blinb unb bumm ift, fo ift barin it>eiter
ni$t0 ntel^r §u er!ennen unb ift auä) eine ©rfenntnife barum ni(^t
nrögtid^, ireil feine ©rfenntniPraft au§> biefem ©runbe ]^ert>or=
ge^en fann unb fonnte (aU burd; {jtexaßaaic d^ aXko^hoQ ober
burd^ tim 2(rt generatio aequivoca), felbft nic^t fo tiiel, um gu
erfennen ober §u beurtl)eilen, ba§ ber Söeltgrunb blinber, buntmer
SßiHe fei. 2ßa§ barau^ l^ertoorging, fann feine 33ebeutung l^aben
unb fein SSertrauen t»erbienen. Söo^er bie SSernunft, au§ iDeldjer
bo(^ bie SBiffenfd^aft unb bie ^]^iIofop!)ie felbft ^ert>or§uge:^en
l^at, bei fold^em ©runbprincip fommen foll, ift ni(^t abjufe^en
unb felbft ha§> ift babei unbegreifti^, n?ol^er anä) nur ba^ Seiben,
bag 5um ^effinti^mu^ Slnlafe gibt, ftammen foH, ba Seiben eine
Störung be^ 0lormalen, 6einfolIenben, Sbeegemäfeen öorau^fe^t,
ba^ unmöglich au^ einem blinben, bummen, betou^tlofen Ur=
lüefen abgeleitet iüerben fann. ^§ ift unnötlf^ig, tneiter l^ierauf
einjugel^en.*
Heberblicfen tioix nun ben SSerlauf unb ba§ S^efultat ber
p^ilofop'^ifd^en ©nttüicEelung (im 2lbenblanbe), fo geigt fid^ un^
atterbing^ aud^ fein fel)r jufriebenfteHenber ©rfolg bejügli(^
be^ großen ©runbproblemg be^ 3)afeing — toenn aud^ immer=
l^in ber SSerftanb babei mel)r 33efriebigung finbet aU burd^ bie
Sfieligionen unb i^re gefd^id^tlid^e ©ntmitfelung, bie il^rerfeit^
burd^ concrete SSorftellungen für ©emüt^ unb SBillen mel^r S3e=
friebigung unb SJlotitoe getoäl^ren. 2öir fönnen fagen: ©ering
erfd^eint ber ©rfolg ber p]^ilofo:p^ifd^en gorfd^ung, n^enn irir
* @. meine 51b^anblung: „SBide ober ^^antafie?" in ber 3«itid()rift
für ^^ilofo^^ie unb ^^itofo^^ifd^e Äritif (^atte 1885), 33b. 86.
, IL S)te ^^itofop^ifd&cn Söfmtgööerfud^c. 89
auf bag Milien, tüa^ nid^t erfannt, ntd^t gur ©enjtfel^eit gebrad^t
iüorben ifi, aber immerl^in bod^ gro§ unb bebeutenb, menn mir
in S3etrac^t giel^en, au^ tüelc^ untooUfommenem geiftigen S^ftanb
bie n)iffenf(^aftli(^e X^tig^hit bie SSöüer l^erau^gebrac^t l)ai
nnb mit iüelc^en ©d^tnierigleiten unb felbft ©efa^ren fie babei
gu fämpfen l^atte. S^id^t blog tieffte Uniriffenl^eit in 33egug auf
hk D^atur, bereu ©egenftäube unb 3Serl^äItniffe unb gröbfte
Söa^ngebilbe in S3egug auf Uebernatur unb ©öttlid^eg Tratte fie
gu übern^inben, fonbern auc^ beftänbig um i^re ©jifteng unb
S3ered^tigung gu !ämpfen gegen bie SSertreter ber lXntt)iffenl)eit
be§ 3Sol!eg unb ber religiöfen Söa^ngebilbe, bie fid; mit ber
9^aturbetrad^tung innig toerbunben l^atten unb bie rationale
(grforfd^ung unb ©rüärung berfelben aU Eingriff auf bie 9leli=
gion erf(^einen liefen. Sogar mit ben eigenen gorfd^ung§refuI=
taten ^atte unb l^at bie ^l^ilofopl^ie gu lämpfen, infofern näm=
li(^ bie frühem p^ilofopl^ifd^en 2lnfid^ten ober Slufftettungen
in§ Gebiet ber religiöfen Se^ren aufgenommen unb in ©lauben^=
fä^e für ba^ populäre religiöfe 33en)ufetfein t>ertr)anbelt trurben, —
iDie hk§> §. 35. bei mand^en !ird^lid^=c^riftlid^en Dogmen ber gatt
ift, bie nun ha§> ftär!fte §inberni^ freier iüiffenfd^aftli(^er, in^=
befonbere p'^ilofopl^ifd^er gorfd^ung bilben.
S)er SSerlauf ber gefc^id^tlid^en ©ntinidelung ber ^^ilofop^ie
ift §tüar lein ftreng logifd^er, etiüa nad^ beftimmten Kategorien
in ftrenger notl^irenbiger 2lufeinanberfolge fid^ abfpielenber, aber
bod^ aud^ hin gufäEiger unb perfönlid^ unb fad^lid^ tnittüirlid^er.
5Da^ ©runbproblem tüurbe nid^t in regelmäßiger, gleid^förmiger
9flei^enfolge §um ©egenftanb ber gorfd^ung gemad^t, fonbern
t>on tierfd^iebenen ©eiten betrad^tet, t>on toerfd^iebenen @tanb=
pun!ten au§> in Eingriff genommen je nad^ Begabung, 3flid^tung
unb Irt ber ^^ilofopl^en, bie fid^ bamit befd^äftigten. S)aburc^
entftunben im Saufe ber Qüt toerfd^iebene pl)ilofopl^ifd^e 9iid^=
tungen unb ©pfteme, bie man ber ^l^ilofopl^ie fo fe^r gum ^ox-
inurf mad^t toon ©eite il^rer Gegner, inSbefonbere 'oon Seite ber
Vertreter be^ religiöfen ©lauben^, — al§ ob bie @laubeng=
Eid^tungen unb -©^fteme nid^t nod^ tneit mel^r ^erfd^ieben!()eit
90 II. 3)ic ^^UofoV^if(f)en 2ö)ung8t»er[uc^c,
UTib fogar geinbfd^aft !unbgäben aU bie ^l^ilofopl^ie mit t^ren
3^erfd^iebenl^etteu! 2)iefe toerf($tebenen p!)iIofop:^ifc^en ^iid^tuugeu
^eben fi($ nid^t gegenjeitig auf unb üernii^teu fid^ ni(^t gegen-
feitig, fonbern ergangen fic^ öielmel^r, menn fie aud^ im Slnfange
fid; aU ©egenfä^e gueinanber t}erl;alten. ^ie öerfd^iebenen
9^t($tungen iüerben nad) einiger 3^^^ ^^$ ^^^^^^ l^altbaren
3)iomenten gur ©inl^eit öerbunben, tr>ie bie^ g. ^. burd^ 5lrifto^
teleg in ber gried^ifc[;en ^^ilofop^ie, burd^ X^oma§> üon 5lquino
mit ben mittelalterlid^en 9iid^tungen gefc^alf). ^on biefen SSer:=
einigungspunften au§ beginnt bann tt)ieber ©(Reibung in t)er=
fd^iebene 9tid^tungen, je nac^ 33ebürfni§ ber S^xt ober befonberer
9^eigung ber gorjd^er, t^a nid^t alle 3Komente auf einmal gort=
bilbung finben !önnen unb bal^er getüiffe (^infeitig!eiten unöer-
meiblid^ finb. Iber fie bilben barum nod^ nid^t untoerfö^nlid^e
©egenfä^e, fonbern ergangen fid£) gegenfeitig. S)arum !ann man
nid^t bel^aupten, bag bie pl^ilofopl^ifd^en ©pfteme gegenfeitig auf=
lieben, einanber toernid^ten, fobafe bie (^efd^ic^te ber ^l^ilofopl^ie
e^ nur mit 2ei6)tn ober Seid^enfteinen ber ©^fteme gu t^un
^aU. 2öie unrid^tig "ou^» fei, gel^t fd^on barau^ l^erüor, ba§
frühere 6i;fteme, bie eine 3^^^ ^^M unbead^tet ober tüenigften^
ol)ne bebeutenben ©influfe auf bie pl^ilofopl^ifd^e ©ntmid^elung
tparen, h)ieber aufleben unb grofee 2Bir!ung ausüben, iüie bie^
g. 33. bei ber ^^ilofop^ie be§ älriftotele^ im 3}iittelalter, be§
^laton in ber Seit ber Sflenaiffance, be^ 6pinoga am (^nbe be§
tjorigen Sa^rl^unbert^ unb mit ^ant in ber ©egeniüart gefd^a^. —
'^aUi ^ai bie p^ilofop:^ifd^e ©ntmidelung nod^ bie^ tor 'iicn bog^
matifc^en Dfteligion^f^ftemen üorau^, ba& biefe legtern, tüeil fie auf
abfolute ©ültigfeit Slnfprud^ mad^en unb Unterwerfung be^ 3Ser:^
ftanbeä (Sacrificium intellectus) forbern, o^ne eine eigentlid^e ^rü=
fung guplaffen, fid^ für untoeränberlid^ unb alfo unöerbefferlid;
erflären, alfo ftel^en bleiben iroUen. Stehen bleiben mitten in ber
55eränberung alle^ Uebrigen im geiftigenSebcn burd^ bengortf^ritt
ber Söiffenf^aft unb i^re altüberfommenen, im £id^te früherer
SBiffenfc^aft feftgefteüten £e^ren burd^au^ feftl;alten unb ^tn Mtn--
fd^en, aud^ ben gebilbeten, aufjuänjingen fud^en, — föaö bei ber
IL 2)ie ^^itofo^^tfd^en üöfunggijcrfud^e. 91
?P^ttofo^^ie mä)t ber gaE ift. 3)a^er ift aud^ 3^«^9 ^«^ ^^^=
folgung fcei biefer au^gefd^Ioffen unb jebeg ©Aftern !ann nur auf
fo tiiel ©eltung Slnfprud^ mad^en, aU bie ©rünbe unb 33etr»eife
bafür mert^ finb unb folange fie ber ^riti! 6tanb l^alten. 3n ber
p^ilofo:p{)ifd;en @ntmi(felung ge^^t bal^er immer bie ^riti! beS U^^
l^er 33e]^aupteten §anb in §anb mit ber gorfd^ung nad^ neuer @r=
fenntnife unb nac^ 3Serbefferung ber bi^^erigen Stefultate. ^on
3eit SU Seit fte^t fogar ba§ p^ilofoip^ifd^e S)en!en gleid^fam öor fid^
felber ftitt, um fid^ in 33e§ug auf feine S3erec^tigung unb Sf^uv-
läffigfeit gu prüfen unb fid^ felbft gu !ritifiren, \a ganj in grage
äu [teilen, ^er 6!eptici^mu^ ober inenigfteng ^ritici^mu^ tritt
t>on 3eit p 3ßit auf aU ^ritüer unb Gegner be§ Dogmatismus
unb jtoingt gu erneuter Prüfung, fotool)! ber bisherigen ir>ir!=
lid^en ober nur fd^einbaren p^ilofop^ifd^en ©rrungenfd^aften, \a
§u erneuter Prüfung beS pl^ilofopl^irenben ^eifteS ober ber 35er=
nunft felbft, ob fie aud^ fo geeigenfi^aftet fei, 't)a^ fie bie ge=
fteHten pl^ilofopl^ifd^en Probleme löfen !önne. 60 tann W
^^i^ilofop'^ie nid^t auf ftarre ^Dogmen ausgeben, bie ben SJlenfd^en
burd^ IXeberrebung beigebrad^t ober mit ©etoalt gum ©lauben,
b, ^, 2lnnel^men ober ©eltenlaffen, aufgebrungen trerben fotten,
tüie bie (BlaubenSfä^e ber pofitiüen SfteligionSfpfteme unb ^irc^en,
fonbern i^re 2luffteEungen bürfen unb muffen immer iüieber neu
geprüft Serben, ob fie aud; mirflic^ SBal^rl^eit feien, ob t)ott=
ftänbig ober nur tl^eiltoeife ober burd^aus nid^t. Die ^l^ilofop^ie
!ann bal^er aUerbingS nid^t toie SJiat^emati! unb eyacte ^flatur^
miffenfd^aft eine 6umme üon für immer gültigen 6ä^en un'D
gormein auffteUen, bie einmal getüonnen, nii^t mel^r in grage
geftellt trerben !önnen, unb bie unter allen (S3efid^tspun!ten gleid^
bleiben, foba§ auf i^nen fid;er weiter gebaut ioerben fann, —
ein ^erfal)ren, t^a^» bei fo gan§ anberS geartetem @r!enntni§=
(i^egenftanb bie pofitiöe ^Ll^eologie nad^al^men toitt unb baburd^
fid^ felbft gur lXnfrud^tbar!eit öerurt^eilt. Die ^^ilofop'^ie aber
gewinnt feine Dogmen, bie blos geglaubt, nid^t erlannt tnerben
lonnten ober bürften, unb fie fann- feine Sluctorität aufftetten
ober anerfennen, fonbern fie mu6 immer tt>ieber in grage [teilen,
92 II. 2)ie Vi)tIoi*o^^ijd^en ?öfung8öer[uc^e.
mnfe immer neu prüfen nnb getüiffermafeen toon toorn anfangen
unb Bei il^ren gorfd^ungen unb ©arfteUungen aUen ^tefultaten
ber fortfc^reitenben 2öiffenf$aft 9ted^nung tragen, um Qrrtl^ümer
ju üljertrinben unb Söa^^rlfjeit ^u getüinnen unb feftsufteEen.
©0 ift fie niemals fertig, nie im tooHen Sefi^ ber äöal^rljeit
(im fa(^Ii(^en 6inne) im gefdf)i($tli(^en, geiftigen ©nttridelungg^
^roce§ ber HJlenfd^l^eit; aber fie ift bod^ immer Söa^r^eit, h)0
fie ernfte^, aufrii^tige^ Streben nad^ Söal^rT^eit ift; fie ift aU
foI(^e§ Streben lebenbige SBa^rl^eit, au(J iüenn fie irrt,
mä^renb ber, n)el($er im Sefig ber ir»ir!lid^en SQßal^r^^eit ift, bie=
felbe bod^ nid^t befijt, toenn er fie bIo§ med^anifd^ feftl^ält, oljM
\\ä) t)on il^r beleben unb bel^errfd^en gu laffen, — äl^nlid^ iDie
berjenige ^iitii^ gut ift, ber mit aufrid^tigem ^ergen feinem
@eir>iffen unb beftem 2öiffen folgt, auä) n)enn er fid^ in fad^Iid^er
33ejiel)ung im Qrrtl^um befinbet ober einem irrigen ©etniffen
golge leiftet.
3m golgenben mag nun ber 3Serfud^ gemad^t n)erben, ba§=
jenige barguftetten, ma§ im gegentoärtigen ©tabium ber geiftigen
©ntiüidf elung , begüglid^ be§ 2lbfoluten aU fidlere ©rlenntnife
gelten lann, unb bann, \Da§> begüglid^ ber $erfönlid^!eit be^
Slbfoluten ober (Sottet mit mel^r ober weniger gutoerläffigleit
fid^ beftimmen lä^t, — alfo tva§> man gur Söfung be^ ©runb=
^roblem^ be0 ^afein^ mit me^r ober iueniger ©id^erl^eit ip^ilo-
fop^if(^ behaupten !ann.
III. Srfenntni^ be8 SlBfoIuten unb abfolute (grfenntniB u. f. n?. 93
IIL
Crkennini^ Us Mfolnitn unb abfolute
frkenntni^. Die göttUdje $)erf8nUd)keti.
3Sä^renb bie S^leligtonen ba^ §ö(^fte, 'ok entf($eibenbe Ttaä)t
beg ^afeing in SSe^ug auf @jiften§ unb ©efi^tcf beffelben —
allentl^alben aU perjönlii^e, aU Betrübte, benfenbe unb trirlenbe
Söefenl^eit betrad^ten, aU ©Ott ober ©ötteiv mit benen bie 3Jienfd^en
burd^ ben ^ultu^ in SSetfel^r gu treten fud^en, — l)at bagegen
t)k ^^ilofopl^ie il^ren SSerfud^ ber natürlichen 2Belter!lärung,
mie n)ir fa^en, mit einem unperfönlid^en IXrprincip, nod^ bagu
einem ganj materietten begonnen unb einige ä^it l^inburd^ fort=
gefegt. Un'o auä) al§> fie gur ©eiftigMt 'i)k\e§> ^xindp§> i)or=
gebrungen unb baburd^ mit bem religiöfen ©lauben in näl^ere^
SSerl^ältnife trat, unb aU fie burd^ S^erftanbe^forfd^ung pr Sin?
na^me eineg perfönlid^en ©otte^ !am, tr>ie in ber 9ieligion burd^
^l^antafiet^ätigleit mit i^rer concreten (perfonificirenben) ^iU
bung^mad^t fid^ ber Glaube an ©Ott ober ©ötter ober überl^aupt
übernatürlid^e geiftige Wlä^U \\ä) gebilbet unb enttüidelt l^atte, —
aud^ bann nod^ iüurbe !eine unbebingt gültige, unerfd^ütterlid^e
©rfenntnife errungen, tro^ aller ^emonftrationen für ^afein
unb (Sigenfd^aften ©otteg. ®ieg Problem ift nod^ immer ber
2öiffenfd;aft gu löfen gegeben, befielt in biefer ^e^iel^ung nod^ fort,
tnenn aud^ in ber Df^eligion burd^ ben ©lauben '^a§> S)afein unb
2öir!en eine§ perfönli(^en ©otte^ feftgel^alten tüirb. 2ßa^ bie
SSiffenfd^aft, in^bejonbere bie ^^ilofop^ie enbgültig unbebingt
©etniffe^, 6id^ereS errungen ^at, befd^ränft fid^ auf W aKge^
meine 2Befen^ftig!eit ober 6ubftantialität , bie allgemeinen
©runbgefe^e unb ©runbprinci^Dien be^ 6eing unb ©efd^el^ens
in biefem S)afein; auf fold^e^, 'i)a^ nur im S)en!en erfaßt unb
al§> iDefentlid^, al^ not^tpenbig unb einig, al^ nid^t nid^tfeienb
unb nid^t nid^tfeinlönnenb geiftig gleid^fam gefd^aut, nid^t aber
94 ni. @rfcnntni§ bc8 3li6fo(utcn unb abfolute @rfcnntni§.
mit ©innen n)at)rgenommen unb ni^t bur^ (Srfal;rnng entf(^ieben
n^erben !ann, tt»enn auä) burd^ biefe ba§ @r!ennen batoon an-
geregt nnb ermöglid^t iüirb. ^ie finnli(^e ©rfa'^rung in ber
©rfd^einungStpelt !ann \a liberl^aupt, tok ^ant fo fe^r betont,
!eine allgemeine unb notljiDenbige Urtt)eite ober @r!enntniffe ge=
iüä^ren, fonbern tk^e lönnen nur au6 bem ben!enben Reifte gelber
lommen, unter 2lnregung aUerbingg ber ©rfa^rung. ^ie ©inne
!önnen iDol^l fi(ä^ere, tva^xe @r!enntni§ getüäl^ren, @r!enntnife
be^ Söirüid^en, %^ai\ä^lxä)tn, aber feine abfolut fii^ere, tpeil
bie ©inne (au^ objectitoen ober fubjectiöen ©rünben) täufd^en
!önnen, unb gen)äl^ren feine not^toenbige Söal^r^eit, tpeil bie
©rfa^rung^organe, in^bejonbere bie äußern ©inne, nur ba^
2leu§erli(^e, @rfd;einenbe, SSeränberlid^e unb Vergängliche für
ba§ SSetDufetfein unb ©treben t)ermitteln. ^a§> 5Denfen aber,
ber erfennenbe @eift felber fann ^f^otl^menbige^ unb ©toige^
ipa^rne'^men, genötl^igt burd^ feine D^iatur, feine ©efe^e unb
Einlagen, hu i^m bur^ bie innere 9Röt^igung ber ^enfgefe^e,
bie S)enfnot!^h)enbigfeit, unb hutä) ba§ innere Sid^t, bie geiftige
©tiibeng ba^ funbgeben, voa§> notl^inenbig unb rational (unb
ibeal) ift, toa^ niä)t nid^tfein unb nid^t anber^ fein fann.
2ßir ^ben biefe^ ©etoiffe, D^otl^menbige ber ©rfenntnife,
iDelc^eS ©rrungenfc^aft ber bi^^erigen geiftigen ©nttricfelung ber
3)lenfd^l)eit ift unb alg abfolut gültig in abfolut getoiffer ©r^
fenntni^ betrad^tet werben fann, in ^ürje §u betrachten.
gunäc^ft ift al§ fidler anjune^men ein ©ein ober toielme^r
ein ©eienbeg ober real (Syiftirenbe^, ba§ allem ©rfd^einenben,
3Seränberlid)en aU beljarrenbel Sßefen, aU untoeränberlid^e, un=
ijergänglid^e ©ubftanj §u ©runbe liegt unb SlHem, aud^ bem
SSeränberlic^en, auä) bem ber gorm ober (Srfd^einung^tpeife nad^
SSergänglid^en ein 3Jloment eiüiger SSal^rl^eit t)erleil;t. D^ne
fold^ ein gu ^runbe liegenbeS fubftantiette^ äßefen, ba^ fein ©ein
ober ben @runb feinet ©yiftiren^ in fic^ felbft trägt, bei bem
alfo ©yifteng unb Sßefenl^eit ein^ finb (cujus essentia involvit
existentiam), alfo ol^ne ©ubftanj (ber 33egriff nid^t im Slrifto-
telifc^en, fonbern im mobernen ©inne genommen), tr»ürbe ba^
2)ie göttliche ^erfUnüd^fcit. 95
gange ® afein al^ eine Sllufion, al§ ein nichtiger ^^ün le-
trad^tet iperben muffen. Unb gtr»ar Genien toie 6ein ipäre
iEuforifd^ ober nur 6c^ein: ha^ ^en!en ginge auä ber Sttufion
ober öielmef)r bem nichtigen 6($ein be^ 6ein^, ba§ Qein au§>
ber Sllwfion be§ ^en!en^ l^ettoor, iüäre Qttufion ber Sttufion,
nichtiger ©c^ein be^ nid^tigen 6($eine^. 5Dieg toäre im @runbe
ein rabicaler S^ii^ili^mu^, ber freilid^ fc^on be^i^egen niä^t mög=
lid^ ift, tüeil felbft §um teufen be§ 9f^i^ili^mu§ ein 6ein, ein
benfenbe^ ©ein unb feienbeS, realem $Den!en notl^iDenbig ift, 't^a
fonft bag ^xä)i§> al§> t)om ?fliä)t§> gebadet angenommen tüerben
mü^te. 2llfo eine tl^atfäd^lii^e, abfolute S^tealität ober ©ubftan§
ift anjune^men, nid^t blo^ tin abflracte^ ©ein aU @in^ unb OT
ol^ne £eben unb gütte, mie bie ©leaten e§ annahmen; toielmeijr tin
©ein, eine ©ubftans, tpeld^e bie güHe aUt§> ©eienben, ©rf(^einen=
ben aU ©runblage unb üueHe in fid^ fc^liefet, nur fruchtbarer
unb lebenbiger aU ©pino§a'^ <Bub\ian^ mit il^ren ebenfo un=
lebenbigen 2lttributen: '^tnUn unb Slu^bel^nung. 5Diefeg unbebingt
©eienbe, 'i^a§> reale, befjarrenbe @runbtr>efen alle^ erfd^einenben,
t)eränberli(^en ©ein^ in feiner unenblid^en 3}lannic^faltig!eit,
!ann auc^ aU causa sui begeii^net n?erben; eine ^egeic^nung,
't)u freili(^ im ©runbe nur fagen tüill, ba§ e^ leine lXrfa(^e ^dbz,
bem ©efe^e be§ Söerben^ ni^t untertüorfen ift, iüeil Sßefen unb
©jiftens ^^ ^W it^i^t gu trennen finb. 2öie man alfo bur($
2lbftraction öon allem SSerfc^iebenen, SSeränberli($en gu einem
l)ö(^ften, allgemeinen ©ein (©eienben) gelangt, 't)a§> in fid^ felbft
ift al^ Sflealität unb @yiften§ unb ni($t eine^ 2lnbern gum ^^in
bebarf (vok bie enblic^en 2)inge), fo gelangt man am ©efe^e
ber ßaufalität ju ber ©rlenntni^ beg einigen, alfo unentftanbenen
^afeing biefer ©ubftang ober an ft($ feienben 9flealität. Unb
gtüar t)on jebem ©eienben, aud^ "von ber ©yifteng be^ ©eringften
au§ !ommt man ben!enb mit 3Iotl)n)enbig!eit §ur etotgen ©yifteng
beg fubftantietten llr= ober ©runbfein^. gebe^ !leinfte ^ing
fe|t emige ©yifteng öorau^; 'üa e§ ift, fo mu^ immer unb eit>ig
ettr»a^ gemefen fein, benn toäre einmal nic^t^ getoefen, fo fönnte
auc^ j[e§t nic^t^ fein, 't)a au§ S^lid^t^ nid^t @ttr»a0 l^ertoorge^en
96 ni. (SrfenntniB beö Slbfolutcn unb aBfoIute (grfenutm§.
!ann, ba§ 9lid^teyiftirenbe mä)t§> §u probuciren toermag, au§
3Zt(^t§ toon felbft ni(^t§ tüerben iann, S)urc^ emptrif(^e Sßal^r^
neljmung, burd^ ©rfal^rung !ann bie^ aüerbing^ niä)t erfannt
ober conftatirt unb beriefen Serben, 't^a ba§ ©trige, Unenblic^e
unferer ©rfal^rung ober birecten 2öal^rnel)mung un§ugängli(^ i%
aber geifttg gefd^aut !ann biefe D^otl^menbigfeit mit tooller, nötbi=
genber ©toibeng werben im menfd^Iid^eu ®en!en, — toenn auä)
erft, nad^bem bie geiftige ©nttDi(!elung einen getüiffen ©rab er=
reid^t, in^befonbere W ^enüraft fo lüeit geübt ift, bafe fie ber
Slbftraction in l^öl)erm 3Jlafee fäl)ig ift unb felbftänbig il^ren
©efe^en gemä^ mit S3egriffen ju operiren vermag. 3n fold^er
2)en!t]^ätigfeit ipirb e§ al§> unbebingt fidler erfannt, 'i^a^ iebe§
©eienbe entiüeber eine reale IXrfad^e l^aben ober emig fein mu^,
ioeil e§> nic^t ol;ne Urfac^e, b. l). au^ 9^id^t§ toon felbft entftanben
fein !önnte, toenn ex> einmal nid^t getoefen ipäre.
3n bem jule^t S3emer!ten ift fd^on bie^ entljalten, bafe, n)ie
eine etüige 9lealität ober 6ubftantialität beg $Dafein§ mit un-
bebingter 6id^erl)eit burc^ "oa^ rationale S)en!en erfannt toerben
fann aud^ ol)ne (^rfal^rung, fo aud^ allgemein gültige ©efe^e
be^ 6eing (©efd^e^en^) unb ^en!en§ mit gleid^er ©id^erl^eit er-
!annt unb angetrenbet ioerben fönnen. ®iefe @efe|e !ommen
in "oa^f menfd^li($e ^etoufetfein sunäd^ft al^ (^runbgefe|e be§
^en!en§, — - freilid^ erft, nad^bem f($on lange iljnen gemä§ unb
burd^ fie in ber 3)lenfd^l;eit gebadet unb ©rfenntnife errungen
morben ift. S)iefe (S^efege be^ ®en!en§ toerben aber aud^ al^
©runbgefefee be^ ©ein^ unb beö realen ©efd^eljen^ erfannt, fo=
balt) bie 9^aturerfenntni§ bi^ gu einem getoiffen ©rab gebieljen
ift; — felbfttierftänblid^ übrigen^, trenn boc^ bag ^afein ein
rationale^ fein unb toom menfd^lid^en SnteHect al^ fold^e^ erfannt
loerben foH. ^tefe unbebingt gültigen unb fidlem ©efe^e finb
bie befannten logifd^en ©runbgefe^e be^ ^enfene: ba^ ©efe^
ber Qbentität unb be^ SBiberfprud^g, ha§> be^ ©runbeiS unb ber
golge unb ha§> be^ au^gefd^loffenen 2)ritten. 5Da^ erfte ©efe^
fd^reibt oor, bafe jeber ©ebanfe mit fid; felbft übereinftimmen
muffe, feinen äßiberfprud^ entl;alten bürfe — für ba§ reine teufen;
2)te göttrid^e ^erfönlid^fcit. 97'
bann: ba§ bag «Seienbe aU feienb, t)a^ S^id^tfeienbe aB md^t=
feienb, t)a§> Uebereinftimmenbe aU übereinftimmenb, t)a§> ^i^U
übereinftimmenbe aU nid^tübereinftimmenb, bag (Sofeienbe al^
fofeienb u. f. h). gebadet tuerben muffe (bei ber Intpenbnng be^
®en!en^ auf ba§ Dbject, um tüal^re ©rfenntni^ 5U erlangen);
enbli($, ba^ bag @eienbe biefe^ (b. 1^. feienb) fei, ba^ 3fli(^tfeienbe
ni($tfeienb, "oa^^ Uebereinftimmenbe übereinftimmenb, 'i^a§> ^i^U
übereinftimmenbe nid^t übereinftimmenb {aU (^efe| für W objec^
tiu 9lealität). Wie§> richtige 2)en!en ift befanntlid^ burd^ ^e^
folgung biefe^^ (SJefe|e§ bebingt in Z^e\i§> unb ©^nt^efi^ (bei bem
Urtl^eilen), fon^ie in fad^lid^er ^egie^ung atte S^lationalität be^
@ein^ baburd^ bebingt ift, b. 1^. ein urfprünglid^eg, iüefentlid^e^
^led^tfein in fid^ fd^Iie^t. S)urd^ 't)a§> (SJefe§ ber Qbentität nimmt
ber Sttteltect tljeil an ber ewigen, ftet^ fid^ felbft gleid^en, un=
t>eränberli(^en D^^atur be^ Slbfoluten, mä^renb il^m bur(^ ba§
@efe^ be^ äßiberfprud^^ ba§ Unterf (Reiben unb baburd^ ba^ ©in=
gelten in bie 5^iell^eit unb SSerfd^iebenl^eit ber enblid^en 2)inge
mögli(^ ift, ol^ne fid^ in benfelben gu verlieren ober felbft in bereu
6trom be^ 2öerben^ mit fortgeriffen gu lüerben unb bie 3Jiöglic^=
!eit beg rid^tigen Urtl^eilen^ unb @r!ennen§ gu verlieren. 5Dur(^
'i)a^ ^efe| ber Sbentität ift atte ©e|ung ober SSejal^ung bebingt,
burd^ 'Da^ beö 3Biberf^rud^^ atte Verneinung unb IXnterfc^eibung.
— ^ag @efe^ be^ ©runbe^ unb ber golge fd^reibt gunäc^ft für
t)a§> teufen öor, 't^a^ jeber ©ebanfe feinen ^runb (ratio) ^dbzn
muffe, ba§ nid^t^ o^ne (SJrunb gebadet iüerben bürfe. SBeld^e^
in gegebenem gatte biefer ©runb fei, fann allerbing^ im 2lEge=
meinen nid^t beftimmt n)erben, 'i)a e^ babei auf h^n Qnl^alt, ba^
Dbject be^ ^Denleng unb @r!enneng an!ommt, t^a^» burd^ innere
ober äußere ©rfa^rung gegeben n)irb. gür Ut (^rünbe im ge=
tüö^^nlid^en S)en!en finb aber felbft tnieber ©rünbe nott)it)enbig,
U^ SU ben l^od^ften unb attgemeinften, bie burc^ geiftige (göiben§
fid^ aU Ud^te (nid^t bun!le, blinbe) 2)en!not]^iüenbig!eit ertneifen.
'Ba^li^ ober objectiö entfprid^t bem ^en!gefe§ beg ©runbe^ ha^
^aufaberl^ältnife, 'i^a§> barin befielet, ha^ nid^t^ o^ne Urfac^e
(causa) gef(^ie]^t, 'i)ai jebe Veränberung, iebe^ (S5efd^e!^en ober
98 in. SrfenntniB be8 2t6)otuten unb aBfoIute erfenntniß.
äöerben eine Urfad^e l^aBen muffe, — trie jeber @eban!e feinen
^runb (ratio) ^ahtn mn§, — tnobei atterbingg bie felbftänbige
unb gen^iffermafeen probuctiüe ^raft be^ S)en!en)3 fid^ barin jeigt,
'i)a^ ^enfgrunb unb ©ac^grunb ober Urfad^e (ratio unb causa)
gtnar gufammenfatten !önnen, aber nid^t muffen, ja fogar genjöl^n^
lid^ ha§> SSerl^ältni^ ber fad^Iic^en ©aufalität für bag 2)en!en ]iä)
umfel^rt, inbem tüa§> \aä)liä) 2öir!ung (golge) ift, im ^en!en
pm ©runb ((Srfenntnifegrunb, principium cognoscendi) gemalt
n)irb, um batoon auf hk fac^lid^e IXrfac^e (principium essendi,
fiendi) p fd^liefeen. ©in ^erfal)ren, ba§ befanntlid^ "oa^ ber
Qnbuction ift unb in ber forfdf)enben Sßiffenfd^aft gemö^nlid^
angeinenbet tnirb, "oa tvix gröjgtentl^eil^ t>on ©rf($einungen, 2Bir=
!ungen au^^gel)en muffen, aU bem un^ D^äl^ern unb Gelauntem,
um auf W Urfad^en ober ©efe^e, al^ bem bi^l^er nod^ Unbefannten,
aber gu ßrforfd^enben gu fc^lie^en; — p fd^Ue^en eben unter
ber fidleren gülEjrung be^ unbebingt gültigen ßaufalgefe^e^ unb
(Saufalöerl^ältniffe^, inoburd^ geforbert it»irb, ba§ jebe (Srfdfieinung
ober 58eränberung, jebe^ ©efc^el^en eim ]^inrei(^enbe Urfa(^e l;abe.
5ltterbing§ bringt ber ©d^lufe üon 2öir!ung auf hk Urfad^e feine
fo fiebere ©rfenntnife l^erüor, n)ie ber umgelel^rte t>on ber Urfad^e
auf bie äßirfung, ioeil im 2lHgemeinen nur beftimmt tüerben !ann,
hai jebe 2Bir!ung, b. \). SSeränberung, (S^efc^e^^en, SBerben eine
IXrfad^e l^aben muffe, aber 'Damit nod^ nid^t erfannt ift, toeld^e^
biefe Urfad^e fei, 'oa ^im 2öir!ung molf)! au^ tjerfd^iebenen Uv^
fad^en ftammen fann, fogar aEenfatt^ au^ entgegengefegten; —
e^ fei benn, bag bie Urfad^e bie einzig mi3glid^e fei, ober Ux-
fa(^e unb äßirfung unmittelbar mit einanber öerbunben ober
geipiff ermaßen ibentifd^ feien, mie ha§> 2i^t unb ba^ Sendeten
beffelben. ©elbftüerftänblid^ ift in biefem galle ber 6d^lu^ toon ber
Sirfung auf bie IXrfad^e ebenfo fidler, toie ber oon ber Urfad^e
auf bie äßir!ung. 2)ie inbuctit»e gorfd^ung erl)ält baburd^ atter=
bingS toielfad^ iüiffenfd^aftlid^e lXnfic[;erI;eit unb mufe beftrebt fein,
aud^ ba^ bebuctiüe 3Serfal)ren toon lXrfad;e auf Sßirfung anp=
njenben. — 5Da^ ©efeg bes au^gefd^loffenen ©ritten ift, ftrenge
genommen, fd^on mit ben beiben bi^l^er betrad^teten gegeben. ®»
!2)ie göttliche ^erfönUd^Icit. 99
jd^reibt toor, bafe ieber ^enlact, jebe^ Urtl^etl enttneber bejaf^enb
ober toernetnenb fein tnüffe, ein ^ritte^ ober SJlittlere^ aber
au^gefi^Ioffen fei. '^amit ift bel^auiptet, ba§, fobalb ein (SJrunb
'Da ift, einen ©ebanlen §n fe^en, biefer enttoeber eine 9flealifirnng
be§ ©efe^e^ ber 3^entität ober be§ ©efe^e^ be§ 2Biberfprnd^§ fein
muffe, 'i^a 8eja^nng nnb Verneinung ]iä) einanber au^fc^lie^en, alfo
niä)t in einem 3)en!act toereinigt ober guglei(^ gefe|t tperben fönnen.
%xdliä) gilt 't)k§> ftrenge nur für ba§ ^en!en, "oa in ber 9flealität gar
t)ielfa(j^ fac^lid^ 3Serf(^iebene§ ni^t blo§, fonbern au($ (gntgegen=
gefe^te^ fi(^ üerbinbet. 3)agegen bie SSerneinung, ber SBiberfprud^
tüir!t gtrar im ^en!en ipie eine pofititje Tlaä)t (contrabictorifc^er
©egenfa^), üermag aber in ber 2öir!Ii($!eit ober fad^lic^ nid^t^
gu n)ir!en, ha, lt>enn '^iä)t^ auf (Sttca^ it>ir!t, nid^t ettr>a eine Sßer=
änberung ober nad^ ^egel'fd^er $Diale!ti! ein Sßerben ftattfinbet,
fonbern eben nid^t§ gefd^iel^t nnb ^Me§> unöeränbert bleibt. —
2)a6 hk ©runbgefe^e be§ ®en!en^ jugleid^ für ha^ Sein, bie
objectiöe S^tealität gelten muffen, ift im ®runbe felbftöerftänb-
lid^ für ieben, ber ha^» gange ©afein nid^t öon öornl^erein für
unt)ernünftig, für ein irrationale^ ^ao§> l^ält. Sie ©runb=
(SJefefee ton beiben Gebieten muffen fid^ corref:ponbiren, ha fie
jufammenge^ören nnb ha§> ©ange beg ^Dafein^ bel^errfd^en, —
mögen fie au^einanber l)ertoorgegangen fein ober elDig in= unb
miteinanber gugleid^ befte'^en. ©el)t ba^ ©eiftige (Genien) au^
bem SJlaterieEen (objectiö Slealen) l^erüor, fo muffen in i^m
not^menbig bie^efege biefer realen, objectiDen 6eing l^errfd^en,
benn ix>ol)er foHten i^m anbere ©efe^e !ommen? ©el^t bagegen
ha§> 3JlaterieEe (objectiüe, finnlic^e äöelt) au§ bem beifügen ^n-
t>or, fo gilt baffelbe. (^t^t beibe^ au^ einem ©ritten, einer
gemeinfamen Sßurgel "^erüor, fo n?erben fie au^ biefer gleiche,
gemeinfame ©runbgefege er^lten. ©inb enblid^ heihe gemein^
fame 3}lomente be^ ©inen ganzen ©afein^, fo !önnen fie nid^t
anber^ al^ fo geartet fein, ba§ fie fid^ entfpred^en, l^armonifd^
finb ; e§ iDäre nid^t abgufe'^en, tüol^er bie ©i^^armonie ober SSer=
fd^iebenl)eit !ommen fottte, Uebrigen^ ift aEerbing^ gu bead^ten,
ba^ bie ©runbgefe^e im $]^t;fifd^en unb beifügen nid^t gleid^e
7*
100 ni. (Srfenntuiß bc8 Stbfolutcn unb aBfcIutc (Erfcnntni§.
@rfd)einungen unb gunctionen setgen, h)aö ja tüieber felbftt)er=
ftänblid^ ift, fonbern naä) ber ©{gent{)ümUd^!eit beiber ©ebiete
mxUn, S)ie gbentität ift in beiben Gebieten Qbentität, ir>ie
ber SÖBiberfprud^ zbtn ^f^egation ift; unb ba^ S)en!en ift ebenfo
üom ©runbgefej ber (Saufalität bel^errfd^t, n)ie ba^ ©ein, tDenn
aud^ ba^ ©eiftige nid^t materiell, bag $l;pfifd)e nid^t geiftig ift
in ber ©rfd^einung. ^ie @efe|e beä pl)^fif(^en ©ef(^e^en§ er=
fd^einen bem Reifte al^ rational begrünbete, bie fie fein muffen
bem rationalen ®en!en gemä^. ^a§> ^en!en g. ^. l^at aller=
bing» nid^t ba^ ©efe^ be^ ^^^füalifi^en gaUe^ in fi(^, tt>eil e§ z^cn
geiftig ift, aber e§ erfennt ba§ ©efe^ be^ galle^ al^ rational,
tücil e^ einfielet, bafe ba^ pl^^füalifd^e ©efd^el^en fo fein mufe
unb nid^t anber^ fein !ann; e^ erblicht feine eigene ©efe^mäfeig^
!eit ober ^Nationalität in biefem p^t;fifaUfd^en ©efd^el^en/''
, 3)ie Slnnal^me einer allgemeinen @efe|mä6ig!eit unb 9f^otl;=
»enbigfeit in ber 9Zatur ift bal^er tüol^lbegrünbet, benn fo gut
im] ben!enben ©eifte fic^ eine rationale ober ^enfnotI)ii}enbig'
!eit !unbgibt unb geltenb mad^t, fo gut aud^ bel^errfd^t bie 9Ratur
eine fold^e unb jeigt fid^ aud^ ber ^rfa^rung, fon}eit biefe
reid^t, — tüie fie aud^ in ber ^rayi^ mit öoHer 6id^erl^eit
toorau^gefe^t unb toertoenbet irirb. ^ie @rfa|)rung fann fie
freilii^ nid^t öoEftänbig ben)eifen, aber bie Sftationalität unb
•Rotl^ipenbigfeit be^ ^en!en^ t>ermag biefelbe ju ergänzen. —
SJlit att bem ftel)en im S^f^^^wß^^^^^Ö gett)iffe aEgemeine,
fid)ere äöa^rl^eiten, bie alg Slyiome be§ei(^net trerben; unbeiüei^=
bare unb eine^ SBetoeife^ nid^t bebürftige, tneil unmittelbar in
i^rer Stationalität einleu^tenbe unb not^loenbige 6äge, toelc^e
bie ©runblage atter 33en)ei^fü^rung bilben unb öfter aud^ aU
angeborene gbeen (obn^ol^l nid^t paffenb) be^eid^net inorben finb.
3n ber %\)ai finb fie, n)ie "oie. (SJrunbgefege beic ®en!enö, in ber
geiftigen D^^atur be^ 3Jlenfd^en angelegt, bilben bie angeborene
* @. meine v^c^rift: „Sie ^^ilofo^^ie als Sbeoltoiffenfc^aft unb @^*
ftem." 3ur (ginleitung in bie ^{)Uofo^^ie (aWünc^cn 1884).
2)ie göttliche ^erfönttc^!eit. 101
rationale ^atur beffelben auä) e!^e biefe no^ aug ber ^otcti-
ttalttät in Slctualität übergegangen ift. Ingeboren aU actuale
@r!enntniffe ober Urtl^eile finb biefe 2lyiome (ober 3been) aHer=
bingg nid^t, 'i^enn geboren hjirb ber Wtm\ä) nxö)t mit f öligen
n)ir!li(^en, bemühten @r!enntniffen, fonbern nur mit ber Einlage
baju. 3n Slntnenbung aber, ioenn aud^ gunäd^ft nur gleic^fam
in unbetrufete, !ommen fie, fobalb ba^ ^en!en in un^ irgenb^
n)ie beginnt unb geübt toirb. gum Ilaren 33en)u§tfein berfelben
lommt e§> aber erft fpäter, b. \), gur ©infid^t in W Sftationalität
unb 9flot^n)enbig!eit biefer ©runbgebanfen ober 2Sal)rl^eiten, bie,
wenn fie einmal erlannt unb eingefeljen finb, nic^t me^r nid^t
gebadet unb niä)t me^r anberö geba(^t werben lönnen. ^§> finb
6ä^e unb Sßal^r^eiten, bie, n^ie bie @runbgefe|e be§ SDenfen^,
auä) ber 3^^W^^ braucht, antoenbet unb aU gültig betrad^ten
mu6, toenn er felbft feinem 3i^^ifßi Sebeutung gufd^reiben ioitt.
Söürbe ber 6!e^ticiemu^ t>k (^etoii\)tit ober @ültig!eit biefer
©efe^e unb natürlid^en rationalen SBa^r^eiten in 3lbrebe ftetten,
fo mü^te er bamit aud^ bie Sid^erl^eit unb Söa^rl^eit feiner eigenen
8el;auptungen leugnen unb fie felbft al^ unbered^tigt ober be<
beutung^log d^arafterifiren , — waS» freilid^ bei bem abfoluten
6!e^tici^mu^ immer ber gatt ift, infofern berfelbe fid^ felbft
aufl)ebt, ba, n?enn nid[;t§ 6id^ere§ getrübt njerben !ann, aud^
bieg uic^t fidler fein lann, ba^ nid^t§ mit ©ett?ife^eit gen?ufet
unb behauptet loerben !ann. 2)er relative 3^^W fteilid^, ber
Stoeifel begüglid^ ^er!ömmli($er 3Jleinungen ober bejüglid^ ber
tjerfd^iebenen ©lauben^überlieferungen ober bi^^eriger Slnfid^ten
in SBiffenfd^aft unb Äunft, ift atterbingg ein bered^tigter unb ift
not^^toenbig für hu Söeiterforfd^ung unb für ben gortfd^ritt in
ber ©rienntnife. — Sßottftänbig in grage geftellt !ann bie un*
bebingte (^emife^eit unb Söa^rl^eit biefer attgemeinen rationalen
(logif($en) @efe|e unb Sßal^rl)eiten nur ha, too man ha§> gange
^afein für ein (Gebiet ber Unvernunft, ^l^orl^eit unb ©lenbig-
feit er!lärt, — tüie bieg ber ^effimi^mug gu t^un ))flegt, ber
freilid^ bamit fic^ felbft aud^ nur aU ein ^robuct ber tlnt>er=
nunft erflären mu§ unb baburd^ njieberum feine eigene SSe^aups
102 ni. ©rfenntni^ bce Slbjoluten unb abfolutc @rfenntm§.
tung ai§> nichtig Begeid^net. SBenn 5. ^. ©d^openl^auer bie Sßelt
in il^rem ©runbtpefen aU ^robuct ober ^lu^brud blinben,
bummen 2ßtIIen0 erHärt, fo ift niä)t ab§ufef)en, trollet ))a in
biefe SBelt nod^ SSernunft unb ©rfenntnig !ommen foll unb tüie
biefe ^^iIofop!)ie felbft, bie ba^ Srrationale jum ©runbprinci^
erflätt, nod^ auf ©eltung fott 2lnfpru(^ mad^en !önnen! —
^oä) toon anbetet Seite inbe§ ift in bet neueften 3^^^ bie ©el-
tung etüiget, not^tpenbiget ©efe^e unb SSal^tl^eiten unb beten
©tfenntnife in gtage geftettt tüotben, nämlic^ öon Seite be§ fog.
$ofitit)i^mu^, b. 1^. öon BeiU betet, tpeld^e bel^aupten, aEe
@t!enntniffe ftammen nut au§> ©tfal^tung unb bie Söiffenfd^aft
(auä) bie ^l^ilofop^ie) muffe fid^ nut auf ba§ ©tfal^tbate be=
fd^tänfen, ba ba^, it>a0 batübet l^inau^liegt, ungetui^ fei unb
e§ übetl^aupt notl^trenbige ©efe^e unb Sßal^t^eiten nid^t gebe; —
fold^e ipenigften^ nid^t bel^auptet metben !önnen, ba bie fo be=
geid^neten aud^ nut au^ bet ©tfal^tung ftammen, empitifd^ ge=
UlM tüotben finb unb nut telatitie, nid^t abfolute @ültig!eit be=
anfptud^en !önnen. '^a6) biefet 5lnfid^t !önnten einmal aui^ an=
bete ©tunbgefe^e be^ $Den!en§ unb 6ein^ gelten unb, ipie
3. ©t. 3JliII meint, allenfalls in anbetn ^Ijeilen beS UnitoetfumS
iritllid^ anbete (^efe^e gelten mögen, aU in bem, in tpeld^em trit
uns befinben. SDiefe 9lid^tung h^x ipl^ilofo^j^^ifd^en 2Beltauffaffung,
tie aUeS §^pot^etifd^e unb im ©ebiete bet Slbfttaction fid^ ^aU
tenbe öetmeiben unb nur baS ganj 6td^ete, ©tfal^tungSgemäfee
tritt gelten laffen als baS attein triffenfd^aftlid^ @t!annte unb
„lüiffenfd^aftlid^e ^^ilofopl^ie" @eh)äl^tenbe, — biefe S^lid^tung
getätl^ eigentlid^ bal^in, getabe baS ©egent^eil bat>on gu be=
Ijaupten, tüaS fie geltenb mad^en föitt. ©inb nämlid^ i^x^
©tuubfä^e tid^tig, bafe nut bie ©tfal^tung tid^tige, geiüiffe ©t-
!enntni§ gemähte, unb bafe unbebingt gültige, tationale 2öal^t=
l^eiten bem 3Jienfd^engeifte nid^t gegeben feien, bie ©eltung l^aben
aud^ übet bie empitifd^e Söa'^tnel^mung l^inaus unb ol^ne biefe,
unb gibt eS notl^tüenbige unb einige ©efefee unb SBal^t^eiten für
ben 3J^enfd^en nid^t, auf benen atteS Söiffen in feiner ©etüi^eit
unb SBal^tl^eit betu^t, — bann gibt eS aud^ !ein unbebingteS
2)te Q'dttliäft ^crfönltd^fcit. 103
2öiffen, feine gemiffe ©rfenntnife unb alfo im ©runbe genommen
gar feine Söiffenfc^aft me^r, alfo auä) feine „miffenfd^aftlid^e
^]^ilofopf)ie''. ^nx zufällig gefunbene^ emipirifc^e^ Söiffen unb
geith^eilig ober relatiü gültige 2ßät)rl)eiten finb bann für 'D^n
3)lenfd^en noc^ möglid^. ®er „^ofitit)i§mug" f(^lägt alfo in fein
eigene^ ©egentl^eil um unb üor lauter Streben nai^ fidlerem,
erfa!)rung^gemäfeem Söiffen toerliert er bte ©runblage atte§
Söiffen^, \)erfällt bem 6feptici^mu§ unb foEte lieber glei(^ Be=
l^aupten, ba§ e^ ein lüirflid^eg, ftrengeg Söiffen für ben 3Jlenf(^en
ühtx^aupt gar nid^t gibt, felbft nid^t im Gebiete ber fog. eyacten
Söiff enf d^af ten ; tüie benn manche ayiomatifi^ gültige 6ä|e felbft
in biefem (SJebiete niä)t burc^ eigene (grfal)rung erfannt unb con=
ftatirt werben fönnen, fonbern nur bur(j^ 2lbftractionen unb 6d^lu§=
fclgerungen, bie über ba^ (^^bkt ber ©rfal^rung l^inau^ge'^en —
tüie bieg auc^ in ben anbern 3öiffenf(^aften beftänbig ber %aU
ift. Dl)ne 33egriffe, benen ni^U birect in ber ©rfal^rung ent=
fpri(^t, fann überljaupt ni($t gebadet unb iriffenfd^aftlic^ erfannt
ir erben.
®a§ bi^l^er ^el^anbelte fönnen tüir meinet ©rad^ten^ mit
'3itä)t ai§> ©rfenntni^ be^ 2lbfoluten, mie al^ abfolute ©rfenntnt^
begeid^nen unb geltenb mad^en. ®ie grage ift nun, ob au^er
biefem atterbingg nur fel)r allgemeinen 6ein (6ubftan§) be^
^afeing unb aufeer ber allgemeinen, logifc^en unb realen 9tatio=
nalität ober ©efe^mä^igfeit e^ nod^ tüeitere (S^egenftänbe menfd^=
lid^en (grfennen^ gibt, 'i^k mit Sid^erl^eit erfannt unb aU abfo=
lute^ Dbject menfd^lid^en (^rfennen^ betrad^tet iüerben fönnen.
Slu^er ber attgemeinen @efe|mä^igfeit begegnet un§> nun p^
näd^ft bag, tu a^ man al^ 3^^cfmäfeigfeit begeid^net, bie teleo=
logifd^e ©eftaltung be^ 3)afeing im (S^ro^en unb im ©ingelnen,
äu^erlid^e unb innerlid^e. §ier ^anbelt z§> \iä) aber, au^er ber
grage, hjol^er biefe teleologifc^e (^eftaltung flamme, fc^on um
'tik ^^atfad^e felbft, ob eine fold^e in ber 5Ratur iüirflid^ fid^
finbet. 2ßa§ nun W g^^^^ä^^gfeit aU X^ai\ad)t betrifft, fo ift
fie fo tpenig ^u bepeifeln, al^ bie ©efe^mäfeigfeit unb ba^ tafeln
unb beffen fubftantiale Sftealität felbft. ^§> finb in^befonbere bie
104 ni. ©rfenntntg bc« Stbfotutcn unb aBfoIutc Srfenntnt^.
organifd^en ^robucte ber @rbe (^ftartjen) unb bie lebenbigen 2ßefcn
(^^^x^), meldte attent]5)alben eine teleologifd^e innere unb äufeere
©eftaltung unb Drbnung jeigen, eine immanente S^edfmäfeigfeit,
bur(^ treidle fie organifd^ einl^eitlid^ conftituirt finb, unb treidle
fie befäl^igt, fid^ gu erl^alten. ©^ ift ein ^l^eil bem anbern an=
gepaßt gum gmedfe ber ©rl^altung unb görberung 't)k\z§> %^dU^
unb be^ ©angen, unb atte greifen Ijarmonifd^ ineinanber in il;rem
©ein unb in il^ren Functionen, foba§ baburd^ ein ein!)eitlid^e^,
in fid^ gef^Ioffene^ ©angeg entfte!)t; — unb bieg aEe^ um fo
mel)r, um fo entfc^iebener unb einl^eitlid^er, je reid^er gegliebert
unb je complicirter t)k Drganifation ober 'oa^» lebenbige 2ßefen
ift. Q'max l^at fic^ in neuerer Qtii bie 2lnfid^t geltenb gu mad^en
gefu(^t, biefe gtüecfmä^ige ©inrid^tung ber Organismen fei nid^t
burd^ eine beftimmte, gleid^fam planmäßig irirfenbe llrfad^e (Q\t)td'
urfad^e) gebilbet unb forter^alten, fonbern fei nur getüorben, fei
attmä^lid^ burc^ 5lnpaffung unb IXmiüanblung toon felbft, b. 1^.
burd^ med^anifd^ tpirfenbe IXrfad^en (causae efficientes, nid^t
causae finales) entftanben, — burd^ Heine Slbänberungen unb
Umtüanblungen, bie fi(^ befeftigt unb t}ererbt Ifjaben, trenn fie
ben Organismen toortl^eilljaft iüaren im fog. Kampfe umS S)afein.
®a6 auf biefe SSeife 3JJanc^eS erreid^t tüerben !ann unb erreid^t
ujorben ift, tüirb !aum in Slbrebe p fteEen fein, aber 't)ie gange
unenblid^ grofee 3JZannidf)faltig!eit unb 3Serfd^iebeni)eit ber Slrten
im ^flangen^ unb ^f)ierreid^e baburd^ ju erüären, ift unmöglich,
n)enn man auä) no(^ fo groge 3^iträume unb nod^ fo toerfd^iebene
3^aturt)erl^ältniffe bafür annimmt.* Sleufeere Umformung ber
©lieber, Vergrößerung ober 3Ser!Ieinerung berfelben, SluSbilben
ober Ver!ümmern !ann trol^I auf biefe Sßeife gu 6tanbe ge=
bra(^t tüerben, aber gar mand^e ßigent^ümlid^feiten finb ton
* hierüber meine p\)iio\op\)i\(i)t Settfc^rift: „Slt^cnäum", I. 3a^rg.
(1862). 2)arficaung unb tritif ber ?e^re 2)artt)tn«, tt?ieber abgebrudt in
meinem SBerf: „2)a8 S^riflent^um unb bie moberne 9kturh)i[]enf(^aft"
(1886). »gl. auä) meine @(^rift: „2?a8 neue SBiffen unb ber neue Olaubc
(i?eip3ig 1873).
2)tc gbttUd^e ^er[öntt^!ctt. 105
ber 2lrt, 't)a^ fie einem blo^ me(j^anifd;en ^efd^e^en ummiä)hax,
über trenn fie gufättig einmal erreicht iüären, bod^ nid^t fo regele
mä^i^ bel^auptet n)erben könnten, ix>ie e^ in ber Xi^at gefd^iel^t.
^ie Symmetrie ber ^lieber ober Sinnesorgane, §. ^. bei
ben ^l^ieren, hk regelmäßige ©ntipidelung ber ^flan^en bei ber
@eftaltnng ber Blätter nnb 33lüten am regelmäßig gebilbeten
6tengel n. bgl. läßt ]iä) m^ä)ani\ä) in biefer S^legelmäßigfeit
nic^t ableiten, ^in edfiger großer Stein, ber fortgefd^leppt mer^
ben fott nnb guerft burc^ feine Mm fid^ fel^r ungiDedmäßig ge=
ftaltet bafür geigt, !ann bnrd^ baS Slbreiben Wi bem gortfd^leppen
felbft aEmäl^lid^ glatt unb für biefe 33en3egunggart fel;r 5h)ed=
mäßig njerben anf me(^anif($e SBeife, aber bie regelmäßige (SJlie=
berung nnb ©eftaltnng ber Organismen !ann auf fol($e 2lrt
nid^t gebilbet toerben. S)emnac^ ift bie ß^^cfi^^ß^Ö^^it ber
9latur in i^rem getüö^nlid^en ©efd^e^en unb ^robuciren nid^t
fremb unb fie entfielet nid^t bloS als öufättige) 2öir!ung in i^r,
fonbern tx>altet unb probucirt in berfelben als ^rincip toom Ur=
beginn an, nid;t mad^t fie fid^ bloS tüie ein irirfenbeS ^rincip
geltenb, icenn fie einmal irgenbtüie (med^anifd^) erreicht ift. ^ei
bem 3Jlenfd^en felbft ift gtüedmäßigeS 2öir!en ober .ganbeln
einem öorgeftettten giele gemäß baS ^auptgeic^en ber ^eimünftig=
feit, ungiüecfmäßigeS bagegen erfd^eint als üernunftlofeS ^^un.
3ft W 3}lenfd^ennatur nun auä) ün ^robuct beS allgemeinen
9^aturproceffeS, fo §eigt fid^ gerabe l^ierin, 'Da^ in ber ^iefe beS
^aturgefd^el)enS bie ^enbeng ber 3n)edfmäßig!eit iüaltet, W im
Menfd^en felbft pm 33eh)ußfein, pr beiPußten 9lealifirung
lommt. SSon 't)a aus läßt fid^ bann baS unenblid^ toiele teleo=
logifd^e ^efd^el^en unb 2Bir!en im ip^^fifd^en ^an unb p^t)fifd^=
pf^d^ifc^en Sßirlen in ber 5^atur n?ol)l beuten unb öerfteljen. —
©nblid^ aber ift noc^ ein fel)r entfd^iebener ^etoeis ber 3tDect=
mäßig!eit ober ber 3telftrebig!eit in ber Statur in ber @mpfin =
bung, in ber @m:pfinbungSfäl^ig!eit gu erblidfen, bie fid^, ipie
faft attgemein aud^ t)on ber 9^aturforfd^ung felbft pgeftanben
tPirb, burd^auS nid^t erklären läßt auS bem bloS med^anifd^en
2ßir!en ber p^^füalifd^en 9^atur!raft. ^etrad^ten mir bie (^e=
106 ni. (SrfenntniB be« StBfoIuten unb abfolutc @rfenntm§.
nefig ber ©mpfinbung, bie Sebtngungen il;rer ßntftel^ung: ©ott
eine ©mpfinbung entftet)en, fo mufe erfa^rung^gemäfe ftet^ eine
geiüiffe Steigung unb 3Seränberung ber ©mpfinbung§nert)en ftatt=
finben, troburi^ ber normale 3^f^^^^ geförbert ober geftört
tüirb (Suft ober 6c^mer§). ^emgentäfe entfielet ©mpfinbung nur
'tia, wo eine Beftimmte normale Einrichtung, eine jeinjottenbe
Crbnung gegeben ift, bereu ©törung aU unangenel^m ober
fd^mer§li(^ tu a!)r genommen n^erben !ann. 2ßo alfo folc^ eine
normal ober teleologifd^ georbnete 33ef(^affenl)eit nid^t t»orl^anben
ift, "oa !ann au($ feine (Smpfinbung entftel^en. 2)ie ©mpfin-
bungefäl^igMt ift alfo bebingt burd^ eine teleologifc^e, ber D^atur
be^ Drgani^mu^ entfpre(^enbe, für il^n feinfoEenbe Drbnung im
©äugen unb (Sinselneu, bereu Dffenbarung^organe bie @mpfin=
bung^nertoen finb. ®ie @mpfinbuug§fäl)ig!eit ber tl)ierif(^eu
Drgani^men betüeift alfo bereu teleologifd^e (feinfollenbe) Se-
f(^affeul)eit unb Einrichtung. S)emua($: 60 iüal^r unb getüi^
t)k ^l^atfad^e ber ©mpfinbung unb Empfinbuuggfäl^ig!eit ift, fo
ioal^r unb gen)i^ ift auc^ hk %^at\a6)e ber teleologifc^en Ein-
ri($tung, ber S^^cf^ägigfeit, bie fid^ eben in ber Em^finbung
felbft inne tüirb, fid^ innen finbet.*
3Jlit ber 3^^toäfeig!eit unb Empfinbuuggfäl^ig!eit ift §u=
gleich eine getr>iffe Sbealität, ein ibeale^ SJioment in ber 9^atur
alö ^l)atfad^e gegeben, ©c^on bie ©ntrt)i(!eluuggfä]^ig!eit u>ie =33e=
bürftig!eit be!unbet bie^, tüeil fie ein beftimmte^ 3^^^ (3Sorbilb,3bee)
forbert, ba§ hk ^l^ätigleit beftimmt ober leitet, lüeld^e im ©amen
beginnt; barin liegt aud^ ein beftimmte^ 3)loment ber Qbealität,
infofern eine 3SoE!ommenl^eit, eine SSoHenbung in ber 2luggeftal=
tung babei erreid^t lüirb ober erreicht tüerben fott, foba§ eine
getüiffe Qbeerealifirung ftattfinbet. Unter^bee ift ja gunäd^ft ju
üerfte^en ein 3Sorbilb ober Urbilb, \)a^ augeftrebt toirb unb ba§
* @. mein Süßerf: ,,2)ie ^^antarte al9 ®runb|)rinct^ be8 2ßcIt)3rocc[fe8"
(SWünd^cn 1877), @. 281 ff., unb: „iKonabcn unb SBcIt^^antafie" (2)mnc^cn
1879), (8. 31 ff.
2)tc göttltd^e ^erföntid^feit. 107
alle ^]^ätig!eit ober 3ßir!fam!eit aU ^to^äux'\aä)^ (causa finalis)
anregt unb leitet. Snfofern tft aljo j[ebe organtf(j^e ©nttrtd^elung
eine§ Snbiüibuum^ eine 9lealifirung feiner 3bee ober toielmel^r
ber Sbee ber (SJattung ober 2lrt. ®oc^ ift bieio nur eine 3bee=
Sflealifirnng nieberer 2lrt, no$ nid^t ^arfteEung ober Eftealifirung
ber ]^D(^ften 3been, be§ eigentli($ 3bealen, be§ Sßal^ren, ©uten,
6(j^önen, be§ 35ott!ommenen überl^aupt, ni^t Uo§> ber 35oll=
fommenl^ett eine§ enblic^en Bef(^rän!ten (^ebilbe!§ einer öeftimmten
2trt, iüie bie^ im ^l^ier= unb ^flanjenreii^ gef(^ie]^t. 3Jlan !ann
bal)er tooljl §h)ei 2lrten toon 3been unterfd^eiben unb bie einen
aU enbli(^e, bie anbern al^ unenblid^e (abfolute) be^eid^nen. ^ie
enbli($en 3been ftnb bie 3Sor= ober Urbilber, bie ben Gattungen
unb Slrten ber organifd^en unb lebenbigen ©ebilbe ber ©rbe ^u
@runbe liegen unb bie @ntftel)ung unb ©nttnidelung ber 3nbi=
oibuen biefer Slrten Beftimmen, — felbft aber nid^t ftarre, ab--
ftracte, fiy unb fertige Söefen^eiten finb, fonbern fid^ im Statur-
proceffe felbft aud^ enttüideln, au^geftalten, umgeftalten, tiertooE^
fommnen (na^ ber ^efcenben§tl^eorie) — unb infofern aUerbing^
aud^ gemiff ermaßen unenblid^e ^otengen, aber bod^ nur su enb=
lid^en 33ilbungen finb. ^ie anbere 2lrt ber Sbeen finb bie
eigentlid^en, t)U einen unenblii^en, ibealen (^t^alt Begeid^nen
unb im SJ^enfd^en gum ^etüu^tfein unb §ur ©ntmidelung !ommen.
^er 3Jienfd^ als 3nbit>ibuum, ba§ bem menfd^lid^en @attung§=
mefen entftammt, ift ginar felbft eine Sftealifirung einer enblid^en
3bee, aU biefe^ irbifd^e ®in§ellt»efen, aber in feinem Reifte finb
bie l)öd^ften unenblid^en ^'oeen aU Einlage gegeben, berfelbe ift
infofern gemiffermafeen "ok 3bee ber 3^^^^^- 3w a)Zenfd^engeifte
fommen vermöge feiner (^r!enntni§!raft biefe ^hztn §um 33e=
iüu^tfein unb forbern 9tealifirung in äöiffenfd^aft, et^ifd^em
Men unb äftljetifd^er ^etl^ätigung, meil ber 3Jlenfd^engeift fid^
über ha§> ©in^elne gum 3lllgemeinen unb über ba§ platt 2ßir!=
lid^e jum 3^ealen ju ergeben vermag, — felbft §um abfoluten
Sbeale ber ^Sernunft, ber abfoluten 3Soll!ommenlf)eit. 3Bie ba§
^eleologifc^e, bie 3tüe(fmä§ig!eit im ®afein, fo ift bemnad^ aud^
^a^ ^'t>zaU unb finb W 3t)een, in^befonbere bie l^öd^ften, im
108 III. (grfcnntni§ btS Sllbfolutcn unt> aBfoIutc @r!enntniß.
eigentlid^en 6inne fo genannten 3been be^ %a^xtn, ®nten,
B^ömn, ber ©ered^tigfeit unb überl;aupt ber geifttgen 3SoE=
fommenf)eit, bie im ©innlid^en ipie im beifügen Sftealifirnng
finben foE, ^egenftanb fidlerer ©rfenntnife. Merbing^ begießt
fi(^ biefe 6i(^erl)eit gunäd^ft nur auf ba^ ^afe, bie Sßir!lid^!eit,
^^atfäd^Iid^feit berfelben, nod^ nid^t auf ba§ 2Ba§; benn biefe^
n)irb nur attmäl^Ud^ für "oa^ ^etüufetfein offenbar unb für bie
©rfd^einung gur 9iealifirung gebrad^t; benn eben 'i^a^f ^Dag ift
ba^ treibenbe SJioment hti biefem Streben, l^anble e^ fid^ nun
um Sflealifirung ber Sbee ber 2öalf)r]S)eit burd^ bie Sßiffenfd^aft
ober be^ ®uten im etl^ifd^en Streben ober ber ©ered^tigfeit u. f. id.
SBenn ^laton bie 3been, bie i^m allerbing^ nod^ einfeitig ]^ppü=
ftafirte, abftracte (burd^ 5lbftraction gen?onnene unb infofern
ftarre) 33egriffe lüaren, aU ben aHeinigen tva\)xcn (^egenftanb
fid[;ern SSiffen^ httxa^M^, mil fie "i^a^» 33e^arrenbe im beftän^
bigen SSed^fel ^iüif d^en Sein unb 9^i(^tfein barftellten, fo i^atte
er infofern xeä)t, aU biefe fog. 3been ba^ Sßefenl^afte ber ^inge
bilben, W an il^nen tl^eilnelf^men; unb ebenfo rid^tig \)at 2lrifto=
tele^ bie ben fingen immanenten Qbeen (gormen ober gormen-
^rincipien) aU ben ipa^ren, attein n)id^tigen, iüefenl^aften ©egen=
ftanb be§ 2Siffen§ be^eid^net. ^ebarf bie £el)re ^on Ui't)en
atterbingg ber D^teinigung nnb einiger Umbilbung, fo ift in ber-
felben bod^ fd^on W§> gur Geltung gefommen, ha^ auä) t)U
Sbeen n)ir!lid^e ©rienntnife gemäl^ren, ©egenftanb fidlem Sßiffen^
feien. ^a<i) unferer Sluffaffung finb fie t)a^ aEein ^ebeutung^i^
unb Sßertl^tooEe im S)afein unb \)at bemnad^ il^re ©rfenntnife
fidler ebenfo üiel tljatfäd^Iid^en SBerti), tük 'ok ber blofeen Söirf-
lid^feit.
©nblic^ aber finbet fic^ nod^ eine 5t;^atfad^e in ber 3BeIt,
bie ebenfaEö ein ©egenftanb fidlerer @r!enntni6 ift unb einen
filtern Sd^lufe auf bereu Urfad^e unb auf ein aEgemeineio ^rin=
cip geftattet. 2Bir meinen bie ^etoegung, bie aU aEgemeinc
5t^l;atfad^e be!annt genug ift, unb gn^ar nid^t blo^ SufäEigc ober
med^anifd^ gefejmäfeige, an unb in fid^ giellofe ^enjegung, fonbern
aud^ geftaltenbe, bilbenbe, sielftrebige ober teleologifdS)=pIaftifd&e
35ic gbttttd^e ^rfönlicl^feit. 109
S3eh?egung, bte eine entfpred^enbe IXrfac^e, ein ifjr gemäfeeö
$rincip gut notl^menbigen 3Sorauöfe|ung ^at S)iefeg allgemeine
39ilbung^= ober ^eftaltnng^princip, ba^ fid^ im aEgemeinen
^atuxpxoai betl;ätigt nnb beffen notl^iüenbige Slnna^me tnir
anberiüärt^ gn begrünben gejnd^t ^ab^n"^, !önnen mir aU „äiSeU=
:p]^antafie" begeid^nen, njeil e§ objectit) fo tcirlt, trie fubjectit)
in ber 2)lenf(^ennatur bie ^l;antafie fid^ betl^ätigt, fobafe eine
üollftänbige Slnalogie ftattfinbet, bie fid^ aber aU nod^ mel^r
benn a{§> blofee ^Inalogie ertüeift, aU Sßejen^ein^eit unb aU in
genetifd^em B^f^i^^ie^'^^ng ftel^enb. 3n genetifd^em 3nfammen=
^ang, infofern 'i^ie fubiectit)e ^l;antafte eben im 9Iatnrproce&
burd^ bi$ ^et^ätigung ber SBeltpl^antafie im organifd^en nnb
lebenbigen (Gebiete ber 9^atnrprobnction ba§ Seben, bie @m=
pfinbnng, 'tia§> S3etpn§tfein nnb bie fnbjectiöe ^^antafie felbft
!)ert>orbringt, aU ©eneration^poten^ fid^ ^uerft objectit) betl^ätigenb
nnb bnrd; ßoncentration nnb SSerinnerlid^nng attmä^Ud^ gnr ©eele
fid^ üerinnerlid^t nnb inbit»ibnalifirt. 3^^ Seele, au§> toeld^er
bann l)intoiebernm hu fnbjectiöe ^l;antafie fid^ bilbet nnb il^rer=
feit^ nad^ 5lnalogie be§ allgemeinen (SJeftaltnngsprincip^ ober ber
SBeltpl^antafie fic^ betlfjätigt, bilbenb, fd^affenb, geftaltenb nnb'
nmgeftaltenb. ©in fold^e^ (S^eftaltnnggprincip nad^ Slnalogie
ber fubjectitien menfd^lid^en ^^antafie, ha§> ^ngleid^ finnlid^e nnb
geiftige 3^atnr in fid^ trägt nnh alfo finnlid^^geiftig ir>ir!en !ann,
beibe Gebiete, bie in ber ©rfd^einnng^toelt fo getrennt erfd^einen,
in ber Söurjel nnb im giele toerbinbenb. — ©in folc^e§ '^srinciip
angnnel^men finb ii»ir tniffenfc^aftlid^ fo gnt bered^tigt, iüie bie
^tatnriüiffenfd^aft tim allgemeine med^anifd^ tr>ir!enbe ^raft (ber
^etoegnng) annimmt, nm bie ©rfd^einnngen be^ än^erlid^en
3Jatnrgefd^e^en0 ^n erllären. '^a^ ber ^efd^affen^eit ber 2ßir=
!nngen mnfe 'i)i^ Urfad^e gebadet nnb angenommen iüerben, foba§
* ®. mein Söcrf : „®tc ^^antafte aU ©runb^rtnci)) bcS Sßert^jroceffeg"
(ä)iün(^en 1877), ®. 158 ff., unb: „2)ie ^^tlofo^^^te al8 3bealtotffcnfc^aft nnb
elftem" (äJJünc^en 1884), @. 49 ff. Stud^: „SJ^onaben unb SBelt^^antafie"
(■JTJünd^en 1879), ®. 5 ff.
110 in. er!enntniß beö Slibfoluten unb obfolutc (Sr!cnntni§.
fie geeignet ift, au^ i'^r bie betreffenben ©rf($einungen aU 2Bir=
fungen gu erflären, — fei e§ auc^, ha^ biefelbe vorläufig nur
l^^pot^etifd^ angenommen iDirb, n)ie bieg in ber D^turtriffen-
jd^aft ebenfalls oft genug gefd^iel^t, ol^ne ba^ man i^x be^l^alb
hen h)iffenf(^aftlid^en ^\)axatUx abjprid^t. ©in ©runbprincip
alfo mu§ angenommen tnerben al§> eyiftirenb unb ipirfenb, au§
bem bie ©efammt^eit atter ^afein^erfd^einungen unb Dffen^
barungen in i^ren Urfad^en unb 2öir!ungen, ber finnli($en von
ber geiftigen, abgeleitet merben !ann. %U folc^eg ^rinci^ ift
un§ junäc^ft unfere eigene ^l^antafie be!annt, bie baS ©inn=
lic^e unb (beifüge miteinanber öerbinbet im ^etüu^tfein ebenfo,
tüie in ber ©prad^e unb in ber ^unft, tüo ©eiftigeg toerfinnlid^t,
©innli(^e!c toergeiftigt tüirb. ^emnad^ finb njir bere($tigt, ba^
©runbprincip be^ ganzen finnli(^ = geiftigen Söeltproceffeg aU
^l^antafie, 2öelt))]^antafie auf^uf äffen, ba ein fo befd^affene^
^rincip aUein geeignet ift, n)ir!lic^ baraug ein^eitlid^ atte 2öelt=
©rfd^einungen unb ^robuctionen §u erüären. 58etrad^ten tnir
bie toerjd^iebenen ^rincipien, tüie fie im Saufe ber ©efd^id^te ber
^l^ilofopl^ie aufgetreten finb, fo §eigt fid^ un^, ba§ fie aUenU
l;alben tl^eil^ einfeitig, tl^eil^ unfruchtbar ober fonft ungeeignet
finb. 2öarb ein materietteg ^rincip angenommen, fo Iie§ fid^
't)a§> ©eiftige nid^t barau^ erÜären, tDie g. 33. bie jonifd^en ^^iIo=
fopl^en unb bie 2ltomiften betpeifen; tüurbe ein rein geiftige^
^rincip geltenb gemalt, fo erfd^ien ha§> ^afein be^ 3JiaterieIIen
aU bamit unvereinbar, unb baraug unableitbar, foba^ man gum
^uali^mug öon 3Jlaterie unb @eift feine Suf(u(^t nehmen
mu^te, n)ie fid^ bieg fd^on hei Slnayagorag, Paton unb 2lrifto=
teleg geigt. 5Ral^m man eine abfolute, mit S^otl^tüenbigfeit
n)ir!enbe SSernunft an, fo h?ar nid^t §u begreifen, tüie fo toiel
Untoernünftigeg im ^afein entftel^en unb fid^ geltenb mad^en
!ann, irie bie ^egel'fd^e ^Ijjilofop^ie geigt, trenn il^r bag Söir!=
lid^e aud^ bag SSernünftige ift; na^m man abfolute Unvernunft,
3. 33. blinben, vernunftlofen SBiUen aU ©runbprincip ober ©runb=
toefen an, wie 6d^openl^auer, fo blieb unerllärlic^ , ja erfd^ien
unmöglid^, ^a^ bod^ SSernunft entftel^en fonnte unb eg biefelbe
3)ie göttlid^e ^erfönltd^fcit. 111
fogar jum $^ilofop!)iren brachte, unb gtüar §u einem t>ernünf=
ttgen menigfteng Bei ©c^openl^auer felbft! S)ie f(^roffe (Sin^eit ber
6ubftan5, trie fie ©pitioga geltenb ma($t, erfc^eint in fid^ un=
frnd^tbar nnb unbehjeglid^, fobafe bie SSiel^eit unb 3Jianni(^faItig=
!eit ber SBelterfd^einungen, }a bie SBelt felbft tooEftänbig uner=
flärt bleibt; mirb bagegen eine unenblid^e SSiel^eit fubftantieHer
ein]^eitli($er Söefen angenommen, mie bei Seibni§, fo ge!)t barüber
bie (Sinl^eit ber äßeltauffaffung t>erloren ober e§ ift hjieber ein
befonbere^ $rinci:p erforberli(5, um biefe (^iri^eit l^ersufteHen,
ein fubftantialeg ^anb ober eine präftabilirte Harmonie neben
bem eigentlichen IXrn^efen unb IXrprincip be§ ©afein^ unb (^e=
f(^el)en0. — 5Die Söeltpl^antafie bagegen ift ein ^rincip, 'i)a^
atten :p^ilofopl)ifd^en ^orberungen jugleid^ ©enüge leiftet, für bie
6innli(^!eit unb (S5eiftig!eit be^ S)afein§ S^gleid^ genügenb ift,
ißernunft iüie IXntoernünftigeg (2öiE!ürli(^e£0 au^ fid^ probucirt
unb aU ©inl^eit §uglei(^ eine unenblid^e SSiel^eit, fon^ol^l im
finnlic^en (^eWte aU ©eneration^potenj, al§> au^ im geiftigen
al^ fubjectit^e ^antafie ober freie ©eftaltung^!raft ^ert)or=
bringen !ann. — @» gibt aufeer bem angeführten ^l^atfäc^lid^en,
ha^ ©egenftanb fieserer Äenntni^ ift, aui^ nod^ anbereg, toa^
©egenftanb ber ©rlenntni^ fein !ann unb t)on bem fragli($ ift,
üb eg ni6)t au(^ in bie Kategorie be§ bi^l^er Slngefül^rten gel^öre:
S)en!en, Söotten, ©efül)le, moralifd^e^ ©efeg u. f. tu. 3Ba§ 'i)a^
legtere betrifft, fo tnar batoon bereite bie 9^ebe Ui ben Qbeen,
benn ^§> fäHt im 2Befentli($en gufammen mit ber 3bee be^
(SJuten; bie pfp(^if($en Functionen be^ ®en!en^, SöoEen^ unb
gü^leng aber finb un§> mol)l unmittelbar be!annt unb gemi^,
aber fie finb abgeleitet, alfo niä)t aU ^rincipien gu betrad^ten ober
aU emige, be^arrenbe 2ßefen^eiten, obtüol^l man immerhin tjon
i^nen al^ 2öir!ungen ober ©rfd^einungen be^ SDafein^ ©d^lüffe
auf ben Urgrunb beffelben unb feine Sefc^affenl^eit §iel^en !ann,
bal)er tüir im golgenben nod^ einmal barauf tperben gurüd-
!ommen muffen.
W ba^ bi^^er 33etrad^tete ift ^toax tttoa^ ^^atfäd^lid^e^ unb
ßrlennbare^, \a pm 3:;:^eil 2lbfolute^ unb abfolut erlennbar.
112 in. (SrfenntniO bc8 5l6[ofutcn unb abfolute ©rfenntnt^.
aber c5 ift gan^ allgemeiner DIatur unb !eine^lt>eg0 toon ber 5lrt^
bafe ba§ eigentliche ®afein^=$roblem burc^ biefe ©rl'enntnife al§
gelöft erf($einen fönnte; benn über ba^ tieffte 3}i^fterinm be^
^afein^, ben legten (^runb unb 3^ecf beffelben unb über SBefen
unb (§ft\ä)xä be^ SJ^enfd^en lüirb baburi^ !eine 2luf!lärung gegeben.
Die Sfteligion trollte unb tritt eine fold^e geben, aber biefelbe ift
bem beulen, ift tniffenfd^aftlic^ ungenügenb; bie Sßiffenfc^aft
l)inn)ieberum gibt für ben benfenben SSerftanb befriebigenbe ©r-
lenntniffe, aber fie befriebigen bie gan^e 3Jtenf(^enfeele, inSbefon-
bere ©emütl; unb SSerlangen berfelben ni^t. S)ie grage ift nun,
ob ni($t burd^ SSerbinbung toon beiben, t>on Sfleligion unb 2öiffen=
f(j^aft, in^befonbere ^l^ilofopl^ie, H§> gett>ünf($te 3^^^ erreid^t,
'i)a§> Mysterium magnum beg Dafein^, trenn aud^ natürlich nic^t
bur(^f($aut unb noUfommen erfannt, bod^ mit @i($er;^eit in irgenb=
einer SSeife conftatirt unb aud^ in einer bem menfd^lid^en ©eifte
befriebigenben Sßeife bem 33eh)u6tfein gefi($ert unb bie llngen)i6=
^eit übertüunben tt»erben !ann. Mit anbern Sßorten : Die grage
ift, ob fid^ auf ©runblage be§ ^l^ilofopljifd^ fidler @r!annten ber
etDige Hrgrunb alles Dafein» unb t^iz duette aEer ©rfc^einungen,
in^befonbere aud^ be^ 3)Zenfd^en mit feinen Gräften uub @tre=
bungen, al^ perfönli(^e§ 2öefen, bem abfolute 3Sott!ommenl^eit
eigen ift, ertoeifen laffe. 2öir l^aben W^» nun im ©in^elnen gu
unterfud^en.
gunäd^ft ift bie grage, ob nieEeid^t fd^on auf 't)as> allgemeine
fubftantiale 6ein, bag tnefen^fte 6ubftrat aller @rfd^ einungen,
bie 33e§ei(^nung ober ber 33egriff @ott (im religiöfen 6inne ge=
nommen) mit 'ü^ä)t angetüenbet toerben !ann, tüie bie^ ettüa
tjon ©pinoga gefd^ie^t. DieS ift ju t)erneinen, njenn unter ©Ott
'!>a^ attert»oll!ommenfte 2öefen, ba§ abfolute 3beal ber 3Sernunft
ober bie abfolute ^erfönlidf^feit p nerfte^en ift, tt>ie il)n 't^ie
monotl)eiftifd;cn S^teligionen, in^befonbere ba^ ßljriftent^um auf=
faffen. 3n ber ^eftimmung ber an unb für fid^ feienben ©üb-
ftana, bie il^re (^yiften^ ober ben ©runb il^rer e^iften^ in fid^
felber \)at, baljer unentftanben ober emig ift, unb feinec^ 2lnbern
njeber jum (Sntftel^en nod^ pm ©ein (ß^iftiren) bebarf, liegt
S)te gbttlid^e ^erfönlid^feit. 113
tüeitcr !eine @tgenf($aft begrünbet, bie ©Ott aU abfolutem, per=
fönlid^em SBefen §u!ommt. 2lu§erbem aber !ennen trir au^er
biefer aUgemetnen ^Beftitnmung gar m(^t^ t)on biefer 6ubftang;
if)r eigentliche^ Sßefen, au(^ infofern fie 6nbftrat atter irbifd^en
(^rfd^einnngen ift, Wibt nn§ t>ott!ommen unbe!annt, n)ie trir
^k§> felbft toom eigentlid^en 2öefen ber 3Jlaterie be!ennen muffen,
©^er fc^eint bie allgemeine ©efe^mäfeigfeit atte§ pl^^fifd^en
@ef$el^en§ eine Sere($tigung gn geben, biefelbe, n^enn jn^ar ni($t
al^ ©Ott SU be^eid^nen ober an bie 6tette ©otte§, aU IXrprincip
gu fe^en, boc^ aU unmittelbare Offenbarung göttlii^en 6ein§
unb 9Bir!en^ aufguf äffen, 'oa fie bo($ al^ ^lu^brud allgemeiner
Sftationalität gelten !ann. 5lllein amS) 't)k^ ift ni^t pläffig
ober iüenigfteng nid^t aU unmittelbare Folgerung geltenb gu
mad^en. ®ie ©efe|mä^ig!eit fagt gunäd^ft nur fi(^ felber au^,
!ünbet ni(^t^ anbere^ an unb entl^ält aud^ iüeiter feine @igen=
fd^aften, iüie fie in ber S^leligion bem göttlid^en Söefen gugefc^rieben
irerben. 2ll§ 3^otl)n)enbig!eit toottenb^ erfd^eint fie toielmel^r aU
©egenfa^ göttlid^enSBalten^, infofern in ben^leligionen aUentl^alben
©Ott aU perfönlid^ unb gn^ar in antl^ropomorpljifd^er 5ßorftellung
aufgefaßt toirb. 9JJan !ann fogar fagen, 'Da^ in ber Üteligion
©Ott (ober ©ötter) unb S^aturnotlfjtoenbigleit ober unöerbrüd^=
lid^e ©efe|mäfeig!eit in bem 9^aturgefd^e^en in einen geiüiffen
©egenfa^ gueinanber geftettt iperben, unb bafe ber religiöfe ßultu^
grö^tentl^eilg bal)in §ielt, W 9^aturgefe|lid^!eit mit §ülfe ber
©ottl^eit §u übertüinben, gu änbern, nad^ ben eigenen Sßünfd^en
ober 33ebürfniffen gu lenfen, alfo biefelbe geipiff ermaßen gu ]^em=
men ober aufgul^eben — burd^ ein geioiffeg 2Bunbern?ir!en, in
ineld^em man toeit mel^r unb fi(^erer ein 3^ic^^« ^on ©öttlid^!eit
erblidt al^ in ber ©efegmäfeigfeit. 60 im ©ebiete ber Sfteligion.
tlmgefebrt aber ift man aud^ in ber Söiffenfc^aft nid^t geneigt,
©Ott, tüie benfelben bie 9leligion glaubt unb oerel)rt, aU antl^ropo^
morpl)if(^e ^erfönli($!eit, mit ber allgemeinen ©efe|mä§ig!eit ber
3f?atur gu ibentificiren, möd^te biefe tiielmelfjr aU gleid^fam abfoluter
l)inftellen, aU ben ^erfönlid^en ©ott felbft, "oa hu logifd^en ©efege
unb ha§> entfpred^enbe reale ^efd^affenfein ober SBirfen gleid^fam
114 III. ©rfenntni^ be« Stbfoluten unb abfolute ©rfenntni^.
Über ©Ott geftellt erfd^eint, b. 1^. angenomtnen tüirb, ha^ ©Ott aud^
ben logifd^en @efe|en unb ber ^J^at^ematif gemäfe ben!en unb
l^anbeln muffe, alfo unter ber §errf(^aft btefer ftel)e, etrig unb
unabänberlid^; fobag er biefelben mä)t änbern, nid^t übertreten
ober unbefolgt laffen !ann. 5Demnad^ toirb alfo angenommen,
'i^a^ mä)t biefe ©efe^e tjon ©ott abl)ängig, öon beffen 2ßiHen
beftimmt finb, fonbern umge!e!)rt, t^a^^ göttliche ^en!en unb
2Bir!en an biefe ©efege gebunben ift. ©tel;en nun biefe ©efeje
getüifferma^en (aU veritates aeternae) über @ott, bann ift bie
©ottl^eit p i^xex ©yiftenj nic^t unbebingt not^tüenbig, unb auf
fie !ann bann aud^ !ein 33etr)ei^ für ©yifteng eine^ perfönlid^en
@otte^ gegrünbet tnerben. — Slber and) felbft ^a, tno S^latur^
Drbnung unb ©efe^mä^igfeit unb ba^ göttlid^e Söefen unb äöirfen
für ibentifd) erflärt iüerben, tvk ettra Ui 'i)zn 6toi!ern, tüerben
bod^ ber ©ottl^eit felbft irieber ßigenfd^aften unb 2Bir!fam!eiten
gugefd^rieben, bie ber bloßen Dkturgefeglid^feit nid^t felbft gu^
!ommen, fonbern berfelben gemiff ermaßen entgegenftel^en, — n)ie
ja aud^ bie ftoifd^e ^Sorfd^rift, in Uebereinftimmung mit ber S^latur
p leben, tüieberum ben 2öiberfpru(^ entl^ält, ha^ 't)k§, nid^t t)on
felbft, fopfagen naturgemäß gefd^eljen, fonbern erft !ünftlid^, burd^
ein befonbere^ Bollen unb ©treben beh)ir!t irerben fott, fobafe ein
gleid^fam nid^t D^aturgemäßes im 3}tenfd^en burd^ er^bene ©runb=
fä|e unb 2BiEengftär!e übertr>unben lüerben mill. ^ie 9^atur=
Drbnung unb ©efeJmägigMt foE ]f)ier erft in ben '^iUen auf=
genommen tüerben, ber alfo bod^ ipieberum al^ ein befonberejo,
freiere^ ©ebiet erfd^eint, nid^t in jener unmittelbar gegeben
ift, — fonft brandete fie nid^t erft in ben äßillen aufgenommen
ober ber Söille i^x eingefügt p hjerben. Eingefügt alä un-
georbnete^ ober al^ niebere^, untergeorbnete^ 9}loment, rt)ä]f)=
renb er bodf; aud^ notljtnenbig §ur D^^atur unb bamit aud^
pr ©ottl)eit gel^ören foE! 2lud^ t)on ber ©efefemägigfeit ober
3^otl)tpenbig!eit in ber D^atur ift alfo fein fidlerer 6d^lufe
auf ^afein unb 2ßir!en ber ©ott^eit moglid^, n)ie fie in
ber 9fleligion geglaubt unb öere^rt njirb. 3Zod^ treniger !ann
fie (biefe 9^aturgefe^lid^!eit) felbft als ©Ott betra(^tet merben.
3)ie gBttlid^e ^crfönüd^fcit. 115
ba i^r alle ©igenfd^aften ber $erfönli(j^!eit fel^len unb fie gött=
liä) erft tnirb burd^ 2lufna^me in ben äßillen unb Eingabe an
fie aU einen Slu^brud gottgefe^ter unb ^getüollter, un'oex^xüä)'
lid^er, rationaler Drbnung. ®abur(^ aber mirb ba^ real ober
Dbjectit) (SJegebene au^ ein fubjectito (SJeiüoEteg unb ©efegte^, —
ungefäl^r, iPte 6d^iIIer e^ au^brücft: „9f^e|)mt bie ©ottl^eit auf
in euern Söitten unb fie fteigt t»on i^rem Sßeltentl^ron''. SDa§
^eiüu^tfein öon ber ©ott^eit ftammt aber anber^mo^er unb il^re
BorfteHung ift naä) anbern gactoren unb bereu 2ßir!en in ber
2BeIt gebtlbet, fie ift antt)ro:pomorpl^ifd^ geftaltet aU lebenbige^,
freitüoEenbeg unb tr>ir!enbeg Söefen.
SSon tüeit me^r 2öi(j^tig!eit für unfer Problem ift bie fog.
3tüe(^mä$igMt ober 3telftrebig!eit im ^afein, fpecieH im ^ainx-
Men. 2)a6 '^k ^!)atfäd^li(^!eit berfelben nid^t mit dit^t in 2lb=
rebe geftettt tperben !önne, h)urbe f$on oben gegeigt. ®ie or=
^anifd^en ^Übungen unb in^befonbere bie lebenbigen Söefen
geigen eine folc^e innere unb äußere @inri(^tung, eine fo in=
einanbergreifenbe ©lieberung !örperlid^ unb fotc^e bagu ^affenbe
:pfp(^ifd;e Einlagen, bie gur ©rl^altung unb görberung gerabe
biefer 3lrt üon Snbiöibualität bienen, ba§ fie burd^au^ nad^
einem Pan gebilbet, einem beftimmten Qmä angepaßt erfd^einen,
ober ba§ in i^nen eine 3bee, ein Ux- ober SSorbilb aug bem
6amen l^erauS realifirt erfd^eint. 6elbft menn angenommen
tüürbe, ba^ biefe 3^^^^ä^^9^^^t ^^^ ^^^ 9t efui tat be^ med^a=
uifd^en $Raturgefd^e^en§ entftanben fei (ni^t aU urfprünglid^e^
^rincip tüirfe), mü^te bod^ 't^k ^l^atfad^e anerkannt tperben, ba§
fie je^t 'Da fei unb aU pincip ober ir»ie ^in fold^e^ tüir!e unb
für bie menfc^lid^e ^etrad^tung ber 3Ratur al§> regulatibe^ $rin=
cip gu t)erit>enben fei, foba^ au^ ber ^iefe be§ med^anifd^en @e=
fd^el^en^ felbft biefe be^errfd^enbe Maä)t hervorgegangen toäre,
bie nun bie med^anifd^e ^raft al^ 3Jlittel öermenbet, "i^a^» if)x
bienen mufe. ©g ift bal^er gar nid^t gu öerh)unbern, ha^ man, fo=
balb bag menfc^lid^e beulen nur einigermaßen gebilbet mar, afe=
balb bag ® afein eine§ mit 33etDußtfein unb 2)en!en toirfenben
IXrl^eberg toon att ber munberbaren S^ßc^wäfe^Ö^^it annal^m, bie
8*
116 III. (Srfcnntnt^ beö 216foIuten unb aBfolutc (Srfenntni^.
o!)ne beiüufeteg 3ßir!en gar ntd^t möglid^ gu fein fd^ien. darauf
l^in n)arb eben ber ^elüeiö t>erfu(^t, ber aU teleologif($er ober
:p]^t)fi!o=tf)eoIogifci^er S3eh)ei^ begetd^net iüirb unb bem populären
^en!en befonberg gufagt. Slllein felbft ioenn man ha§> ^egrünbet-
fein eine§ fold^en SBeinetfeg für bte ßyiftens eines perfönlid;en,
betrübten unb ben!enben IXrl^eberg sugibt, erljebt fid; bo(^ fogleid^
eine grofee 6(^it>iertg!eit, tuenn man unter biefem perfönlic^en, toer::
ftänbigen ober tr»eifen UrljeBer ben perfönlid;en, allgütigen, iDeifen
unb geredeten ©Ott ber l^öl^ern monotl^eiftifd^en S^eligionen t)erftel;en
roitt. ^enn biefe teleologifd^e Ginrid^tung ber Organismen, inS=
befonbere ber ^{)iere, geigt ^toax ^Ianmä§ig!eit unb 5ßerftänbig!eit,
aber — mie fd^on frül)er erörtert tourbe — !einesiüegS befonbere
3BeiSl)eit unb @üte für bie ©efd^öpfe felbft in il^rem SSerpltnife
gueinanber, ir»enn man ben fog. ^arnpf umS ^afein betrad;tet, ber
fortmäl)renb unb notf)tr»enbig in ber D^atur l)errfd^t, in h)eld;em
bie ©efd^öpfe fid^ unauffjörlid^ »erfolgen, toerbrängen, vertilgen
unb oft graufam gegeneinanber irüt^en. ©ie finb baju befäl^igt
eben burd; bie fo oft mit Erbauung betrad^tete gioedmäfeige ©in-
rid^tung unb SluSftattung mit !örperlid^en Drganen unb pl)i;fifd^'
pfp(^ifd^en ^nftincten. ^^eftänbige %uxä)t unb 2lngft, 9Jotl^,
Sd^merg unb ^ob )^zxx\ä)zn eben baburd^ in ber 9^atur, unb in
ber Siegel bann im §intergrunbe am Ifjeftigften, irenn in ber
(Srfdfieinung W dlatux am belebteften, fd^onften fid^ geigt. Sßenn
nun einerfeits bie gtnedmäfeige unb tl^eiln>eife fogar äftl;etifd^e
(Einrid^tung ber S^aturtrefen auf einen toerftänbigen, ben!enben
Url^eber biefer Sßefen l^ingutoeifen unb einen fold^en notl)lr)enbig
i?orauS5ufeJen fd;eint, fo beutet ebenfo fel)r biefer graufame 'Bex-
lauf im D^aturleben, biefe SluSftattung ber SBefen mit Drganen
gur gegenf eiligen SSerfolgung unb 3Sertilgung barauf l)in, 'i^ai^
biefer llrl)eber bod^ ir)ol)l nid^t toon SlUgüte gegen biefe SBefen
geleitet fein modele, "oa er aHentl^alben bie Ginen erfreut mit
bem <Sd^merg ber Slnbern, unb alle fie förberte auf gegenfeitige
Soften. 2BiE man bennod^ unter biefen Umftänben bei ber 2ln=
nal)me ftel;en hUih^n, bafe üon einem betrübten perfönlid^en
Sßefen mit 2lbfid)t unb SSorbebad^t biefe ©efd{>öpfe mit fold^en
2)ie gBttltc^c '^Perfönltd^fcit. 117
töebürfniffen unb ©trebungen feien gefc^affen unb au^geftattet
tporben, fo bleibt niä)t§> übrig, aU biefen tierftänbigen IXrl^eber
felbft fi(^ mit einem beftimmten ©rab t>on Unöottfcmmen^eit gu
benfen, infolge beten er nic^tö Seffere^ fd^affen tpottte ober
!onnte; ober mehrere f(^öpferif($e Mä^U gu benfen, bie mit=
einanber felbft in 3tüiefpalt fic^ befinben, einanber felbft be=
feinben nnb i^re ©ebilbe gegenfeitig fd^äbigen unb t>ertilgen.
^er ^olt)tl)eigmu^ mit feinen t)ielen t>erf(^iebenen ©Ottern !onnte
tpol^l biefe 5lnfi($t fid^ bilben unb behaupten unb brandete barum
feinen Inftofe ju nehmen an ber lXnt)oll!ommenl)eit ber Söelt M
feinem religiöfen Glauben, ^ei üollfommenem ^Setpugtfein öom
©öttlic^en lonnte man babei nid^t ftel^en WiUn unb l;alf fic^
allenfattg, iüie Wir fd^on frül^er anfül)rten, burdb ben ®uali§=
mu^, inbem man einen guten ©Ott unb dn böfeg SBefen annal^m,
al^ im Kampfe gegeneinanber begriffen, ^in ^uali^mu^, ber
aud^ im 3ubent:^um fid^ finbet, tüenn aud^ in gemilberter ^orm,
unb fic^ im ©!^riftent:^um mit ber Seigre t)om 6ünbenfatt ber
erften 3)ienfc^en, mit ©rbfünbe, ©rbfd^ulb unb ©rlöfung burc^
ben Dpfertob ©otte» felbft, al^beso guten ^rincip^, toerbanb; mit
bem Dpfertob, ber bie SJJenfc^^eit au^ ber 3Jiad^t be^ böfen
$rincip§ befreien follte. §iert)on ir»ar frül^er fd^on bie ^t\)t
unb mir braud^en l^ier nid^t näljer barauf einsuge'^en.
60 geftaltet fid^ bie (5ac^e, h)enn tr>ir gelten laffen, ba§
fid^ t)on ber 3^^<^wö6^9'^ßit iti ber S^^atur im ©rofeen unb (Bin^
seinen auf einen mit SSerftanb unb ^iUzn planmäßig gemir!ten
Urfprung, in^befonbere be^ Drganifd^en unb Sebenbigen, fd^liegen
laffe. 3nbe§ ift bem nid^t einmal fo; e^ lä§t fid^ ipenigftenso
nid^t mit 9fZot^menbig!eit bi-efer Sd^lu^ ^i^^tn, benn unferm
"^znUn ftel)t bafür feine fidlere ©rfal^rung aU 3luggang^pun!t
ober ©runblage ^nx ^tiU, 2111 unfere ©rfal^rung ^eigt un^
tjielme^r, bafe bie teleologifc^en 33ilbungen in ber S^latur au^
bem ©ebiete be^ IXnbetüu^tfein^ l^eröorge^en, bemna(^ h)ol)l ein
teleologifd^^plaftifd^ trirfenbe^ ^rincip, aber feine betüu^te 35er=
ftanbegtl)ätig!eit bezeugen, — lt>ie fie bem teleologif(^en Sßirfen
be^ 3Jlenfd^en notl^menbig ift. D'b biefe^ teleologifd^=plaftifd^ unb
118 HI. (5rfenntni§ bc8 2(6foIuten unb abfotute (Srfenntniß.
unben?u6t iüir!enbe ^rincip felbft toon einem pl^ern ober ge^^
rabeju abfoluten, mit Söeipufetfein tnirfenben ^rincip ftamme
ober im attgemeinen Söefen be§ ®afeinS unbetru^t tüirfe, fönneti
mir bemnac^ auf ©runb unferer D^aturerfenntnife l)in nic^t ent*
fd^eiben; benn mir vermögen ba^ gange® afein nad^ feinem ©runb=
Jüefen nnb feinen ©runbfräften nic^t §u burc^fd^auen, um §u ent=
fd^eiben, ob bie teleologifd^-^laftifd^ mirfenbe @runb!raft nic^t
aU unbeit)u§te, ftet^ in il^r irgenbmie fic^ betl^ätige unb au-
mäl^Ud^ aud^ §um ^äetoufetfein unb gum bemühten teleolo gif d^en
2öir!en fid^ fortbilbe im unenblid^en Sßeltproceffe. SBenn nun
bennod^ t)on biefen gtoedfmä^igen ^Übungen au§> auf einen be-
mußten, intelligenten IXrl^eber aU Urprincip gefd^loffen mirb, fo
gefd^iebt bie^ auf (SJrunb ber ©rfa^rung, Ue mir an un^ felbft
mad^en, ba§ mir nämlid^ nid^t§ 3^^cf^<äfe^9^^ P ©taube bringen
ol^ne bemühte 3Serftanbe^t^ätig!eit, bie ba^ äßotten unb ^l^un
beftimmt unb leitet, ba^ ber beftimmte ^lan ober ba^ 3Sor=
bilb (3Sorftettung) beffen, ma^ mir erreid^en moEen, jur 5(u^'
fül^rung lommt. Unfer SSerftanb ift babei regulatiöe^ ^rincip;
biefe^ übertragen mir auf W objectiöe, real=mir!enbe ^latur aU
conftitutit>e§ ^rincip unb fd^Ue^en bann öon biefem au§ mieber
auf ^in l^öl^ere^, regulatitjeg unb fd^affenbeS ^rincip, ba^ mit
53emu6tfein unb SSerftanb ber 9flatur bie gielftrebigleit unb
3tT?edEmägig!eit gegeben ^dbe. Mein in fold^er Sßeife !önnten
mir mit 6id^erl)eit nur bann fd^liefeen, menn fd^on gemi^ märe^
bag unfer SSerftanb al^ teleologifd^eö ^rinci^ felbft öon einem
mit S3emu6tfein unb IXeberlegung fc^affenben ober gerabegu ab-
foluten, göttlid^en Url^eber ftamme, — menn mir alfo 'i)a§> fd^on
gemijs müßten, maä mir erft burd^ biefen 6d^Iu6 feftfteHen
moHen; unb menn bemnad^ mit ©ntfd^ieben^eit in Slbrebe ge^
fleHt merben !önnte, ba§ nid^t ber menfd^lid^e 35erftanb felbft,
ber gu fo gmedtmä^igem, bemühten 2Bir!en befähigt, attmä^lid^
au^ bem SRaturproce^ l^ertoorgegangen fein !önne; au^ bem
3^atur!proce§, ber burd^ ein bem 3!)afein ober ber 3Ratur
immanente^, junäd^ft unbemufet teleologifd^=plaftifd^ mirfenbeö,
allgemeine^ ^ilbung^princip fic^ tooßjogen ^at unb tooUgie^t.
S)tc göttltd^e ^erfönlid^fcit. 119
^ir fönnen btefe SKöglid^feit ni^t in 2lbrebe [teilen, ba fiä^oti
unfere geiüöljnlid^e ©rfal^tung ebenfo, mie bie tniffenfd^aftlid^e
gcrf($ung uns barauf ^intüeift, ba^ ein @ntir)i(^elung§proce6
biefer 5lrt ftattgefunben f)at unb nD(^ ftattfinbet, aU beffen S^^Ö-
niffe bie unenblid^e 3]^anni(^faltig!eit unb bie 9ftei^enfolge ber
Drganifc^en unb lebenbigen Sßefen betrachtet tnerben fönnen.
!^ie §uerft unbemufet teleologifd^ iüirfenbe aEgemeine ^ilbungg=
!raft (SSeltpl^antafie lonnen toix fie nennen) tüäre alfo l^iernad^
attmä^Ii($ gu beiüufetem teIeologif(^en 2öir!en gelommen unb
\)ätte fi($ gum ^erftanb unb SöiEen, iüie beibe im 3}lenf(^en=
©eifte nun fi^ beti)ätigen, emporgebilbet. ©^ bleibt unent=
fd^ieben, ob ni^t bie unbetüufete ^unft ber Statur (naä) 21Cuf=
faffung beg 2lriftoteIe^) im Tl^n\ä)^n §ur bemühten merbe, unb
üb W§> unbemu^te ^toeifmä^ige 3ßir!en in il^r nic^t gerabe im
aj^enfi^engeifte inö 2xä)t be^ 33etDuMßt«» tritt unb im betüufeten
2Bir!en be^ SRenfc^en pr öerftänbigen, planmäßigen 33etl^ätigung
unb Offenbarung !ommt. i^ommen bod^ aud^ nod^ "o^m beiüußten
(Steifte M feiner S^ätigleit fo oft bie beften SSorftettungen unb
(SJebanlen plö^lid^ au^ bem ^eWte be§ IXnbetDußtfein^, irie
bie Äünftler, ^id^ter unb Denier bezeugen. (Bim 2lnbeutung,
't^a^ aud^ im S^P^nbe beg llnbetüufetfein^ ber gaben be^ SSor-
ftetten^ unb 2)en!en§ nid^t abgeriffen ift, unb baß unbewußt
eine gel^eime rationale unb teleologifd^e ^ptig!eit fortbauert,
bereu Stefultat bann attmäi^lid^ ober plö^Iid^ in^ S3etüußtfein
tritt. 2)a§ Söefen be^ 6innlid^en unb beifügen, be^ llnbe=
tüußten unb be^ 33ett)ußtfein», ift un^ eben nod^ t)iel §u tüenig
belannt, um l^ier eine enbgültige ©ntfd^eibung geben ^u !önnen;
iebenfall^ fönnen tüir un^ bei t)tm in grage fte^enben Problem
auf W @rfa!)rung nid^t mit 'Mzä)t berufen, ha nad^ unferer ©r=
fal^rung teleologifd^e^ 2öir!en tr>eit öfter unb allgemeiner au§
bem (S^ebiete be^ IXnbetüußtfein^ in ber Sf^atur l)ert)orgel^t, aU au^
bem beh)ußten, giredtbeftimmten, menfd^Iid^en Reifte, ja biefer
felbft für unfere ©rfal^rung au^ bem (^tbkU be§ IXnbelüußtfein^
l^eri)orge!)t.
%nä) W Sbeen unb gmar bie Qbeen im l^öd^ften 6inne toom
120 in. Srfenntni^ be8 2(6fotuten unb abfolute ©rfenntniß.
SBa^ren, @uten, Schönen, öon 9te(^t unb ©ered^tigfeit, "ok mit
toon ben untergeorbneten Sbeen unterf (Rieben l)aben, tpeld^e fid^
in ben Gattungen unb Sitten bet Söefen, butc^ "ok teIeologifc^=
^laftifd^e 2öit!fam!eit in bet 5Ratut t»etlr»it!li($en, — auä) biefc
^öc^ften Sbeen l^aben tüit al^ Dbject einet ]i6)txn, tpa^ten @t=
!enntni§, al§> ^l^atfac^en, bie füt ben ^ntettect gut 2Ba{)t]^eit
njetben, et!annt unb anetfannt. ©;§ entfielt bemnac^ bie gtage,
ob nid^t t)ieEeid^t au^ bet ©t!enntni§ biefet bet etüige Utgtunb
be§ ^afein^ fid^et etfannt iüetben !önne, irie et iritüid^ ift unb
aufgefaßt iüetben muffe; ob fie eimn fic^etn 2lnl;alt§pun!t füt
bie ©ntfd^eibung üUx tia§> :^öc^fte ^toblem obet 3}^i;ftetium be^
S)afein^ geben; unb §n)at in bet 2ltt, 't^a^ irit mit t)olIet 6id^etl^eit
aud^ toiffenfd^aftlid^, ipie im teligiöfen ©lauben, ein betoufete^, abfo=
lut ooHfommene^ äöefen obet einen petfönlic^en ©ott annehmen unb
bel^aupten lönnen. Slbet aud^ bie 3been geben in biefet ^egiel^ung
feine t)otte @en}i6:^eit, iüenn fie aud^ öon l^öd^ftet 2Bid^tig!eit finb.
In fid^ finb fie felbft unpetfönlid^, finb nod^ im ® afein t)et=
botgen obet nut unbeftimmt in bet 9^atut gut Dffenbatung
gebtad^t, el^e ein !Iat etfennenbet ©eift fie fd^aut unb gut Dffen=
batung btingt. 6ie toitfen junäd^ft füt SSoIIen unb §anbe(n
toie ^tiebftäfte, mel^t obet minbet bunlel, füt 'i)a§i @t!ennen
abex loie ^titetien obet Ut= unb SSotbilbet, an benen bie ®inge
unb ^^aten geptüft unb nad^ i^tem toa!)ten Sßettl^e beuttl^eilt
toetben. Slbet auf einen beftimmten Uttjebet obet ^täget, in§=
befonbete auf einen petfönlid^en @ott iüeifen fie nid^t unmittel=
hax 1)in ; t>on einem an fid^ ©d^önen obet toon fubftantialet
6c^ön^eit aU ^etfon, obet öon einem an fid^ Söal^ten, t)on
petfönlid^et Subftanj al^ Sßa^tl^eit u. f. tt?. !önnen n^it un^
feine $8otftettung, felbft nid^t einen ©ebanfen obet Segtiff bilben.
©0 finb bie Sbeen ge^eimnifeüoE, an fid^ unfapat, dbex treil
unpetfönlid^ in unenblid^en 2öefen unb (^eftaltungen, su tealifiten
unb gut Dffenbatung gu btingen. Dbmol;l fie abet an fid^ un=
beftimmt, üetbotgen finb unb etft butd^ bie ©ebilbe beö 3)afein^,
in^befonbete butd^ ben 9)lenfd^engeift gut Dffenbatung fommen,
finb fie bod^ notl^n^enbig, untoetänbetlid^ unb attet äßillfüt ent=
2)ie göttliche ^crfönltd^feit. 121
f)oUn, ftnb aBfolute 3Jläd^te, über 't^k feine menfi^Iic^e ©etralt
gebieten, 'i^k hin menf(^Ii(^e^ Ma^iq^hot feftfe^en ober änbern
!ann. @ie gleichen mat^ematif(^en SSal^rl^eiten unb rationalen
Sljiomen, infofern aU fie, tüenn einmal !lar er!annt unb im
33en)u§tfein aufgegangen, nic^t mel^r nid^t gebadet unb nic^t me^r
anber^ gebadet toerben !önnen, fobafe fie atter menfc^Ud^en äöillfür
entrüdt bleiben, tnenn fie einmal ^ur !laren Offenbarung gefommen
finb. 6ie [teilen infofern auc^ h)ie veritates aeternae, gen)iffer=
ma^en über einen perfönlid^en ©ott al^ beftimmenbe Mä6)k be^
göttlid^en Sntellectg unb Söillen^. ®ie§ ift felbft in ber (^riftlid^en
^l^eologie in auffaEenber Söeife gur ßJeltung gebrad^t iporben,
in^befonbere in ber Ürd^lid^en ©rlöfung^lel^re, j. 33. in ber fog.
6ati§faction^tl)eorie bur(^ SInfelm t>on ßanterburi; in bem 2öer!e:
„Cur Deus homo?'', in tüeld^em beriefen it»erben toill, ba^ bie
Mofung ber 3}lenf(^^eit nur burc^ 3)lenf($n) erbung unb D:pfertob
@otte^ felbft öoEgogen n)erben !onnte. ©^ brängt fid^ ple|t
alle @d^h)ierig!eit auf W 5^rage pfammen, ob benn @ott t)er=
möge feiner @üte unb Wla^t, ni($t bur(^ feinen bloßen Söillen
"Dit Tt^n\ä)^eit toon ©ünbenfd^ulb unb Strafe l^ätte befreien können,
darauf tüirb geantiüortet, ba§ bie^ niä)t mögli($, niä)t pläffig
toar tnegen ber(S^ere(^tig!eit, meil biefer ©enugt^uung geleiftet
tüerben mu^te unb @ott felbft geiüifferma^en baran gebunben
tuar, unb nid^t burd^ einen SJJac^tfprud^ ober einen Slct ber 2öill=
!ür 't)it <Baä)^ erlebigen lonnte. ^emnac^ ift l^ier ber Sbee ber
@erec^tig!eit eine gebietenbe 3Jlad^t felbft über ben perfönlid^en
©Ott bei feinem 2Bollen unb 2öir!en für "i^ie^ 3Jlenfd^^eit gugeftau::
ben. ®ie Qbeen lönnen bemgemä^ toon ©Ott nid^t geänbert
tüerben, 'i)a§> perfönlid&e teufen, SöoEen unb 2Bir!en ©otte^ für
bie 3Jienfd^en mufe fic^ nai^ ben Qbeen rid^ten. 1)a§> SBa^re ift
tt)a]^r, bag ©ute gut, ba^ ©ered^te geredet, nid^t tneil eö ©Ott
beliebig fo beftimmt, fonbern ipeil eine einige, ibeale 9^otl^-
tüenbigMt e^ fo forbert. ©otte^ Sntettect unb ^iUen ift bem=
nad^ öon ben Qbeen beftimmt, unb nid^t biefe finb t»om perfön-
lid^en ©ott abl^ängig ober beftimmt, fonbern umge!e:^rt. ^aä)
ber 5(uffaffung biefer t^eologifd^en ^^eorie l^at ©ott in feinem
122 III. Srfenntni^ bc8 5lBfoIuten unb abfolute (Sr!enntnt§.
SBoHen unb 2ßir!en fid^ mci) ben Sbeen gu richten, ^emnad^
fönnen h?ir nid^t bel^aupten, bafe biefe Sbeen ben perfönlid^en
@ott öorau^fe^en^ ba fie an ]iä) feienbe, en)ige 2öefen!)eiten,
©eje^e ober BJläd^te finb, fonbern tin pcrfönltd^er ©Ott erfd^eint
getüifferma^en aU ba^ 3^^^^^^/ ^^^^ aEerbing^ al§> bag, iüobnrd^
biefe Qbeen etoige Sebenbig!ett nnb 3öir!fam!eit erl^alten, n^a^
aber auc^ in geitli(^er, relativer 3Beife in ber SSelt felbft gefd^e^en
!ann. Uebrigen^ ftnb biefe 3been nid^t blo^ für bie menfd^lid^e
©eifte^entiüicfelung in allen ©ebieten, in ^^ilofo^ljie unb £unft,
im etl^ifd^en Seben unb in ber 6taat^organifation unb ©efe^-
gebung t)on ber l^öd^ften 2öi(^tig!eit, fonbern aud^ bie ©nttoide-
lung unb 3Sert)oII!ontmnung ber Sfleligion, be^ @otte^betr>u6tfein§,
ift burd^au^ tion ifjnen bebingt. S)ie Sfteligionen entJDidfeln, tertooU^
!ommnen fid^ nid^t au§> fid^ felbft, tpeil fie allentljalben, aU toermeint^
liä) birect göttlid^ gegeben, auf eine getoiffe Slbfolutljeit unb Unt)er=
änberlid^!eit (Unterbefferlid^feit) 2lnfprud^ mad^en; e^ n^irb bal)er
jeber 3Serfud^ einer SSeröoHfommnung aU 5lbfaII, ja %x^ul gegen
©Ott felbft betrad^tet, öerpönt unb toomöglid^ fd^mer geftraft
unb unterbrüdft. 60II bennod^ eine ^ortbilbung, Säuterung unb
3Sereblung be§ ©otte^betuufetfein^, ber 3SorfteIIung t^on ©Ott unb
beffen (Sigenfd^aften unb Söirfen ftattfinben, fo !ann bie^ eigentlid^
nur inbirect gefd^el^en, inbem 'i^k allmäl)lid^ errungene (£r!enntni§,
3Sereblung unb (Kultur im finnlid^en unb geiftigen (3tbktz auf
irgenbeine Sßeife, untoermerft ober burd^ irgenb eine Ärifi§ unb
^ataftropi^e im geiftigen Qtbcn in 'i)k D^teligion eingefül^rt toirb, —
toie bie ^fteligion^gefd^id^te bezeugt. ®urd; "oen gortfd^ritt ber
Söiffenfd^aften unb ber geiftigen Kultur mirb nämlid^ aud^ ber
ibeale ©inn in ber 3}knfd^ennatur getnedft, irirb bag 33eiüu§t=
fein t)on ben 3been be^ SSal^ren unb ©uten, ber ©ered^tigfeit
u. f. iü. angeregt unb gebilbet. Qnfolge batoon toirb bann mand^e^
ntd^t mei^r geglaubt ober feftgel^alten, tDa§> man frül^er al^ @igen=
fd^aft ober 2Bir!fam!eit ©otte^ gläubig :^ingenommen l^at. 3Sor-
ftettungen unb ßultu^ in ber S^leligion reinigen unb erl)ö^en fid^
baburd^, h)ie 'i)ii§> 5. S. felbft in ber altteftamentlic^en Sieligion
!lar l^ertortritt, unb njte aud^ bie übrigen l^ol^em ^eligion^formen
2)tc giJttttc&e ^erfönltd^fcit. 123
jeigcn, in betten ba^ fittlid^e ©etüiffen über ba§ religiöfe ©e-
iptffen attmäl^lii^ ba§ Uebergemid^t getr>ann unb infolge baöon
graufame @ebräu($e unb unfittli($e §anblungen au§> bem reli=
giöfen ßultu^ entfernt n)urben. ^iefe £äuterung ober 3Sereblung
nnb 35ergeiftigung gefd^iei^t eben bur($ bie 5lu§bilbung ber l^öl^ern
Sbeen, burd^ ©eftaltung befferer gbeale, in^befonbere im ©ebiete
ber 6ittlid^!eit unb be^ Sted^te^, aber au<^ bur(^ Stärfung unb
©rl^öf^ung be^ @efül^I§ für Söal^rfjeit unb 6($Dn!)eit, infolge
beffen bag IXnmal^rc, gabel^afte, ©efälfd^te, fotüie bag 9iol)e unb
gra^enl^afte frül^erer reltgiöfer SSorfteHungen unb ßultu^acte
immer mei)x au^gefd^ieben ir»irb. 9Kan !ann alfo fagen: 2^ bem
3}ta§e, aU bie l^öl^ern Qbeen pr Slu^bilbung unb pm S3eiDU§t=
fein im SSolfe kommen, in bemfelben reinigt unb er^öl^t fid^ aud^
Ue ©otte^ibee, ha§> (^otte^betpufetfein unb ber religiöfe (Sultu^.
60 iDurben §. ^. bie 3Jlenfd^enopfer, ba^ mud^ernbe gefd^led^tlid^e
Clement, bann aud^ bie blutigen £):pfer überl)aupt, aU ber
©otte^ibee unangemeffen, au§> ber 9leligion, bem ßultu^ au0=
gefd^ieben. ®ie ^lu^bilbung biefer gbeen aber ift hk golge ber
n)iffenfd^aftlid^en gorfd^ung, in^befonbere ber ^l)ilofop]^ie, fotüie
ber fünftlerifd^en ^etl^ätigung unb äft^etifd^en 33ilbung. ©al^er
finb bie 6ulturt)öl!er einer l^öl^ern, reinem, geiftigern ^Religion
fällig, al^ bie nod^ in S^lo^^eit unb Uncultur befinbli(^en, t^k
für reinere @otte§t)orftellungen unb Mtu^^nblungen nod^ gar
feinen (Sinn unb fein 35erftänbni§ ^ben unb bie auä) 't)a§> 33effere,
'oa§> il)nen t)er!ünbet ober aufgebrungen iüirb, iüieber in xi)xt
grobfinnlid^en gormen bringen unb in ba§ (^tbkt be§ bloßen
Slberglauben^ l^erabgiel^en. Dl)ne ©eifte^cultur überl^aupt gibt
eg feine Läuterung unb 6rl)ö]^ung beg ^otte^bemu^tfein^ unb
feine iüirflid^e, bauernbe SSereblung ber Sfleligion.
2ßir fommen enblid^ §ur Erörterung be^ Hauptproblem^, ob
nämlid^ ni($t iDenigften^ auf ^runblage be§ aEgemeinen 2Belt=
^rincip^, 'oa^^ tüir geltenb mad^en, ber allgemeinen ^ilbung^mad^t
im ©afein ober ber 2öeltpl)antafie ein fidlerer ^etoei^ für
ha§> ©afein unb Söirfen eine^ perfönlid^en @otteg, h)ie er im
religiöfen Glauben angenommen unb toerel^rt tpirb, fid^ führen
124 in. (Srfenntuiö bc§ 2l6foIutcn unb abfolutc ßrfenntntß.
laffc, ober ob bicic anä) auf @runb biefer für geirife gel^alteneu
^l^atfac^e nxä)t möglid^ fei unb iüir tüiffenfc^aftlt($ bei biefem
immanenten Söeltprincip aU bem ^öd^ften, Seiten [teilen bleiben
muffen. 3wnä(^ft fc^eint baö Segtere bur(^au§ ber gatt 5U
fein, ipenn, trie mir ^u erir»eifen toerfud^t l^aben*, au^ biefem
attgemeinen, suerft un^erfönli^ unb unbeiüufet n?ir!enben 33il=
bung^princip nic^t blo^ bie organif($en DIaturbilbungen unb
bie lebenbigen SBefen nad^ i^rer pl^^fifd^en Drganifation unb
i^ren ^Df^d^ifc^en ©igenfd^aften unb ^etf)ätigungen fid^ erüären
laffen, fonbern aud^ felbft ber bemufete, perfönlid^e 3}^enfd^engeift
mit feinen intettectuetten Gräften, tüie mit @emütl; unb 2öiHen.
©^ fd^eint ba unnöt^ig, nod^ ein perfönlid^e^, mit 39eir>u§tfein
unb SSiEen n^irfenbe^ Urit>efen ober einen perfönlid^en ©Ott an=
pnel)men, um 'tia^» teleologifd^e = plaftifc^e 2ßir!en in ber Statur
unb in^befonbere ba^ ^afein unb bie Gräfte be^ perfönlid^en
3Jlenfd^engeifte^ p erüären: ^enjufetfein, 3Serftanb, ©emütb,
Sßiden, 33ernunft, bie ©enefi^ be^ 3Jlenfd^engeifte§ über^upt.
2lnbererfeit^ aber fd^eint gerabe umgefel^rt bie ^{)atfac^e,
ba§ att bie^ im Saufe be^ 9f^aturproceffe§ au^ bem ©runbprincip
^ertoorge^en !onnte, bie 2lnna]^me ju forbern, ba§ biefem ganje
geiftige Sßefen unb Sßirfen, tt>ie e^ in ber D'Iatur unb t)or 2Ittem
in ber 3}lenfc^engefd^id^te fid; geigt, bod^ irgenbirie, im IXrprincip
njenigften^, potentiett ober ber Einlage nad^ etoig üorl^anben fein
mufete, ha e^ nid^t med^anifd^ entftanben fein !onnte, tüie auö
3ufaII, gleid^fam burc^ generatio aequivoca unb aU tootte [jisTof-
ßaat; d^ aXXo ^evo^. Slber aud^ eine emige ^otentialität f(^eint
niä)t angenommen trerben ju !önnen, ba bo(^ jebe ^oteng, hk
eine ^raft ber 2lctit)ität in fid^ birgt (n^ie 5. 33. ber Äeim ber
^ftange), bod^ aud^ actito fein mu^, fd^on burd^ i^x 6ein ober
liBefen, nid^t blo^ paffit? beftefjen !ann, felbft nid^t in bem fogu^
fagen rul^enben 3wftanbe, — nod^ ipeniger hei unenblic^er '^eta--
* „2)ie ^^antafie al« ©runb^rmcip beS Selt^roceffeö" {iDUndftn 1877),
unb: „2Ronaben unb ^öelt^^antafic" (2Jiün(^en 1879).
3)ic göttlii^e ^erfönlid6!cit 125
morpl^ofe im 3)afein^proceffe. ^a ift bann eine abfolute, QötU
Uä)t Banalität, bie 2lIIe§ in abfoluter Söeife in ]iä) f^liefet, ina^
im Saufe be^ enblic^en (gntn)i(JeIungg^roceffe§ attmäl)li(^ in re=
latit^er gorm barau^ I;ert)orge]^t, nid^t an^gefi^loffen, nic^t einmal
unmal^rfi^einlid;. Slbfolut actueH finb ja fd^on bie logif(^en unb
bamit ani^ bie realen @runbgefe|e, iüie tüix fallen; eBenfo bie
Sbeen an fic^ (nid^t in i^rer geitlid^en Dffenbarnng). ^emnad^
erfd^eint al^ 't)a§> au§> ber ^oten^ §ur Slctnalität ©trebenbe unb
bie 9flelatit)ität Ibegrünbenbe bie aEgemeine 33ilbung§:potens ober
U^ 2öeltpl)antafie. ®urd; fie gel)t ber allgemeine Sßeltproce^,
\ük W ?R,atux benfelben geigt, foh^eit lüir nrtlf^eilen lönnen, auf
3bee= ober SSernunftrealifirung au§> (33ernunft aufgefaßt al^
55ermögen ber Sbealität, ber Sbeenrealifirnng [objectit», real]
unb Sbeenerlenntni©. (B§> gefd^iel^t bie^ auf ©runb ber emigen,
unbebingt gültigen (^efe|e, bie babei gleii^fam aU Mittel toer=
iüenbet inerben. Um bilblid^ p reben: S)ie @efe|e finb glei($fam
'bk feften Sangfäben, in treidle bie gro^e 9f^aturit»eberin, 't^k att=
gemeine ©eftaltung^lraft, bie Üuerfäben einfügt, um ba^ unenb^:
lid^ mannid^faltige SSeltgelneBe gu bilben. ®ie erfte S3etl)ätigung
ift eine gefe|mä^ig orbnenbe, üerbinbenbe — gu (^eftaltungen,
lüeld^e 3nbit3ibualität h?enigften^ anbeuten. ^ann folgt bie be=
ftimmtere, innerlid^ iüie äufeerlid^ teleologifd^=^laftifd^e ober or=
ganifd^e, 'i)k ©d^affung ober ^ilbung ber Organismen, ipobei
burd^ ^or]{)errfd^en be§ plaftifd^en Wlomznk§> fid^ h^ol^l baS
^flangenreid^ attmäl^lid^ bilbete, burd; ^or^errfd^en beS teleolo^
gifd^en baS X'i^kmiä) ; bann tüieberum in ber (SJefd^led^tSbilbung
im lr>eiblid^en fid^ "oa^f plaftif(^e Moment tiorl^errfc^enb §ur @el=
tung bringt, im männlid^en baS teleologifd^e u. f. \ü. 3^ ber
2öeltp]^antafie ift alfo gunäd^ft 'i^k ^oteng §u fol($er Sßirlfamleit
gegeben. Slber tDir lönnen ni^t beftimmt belfjaupten, ha^ fie in
ber gorm ber Slctualität, b. 1^. aU betou^te lünftlerifd^e ^raft
ober tüie ein perfönlid^er ^ünftler eyiftent unb ioirffam fei —
aU göttlid^er Söeltbilbner ober gerabegu Söeltf(^D:pfer. '^n ber
2öeltp^antafie finb freilid^ nid^t aU tk unenblid^en ^ilbungen
gleid^fam fd^on im £eime gegeben, fobafe fie fid^ barauS nur
126 ni. (Srfenntntß beö ^bfoluten unb absolute (SrfcnntniB.
p entmicfeln braud^ten, h)ie au^ bem 6amen hk ^flanje,
fonbern e^ ift nur bie aEgemeine @eftaltung^!raft gegeben,
n)el(^e 'Dann naä) ben allgemeinen (SJefegen unter bem @in=
ftuj ber 9f^aturt)er^ältni)fe bie Slrten ber 2öefen fjerüorbringt.
Slber beiüufete ^!)ätig!eit eine^ perfönlid^en Söefen^ ift ben=
nod^ babei ni6)t unbebingt not!)tüenbig für unfer Urtl^eil, ba
trir auä) fonft finben, ba^ ^eftimmte^ au§ Unbeftimmtem ^er=
»orgelt, bafe SSirfungen ben Urfad^en nid^t immer tottftänbig
gleichen, über tDenigften^, ba§ Unbeftimmtem W ©runblage unb
reale 3)'lögli(^!eit ^u S3eftimmtem bilbet, ba^ gan^ tierf (Rieben
batoon erf(^eint. ©elbft bie menfd^Iid^e fubjectitoe ^l^antafie, bie
an fi(^ bD($ geftaltlo^ ift, öermag unenbli($ t>iele unb t>er=
f(^iebene ©eftaltungen, 33ilber ober 3Sorftettungen l^ertjorjubringen,
bie beftimmt unb concret finb, unb baburc^ gang t?erf($ieben t?c»n
ber fie ^eröorbringenben IXrfac^e. 2lud; in ber äußern pl^^fifci^en
3Ratur geigt fi($ 2lel;nlid^em ; ber S^laum g. ^. begrünbet ©r=
f (Meinungen unb ^erl^ältniffe, bie toon il^m gang toerf (Rieben gu
fein f($einen, @r ift unbetüegt unb begrünbet ober ermöglid^t
bD(^ alle SSeiregung, er erf(Jeint unenblic^ unb gibt )i^ bod^ in
lauter @nbli(^!eiten !unb, er l^at !eine Sflic^tung unb Entfernung
unb begrünbet bo(^ alle 9fti($tungen unb Entfernungen be^ 9ftäum=
liefen, ift felbft unfi^tbar an \iä) unb begrünbet bodf) atte Qid^U
barfeit unb 2öa^me^mung u. f. tr. — ®am äßi^tigfte für ba^
^fi;d^if(j^e unb geiftige Seben unb 2öir!en, lua^ au^ ber 2Belt=
ipl^antafie auf ©runb ber teleologifd^=:plaftif(^en ©eftaltung ]^er=
t) orgelet, ift bie Empfinbung^fäl^igfeit unb ^k Empfinbung ober
ta^ 6i(^^3nnefinben biefer organifc^en 33ilbung infolge ber fort=
fc^reitenben, tjerfd^iebenartig fi($ geftaltenben Eoncentration unb
^erinnerlid^ung berfelben. S)abur(^ offenbart fid^ in ber S^Iatur
fd^on ein fie burc^toaltenbe^ 6einfotten unb 3f^id^tfeinfolIen be^
3uftanbem, alfo ein ibeale^ Ttomtnt, baio im $ipd^ifd;en gur 2Ba^r=
ne^mung unb gum ©enufe fommt. 2öir muffen alfo njol^l an=
nehmen, 't)a^ auä) bie^ im eirigen, abfoluten Urgrunb bes ^a^
feing in irgenbeiner Söeife begrünbet fei, ha ol)ne bie^ eine
S3efc^affen^eit unb Offenbarung biefer 2lrt in bem räumlic^^geit*
2)ie göttlt^e ^erfön«d^!eit. 127
liä)tn Sßeltprocefe nid^t aU möglid^ erfd^einen fann. — 3tt
treidlet 2öeife aber bieje Offenbarung ber Sbealttät burd^ @m=
:pfinbung begrünbet fei im Slbfoluten, vermögen tüir ni^t gu
er!ennen. S)iefe^ barum aU abfolute ^erfönlid^leit, aU betüu^te^,
ber finft unb be^ 6d^mer§e§ ober tnenigften^ ber pf^i^ifc^en ©e=
fül^le fä^ige^ 2Befen angunel^men, ift !eine beftimmte ^ere($ti=
gung gegeben, ba e^ bod^ ber Qbee be^ Slbfoluten ni^t gemä^
ift, t)ielme{)r berfelben tüiberfpric^t, i^x menfd^lic^e ^efül^le, unb
ndä) mei)r, i^r Suft^ unb 6(^mergempfinbung pgufd^reiben. ^^
ift tiielmel^r anäunei)men, ba^ biefe gä^igfeit bem S^ealen, b. 1^.
ber 3Serbinbung ober SSermäl^lung ber etuigen 3been mit ber
räumli(^=geitli(^ irirfenben SBeltpl^antafie, erft im (Gebiete ber
©nbli(^!eit 5u!omme, 'Da§> lXnenbli(^e ber ^htcn in ber ©nbli(^=
hü fi(^ giüar teleologifd^ = pIaftif(^en Slu^brud geben !ann, aber
aud^ ber 33efd^rän!ung unb ber 3Serle|ung, bai^er aud; be^
©d^merje^ unb ber Unfeligfeit fä!)ig ift. Qn 'oa^» Ibfolute felbft
l^inein bie^ p öerlegen, baffelbe alfo trie eine ber £uft unb
be§ ©(^merge^ fällige ^erfönlid^feit ^u betrad^ten, fd^eint un^
nid^t berechtigt §u fein; — bieg gefc^iel^t nur in 9fleligionen,
tüeld^e 'Dk ©ottl^eit tooEftänbig ant^ropomorpl^ifd^ unb ant^ro=
))opatl)ifc^ auffaffen (gan^ nad^ bem 39ilb unb ©leid^ni^ be^
3Kenfd^en), ober gugleid^ aud^ naturaliftif d^ , befonber^ in t^eo=
fo:plf)ifd^en ober gnoftifd^en Speculationen, bie in pl^antaftifd^er
Söeife ben gangen S^aturproce^, mit @infd^Iu§ be^ :patl^oIogifd^en
3Jiomentg in ber 3Jienfd^ennatur, in ha§> göttlid^e Sßefen felbft
l^inein »erlegen, ol^ne irgenbeine l^altbare miffenfd^aflid^e ^e-
grünbung bafür beizubringen.
%u§> ber ©mpfinbunggfä^igfeit gel^t im ©nblid^en, in ben
lebenbigen 2ßefen unb in^befonbere in ber 3)lenfd^ennatur 'oa^
^etüufetfein unb ©elbftbeipufetfein l^ertoor.* ©mpfinbung unb
^en}ugtfein treten tool^I gufammen auf in ber ©nttnidfelung ber
* ®. mein 3Bcr!: „S)te ^^antafie aU ©runb^rinct^ beS 3Beltproccffe8'
(2«ünd^cn 1877), @. 398 ff.
128 ni. (5r!enntnt§ be« 5(B[otutcn unb aBfoIute erfcnntnig.
leBcnbtgen Sßejen, immerl^in aber erfd^eint bie ßmpfinbungS'
fä^ig!eit aU ©runbbebingung be^ 33etr»u§tfein^ unb inöbefonbere
bes ©elbftbetüu^tfein^, — oBlnol^l au^ g^ftänbe einzutreten
fd^einen, in meld^em ©mpfinbung ot;ne tlax^§> S3en)u6tfein ftatt^^
finbet. 33ei ben niebern Sebemefen ift bieg ol^nel^in !aum gu
begmeifeln, ba bei il^nen ©mpfinbung unb bumpfeS Seipugtf ein
iüo^I in @in§ sufammenf allen, aber auä) ^ei beut 3Jlenf($en
fc^eint bieg ber gaE gu fein in fällen, tno burd; irgenbeine
©inipirfung bag 33eh)u^tfein aufgef)oben erfd^eint, oljne ba^
tüenigfteng bie ©d^mergäu^erung, §. 33. hti einer Operation t>er^
mieben ir»irb, — iüenn ni^t etma biefe 5leu§erung burij^ rein
mec^anifd^e 3flefleybeir»egung !)ert)or gebraut n^irb. 2öie bem fei;
^en)u6tfein ift ber l^öl^ere normale pfi;(^if(^e S^^ftob gegenüber
ber ©mpfinbung, tüenn auä) hk (Smpfinbunggfä^ig!eit ©runb-
bebingung beg SSemu^tfeing ift. Tlan !ann 't)a§> ^erpltnig toon
ßmpfinbung unb 33en}u6tfein einigermaßen Dergleichen bem toon
2öärme unb %eutx] einerfeitg gel^t Söärme bem lid^ten geuer
tooraug, anbererfeitg folgt ber l^öljere (^rab ton SBärme, 'i:}a§>
brennen auf '^a^ geuer, gel)t t>on biefem aug. ©o gel)t bumpfe
(rmpfinbung bem 33eit)ußtfein tooraug, aber burc^ 33eh)u6tfein erft
loirb bie lebl^aftere ©mpfinbung, £uft unb 6d^merg möglid^. —
SDie grage ift nun, ob toix toon ber 5t;i)atfac|e be§ 33eir>u§tfeing
unb ©elbftbetpufetfeing einen fidlem 6($lu6 mad^en !önnen auf
ein ©elbftbetüußtfein im etrigen, abfoluten IXrfein unb =2öefen
beg ^afeing. ©in fel^r geir»id^tigeg 9Jioment ift ^ok^» fidler
unb ber 6d^luß bat»on auf göttliche $erfönlid^!eit allerbingg be=
beutunggt>oHer, alg ber t>on ber teleologifd^en ©inrid^tung ber
9^atur unb il^rer ^robucte, "o^n n}unberbaren trieben unb 3n=
ftincten ber ^l)iere u. f. in., ben man fo geirölf^nlid^ unb mit
33orliebe unb über§eugunggt>ottem D^ad^brucf t)on tl^eiftifd^er ^eitt
geltenb mad^t, toäl^renb man bie Menfd^ennatur mit iljrem 33e=
ipußtfein unb ©elbftbeiüufetfein babei gu ignoriren pflegt. Slttein
eine unbebingt unb §tr»eifellog fidlere ©runblage für einen 6d^luß
auf eine abfolute göttliche ^erfönlid^feit alg notl)tüenbigen Ur^
lieber ober Urgrunb ber enblid^en felbftbe mußten äßcfen ober
2)ie göttliche ^erfönlic^fcit. 129
$erfönli($!eiten bilbet au^ ba^ enblid^e Selbftbetüufetfein nid^t;
benn S3elr»u§tfein unb 6elbftbetr>u§tfein finb §u tüanbelbar
unb i^rem @ntfte^en nad^, mie oben gezeigt, §u fe^r burd^
©nblid^Mt bebingt unb au^erbem 'i)a§> Sßefen baöon gu irentg
erfannt unb burd^fd^aut, aU bafe man fie al^ fidlere ^rämiffen
babei öertüenben !önnte. Seirufetfein unb Selbftbemufetfein ent=
fielen unb »ergeben, ined^feln beftänbig unb toerrat^en attent-
l^alben (Snblid^feit unb Unfid^erl^eit. 6ie finb augerbem für
unfere ©rfa^rung an ben finnlid^en Drgani^mu^ be^ ^örper^ ge^
fnüpft, üon feinen Drganen unb feiner S3efd^affenl)eit bebingt,
foba§ mir unmöglid^ ba\)on auf ein rein geiftigeg, iperfönlid^e^
unb abfoluteg SBefen fd^ liefen !önnen, iüie tl^eiftifd^ @ott auf=
gefaxt gu tr»erben pflegt. 3Son einem reinen @eift aU perfön^^
lid^eg, aU benfenbe^, fiil^Ienbe§ unb n?ollenbe^ Söefen lönnen
mir un^ gar feine 3Sorftettung bilben, fönnen nur ein 2)a6, ha^
2)afein mit Sßorten behaupten, o^ne ba^ 2Ba^ ober äöie im
minbeften gu üerftel^en. 2öir !önnen alfo mol^l öon ben logifd^en
^efe|en aU notl^menbigen unb untoeränberlid^en Tlä^Un auf
emigeg, actuelleg ^afein berfelben fd^liegen, aber nid^t in gleid^er
Sßeife t>on bem entftel^enben unb öergel^enben, teränberlid^en
^emu^tfein unb 6elbftbemu§tfein au^ge^^enb, t)on il^nen aU ganj
!Iar er!annten unb burd^fd^auten innern SSa^rne^mungen mieber
6id^ere§ erfennen aU emig unb unöeränberlid^ Seienbe^, unb
§mar ©leid^ artige^, b. ^. ^emufete^ unb 6elbftbemu^te^. 6oE
man t>on einer @rf(^einung auf 'iik Urfad^e mit 6id^er^eit
fd^lie^en !önnen, fo mufe man fie felbft llar ernennen; öon bem,
ma^ felbft nod^ unüar unb unfid^er er!annt ift, !ann man feinen
fidlem 6d^lu§ ^ie^en. ©^ ift tk^ bie 'B^voä^^ be^ inbuctitoen
SSerfa^ren^, "oa^ man smar t>on einer SSerdnberung ober @r=
f(^einung ai§> einer Söirlung mit 6id^erl^eit fd^ liefen !ann, —
'üa^ fie eine IXrfad^e |)aben miiffe, aber meld^e^ biefe fei, fid^
ni(^t mit gleid^er ©id^erl^eit beftimmen lägt, ta eine Sßirlung
möglid^ermeife t)on üerfd^iebenen IXrfad^en ober t>on einem (Som=
ple? öon Urfad^en ftammt; — eg fei benn, 'i^a^ llar er!annt mirb,
bafe nur eine einzige Urfad^e im beftimmten gaEe möglid^ ift.
130 ni. @rfenntnt§ be8 Stfcfoluten unb aBfoIute @rfenntnt§.
über ba§ Urfad^e unb 2öir!ung untrennbar öerbunben finb.
$Die^ fann aber in unferm gaEe mä)t unbebingt be^au^tet
n)erben — ober im le|tern galle nur ^anti^eiftifd^. 2Bir feigen
irie SBetru^tfein unb ©elbftbetpufetfetn au^ bem Unben^ufeten
l^ertoorgel^t in rät!)fell^after, mä)t DoHfornmen erlennbarer 2Beife
unb irie burd^ betpufete Söejen tüieber IXnbeirufete^ erzeugt n^irb ;
tüobei t)a§> ©ine fo unerüärt ift vok baö 2lnbere, unb nur bie
X^at\aä)t feftfte!)t, voeil fie erfal^rbar ift. ©o ift alfo au§ ber
^l^atfad^e beö 33ett)u§tfein^ unb ©elbftbetüufetfein^ in ber 2Belt
nid^t mit ^etoi^l^eit ju er!ennen, ba§ ber IXrgrunb, 'tia^» 2lbfolute
aud^ S3eir>u6tfein unb ©elbfiben^u^tfein ^dben muffe; benn e§
foH \a ni($t blo^ ^SelDufetfein, fonbern aud^ bag Unbeiüujste burd;
baffelbe gefegt tnerben unb e^ mn^te bemnad^ aud^ pglei(^ un=
betpufet fein, n)enn Urf ad^e unb 2Bir!ung fid^ in biefer 2Beife
glei(^en muffen. 2ßenn eso unbegreiflid^ ift, bafe ba^> 33en)u6t=
fein au^ einem unbetoufeten einigen 2öeltgrunb ftamme, fo ift e^
aud^ unbegreiflid^, 'lia^ unb tnie ha§> Unbetüufete au§> einem be=
tüufeten abfoluten @runb t)ert»orge^e. S)ie 3}löglic^!eit tion beiben
läfet fid^ aEerbing^ nid^t in Slbrebe ftetten, tneil bie ©rfal^rung
un^ bie 2ßir!lid^!eit geigt, aber fidlere ßrfenntnife ift nid^t p
getrinnen. Unb it>enn 'mix au6) bie geinöl^nlid^e @intr>enbung
gegen 2lnna{)me öon Selbftbetoufetfein unb ^erfönlid^!eit be^
Slbfoluten nid^t al§> geit)ic^tig gelten laffen, bafe nämlid^ 2lbfolut=
l^eit unb ^erfönlid^leit fid^ au^fc^lie^en, tüeil gum ^erfönlid^fein
ein 3lnbere^, ein DbjectitjeS erforberlid^ fei, — ba bod^ ba^ 2lb=
folute in fid^ felbft buri^ ^^antafie unb 2ßiKen biefe 33ebingung
mu§ erfütten !önnen*, — fo mug boc^ biefer fo toii^tige
Problem für bie Söiffenfc^aft aU unentfd^ieben betrad^tet
* ®d^on bei bem menfc^It^en (Selbpetou^tfein ifl ba« Stnbcrc nid^t ^ofi*
ttöc«, fonbern nur bebingcnbeß unb negatiöeö 'Sflomtnt, begrünbet nur bie (Snb*
lid^feit, ttjä^renb bag ipofittbe 9Jiontent ba§ eigene Sefen unb SBiffen ifi. 3"'
bem tjl fd^on bei bem nTienfd^en bag ©elbftbettjußtfein nid^t eine S3efd^ränfung,
fonbern im ©egent^eil am meiflen unenblic^ an i^m; um fo n?enigcr fann hti
bem Slbfoluten @e(bftbeh}u|tfein aU ©d^ranfe aufgefaßt n^erben.
2)ie gBttrid^c <Per|önttd^!ett. 131
tperben. — 2lel;nlt(^e^ gilt öon ber menf(^U(^en ©r!enntni§ =
!raft, bem ©ernüt^ xinb Sötllen. ®ie 5Cl^atfa($e il^reg actuetten,
enbli($en ®afein§ betoeift nod^ niä)t, 'oa^ au^ im abfoluten 2Belt=
gtunb actuette ©r!enntnt^, beiDufete 2ßtttengt:^ätig!eit unb ^efü^l
angenontmen tüerben muffen in einem notl^ipenbigen, unbebingt
gültigen 6($lu§. ^ie (Sr!enntniPraft bilbet fi($ im unenblic^en
Söeltlanf unb betl)ätigt fi(^ in ber actueEen (gr!enntni§, bie ent=
ftel)t unb t)erge^t. 3lu§ biefem Verlaufe aber ift leine abfolute
©rfenntni^raft nnb feine abfolute actuette ©r!enntni§ im unbe=
bingten ober abfoluten ©runb be§ ^afein^ SU erfd^lie^en, ba
unfere ©rfal^rung unb biefe ©(^lu^olgerung eigentlid^ entgegen^
^efe|t finb, ir>äl^renb boc^ biefe au^ jener abgeleitet fein fott.
2Bir feigen 't^it ©rfenntni^raft au^ bem 9^i(^ter!ennenben l^ertoor^
gelten, mie bie SöiEen^fraft au§> bem Mi^ttüollenben, beibe au^
bem unbenju^t, aber hoä) gefejmä^ig unb teleologif($ 2öir!enben
entfpringenb, inbem ba^ @efe^ unb ba^ unbeiüu^t jtüedmägige
3öir!en fic^ mit ^^antafie unb 33ett)u^tfein öerbinben, glei($fam
t3ermäl)len; fo §ur betDu^ten 5^^ätig!eit (be§ SSerftanbe^, ber
SSernunft unb be§ fid^ felbft beftimmenben Söitten^) erl^ebenb, voa^
pöor unbeipu^t gef($al^.* 6trengeg logifi^e^ @rf(^liej3en einer
betDufeten abfoluten ©r!enntniPraft unb eine^ abfoluten fid^
felbft beftimmenben SBillen^ auf ©runb biefer (Srfc^einungen in
^fJatur unb 3Jlenf($engef(^le(^t ift unfern (Srac^tenö unter fol($en
IXmftänben niä)t mi)gli($.
Sf^un aber ift bo($ auc^ noc^ bie ©otte^ibee im geiftigen
Seben ber 3}lenfc^l^eit 'oa unb bilbet ben 3Jiittelpun!t ber l^ö^ern
9fteligionen; fie mufe bo($ voo^ ba^ S)afein eine^ :^öd^ften ni($t
blog, fonbern eine^ abfolut i)ott!ommenen 2öefen§ fidler be=
geugen! 3n ber ^l^at ift biefe 3bee beg 5lbfoluten ober ba§ ah
folute Sbeal ber ^Sernunft ber ^oc^fte @eban!e, ben ber 3Jienf(^en=
@eift aebilbet, unb im religiöfen (Glauben ba^ ]^ö($fte ©ut, ba0
* @. mein Ser!: „2)tc ^^antafte alö ©rmib^rinci^ beS SÖelt^roceffe«'
<2«ünc^en 1877), ®. 435 ff.
9*
132 III- Srfenntni^ bc8 SlBfotutcn unb aBfoIute ©rfcnntnig.
bie 3Jienfd^l^ett befi^t; unb trenn trgenbein gan§ fidlerer n)iffen=
f(^aftli(^er ^emeiio für ba^ ^afein ©otte^ möglid^ fein foEte,
fo mü^te er auf ©runb btefer Qbee gefül^rt iüerben !önnen.*
6§ ^ai au(^, h?ie be!annt, im Saufe ber menf(^Iid;en ^eifte^-
©ntn^idelung ni^t an 3Serfu($en gefeljlt, biefen ^Sen^eig §u führen.
33efannt ift ^unäi^ft ba!§ fog. ontologifd^e 5lrgument für ba^
^afein ^otteö, bag Slnfelm ton ßanterburi; (f 1109) au^-^
gebilbet ^at 2lu^ bem 33egriff ober ber Qbee ©otteö lüiH er
ba^ S)afein (SJotteg ableiten: ®ott ift aUentl^alben für bie
3Jlenf(^en ba^jenige größer, al» iüeld^e^ ni($tg gebadet merben
!ann (quo majus cogitari nequit), alfo ntu^ er fein (e^iftiren)^
benn eyiftirte er ni(^t, fo n)äre er nid^t basjenige größer, al^
lüeld^e^ nid^tg gebadet tnerben !ann; benn e^ !önnte nod^ ©röfeere^
gebadet ttierben, ba§ nämlid^, bem aud^ ©yiften^ äu!ommt. ®em
gegenüber ift fd^on §u iener g^^t bemer!t iüorben, ba^ au^ bem
©ebad^tiüerben ober bem ^cin in ber ^Sorftettung nod^ ni($t 'i)k
reale (Syiftens folge. ®ie Sd^lu^folgerung l^at nur bialeltifd^e
^ebeutung, gilt nur für ha§> 2)en!en beg 2lbfoluten, betoeift aber
nid^t \)a§> reale ©ein. 2öer baö 2lbfolute '^^nUn tritt, mu§ e^
mit atten ßigenfd^aften ber 3Sottfommenl^eit beulen, wenn ber
@eban!e rid^tig fein fott, alfo au^ mit ber ©igenfc^aft ber
©yifteng; aber au^ ber @eban!eneyiften§ folgt nod^ nid^t un=
mittelbar bie mirllid^e ©yifteng. ^ant l^at in^befonbere bagegen
bemerft, bafe au^ bem ^Begriffe nid^t bie @yiften§ gefolgert tüerben
fönne, 't^a berfelbe gan^ glei($ fei, ob il^m fai^lid^e ©yiftens ^^^^
fpred^e ober nid^t, unb t^k ß^iften^ bem begriffe fein neue^
DJlerfmal l^injufüge; toer ein ©reiecf fege unb il;m bod^ brei
2öin!el abfpred^e, ber begebe einen Söiberfprud^, tt»er aber ba^
^reied^ fammt ben brei SßinMn aufhöbe, ber begel^e feinen
2öiberfpru(^ unb !ann aud; bie 2öin!el aufljeben. 2lug bem
^znhn ober bem ©ebanfen ©otte^ ober be^ Slbfoluten, ^Sott-
* @. meine ©ci^rift: „2)a8 neue SSiffen unb ber neue ®Iaube" (^ci^jift
1873), @. 97 ff., 119 ff.
S)ie göttttd^c ^crjönüd^feit. 133
fommenen tarn bie ©yiftens be^ ©ebad^ten niä)t in not^tüenbigeit
^ebanfengang abgeleitet tnerben, au§> ber biale!tif($en @eban!en=
^eiüegung ift ni($t in bie 'äeaiüät Uo§> burd^ ba§ Genien gn
!ommen. (Sartefin^ l^at barum bem ^etüeife au§> ber ©otte^=
3bee ^im anbete SBenbung gegeben: S^id^t au§> bem ^en!en be^
@otte§begriffe§ felbft foE bie @yiften§ @otte^ abgeleitet merben,
fonbern au^ bem ^afein ber ©otte^ibee im aJtenWengeifte foll
auf @ott aU attein möglid^e Urfad^e biefer im 33eit>u6tfein
gegebenen ©otte^ibee gef($loffen iüerben; ba§ ontologifd^e S5er=
I;ältnife tr»irb in ein (I^aufaltier^^ältnife öertüanbelt. Sitte übrigen
Sbeen im SJ^enfd^engeifte fönnen öon biefem felbft l^ertoorgebrad^t
^tin, aber bie ©otte^ibee in i^m !ann ni(^t fo entfielen ober
entftanben fein, ba fie ben 3}lenf(j^engeift unenblic^ iiberfteigt;
fie mufe alfo t>on einer 9ftealität ftammen, bie i^r entfpric^t, bie
il)re lXrfa($e fein !ann, nnb biefe IXrfad^e !ann nur ©ott felber
fein, ni(^t§ ^eringere^. ^a§> 5Dafein ber (^otte^ibee im 3Jlenf$en=
geifte fe^t alfo 't)a§> ^afein ©otte^ in 2Bir!lid^!eit tjoraug (t>on
^ott in intellectu njirb auf (^ott in re gefd^loff en) ; fo mal^r
unb geioi^ bie ©otteioibee im 3]^enf(^engeifte ift, fo mal^r unb
gen^ife ift @ott in 2Bir!li(^!eit. ®er ©ebanlengang fd^eint 'i)a
ein fi(^erer, notljtDenbiger p fein, benn e§ toirb ^ier t>on einer
3ßir!ung auf eine tlrfa($e, bie für fie bie einzig möglii^e fein
!ann, gefd^loffen, foba^ jebe IXngetoife'^eit, bie fonft bem in=
buctitoen 3Serfal)ren anhaften !ann, öottftänbig toegfättt, — toie
hti bem bebuctitjen <Bä)ln^ t)on ber Urfac^e auf hit SBirlung.
(^eiüife ^at biefe Slrgumentation unter atten 33etreifen für ba^
^afein ©otte^ ba§ größte ©emic^t. Snbeg toottftänbige tr>iffen=
f(^aftlic^e ©i($er]f)eit !ommt auä) i^v ni($t p. 5Die ©otte^ibee §u=
nä($ft ift ni($t in berJIJlenf($l;eit ober im 3}lenf(^engeifte ei\üa§> fiy
unb fertig ©egebene^, fonbern biefelbe 'i)at fi(^ erft fel)r attmäl^lid^
auggebilbet au^ naturaliftifd^en unb antl^ropomorpl)if($en S5or=
ftettungen ber öerfd^iebenften 3lrt, bie man fic^ t>on ©ott ober
ben ©Ottern gebilbet 'i^at hti ben toerfc^iebenen SSölfern im Saufe
be^ gef(^i(^tlid^en ©nttoidelung^proceffe^ ber 3fteligion. Tlii
nid^t^ toeniger aU mit bem ©ebanfen abfoluter ^^ottfommenl^eit
134 ni. (5r!enntnt^ beS Slbfoluten unb aBfoIute erfenntniß.
begannen bie ^SorfteEungen t»on bem (^öttlid^en ober Heber-
natürlichen, bie öielmel^r mit tlnt»ott!ommen!)eiten aller 5lrt Be=
l^aftet erf (feinen gleid^ ben 3}lenf(^en, — inenn fie aud^ al^
pl^ere ge^eimni§t)olle, mäd^tigere Sßefen gebai^t tüurben al^
biefe. gür lebenbig unb in geiriffem 6inne perfönlid^ aber
mürben fie immer gel^alten tro^ atter fonftigen lXnöoll!ommen=
l^eit. 5Der @eban!e ber Unenblid^feit ober gerabegu ber 2lbfolut=
l^eit aber tparb auf bie ©ottl^eit erft angetüenbet, al^ ber p]^p=
fifd^e unb geiftige ^ori^ont fic^ erweitert l)atte unb im SufäHigen,
3Seränberlid^en unb 58ergängli(^en ber irbifd^en ^inge unb 3Ser=
]5)ältniffe ein Slllgemeine^, ^e^arrenbe^ unb unbebingt @ültige§
entbedt tnarb. ^iefe abfolute @ültig!eit, 9^otl;ir»enbig!eit unb
6ubftantialität inarb bann mit ber 33orftettung eine^ l^öd^ften
:perfönli(^en, in ben ^Religionen antl)ropomorpl;if($ toorgeftellten
2öefen§ t)erbunben unb fo ber @eban!e einer abfoluten ^erfön-
li(^!eit gebilbet; — ein @eban!e, ber fonad^ erft nad^ unb nad^
fid^ gebilbet f)at unb nad^ menfd^lid^en 9^atur= unb (Snthjicfelungg-
©efe^en nur fo in ber ©efd^id^te fid^ bilben !onnte. ^k§> ]^in=
bert natürlid^ nii^t, angune^men, ba^ bie abfolute, göttlid^e
^erfönlid^Mt etoig unb unt»eränberlid^ fei, tüenn fonft genügenbe
©rünbe für biefe Slnnal^me toorl^anben fein fottten. 3ft ja aud^
ba^ 33en)u§tfein ber logifd^en, unbebingt gültigen, unt)eränber=
lid^en ©efeje, unb nod^ mel^r ba§ 33e)Dufetfein ber unbebingt
gültigen elrigen Qbeen erft nad) unb nad^ in ber 3}lenfd;l^eit
entftanben, ol^ne ba^ man barum bie Unbebingtljeit unb etr>ige
©eltung bation in Slbrebe §u ftellen braucht, ba fie tjielmel^r,
einmal bem 33etDu6tfein aufgegangen unb eingefel^en ober ge-
fül^lt, gar nid^t mel^r nid^t gebadet unb nid^t mel^r anber^ ge-
bad^t toerben !önnen.
©0 !ann alfo auö aH bem, voa^ an§> ber SSeltpl^antafie aU
©runbprincip be^ Sßeltproceffe^ im ßaufe ber ^Raturenttnidelung
an befonbern ©inrid^tungen, Gräften unb Functionen im $1^^=
fifd^en unb ^f^d^ifd^en ]^ert)orgel)t, !ein gan§ fidlerer Sd^lufe auf
tia§> ^afein unb Sßalten eine^ perfönlidfjen @otte^ al^ SBelt=
IXrl^eber^ unb =2en!erg gesogen merben. Slnbererfeitg läfet fid^
^xt göttttd^e ^crfönüd^fctt. 135
freilii^ au$ !eine§n)eg§ 'i)a§> ©egentl^eil mit Biä)tx'^tit ableiten —
unb betngemäfe fann au($ burd^ bie Se^re t»on ber SSeltpl^antafie
ai§> ©runbprinci:p be§ 2öeltproceffe^ biefe^ gröfete Problem toiffen^
fd^aftlid^ nod^ nid^t fidler unb enbgültig gelöft fein, — tüenn
and^ be^üglid^ ber ^etl^ätigung be^ ©otte^beiDufetfein^ in ber
menfd^lid^en ©efd^ic^te, in ber 9teIigion burd^ biefe Seigre, toic
burd^ bie ^^ilofopl^ie unb Sßiffenfd^aft überJjau^t für ©rüärung
unb Läuterung beffelben öiel geleiftet tperben fann, — iüie fd^on
bemer!t tüorben unb im golgenben noc^ m^zx erörtert iüerben fott.
3SorIäufig fei nur barauf I)ingetr»iefen, bafe für bie, tneld^e einmal
gläubig auf tl)eiftifd^em 6tanbpun!t ftel^en, biefe ^^eorie be§ Sßelt=
proceffe^, refp. biefe^ ©runbprincip beffelben, infofern aU befonber^
günftig betrad^tet werben !ann, al^ baburd^ 'i^a§> ^Serl^ältni^ be§ per^^
fönlid^en ©otteio al^ ©d^öpferg gur 2ßelt leidster fo aufgefaßt tüer=
ben !ann, ba^ ber gefürc^tete, ben reinen ©otte^begriff gerftörenbe
^antl^ei^mug üermieben irirb. 33ei ber geipöl^nlid^en ^l^ecrie ift
biefer nämlid^ fd^tüer, Wo nid^t unmöglid^ §u toermeiben; benn
inenn aud^ bie ©manation^le^re babei abgetüiefen ober t>ermieben
tüirb, b. ^. hk 2lnnal^me, ba§ bie Söelt i^rer Subftang nad^ au§
©otte^ 2öefen lomme unb biefe^ alfo felbft ber SSerenblid^ung
unb Korruption anl^eimgefatten fei, — fo lann bod^ immerhin
nid^t öermieben toerben, anjunel^men, bafe W, Söelt au^ gött=
lid^er Waä)t ober ^raft ftamme, biefe ^raft burd^ göttli(^en
3ßiEen in ba^ Söefen ber Sßelt tertüanbelt tDorben fei unb in
ii^x forttüirle, foba^ göttlid^e ^raft unb Sßitten^act i^r 2öefen
bilbe unb il^re tlnt)ott!ommenl;eiten unb £eiben l^ert) orbringe.
S)enn tnenn aud^ tl)eiftifd^ bel^auptet n?irb, W Söelt fei üon @ott
au§ 9^i(^tg gef(^affen, fo irill bie^ bod^ gunäd^ft nur fagen, 't>a^
fie nid^t au§> einem gegebenen, etoig öorl^anbenen Stoff ober
^ao§> gebilbet fei, fonbern nad^ ©toff unb gorm, 3Jlaterie unb
(^eift toom 6d^öpfer in^ ^afein gerufen toarb; — nid^t aber ift
„au§ ?fliä)t^'' fo §u toerftel^en, aU ob ©ott in^ '>Ri^t§> gegriffen
unb bie Sßelt barauf ]^ert)orge§ogen, ober aU ob er 'oaS» ^iä)i^
in ©tma^, gur Sßelt gemad^t ^abe. @g gilt toielme^r unbebingt ber
©a|: „2lu^ m^t^ toirb m^t^, 'oa§> S^id^t^ !ann nid^t äu ©tma^
136 in. (Srlenntnig bc8 2I6[oIuten unb abfolute SrfenntittB,
öemac^t iDerben." 6oIIte alfo burd^ göttlid^en 2ßillen ©ttr>a^,
nämlid^ bie Sßelt entftel^en, fo mu^te fie au§> göttlicher ^raft unb
2ßir!fam!eit njerben, biefe felbft mu^te \iä) in fie öertranbeln/
bie gorm ber @nbli(^!eit annel^men, fid^ felbft t)ef($rän!en tro^
atter Slbfolutl^eit! ®ie 2Beltf(^öpfung ift bann immerl^in in ge=
tüiffem 6inne eine SBelttPerbung ©otte^, infofern lüenigften!^
feine ^raft, alfo ©ttoag öon i^m (t)on feinem SBefen), in bie
©nblid^!eit, in Seiben^fäl^igleit unb bamit in bie Unfeligfeit be^
^afeing eingegangen fein mu^. 2öirb aber bie Sßeltpl^antafie aU
©runbprincip be^ Sßeltproceffe^ angenommen, fo ift biefe§ ^runb=
^rincip öom göttlid^en 6(^öpfer gefegt, tr>ie bie ©eBilbe ber fub=
jectiüen ^^antafie gefegt tüerben burd^ bie bilbenbe 3Jlad^t ber=
felben, o^ne il^nen x\)x 2öefen mit^ut^eilen. 5Die 2BeIt toäre auf=
gufaffen al§> Imagination ©otteS; üon göttU($er Imagination
gtüar gebilbet unb alfo öon @ott ftammenb, aBer boc^ tin 2ln=
bere^ feienb gegenüber bem göttlid^en Sßefen unb felbft ber gött=
lid^en Äraft. ©öttUc^e fubjectiöe Imagination ir»äre 'Da^» fd^affenbe
^rincip unb fegte \iä) al§> oBjectitoe Imagination im Söeltproceffe
fort, \iä) au^geftaltenb unb bifferen^irenb in unenbli<$en ©e=
bilben unb, fic^ aug unbeftimmten Slnfängen erl^ebenb, U§> gum
betüufeten 3Jlenfd^engeift auf unferm §immel^!örper. 3^"^ 3}len=
fc^engeifi, ber in feinem streben nad^ ©rfenntnife unb Steali-
firung ber Sbeen fid^ @ottä^nIid^!eit erringen !ann, nad^bem bie
6d^öpfung felbft fojufagen mit ber ©otte^ferne begonnen f)ai,
eben tüeil fie aU Slnbereg toon ©Ott beginnen unb burd^ eigene
©nttpidelung fid^ SSerüoEfommnung erringen fottte. ®od^ 'i)k§>
nur anbeutung^meife, vou bie Seigre toon ber Söeltp^^antafie aU
©runb)3rinci)3 beg 2ßeltproceffe§ unb aU Sßefen ber Söelt t^eo=
logifd^ auf tl^eiftifd^en 6tanbpun!t t)ern?enbet inerben !ann.
IXnterbefe l^at bie Menfd^^eit auf anberm al§> bem ftreng
n)iffenfc^aftli(^en 2öege, ben ju betreten i^r o^nef)in Sa^r^unberte
ober Sal^rtaufenbe f)inburd^ nid^t möglid^ tpar, — ba^ in ^rage
fte^enbe Problem p löfen unb fid^ über 'oa^ gro^e M^fterium
beg ^afeing eine, ipenn aud^ nod^ fo bürftige unb befd)rän!te
Drientirung p geben üerfud^t — für ©emüt^ unb 2Billen^=
2)ie göttüd^c ^erlönUd^feit. 137
ftreben — bur(^ bie S^leligton, hnxä) ben Glauben. S)ie 9le=
ligion, bie ni(^t, tüie inir fd^on frül^er bemer!t, aU 5^^eorie,
fonbern aU (Eultxig l^öl^ern 3Jlä(^ten gegenüber entftunb, unb
nid^t bur(^ ben SSerftanb, fonbern burd^ bie ^^antafie i^re tl^eo^
retifd^e ©runblage fanb. ®urd; bie ^^antafie, bie ja unter atten
pfpd^ijd^en Gräften be§ 3Jlenf(^en ^uerft tl^ätig fein !ann, — aud^
bann fd^on, irenn aEe übrigen nod^ gang unenttüidfelt finb, h)ie
aud^ hti ben Sinnen unb i^rer ^^ätig!eit Sle^nlid^eg ber gatt
ift. S)a bie SJlatur in il^rem gefe^mäfeigen natürlid^en SSerlauf
unb in il^ren urfä(^Iid^en SSer^ältniffen nod^ nid^t toerftanbe^=
mägig er!annt t^ar, fud^te man ba^ ßaufalbebürfnife burc^ ^l^an=
tafie §u befriebigen, inbem man ba^ ©efd^e^en in ber Sf^atur
nad^ bem 33ilb unb ©leic^ni^ menfd^Iid^er ^f)ätig!eit erüärte unb
ge^eimni§i)oEe, aber menfd^enäl^nlid^e unb menf d^enä^nlid^ tDir=
!enbe Gräfte anna'^m. Unb sn)ar gunäd^ft gu bem Qmd^, burdt;
fie §ülfe ober 6id^erT^eit r>or ben gefä]f)rlid^en äußern 3Ratur=
fingen unb =5ßerl^ältniffen gu er!)alten, inbem man burd^ ©aben
unb Opfer, ir»ieber nad^ 3}lenfd^enart, fie gu geiüinnen ober aud^
p t>erfö^nen fud^te. Wlii ber ©rtoeiterung beö p'^^fifd^en unb
geiftigen ^origonte^ tüurben aud^ biefe gel^eimni^öotten ober
übernatürlid^en 2öefen größer aufgefaßt unb mit i\)xzm ©ein
unb t^rer 2Birffam!eit an grofee 3^aturgegenftänbe gebunben.
^benfo tpurbe W §ülfe unb SSerföl^nung, bie man M i^nen
fud^te M l^ö^erer ©nttpidfelung be^ geiftigen Seben^, nid^t me^r
blo^ auf äußere ^JJöt^en im Sftingen mit ben S^aturtoer^ältniffen
belogen, fonbern aud^ auf geiftige, auf feelifd^e ^ebürfniffe unb
görberungen. S)iefer ^l^antafiegeftaltung ber Sfteligion, 'i)k ^aupU
fäd^lid^ ben polpt^eiftifd^en unb naturaliftifd^en ß^arafter öieler
berfelben begrünbet unb il^nen 'i)k @igentpmlid^!eiten ber Sauber
unb 3SüI!er aufprägte, trat bann immer me^^r 'du natürlid^e, t)er=
ftanbe^mä^ige ©rforfd^ung unb @r!enntni§ ber ®inge unb S5er=
^dltniffe entgegen unb W 3^atur burd^ ^^antafie allenthalben
tiergöttlid^t ober mit Göttern unb ©eiftern erfüllt, ging immer
mel^r ber ©ntgöttlid^ung unb ©ntgauberung entgegen, — tt>enig=
ften^ bei ben ©ulturt)öl!ern. ©in $roce^, ber o^ne fd^ttjeren
138 ni. SrfenntntB beö 2tbfoIutcn unb abfolute (grfenntniB.
^ampf mit bem reltgtöfen 3Sol!^glauben unb ben SSertretern
beffelben nid^t ftattfinben !onnte, unb ber fogar nod^ in bcr
©egeniüart fortbauert unb ber n^iffenfi^aftlic^en gorfc^ung tr»ic
ber aEgemeinen l^untanen ©ulturenth^idelung toiel §emmniffe
unb ©todungen bereitet. 3Son Qeit gu 3^^^ traten in ben dtz^
ligionen 3Jlänner auf, bie eine unmittelbare (Semi^l^eit t)om
2)afein, öom äßefen unb SöiHen ©otte^ gu befi^en, mit berfelben
in inniger ^Serbinbung gu [teilen unb aU il^re Dffenbarung^s
Drgane gu toixUn bel)aupteten. 6ie mad^ten fid^ a(^ au^ertüäl^lte
©efanbte ober ^ropl;eten ©otte^ geltenb unb toenn eg i^nen
gelang, genügenben SCn^ang r>on ©laubenben gu gen)innen, fo
n»urben fie 6tifter größerer ober fleinerer 9fleligion^genoffen=
fd^aften, neuer Sfleligionen ober religiöfer 6ecten. 6old^e 9teu=
grünbungen gelten nid^t au^ SSerftanbe^erfenntni^ unb Sßiffen^
fd^aft l^ertoor, fonbern au§> @emütl)gerregungen unb ^l)antafie=
3Sorftettungen, tpeld^e ha§> gläubige ^eipu^tfein eine^ ©öttlid^en
in lebl^after Söeife in il^nen l^eröorruft. ®urd^ W religiöfe
(S^emütl^^beioegung fü^lt unb erfäl^rt ber 3Jlenfd^engeift "Da^» 6ein
eine^ §öl^ern, ^eiligen, Unenblid^en in ben liefen be^ ^afein^;
eine ©emütperregung , bie fid^ befonber^ in ^önen, in meil^e^
üollen ^ilbungen ber SJlufi! !unbgibt unb lüieberum p ©leid^em
anregt, — troburd^ befonber^ 't^k ©inl^eit be^ religiöfen Tlo-
mente^ gum 5lu^bruc^ !ommt, tüie bie^ g. 33. fd^on in einem
(5l)oral (ol^ne SÖBorte) hzi ben 3Jlenfd^en toerfd^iebenften ©lauben^
ber gatt ift, inenn fie n^eit genug geiftig gebilbet finb. ®ie
^Ijantafie bann geftaltet biefen ©emütl^^erregungen gemäfe ba^
religiöfe SSorfteEung^leben au§, bie irgenbtüie fiyirt §u toerben
pflegen, ^aburd^ entftel^en beftimmte ^orfteHungen unb 2ln=
naljmen, bie al^ unumftö^lid^ gelten unb nun ju ^rämiffen
merben, öon benen ber SSerftanb aU logifd^e ^enüraft au^gu-
ge^en l^abe, um burd^ logifd^e Operationen aud^ eine 3lrt ©lauben^-
SSiffenfd^aft ober 9fleligiongn3iffenfd()aft IjerjufteEen,— oft in gro§=
artiger ober n^eitfd^meifiger Sßeife, aber gang auf ben ©lauben
an jene SSorausfe^ungen geftellt, mit bem fie bal^er aud^ ftel^en
unb fallen. 3ene SSorau^fe^ungen ober ©laubensfäje fotten
3)tc gBttltt^c ^crfönltc^fett. 139
^rinci^ien, 9Zormen unb Kriterien ber 2öa^r^eit für bie 2öiffett=
f($aft fein unb eg i^irb ballet bie gorberung geftettt, 'oa^ fid^
biefe bem ©lauBen nnb feiner fog. Söiffenfd^aft unb ber @lauben^=
ober ^ird^enauctorität unteriperfe. 60 entfielet Hemmung ber
Söiffenfd^aft, IXnterbrücfung ber SSernunftforfd^ung unb ^ampf
im geiftigen SeBen, tüenn bie freie 2ßiffenf($aft fid^ geltenb
machen tr»iE. ®ie religiöfe ^rabition iüirb ein §inberni§ für
'tik ©rforfd^ung unb @r!enntni^ ber 2ßa!)rl^eit, verliert immer
mel^r i^re S3ere($tigung unb fin!t §um großen ^fjeil ^u 2lber=
glauBen l^erab, au^ iüenn fie frül^er bem geiftigen 3^f^^^^ '^^^
3Kenf($en unb 3Söl!er angemeffen unb nid^t o^ne ir>o!)lt^ätige
2ßir!ung in Geltung h)ar. — Qmmer^in aber Befielet neben
2öiffenf($aft unb 33ilbung unb tro^ aller mannid^fad^en @intr»en=
bungen bagegen bie Sfteligion in ©lauBen unb ßultu§ fort, b. 1^.
ber ©lauBe an einen menfd^enäl^nlid^en, perfönlid^en ©ott, ber
fid^ burd^ (Sultu^l^anblungen ber 3}lenfd^en unb burd^ @inn)ir!ung
abgefd^iebener ©eifter in feinem ^l^un unb Saffen, irie in feiner
©efinnung ben OJlenfd^en gegenüber beftimmen lägt. ©§ ent=
fielet nun bie grage, ob fid^ biefer ©laube unb (Sultu^, ber ben
:perfönlid^en unb gtüar menfd^enä^nlid^en ©Ott öoraugfe^t, aUm
©intüenbungen foir>ie ber mobernen 3ßiffenfd^aft gegenüber, tüenn
aud^ nid^t tüiffenfc^aftlid^ pofititi begrünben, bod^ nod^ be^upten
ober red^tfertigen lägt. 1)k Unterfud^ung l^ierüber Unn aU ber
^erfud^ einer ^l^eobicee betrad^tet toerben, ber im J^olgenben
gemad^t tüerben foH.
140 IV. 3ur 2:^eobicce.
IV.
2Benn f^ier t>on ^tl^eobicee bte Stiebe ift, fo !ann barunter
nic^t ettüa eine Sted^tferticjung ©otteö felbft toerftanben werben,
benn ber SSerfnd^ einer fold^en fegt bie fidlere, iüiffenfi^aftli^
begrünbete Uebergeugung t)on bem ^afein ©otte^ al§> perjönli(^en,
allh)eifen, !ur§ attüottfommenen SSefen^ f(^on t^orau^. ^n biefem
gatte aber tüäre e^ o^ne eigentlichen 6inn, eine 9^ed^tfertigung
p üerfud^en, 'iia bei berfelben, iüie bie Sßelt aud^ fein mag, fie
al^ fo befd^affen angenommen trerben mufe, tüie e§ ber 2Bei§=
l^eit unb 3}ia(^t ber abfoluten ©ottl^eit angemeffen ift. @ott
bebarf für ben feiner D^led^tf ertigung , ber feft an i^n glaubt ober
fogar ein fid^ere^ Sßiffen öon feinem ^afein unb feinen ßigen=
fd^aften p l^aben meint. SSenn alfo l)ier ein 58erfud^ ber ^^eobicee
gemai^t mirb, fo ift barunter ftatt einer 9fte(^tfertigung ©ottel
begüglid^ ber S3efd^affen]f)eit ber 2ßelt, üielmel^r eine Unterfud^ung
§u toerftel^en barüber, ob unfer (Glaube an einen abfolut t)ott=
lommenen, perfönlid^en (^ott, aU 6d^öpfer ber Sßelt, fid^ rec^t^
fertigen laffe angefid^t^ aU ber Unüottfommenljeit ber SBelt unb
aE ber ipl^^fifd^en unb geiftigen Uebel, an benen atte Söefen unb
in^befonbere bie SJlenfd^en ^u leiben l^aben. Sllfo nid^t um eine
Sfled^tfertigung t»on @otte^ SBolIen unb 2öir!en Rubelt e^ fid^,
fonbern um eine 9led^tfertigung unfern ©otte^glauben^ in biefer
untioHlommenen Sßelt; barum, ob fid^ bie Slnnal^me eine^ ^afeing
(^otteg al^ abfolutem Qbeal ber 3Sernunft vereinbaren laffe mit
ber ©yiftens ber fo befd^affenen SBelt. Qm ©runbe alfo l^anbelt
e^ fid^ nid^t um eine Sfled^tfertigung ©otte^ ober göttlichen ^Ijun;?,
fonbern um eine fold^e be^ 3Jlenfd^en ober ber SJ^enfd^l^eit, 'oa^
fie biefe^ abfolute göttlid^e Sbeal für 2ßir!lid^!eit plt, obmo^l
biefe Söelt an fo grofeen Hebeln leibet unb barau^ fid^ fo t)iele
unb gemid^tige ©intüenbungen gegen t)a§> 2)afein eine^ perfön-
IV. 3"^ 2:^eobtcee. 141
lid^en (^ptt^^ er!)eBen laffen, — h}ie totr oben gegeigt l)aBen. 2lu$
biefe Unterfud^uug mu^ ft(^ in Befd^eibenen ©renken Italien unb
!ann gunäd^ft nur {)i;pot^etif(^ geführt toerben, b. t). nur gu geigen
üerfuc^en, ba§, ix>enn einmal eine ©c^öpfung, eine Sßelt fein
fottte, biefelbe an berglei($en Unt»ott!ommen]^eiten leiben mufete
unb ba^er biefe ni^t ol^ne tüeitere^ al§ Stiftangen gegen bag gött=
lid^e ^afein unb 2öir!en geltenb gemad^t tüerben !önnen.
3m OTgemeinen ift nun t>or Slllem gu bemerfen, 'i)a^, tüenn
eine 3Belt im Unterfd^ieb toon ©Ott fein ober entftel^en fottte,
biefelbe nid^t abfolut t»ott!ommen fein !onnte, ba fie fonft @ott
gleid^, alfo toon il^m niä)t t>erf($ieben tüäre, fonbern mit il)m
ibentifd^ fein mü^te, alfo nid^t Sßßelt ober Sd^öpfung fein !önnte;
— tin IXmftanb, in toeld^em be!anntlid^ fd^on Seibnig, auf
tl^eiftifd^em 6tanbpun!t, "i^tn metap^^fifd^en (^runb ber tlnt)ott=
fommen^eit ober 9ftelatit»ität ber SSelt erblidfte. 3ft bie^ einmal
angunelimen, bann !ann !eine unbebingte 3Sott!ommen^eit im
©rofeen unb ©ingeinen meljr ertoartet iuerben unb hei fold^er
Sefd^affen^eit ift SS er änb erlief leit möglid^, bamit aud^ 3^= ^^^
2lbnel)men, ^er!el)rung, Umgeftaltung u. f. ip. IXnb au^erbem,
menn bie 6d^öpfung auf ©nttnid^elung , auf eine getr»iffe 6elbft=
betl^ätigung unb 3Sert»oElommnung angelegt ift, fo t)erfte:^t e^ fid^
t)on felbft, ba6 fie mit einem 3itft<^^^ ^on lXnt>olI!ommen]^eit
beginnen mu^te, ber erft burd^ tüeitere ©nttoidelung übertüunben
ioerben fottte. 6ie mufete alfo fogufagen mit einem guftanb öon
©otteSferne beginnen unb fid^ erft burd^ i^re 2lu^geftaltung in
©otte^nä^e bringen. 3^re 35oll!ommen^eit beftel^t überl^aupt
nid^t in i^rem jen^eiligen 3uftanbe, fonbern in iljrem Streben
nad^ (gntlnid^elung unb in i^rer ^raft unb gä^igfeit bagu. ^ie^
im ^gemeinen ; mit bem metapl^^fifd^en ©runb ber llnt)oE=
Icmmenl^eit ober ^Relativität ber SBelt ift bann ©runb ober
3)löglid^leit be^ pl;^fifd^en Hebeln fd^on gegeben, foioie aud^
3)löglid^leit be^ moralifd^en Uebelg ober be^ 33öfen, "iia 'Die
moralifd^e ^raft be^ 3}lenfd^en, ber SßiHe, fid^ eben aud^ erft
betüä^ren, an§> bem guftanb ber IXnüoElommen^eit fid^ burd^
(Selbftbeftimmung l^öl^ere 3Solllommenl)eit geben mufete.
142 IV. 3«!^ X^eobicee.
Sßa^ bie Untiottfornmenl^eiten unb Uebel im 33efonbern bc=
trifft, treidle ir>ir aU ©intüenbungen gegen bie religiöfe Söfung
beö 2BeItproblem)§ burc^ bie Slnnal^me eine^ :perfönli$en ©otte!^
t)orgebra($t l^aben, fo laffen fid^ biefe ©d^tt)ierig!eiten freilid^
aud^ nur in bebingter 2öeife lieben ober allenfalls befd^tüid^tigen.
SSor 3lttem iüurbe bie tiefe Hnmiffenl^eit unb Unfenntnife
foh)ol^l be§ügli(j^ ber Statur, aU au^ begüglid^ ber ©ott^eit, bie
bod^ 2ltteS l^ert)orgebra($t !)aben füll, inSbefonbere auc^ ben
3}lenf(^en, unb meldte t»on xi)m forbert^ ba^ er an fie glaube aU
betüu^te, mottenbe $erfönlid^!eit, fie t>ere]^re unb i^ren '^iUcn
aU @efe^ erfülle. 2)ie öotte Unlenntni^ ber 3^atur njar bod^
ein erbarmungSlofeS preisgeben bes 3Jlenfd^en an alle ©efal^ren
unb IXebel, meldte biefelbe in fid^ birgt unb toerurfad^t. 2)ie
Un!enntni§ ©otteS aber unb feines SßillenS fd^Io§ für ben 3Jlenfd^en
tu llnmögltd^feit in fid^, 'i)a§> ^u tl^un, )paS §u feinem §eile unb
^afeinSglüdf unumgänglid^ notl^tüenbig mar, fobafe er mit ber
Unmöglid^feit t)on @ott gefc^affen erfd^eint, baS Qul gu erftreben,
gefd^tüeige eS gu erreid^en, baS il)m bod^ toon eben biefem gött=
lid^en 6d^öpfer gefegt tpar! — 2öaS nun bie Unfenntni^ betrifft,
in treld^er bie 3}^enfd^l^eit begüglid^ ber S^^atur offenbar inS ©afein
trat, mie nod^ jegt jeber einzelne 9}lenfd^, unb bie il^m fo toiel
^ampf unb Ungemad^ toerurfad^en mu^te, e^e eS iljm, tüenn aud^
nur t^eiltoeife, gelang, fie nur einigermaßen gu überminben, —
fo läßt fid^ barüber §ur ^egrünbung berfelben ober gur 9led^t=
fertigung etma fagen, baß burd^ biefen l^arten ^ampf gum 33el^ufe
ber ©elbfter^altung unb görberung bie 6elbftbetl^ätigung ber
menfd^lid^en S^iatur, W ©nttoidfelung aEer förperlid^en unb nod^
mel^r ber geiftigen Gräfte angeregt, geförbert unb erhielt toerben
follte, ®enn o^ne ftar!e 5lnregung, ol)ne (§>^\a^x^n für baS
©afein ober 2Bo!)lbefinben, o^m Sebrol)ung bes eigenen ©afeinS
fei eine beftänbige unb energif(^e 33etl)ätigung ber gegebenen
^raft nic^t ^u erzielen, "oa in ber ©elbftfud^t aud^ ber §ang
pr tlntl)ätig!eit unb 33equemlid^!eit liege, ber leidet t)a§>
Uebergeiüid^t erlangt, menn nic^t 't)k 9^otl)n)enbig!eit gur 2ln^
irenbung ber Gräfte unb §ur energifd^en ^^ätigfeit gtringt.
IV. ^üx 2:^eobicee. 143
©ine Xi^at^a^e, üon ber \a ba§ geir>ö^nli(^e SeBen ber 33^enf$en,
W aUtäQliä)t (grfal)rung ^inlänglid^ Seugnig gibt. Man Um
alfo anne:^men, bafe ber gtoecf beg ^afein§ be§ 3JJenf(^en=
@ef(^Ie$tg biefen 3uftanb anfänglid^er Uniüiffenl^eit unb §ülf=
lofig!eit forberte, um bur($ Slnmenbung ber gegebenen Gräfte
bie 6elbftentrt)i(felung ber 3Jlenf(^l^eit §u förbern, \a §u er^toingen
unb attgemeine tlnt|)ätig!eit unb dn bIo§ müjsige^ 3^egetiren
berfelben §u toeri^üten. — 3Son groger Söid^tigfeit ift bie l^ifto^^
rif(^e ^^tfac^e, ha^ 't)k Tt^n\ä)^^it au<S) in tooller IXnfenntnife
(^otU§> m§> ^afein trat unb mü!)fam burc^ unenbli(^e Errungen
]^inbur(^, tpeld^e bie 3^atur veranlagte, 't)k \a bie (SJottl^eit mel;r
SSerbirgt al^ offenbart, — fo gtüar, 'Da^ fie 3al)rtaufenbe l)in=
t)ur(^ gerabegu bei ben Tltn\ä)tn in il)rer @ansl)eit ober in i^ren
einzelnen ©ebilben 't)k ©teile jener felbft einnal^m, ^ur ^f^atur-
Vergötterung unb gum ^olptl^ei^mu^ verleitete. Unb hu§> fogar
vxit einer getüiffen Sf^otl^n^enbigfeit, 'i^a hk 3}tenf(^en einer anbern
@r!enntnig be§ ©öttlii^en ober Uebernatürlid^en hei mangelnber
9flaturer!enntnig unb glei(^5eitig mangelnber ©eifte^enttoidelung
gar nic^t fäl)ig maren! tiefer 6($lx>ierig!eit gegenüber lägt fi($ —
(lieber ^pot^tti^^) geltenb ma($en, bag, trenn eine Söelt unb
zin Sßeltproceg fein follte, in^befonbere eine 9J^enf(j^engef(^i(|te
unb irbifi^e (S^eifte^enth)i(felung an ber Söelt unb in i^r, — gerabe
biefe SSerborgenl^eit (SJotteg not^ivenbig mar. 6e^en tüir ben
%aU, (SJott fei bem 3}lenf$engeifte vott!ommen (naä) menfd^lid^em
SJiage ber @eifte§!raft) !lar unb offenbar getvefen in feinem
^afein mit att feiner 3SoE!ommen^eit, — ber 3)^enf(^engeift )^ätte
bemna(^ bie (^ottl;eit unmittelbar gef($aut oljne SSerpHung, fo
tvürbe berfelbe fi(^ ^uverläffig il)r gan^ l^ingegeben ^aben U^
pm ^er§i(^t auf alle§ Inbere; n^ürbe in ber göttli(^en 3Soll=
!ommenl)eit fein (31M, feine ^efeligung finbenb, an ber Söelt
!einerlei 3ntereffe genommen unb \iä) gan^ von berfelben al^
einer voEftänbig gleichgültigen 6a(^e abgetvenbet l)aben, fid^ nur
in inniger 3Serbinbung mit ber ©ottl^eit ^altenb, gan^ in i^x
fein (Genüge finbenb, fobag er um Inbere^, aU Geringfügige^,
fi(^ nid^t tveiter bemühte, ©in gefij^id^tlid^e^ 2öir!en ber 3}lenf($=
144 IV. 3"^ S^^eobtcee.
l^eit, ein praltifd^e^ 2Btr!en für bie Qmäz biefe^ ©rbenleBen^
jpäre babei au^gefd^Ioffen geblieben. 2öie foHte ber 3Jlenf(^, ber
bie ^ott^eit unmittelbar er!ennt unb fid^ i^r bemgemäfe aud^
gans l^ingibt, in ber nid^tigen SBelt no($ t^eoretifc^ ober pxah
ti\ä) it)ir!en inollen? ©elbft toenn h)ir annehmen, bafe ba§ S)a=^
fein unb bie ^efc^affen^eit @otte§ bem 3}ienf($engeift etiüa fo tlax
unb bur$fi(^tig tDäre unb bie ßr!enntni§ batoon fo fiy unb fertig
tüie matl^ematifd^e Slyiome, felbft in biefem gatte mürbe eine
geiftige ^^ätig!eit begüglid^ ber SBelt nid^t mel^r ftattfinben.
®enn tner toollte fid^ mü^fam eine arme (Srfenntnife ber armen
Söelt erringen, trenn er eine gan§ flare ©r!enntni§ @otte^ be=
fä§e? <Sie toürbe il^m !eine 33ebeutung l^aben, feine Sefriebigung
getüäifjren, unb er toürbe fie aufeerbem in i^rem ix»al^ren Söefen
fd^on in ber (Srfenntnife ©otte^ mitbefi^en. ^a§ bem fo tnäre,
liegt in ber ^f^atur ber (Baä)^ begrünbet unb ift un^ aud^ l^in^
reid^enb burd^ gefd^id^tlid^e ©rfd^einungen fogar angebeutet unb
bezeugt. 3Jlenfd^en t)on befonberer S3egabung unb m^ftifd^ = afce=
tifd^er ^enben^ bezeugen 'ok§> — unb ^tüar in allen bebeutenben
Sfleligionen. 3)ie 35ü6er in Snbien, bie i^r irbifd^e^ S)afein
quälen unb öernid^ten, um fid^ mit bem Unenblid^en, ©öttlid^en
gu bereinigen, iDie 'i^k mo^mmebanifd^en 3K^fti!er unb bie
d^riftlid^en Slfceten unb Sd^tpärmer, bie mit ©ott in unmittel-
barer SSerbinbung §u fein glauben ober nad^ öoUftänbigem ^luf-
gelten in @ott unb nad^ atteiniger ©elig!eit in i^m ftreben, —
fie aEe !)atten für biefeg ^eh^n unb beffen görberung feinen
'Binn unb geigten fid^ unbraud^bar bafür. 6ie beuten ba^er an,
iüo^in e^ !äme, tüenn ben 3Renfd^en bie S5olI!ommen!)eit be§
göttUd^en 6ein^ unmittelbar nal^e ober geoffenbart inäre, unb
tüie eine ©d^öpfung, vok bie, in tpeld^er ix»ir gu leben unb gu
tDirfen l^aben, unmöglid^ fein iDürbe, trenn nid^t hk Statur
getüiffermafeen bie ©ottl^eit tjerl^üEte üor bem §um 2BeIttr)ir!en
beftimmten SJlenfd^en. ^urc^ aE bie^ ift nun atterbing^ nid^t
betriefen, 'i^a^ tin perfönlid^er ©Ott fei unb bie Söelt gefd^affen
l^abe, bod^ aber tpenigften^ bie^, bafe ber ©laube an einen per
fönlid^en ©ott nid;t aufgegeben ju tüerben hxaud)t, um ber in
IV. 3ur Sr^eobicee. 145
grage ftel^enben 6d^iüierig!ett tDtHen, fonbern 'jiä) immex^in noc^
behaupten iann auä) gegenüber ber Z^at]a^^, ba§ btefer ®ott
ben ajlenfd^en t>on Urbeginn an, fo unbekannt unb burd^ bie
^atuv glei($fam öer^üttt inar unb bie 3Jlenf(^^ett erft mü^fam
burd^ unenblid^ öiel 2öal)n unb Strtl^um l^inburd^ gu einem flaren
33ett)u^tfein öon @ott !ommen !onnte; tüentgfteng gu einem üaren
begriff t)om göttli($en Söefen, irenn aud^ nid^t ^ur Haren ©r=
fenntnife ber Realität be§ fo al^ 3beal @r!annten. @§ l^at biefe
3[^erpttung einen guten 6inn, ja ift gemiffermafeen notl^iüenbig,
um ben 6d^öpfung§stüecf, bie 2öelt:= unb 3Jlenfd^l^eit^enttoi^eIung
au^ fid^ felbft §u erreid^en. 2lber atterbingg ift hei fold^er 2luf=
faffung eg ni(^t beredt tigt, ba^ bie ^e!enner ber terfd^iebenen
9fieIigionen fid^ gegenfeitig öerbammen unb verfolgen, ba fie
t)ielmel)r aEe bem gleichen ©d^icffale unterliegen unb bemfelben
Stüedte bienen.
3n befonber^ energifd^er unb einleu(^tenber 3öeife fd^eint
aber, toie irir fallen, bie S3ef(^affen^eit ber SBelt, tnenigften^ ber
irbifd^en 3^atur unb ber lebenbigen SBefen in ii)x, gegen ba§ "^a^
fein eine^ perfönlid^en ©otte^ gu fpred^en, refp. gegen ben ©tauben
baran, unb ba^ er IXrl^eber ober ©(^öpfer biefer S^aturtoefen
unb in^befonbere auc^ be^ 3}ienfd^en fei. ®enn mit ber ©üte
unb 2öeigt)eit eine§ perf önlid^en , abfolut toollfommenen 2öefen§
f(^eint, nad^ menfd^Iid^em Urf^eil, bie ^efd^affenl^eit unb ba^
So^ ber lebenbigen, empfinbenben Sßefen untiereinbar §u fein,
tiefer h)ilbe ^ampf umg ^afein, p bem alle SBefen ge^toungen
finb, trenn fie fid^ felbft erhalten unb förbern tüoHen unb ber
fie stoingt, fid^ gegenfeitig §u verfolgen unb §u öernid^ten, foba§
immer W SSegünftigung ber ©inen, 't)a^ 3Serberben ber 2lnbern
ift, fc^eint bod^ nid^t ba^ 2öer! ober bie ^unbgebung eineg gütigen
6d^öpfer^ gu fein, ^a^u !ommt bie ©mpfinbung^fäl^igfeit biefer
2ßefen, toeld^e gerabe in biefem Kampfe unb in ben fonftigen
6d^äbtgungen unb Seiben be§ irbifc^en ®afein^ neben ber
Suft unb greube fo unenblid^ toiel ©d^merj unb ©lenb öer=
urfad^t unb bie ©rbe für alle Sebetoefen im ©runbe p einem
Sammertl^al mad^t, fobafe e§ ber peffimiftifd^en Söeltauffaffung
t5rot)ic^ammer, SR^fterium 9Jiagnum. 10
146 IV. 3ur X^eobicec.
ni^t 5U toiele 6d^n)ierig!eit tnad^t, bem ^effimiötnu^ auä)
nod^ ben ^Itl^eismuö l^in^u^ufügen ober eine Sluffaffung ber
©ott{)eit geltenb gu mad^en, meldte biefe mel^r aU erfd^redenbe
ßaricatur, benn aU ba^ abfolute Qbeal ber 3Semunft, al§> 3n=
begriff atter 3SoE!ommen^eit erf($einen lä§t. ©^ ift alfo bie
tneitere grage, ob fid^ angefi($t» biefer Sefd^affenl^eit ber dlatux
unb biefeio ^d)iä]aU ber lebenbigen Sßefen in il^r gleid^mol)! ber
(Glaube an einen perfönlid^en (^ott no(^ aufredet erl^alten unb
red^tfertigen laffe, — ol^ne ^ur alten, nid^t mel^r l^altbaren Seigre
toon ber Korruption ber dlatnx burd^ ben 6ünbenfatt ber erften
3J^enfc^en (unb t)orl)er gefc^affener ©eifter) gurücffe^ren ju
muffen. — 2öa^ nun guerft bie ©mpfinbung^fäl;ig!eit ber leben=
bigen 2öefen betrifft, fo l^at fie hk Sebeutung, benfelbcn über-
l^aupt (Snipfinbung, Snnenfinben be§ eigenen ®afein!§, unb 'üamit
©enufe unb ^reube be^ Seben^ ^u ermöglid^en. "^amit ift bann
freilid^ auä) hie 3}^öglid^!eit be^ ©egentl^eil^ gegeben, be^
6(^mer§e0 nämli(^, inenn biefe^ eigene inbiüibuelle S)afein eine
Störung, Hemmung erfährt, unb in einen nid^tfeinfottenben,
organifd^=bi»^armonifc^en g^ft^^^ gerätl^, ber fid^ in ber 6elbft=
Söal^rnel^mung ober ©mpflnbung geltenb mad^t Slber eben in
biefer 33e§ie]^ung ift W ©mpfinbung^fäl^igfeit burd^au» not|)=
tüenbig gur Selbfterl^altung unb görberung be^ ^afein» ber
SebelDefen. 5Die (Smpfinbung t^on £uft unb 6d^merj beutet il^nen
an, n)a^ il^nen nü^lid^ unb fd^äblid^ ift, toa^ fie gu fliel^en unb
njaS fie gu fud^en l^aben. ©mpfinbung t>on beiben prägt fid^ ein
unb läfet fie (Srfal)rung machen, baburd^ n)oI;l aud; flüger, t)or=
fid^tiger, breifter ober prücf^altenber n?erben. Dl^ne biefe ©mpfin?
bung mürben i^nen bie Tlotiu fehlen gur ^l)ätig!eit, pm ©ud^en
be^ ^Rotl^menbigen unb SSermeiben beö SSerberblid^en. ©elbft
tt)id^tige ^l^eile il)reg Drgani^mug fönnten il^nen gerftört werben,
ol^ne ba^ fie e^ red^tgeitig bemerften, n)enn fie nid^t burd^ bie
©mpfinbung be§ 6d^merse§ bat>on red^tgeitig benad^rid^tigt tpür^
ben. 3n ber ©mpfinbung^fä^igfeit, hk burc^ bie teleologifd^e
©eftaltung begrünbet ift, realifirt unb offenbart fid^ gugleii^ bie
ibeale @runbtenben§ be^ ^afein^ unb bes 9laturproceffe^, W
IV. ^üx S^eobicec. 147
fid^ eben haxin ^ei^t, ba§ ein ©einfotten unb ^fJic^tfeinfotten pr
2Ba!)rneI;mung gebracht iDirb. ©nblic^ ift bie ^ä^igfeit ber
©mpfinbung pgleid^ bie p^pfif(^::pf^d^ifd^e Slnlage, ang ipeld^er
t)a^ Seiüu^tfein felbft, tüte fd^on bemer!t, l^ertjorgel^t, obtüol^l fie
fortbauert, an($ tpenn ber Suftanb be^ 33en)u§tfein^ \ä)on er=
reid;t ift. 33eibe [teilen bann in inniger 3Serbinbnng, bebingen
\iä) gegenfeitig; benn foll tüirüid^e ©mpfinbnng [tattfinben, fo
ift ber 3^^^«^ ^^^ 33en)u§tfeing not^toenbig unb ]^inh)ieberum
trirb biefer 3^ft^^^ ^anptfäc^Iid^ burd^ Erregung ber (gmpfin=
bung tüieber ^ergefteEt, tnenn 33en}u§tlofig!eit eingetreten voax. —
1Ba§> ben ^am^f um^ 5Dafein betrifft, in ir>eld^em bie Sebemefen
fid^ gegenfeitig bie ©yiftengbebingungen unb bie ©yiften^ felber
ftreitig mad;en, inbem fie eben bie SJ^ittel ober 33ebingungen be§
Jßebenö einanber tnt^k^tn, fid^ üerbrängen ober gerabegu öer=
folgen unb t>ernic^ten, in^befonbere fid^ gegenfeitig hext ^ob be=
reiten unb toergel^ren muffen, um felbft §u leben, — fo ift biefer
atterbings üon ber 2lrt, ha^ eine gro^e 6d^mierig!eit für hk 5ln=
nal^me eine§ perfönlid^en @otte§ "oaxau^» entfielet, tpenn toir toom
menfd^Iid^en 6tanbpun!t au^ barüber urt^eilen — unb eixi an=
berer ift un^ h^i inbuctit}em ^erfa^ren, auf 'i)a§> toix angetoiefen
finb, nid^t mDgH(^. äöarum finb fo unenblic^ üiele Söefen in§
3)afein gerufen mit ©m^^finbung toon Suft unb 6c()mer§ unb mit
bem Streben jene gu erreid^en, biefen aber gu öermeiben, tüenn
t)k§> Qkl naturnot!)n)enbig nid^t gu erreid^en ift? 'Riä)t gu er=
reid^en ift, ba jebenfatt^ ber ^ob W^ ^inbert, unb abgefe^en
batoon, felbft 't)k erhielte Suftempfinbung ber einen SBefen auf
©d^merg unb ^ob ber anbern gegrünbet ift — unb ^xoax unt)er=
meiblid^, naturnot^toenbig ? 3Benn üxoa angenommen irürbe,
ba^ nur auf^biefe 2öeife eine fo unenblid^e 3JJenge toon i)er=
fd^iebenen Söefen, eine fo reiche gülle t)on £ebenbig!eit atter 2lrt
möglid^ fei unb baburc^ l^auptfäd^Iid^ ber unenblid^e S^leid^tl^um
be§ göttlid^en 2öefen§ felbft, 't)k unenblic^e güEe be^ göttlid^en
©ein^ eine entfpred^enbe 9^ac^bilbung unb Offenbarung in ber
Sßelt finben !onnte (tr»ie ber @eban!e n)o^I in ber ©$otafti!
i)or!ommt), fo toäre bem gegenüber §u bemerken, ba§ bo($
10*
148 IV. 3uv St^eobicee.
ni(^t quantttatit^e 3Serl^ältntffe, ni(^t Qa% 3JJaffe unb 35erfd^ieben=
{)eit ber lebenbigen ßrbentrefen bie SRatur unb 3SoII!ommenl^ett
Lottes funbgeben, fonbern bod; t>or OTem bie 33efd^affenl;eit
berfelben, il^r SSerljältnife gueinanber unb bie immanente §ar=
monie beö ©anjen! 2öie aber fott ber trilbe ^ampf ber 2Befen
gegeneinanber, ber ifjnen aU notl)ir>enbige ©yiftengbebingung auf=
gebrungen ift, eine immanente göttlid^e 3SoE!ommeni)eit unb
6elig!eit fd^öpferifij^ funbgeben? (Sl^er müfete man 't)a glauben,
H^ in ber ^mmanen^ be^ göttlid^en SBefenjo unb Seben^ felbft
3tr»iefpalt unb 6treit ftattfinbe, ber fid^ in ber Sd^öpfung fort-
fe^t ober abfpiegelt, — inie §. ^. bei 3. ^öl^me, ober, bafe 'i>a^
gute, t>oll!ommene göttlid^e Slbbilb in ber ©d^öpfung burd^ eine
mibergöttlid^e Ma^t fei terborben unb in ein ^^iä) be^ Kampfes
ber Seiben unb be^ ^obe^ fei t>erlr>anbelt tüorben. — 3n anberer
luffaffung fönnte man geneigt fein, 'otn IXmftanb, bafe bie einen
lebenbigen Sßefen ben anbern gur 3f^al)rung bienen muffen, eth)a
fo §u beuten, \)a^ t)k gange Df^atur geh}iff ermaßen eine Dpfer=
ftätte fei, auf tr etiler bie einen äßefen ben anbern fid; §um
Dpfer gu bringen l^aben, um fie p beglücfen, il^nen @enu§ §u
r>erfdf)affen unb alfo bag ©ange fo ju geftalten, ba§ au^ ßeib unb
^ob unaufl)ürlid^ ©enufe, ^cben unb greube l^ertoorgelf^e. 2lber
auä) biefe ^Beübung ber 6a(^e !ann nid^t befriebigen. Sßenn ben
gefd^affenen Sßefen Suft unb @lüd, njonad^ fie alle t»on D^atur au^
t}erlangen, befd^ieben lüerben foll, marum foE bie^ nid^t birect
burd^ göttlid^e 3lnorbnung gefd^el)en unb gefd^eljen können, fon=
bern nur burd^ ben £ampf um§ ® afein, bur4> 3^i^f^örung unb
gegenfeitige^ §inmorben ber ©efd^öpfe, loarum foE 't>a§> (3lüd be^
^afein^ ber lebenbigen 2Befen auf il)r Unglüd gegrünbet fein? —
3)^el)r Sebeutung lönnte man allenfatt^ einer anbern (Srflärung
gugeftel)en, Ut in ber SCnnal^me beftel;t, ha^ huxd) biefe^ 3Ser=
l^alten ber lebenbigen 2öefen gueinanber eine ^otengirung be^
Seben^ felbft erhielt njerbe, eine Stufenfolge ber 2Befen in SSegug
auf 33oE!ommenl^eit, inbem baburd^, bafe hk ßinen hk Slnbern
üerjel^ren, bie lebenbigen Gräfte concentrirter unb baburd^ poten=
jirt ttierben in pl^t)fifd^er n^ie pfi;d^ifd^er ^e§iel)ung, — inie etma
IV. 3ur Sr^cobicee. 149
aud^ manche ber tüilben ^ölhx\tämmt i^re geinbe, tn^befonbere
bie an ^raft, ^apfer!eit xtnb (SJeift l^eröorragenben öerse^rett,
tpeil fie glauben, babur($ beren treffli^e (StGenfd^aften in fid^
anf§nne^men nnb \iä) felbft ^u potengiren. Snbe^ aud^ bafür
finb W 33etüeife bur($ fidlere ^f)atfad^en nid^t p erbringen unb
toielfac^ näljren fid^ niebriger ftel^enbe Sebemefen üon ^ö^ern,
o^ne bafe fie felbft eine ^otengirung geigen. Unb tüie e^ in ber
^orgeit geipefen fein mag, tiermögen iüir nid;t fidler gu er!ennen.
@anj o^ne @runb mag inbefe biefe 2lnfid^t immerhin nid^t fein
aud^ in ber 9Zatur; in ber 3J^enfc^engefd^id^te ^at bie in grage
ftel^enbe 5luffaffnng be!anntlic^ ba!)in gefül^rt, ba§ bei man^Qn
Böllern unb in mand^en Sfteligionen man 'oie ©ottl^eit felbft §u
genießen fud^t, um fid^ il)re @unft unb Äraft §u ertüerben.* —
©emid^tiger bürfte bie ^Innal^me fein, ba^ biefer ^ampf um§>
^afein l^auptfäd^lid^ Ue ^ebeutung ^be, 't)a^ burd^ benfelben
bie attgemeine 9tegfam!eit unb bie (^nttüidelung ber 9'^atur be=
'oin^t fei. tiefer ^ampf forbert nid^t blo^ W Intüenbung aller
^l^t)fifd^en Gräfte, fonbern aud^ hiz ber pfpd^if($en, unb förbert
baburd^ bie reichere (Entfaltung unb ©nttridfelung unb bamit
felbft aud^ ^it gortbilbung berfelben. ^ie beffern pi^pfif(^en unh
:pfpd^ifd^en Gräfte unb ^^ätigleiten iüerben im Ittgemeinen (tüenn
aud^ nic^t augnal)m§lD^) im Kampfe fiegen unb fid^ erhalten unb
fortfe^en, tr>äl)renb bie 2öefen mit geringern gä^igfeiten gu
^runbe ge^en. Qn^befonbere bie intettectueEen Gräfte iüerben
baburd^ angeregt unb burd^ Hebung gefteigert, fobafe fie in 'Dtn
^öl)ern %^^x^n au§> ber ©ebunbenl^eit im Snftincte fd^on §u
freierer 2lntr»enbung gebrad^t iüerben; nid^t minber iüirb in ^Ser-
binbung 't^amit au§> bem bloßen ^egel^ren unb Streben tin Söotten,
b. b- ein Streben unb ^b^^^öfei«, ba^ burd^ SSorftettungen (mit
^eiüu^tfein unb Slbfid^t) angeregt unb geleitet n^irb. ©nblic^
aber ift noc^ eine befonbere golge biefe^ ^ampfe^ um§ S)afein,
* @. mein 2Berf: „Utbtx bie ®enefi8 ber aJienfc^^eit unb beren ^tü-
öion, @ittli(^feit unb e^rac^e'' (2Jiünc^cn 1883), e. 220 ff.
150 IV. 3«i^ 2:^eobicee.
ba§ ntc^t blo^ eine aHmäpd^e IXmiranblung unb (^rl^öl^utig ber
organifd^en unb lebenbigen 2ßefen baburd^ erhielt, fonbern auä) tim
allgemeine Stagnation unb SSerfumpfung be^ Seben^ t>ermieben
tr>irb. ^aju ift im ©runbe auä) ber ^ob erforberlid^, ber bie
3Sorau§je^ung ift, bafe burd^ bie fd^öpferifd^e ^otenj ber ©ene-
ration eine beftänbige S^eubilbung ber Organismen unb eine
Beftänbige Erneuerung unb 3Serj[üngung in ber 5Ratur ftattfinben
!ann. — 2luf tl^eiftifc^em ©d^öpfungSftanbpunft njäre alfo bie
©d^öpfung aufgufaffen gtnar aU D^ad^bilb beS göttlid^en £ebenS
ober SebenSproceffeS, aber unter ben gormen ber ©nblid^!eit.
^ie göttlid^e 6d^öpfungSmac^t aU 3maginationc^!raft eines 2ln=
bern, 9telatit»en ipir!te gtüar fort in biefem Slbbilbe ber @ott=
l^eit, inSbefonbere als ^enerationSpotens, aber ber Qnl^alt ber
©d^öpfung n^äre enblid^, befd^rän!t, unb müfete, um fid^ felbft
auSjugeftalten gu ^öl^erer felbftänbiger 33ilbung ber @ottäl^nlid^=
feit in ft(^, ein xtiä) geglieberteS, aud^ gegeneinanber n^irfen-
beS Seben unb 6d^affen barfteHen.
©reEer nod^ tritt ber SeibenSguftanb beS SebenS unb felbft
ber ^ampf umS ^afein hei bem 3Jienfd^engefd^le(^t felbft l;ert}or,
lägt fi(^ aber auc^ leidster als öielfad^ bebeutungSöoE unb für
l)ö^ere S^tereffen foiüol^l beS pl^^fifd^en, als aud^ befonberS beS
geiftigen £ebenS nad^tüeifen. — 3BaS gunäd^ft 'i)ie inteEectueHe
ßntmidfelung ber 3JJenfd^ennatur betrifft, fo bebarf fie irie ber
finnlid^en Organe unb ber finnlid^en Objecte §um beginn unb
gortfd^reiten berfelben, fo aud^ aEent^alben ber Slnregung burd^
bie äußern 3Serl^ältniffe, }a felbft ber ^^lötl^igung burd^ ^ebürf:^
niffe unb ©efal^ren beS SebenS. ®ie @r!enntniffe muffen gefud^t
unb erweitert werben, bie Urt^eilSfraft finbet Hebung, ber gor=
fd^ungStrieb h}irb gemedft, n)enn aud^ nid^t guerft im rein ti^eoreti-
fd^en 3ntereffe, bod^ für praftifd^e ßebenSgtüedfe, — tüoburd^ bann
n)ieberum bie tl^eoretifd^e Iraft beS ©eifteS felbft er^^öl^t h)irb.
Sd^on infofern alfo lä§t fid^ 6inn unb felbft entfd^eibenbe Se^
beutung barin finben, ba§ W 3Jienfd^en fo fielen Seiben auS=
gefegt finb, bie fie üermeiben ober beseitigen foHen burd^ eigene
S8emü:^ung, burd^ tenntniffe unb rid^tige ^eurt^eilung, unb hai,
IV. 3"^ 2:^eobicce. 151
fo tiele ©efal^ren fie beftänbig umgeben, betten fie begegnen mü'\\en
burd^ bie richtigen natürlii^en 3}littel, bie fie bur(^ ben 3nteEect,
lüie bur$ ©rfa^rung attmäl[;lid^ au^finbig mad^en unb antuenben
lernen. grei(t(^ gef(^ie!)t bie^ nur in fe^r langfamem @nt=
midelung^gang, nad^bem ^a^rl^unberte, 3al;rtaufenbe ^inburd^
man buri^ übernatürliche ober 3^^^^^wittel \iä) gu Reifen, ^u
fc^ü^en tjergeblid; üerfud^t l;at. %uä) fel^lt l^ierbei bie ^eljrfeite
niä)t, benn ^u bürftige Sage ber Seben§t)erl^ältniffe, gu fd^tüere
33ebrängnife toon ber ^f^otl^ unb ben ^rangfalen be§ irbif($en
^afein^ ^emmen ja au^ bie intettectuelle ©nttüicfelung be^ ©eifte^,
lähmen feine @r!enntniPraft unb Italien i^n in ^umpfl)eit unb
Unt]^ätig!eit ^uxüä, — n)ie bie ipilben 3Söl!erfc^aften s^igen, bie
3a]^r{)unberte l^inburc^ oI;ne geiftige ©ntn)i(felung blieben. 2le^n=
lid^e^ gef(^iel)t \a auä) h^i geiftigem ^ru(f , ber ^au^tfäc^lid^ toon
religiöfen ^efic^t^punlten burc^ @etr>altl^aber unb burd^ l^err=
fd^enben Aberglauben ber SSölfer auiSgeübt §u werben pflegt, —
öfter mit fold^em (Erfolg, bafe fd^on errungene geiftige ßultur
lüieber gu ©runbe gel)t. S^^^fe i^ OTgemeinen unb öom ©tanb=
punfte be^ ©an§en au^ betra(^tet, erf(^eint immerl^in ber Um=
ftanb, ha^ hk 3)lenfd^l^eit genötl^igt ift, ber S^^atur tl)re @r^al=
tung unb görberung burd^ eigene 3:;^ätigMt abzuringen, al^
ein ^awptmitUl, bie intellectuetten Jlräfte ^u n^eden unb burc^
energifd^e ^^ätigMt pr Slu^bilbung gu bringen.
2le^nlic^eg gilt aud^ t»Dn ber moralifd^en ^ilbung ber 3Jlenfd§=:
l^eit. 2lud^ für biefe ift ber ^ampf um^ ^afein unb finb in§=
befonbere 'i^u p^^fifd^en Uebel be^ Seben^ eine ^eranlaffung gut
9*tealifirung unb ©rl^öl^ung berfelben. ^afe ha^» 3Jlenfc^enleben
ein ^ampf fei mit ber Statur unb mit focialen 3Serl)ältniffen
in ber menfd^lid^en ^efellfd^aft, ift allbelannt, unb ftet§ l)at man
aud^ ))k l)öl)ere 33ebeutung l^ieröon 'i)axin gefunben, ba^ bie Seiben
be^ ^afeing, in^befonbere aud^ 'i)k p:^pfifd^en, bie 33ebeutung
l^aben ober lüenigften^ ^ah^n fotten, 'Dk fittlid^e ^raft be§ 2Bil=
len§ §ur ^etnäl^rung p bringen unb "ok fittlid^e 3Sert)oll!omm=
nung gu beförbern. 2)ie^ objectiöe ®afein fott 3}littel unb @(^au=
pla^ für bie fubjectiüe 33et]^ätigung be^ bemühten 2Bitten^ be0
152 IV. 3"r Sr^eobiccc.
3Jlenfd^engeifte^ fein. ^en!en mir un^ Ui ber 3Jlenf(^ennatur,
iüie fie ift, att bie S3ebrängniffe unb 9Zöt]^igungen be^ äußern £eben§
l^intoeg, fo trürbe 't>k moralifd^e Säilbung fo tüenig ir»ie bie intettec=
tuette irgenbtüie bebeutenbe gortfd^ritte machen, benn nid^t blo§
^ab= unb ^errfd^fud^t, fonbern auä) bie ^rägl^eit ift eine gorm,
in iDeld^er fid^ bie Entartung ber 6elbftfnc^t funbgibt. ^oä) ift
anä) ^ier tpieber gu bemerfen, ba^ bie Reiben unb ^Rötl^en beC^
Seben^ anc^ iüol^l gum ©egentl^eil ber fittlic^en ^ilbung nnb
SSertooIIfommnung fü'^ren !önnen unb oft genug fül^ren, ba fie
SSerfud^ungen aEer 5lrt mit fid^ bringen unb fo oft toerbitterte
©efinnung unb ^efammtftimmung be^ ©entütt)^ toerurfad^en,
Seibenfd^aften tüeden unb felbft p Untl^aten aller 2(rt SSeranlaf=
fung geben. — ©ine befonbere 2öid^tig!eit l^aben bie p^^fifd^en
IXebel baburd^, 't^a^ fie ber 33et]f)ätigung ber S^äd^ftenliebe bie
umfaffenbfte Gelegenheit bieten. S^folge ber Unt>olI!ommen!^eiten,
Seiben unb ^öt^tn be^ Seben§ gefd^iei^t e^, ift e^ möglid^, ^a^
ein 3Jlenfd^ für hzn anbern ioirüid^ ettüag leiften unb tttoa^
für if)n fein !ann, \üa§> bod^ nid^t n)ol)l mögli(^ tt>äre, tüenn bie
einzelnen Menfd^en bebürfnifelofe, in fid^ abgefd^Ioffene, fiy unb
fertige Sltome ober 3Jlonaben iüären. 2öie fie aber n^irüid^ finb,
in ii^rer IXntooIüommen^eit, finb fie aUentljalben aufeinanber an=
geh)iefen, tioneinanber bebingt unb in ber SSeririrüid^ung i^reiS
Seben^gefd^idfe^ beeinflußt, fobafe ein t) ereinig enbe^ ^anb burd^
aEe l^inburd^gel^t. 3)ieö gilt nad^ allen 33egiel)ungen, benn fd^on
im @ntfte!^en ift ber 3Jlenfd^ t>on anbern bebingt nnb ftel^t mit
il)nen in innigftem 3itfammenl^ang. 3n 5lbl)ängig!eit gunäd^ft t>on
ben Sleltern, beren er bann iüieber hti feiner Untoolllommen^eit
unb §ülflofig!eit gur Pflege unb ©rl^altung bebarf , fotüie ^iz Un--
bilbung feinet Qntellectg unb SöiHen^ bie ©rgie^ung burd^ anbere
3Jlenfd^en forbert. Unb enblid^ ba§ gange Seben l)inburd^ !ann
ber einzelne 3)lenfd^ nie fid^ felbft genug fein, fonbern bebarf
be^ 3ufammenl)ang§ mit anbern, ber §ülfe im p^^fifd^en unb
geiftigen (Gebiete, um ben Seiben be^ ©afein^ gu entgegen ober
in benfelben Sinberung ju erlangen.
greilid^ ift l^ier aud^ bas menfd^lid^e SSerl^ältnife gegeben.
IV. 3ur S^eobicee. 153
hti lDel($em baö moralifd^e IXebel ober ba§ 33öfe feinen IXrfprung
nimmt ober fein S5ern)ir!li(j^ung^gebiet ^at Um ba§ moralifd^e
Hebel in feinem ©afein unb Urf^rung p erüären, bebarf e^
nid^t be^ fd^roffen 5DuaIi§mn^ eine^ böfen ^rincipg gegenüber
bem guten, auä) nid^t einer befonbern 2ßur§el beffelben im gött=
lid^en IXrgrnnbe unb ebenfotoenig ift ein m^fteriöfeg rabicale^
^öfe§ in ber SJ^enfc^ennatur angunelf^men, bem ein ebenfo m^fte=
riöfer !ategorifc^er ^mperatiö entgegenftiinbe, — iDoburd^ ja ber
metapl^^fifi^e S^uali^mug ber ^toei feinbli($en Urprincipien ol^nel)in
nur in W moralifd^e 9^atur be^ 3Jienf(^en verlegt tüürbe. 3Siel=
mti)x bebarf e§ nur ^u biefer ©rüärung be§ natürlichen, auf
6elbfter^altung unb görberung gerichteten @goi§mu§, mit ber
^a^t ber ©elbftbeftimmung ober Söillen^freil^eit in einer menf(^=
liefen @efellf(^aft unb in ber gef(^öpfli($en 3f?atur überl^aupt,
au(^ toenn fie aU ^robuct göttliij^ f(^öpferif(^er, Slnbere^ unb
barum (Snblid^e^ fegenber Imagination aufgefaßt mirb, ba^ fid^
gegenfeitig bef(^rän!t unb fein eigene^ 6ein bem anbern gegenüber
^eltenb maä)t 3n ber menfi^lid^en (^efeUfd^aft, in bem ^zx^ait-
niffe ber 3Jlenf(^en gueinanber, ift ba^ fittlid^ @ute gu realifiren
unb in berfelben realifirt fid^ aud^ ba^ ©egent^eil, 'i)a§> \itili6)
Söfe. ©ie menfc^lic^e ©efettfd^aft ift gleid^fam auf bie 3bee be^
©Uten gefteHt unb foE biefe in atten SSer^ältniffen realifiren,
baburd^ göttlid^ ]^armonif(^e§ Seben unb 2ßir!en in ber 3mma=
nenj ber 3J^enfd^l^eit barftettenb; benn nur bem 3Jlitmenfd^en
gegenüber !ann fid^ ber 3Jlenf(^ praltifd^ moralifd^ öerl^alten ober
'i)a§> ©Ute realifiren, nid^t einer überfinnlid^en, unerreid^baren
Söelt unb aud^ nid^t ©ott unmittelbar gegenüber, ©enn ©Ott,
aU bem Slbfoluten, öermag ber 3Jlenfd^ nid^t^ <5d^limme^ §u=
zufügen, fo iüenig aU er il^m ettoag geben ober für i^n in
feiner Dl^nmad^t ettoa^ leiften !ann. ©ie^ aner!ennen attent^
l^alben felbft bie 3fteligionen, iDenigften^ W t>oE!ommeneren in
i^ren iüefentlid^en formen. 6elbft im (E^riftent^um gefd^iel^t
bie^ in fel^r entfd^iebener 2öeife. S)enn fo fel^r aud^ 't>a^ mora=
lifc^e ^Serl^alten al^ eine Befolgung ber fittli(^en ©efe^e, aU
2lu^brucf§ be§ göttlichen Söillen^ betont unb geforbert tpirb, fo
154 IV. ii,ux St^eobiccc.
erfc^cint bie moralifd^e ©üte unb 3SoII!ommen!^eit be§ 3Jlenfd^en
bod^ aEentl^alben an fein 3Serl^alten gegen feine 3}Zitmenfd^en
gefnüpft, an bie iüerft^ätige Sf^äd^ftenliebe. 2)iefe trirb auä) mit
ber ©otteMiebe al§> ^öä)^k§> ©ebot üerbnnben unb pgleid^ mit
aller (Sntfd^iebenl^eit f)ert)orget)oben, ba^ bie (^otteMiebe it;re 33e=
tl^ätigung nur in ber ^'^äd^ftenliebe finbe unb o^ne biefe nic^t
beftel^e. SDiefe Sluffaffung tritt auc^ mit atter Energie ba l^er^^
t>or, wo t>om allgemeinen legten göttlid^en ©erid^t bie Sflebe ift
unb über ba^ emige ^efd^idf ber ©uten unb S3öfen entfd^ieben
iDirb. %l§> 3Jla§ftab unb @runb ber 33eurtf)eilung, refp. SSer-
urtl^eilung, ipirb einzig unb aUtin ba§ 3Serl)alten gegen bie
3Jiitmenf(^en gur entfd^eibenben ©eltung gebrad^t, ba§ aU tin
^erl^alten gegen ben göttlid^en S^tid^ter felbft begeid^net föirb
(matt^, 25, 31 fg.): . . . „^a n)irb bann ber Äönig (9flid^ter)
fagen gu benen ^u feiner 9led^ten: kommet l^er i^r ©efegneten
meinet 35ater§, erbet bas 9tei(^, ^a§> euä) bereitet ift oom 2ln=
fang ber 2öelt. ®enn i^ bin l^ungrig gettjefen unb il^r \)dbt
mid^ gefpeifet; id^ bin burftig getüefen unb i^x ^abt mid^ ge=
trän!t; iä) Un ein grembling gemefen unb i^r !)abt mid^ be=
l^erberget; iä) bin nadt getnefen unb li^x ^dbt miä) beÜeibet; id^
bin !ran! getüefen unb i^v l^abt mid^ befud^t; iä) bin gefangen
gemefen unb i^r feib §u mir ge!ommen. ^ann n^erben bie
©ered^ten anth)orten: §err, föann i)aben tx>ir bid; {)ungrig ge-
feiten unb l^aben bi($ gefpeifet ober burftig unb l^aben ^id) ge=
tränfet u. f. \d. Unb ber §err inirb anttrorten unb fagen gu
tl^nen: ^di)xlid) id^ fage eud^, ma^ il^r getl)an ^dbi einem unter
biefen meinen geringften 33rübern, ba^ l^abt i\)x mir getf)an/'
5le]^nlid^e^ gefd^iel^t nun aud^ benen gur £in!en nur in entgegen^
gefegtem Sinne; fie tr»erben t»erf(u($t in^ etüige geuer, njeil
fie it)re ^ftid^ten gegen ii)re 3Jlitmenf(^en ni(^t erfüHt. 51B ent=
fd^eibenb für baö einige ©efd^idt be^ 3Jienfd^en n^irb l^ier einzig
t)k ©rfüttung ober ^'lid^terfüttung ber ^flid^ten ber Df^äi^ftenliebe
begeid^net. ^iä)t ift bie D^lebe t)on mangelnber fog. grömmigfeit
unb gotte^bienftlid^en Hebungen ober §anblungen, ni^t tom
ortl^üboyen ©tauben, ben man get^ulbigt ober 'i^en man t)erlaffen
IV. 3ur 2;^eobicce. 155
l^at, — um beffentiüillen fpäter öon ben Äirc^engetnaltl^abern fo
t>icle ^aufenbe geitlii^ l^ingemorbet xinb einig §u Höllenqualen
t)erflu(^t tüurben. Slud^ tnirb 'i)a§> einige ©efd^id ni(^t abhängig
gemad^t t»om unbebingten ®el)orfam gegen W geiftli(^e Dbrig=
feit, ben man geleiftet ober nerfagt, eBenfo tnenig 'von einem
©lauben an abfolute 2luctorität unb Unfef)IBar!eit biejer Dbrig^
Uit ©nblic^ aud^ ni^i^ t>on einem Dpfer ber SSernunft, baö
man gebracht ober nernjeigert ^at — lifo nid^tg non aU bem,
ma^ man in fpäterer ^zit in ber c^riftlid^en ^ird^e für ba0
SSid^tigfte, aEein über ba^ etnige §eil (gntfd^eibenbe, erflärt ^at
unb um beffentiniEen hk HJlenfd^en unb SSöüer fo toiele 3a]^r=
{)unberte ^n't)uxä) §u n)ilbem gafe unb fo oft graufamer 3Ser=
folgung gegeneinanber gel^ejt n^urben. Sßa^ tnäre ba§ für eine
göttliche Offenbarung unb für eine Stiftung ber d^riftlid^en
^ird^e, h3enn felbft Id einer fo feierlichen, toid^tigen (^rllärung
gerabe ba§ Sßidfitigfte, ©ntfc^eibenbe tnäre mit 6tillfd^meigen
übergangen inorben? ®a§ bie^ gefd^a^, geigt !lar, bafe ©l^riftu^
W§' nid^t für ba^ 2ßid^tigfte l^ielt! gnuerl^alb ber menf d^lid^en
©efettfd^aft, alfo burd^ ba^ Sßollen unb §anbeln ber 3)lenfc^en
felbft, entftel)t ba^ @ute unb 33öfe, unb e^ genügt bagu bie ber
3J^enfd^ennatur infolge geiftiger ©ntinidfelung in @r!enntni§ unb
^iUtn 5u!ommenbe 6elbftbeftimmung^mac^t ober bie fog. 2öillen§=
freil^eit. ®a^ biefe bem äJienfc^engeifte §u!omme, bezeugt fein
^emufetfein unb "oa^» (S5efül)l ber SSerantmortlid^leit für gewollte,
beabfid^tigte §anblungen, tnäl^renb baffelbe bei nic^tgemottten
fel^lt, tnenn fie aud^ nod^ fo folgenreid^ finb. ®er attgemeine
notl)h}enbige ßaufalgufammenl^ang in ber 3^atur ift lein §inber=
ni§ für ba§ fid^ felbftbeftimmenbe unb infofern freie SöoUen,
benn ber menfd^lid^e (Steift ift erl)aben über biefen not^^tnenbigen
6aufal§ufammenl()ang in feiner l^öd^ften Setl^ätigung. S)ie^ §eigt
fid^ fogar hzi ben ftrengen logifd^en Operationen, in ber 6d^lu^=
folgerung öon ber Söirlung auf hiz IXrfac^e. ®a§ attgemeine
@efe^ ber SSerurfad^ung ober SSegrünbung gilt allerbing^ für
ha§> reale (^ef(^e^en toie für bag logifc^e Genien, aber bag lo=
gifd^e Genien ift bod^ fo frei unb felbffcänbig ber realen (Sau=
156 IV. 3ur 2:^eobicce.
falität gegenüber, bafe e^ 't)a§> reale not^irenbige 33er^ältm6 öon
IXrfad^e unb 2öir!ung gerabe^u umsufe^ren toertnag unb für ben
^en!proce§ ba^, trag im objectitoen, realen ©efd^el^en Urfad^e ift,
gur 2öir!nng (golgerung) ju ma6)tn im ©tanbe ift, bie reale
3öir!ung aber gnm @rnnbe, — wa§> bod^ fidler eine 6elbftänbig=
Mi be^ menfd^li($en ^en!eng gegenüber bem aEgemeinen realen
(Eaufalgufammenl^ang be!unbet. 2le^nlid^ t)erl)ält eg fid^ bei ber
Söitten^t^ätigfeit. 2lud^ ^k\t ift nid^t an blo^e 3lad^bilbung beö
realen SSerlaufe^ gebunben, an 't)a§> 3Serl)ältni6 ber n)ir!enben
llrfad^e gnr 2ßir!ung, fonbern !ann ba^ SJiotir», toon bem fie fid^
beftimmen läfet, ober ha^ fie iräl^lt al^ 3^^^^ ^'^^^ Si^^r ^<^^
bod^ an fic^ nur 3Sorftellung ift, gur Urfad^e be§ ©efd^el^en^ ober
^anbeln^ mai^en. ^er 0)?enf(^engeift toermag alfo au^ M ber
2öiEen^tl^ätig!eit "i^aS» reale ^^erl^ältnife umpfel^ren, inbem er ein
Tlotit), alfo ha§> toa§> nod^ ni^t ift, gu einer für bie 2Bir!lid^!eit
beftimmenben IXrfad^e ma($t, — fobafe causa finalis ^ux causa
efficiens mirb, ha§> Uo§> üorgefteEte giel, t^a^» erft erreid^t iperben
fott, al^ njirfenbe IXrf ad^e fid^ bet^ätigt, infofern baburd^ tk
realen 3Jlittel in ^etüegung gefegt unb fo t»ern)enbet werben,
ba6 't)a§> blog fubjectit) üorgeftettte Siel §ur öoEenbeten objectiüen
2Bir!ung iüirb. Heber bem realen ©efd^e^en erl^ebt fid^ fo ta^
ibeale SSolIen unb Sßirfen, ba^ au^ ber ©rfenntnife unb felb=
ftänbigen Söitten^entfd^eibung l^eröorgel^t, ineld^e hk @runb=
^ebingung be^ SJloralifd^en ift. Uebrigenö ift bie fog. 2ßitteng=
greil)eit nad^ unferer Söeltauffaffung'*" nid^t tivoa in bie 3)lenfd^en=
9flatur al0 frembartige gäl^igfeit Ijineintoerlegt, fonbern fie ift
fo^mifd^ begrünbet in bem aEgemeinen Söeltprincip ober ber
2Beltpl)antafie, unb gibt fic^ fd^on im ©ebiete ber organifd^en
unb mel^r nod^ ber lebenbigen Dkturtoefen !unb, !ommt aber
erft mit ber 33ilbung beö 2J^enfd^engeifte^ burd^ bie guerft gan§
tpittlürlid^ fd^altenbe fubjectiöe $l^antafie gur Geltung unb ttjirb
@. „2)ie ^^ontafie als ©runb^rinci^ beö 2BettproceffeS", ®. 502 ff.
IV. Süx Sr^cobtccc. 157
rational erft Bei ber ©nttpicfelung be^ üaren SelBftbeiüufetfein^
unb be§ Qntellectee^
^a§> p^i;fif(^e unb moralifd^e Hebel inirb in ber 9leIigion
loul^aä) in enge ^Se^iel^ung a^einanber infofern gebrad^t, aU ha^
p^^fifd^e IXebel au^ bem moralifd^en in feinem Urfprung abge-
leitet iüirb, 5. 33. au^ bem fog. 6ünbenfatt ber erften SJlenfd^en,
bur($ ben aud^ bie D^iatur aU in ßorrniption t»erfallen angefel^en
tüirb. dergleichen !ann ^Yoax in ber neuern 2ßiffenf(^aft nid^t
mel^r angenommen tnerben, 'i)a fidler aEe p^^fifd^en IXebel f(^on
t»orl)anben iüaren in ber 9f?atur, e^e e^ nod^ ein moralifc^e^
Hebel geben !onnte, — au§> 3}iangel an toernünftigen, freien
Sßefen. gmmerl^in aber ift e^ 5^!^atfad^e, bafe tüol^l hk meiften
unb größten pl)^fifd^en Seiben in ber 3Jlenfd^]^eit t)om Mi^braud^
ber greil^eit ftammen, alfo au§> bem moralifd^en IXebel entftel^en.*
3n ber Z^ai gel)en aud^ bie pl^^fifd^en unb bie moralifd^en IXebel
au§> berfelben SBur^el l)ert)or, finb in bemfelben ^rincip be=
grünbet, in bem allgemeinen ^ilbung^princip ober ber fd^öpferi-
fd^en Söeltpl^antafie. 2lu§ biefer ftammt bie teleologifd^=plaftifd^e
(^eftaltung ber Organismen überl^aupt unb inSbefonbere ber
lebenbigen ober befeelten Söefen; eine ©eftaltung, beren teleo=
lDgif(^=plaftifd^e Drganifation fid^ §ur @m:pfinbungSfäl^ig!eit öer=
innerlid^t unb fteigert, bie aber aud^ bie £eibenSfä^ig!eit in fid^
fd^liefet unb bamit bie 3}löglid^!eit unb 5^^atfäd^lid^leit beS ^1^^-
* (©(Ritter läßt bem aJ?arqutS ^:pofa fageit:
„dx (ber <^ä)'6p\tx) — ber grctfieit
SntsüdEenbe (grfc^einung ni{^t ju ftören, —
(5r läßt beg UeBelS grauenüotteS §eer
3n feinem SBeltatt lieber toben — i^n,
2)en Äünftler, ttjirb man nid^t getoa^r, befd^eiben
35er^üttt er fic^ in endige ®efe^e!
2)ie fie^t ber greigeift, bod^ nic^t i^n. SBoju
(Sin ©Ott? jagt er, bie Söelt ift fic^ genug!
Unb feines (S^riften 'ilnbac^t l^at i^n mc^r,
5i(« biefeg ^reigeip Säfterung ge^riefen.^'
(2)on Sarlog III, 10.)
158 IV. ßm X^eobtcce.
fifd^en UtbtU begrünbet, ba^ bem Stiebe unb ©treten naä)
6elbfterl^altung unb 2öol)Ibefinben entgegenfte^t. 5tu§ berfelben
^Tnpfinbung^fäl;ig!eit ge^^t aber auc^ ba^ SBetüufetfein im 33erein
mit bcr freien, tüiEfürlid^ fd^altenben fubjectitten ^^antafie ]^er=
tior unb ber ganje pf^d^if($e Drgani^mu^^ mit feinem @runbt)er=
mögen unb ^ptigfeiten, — barunter aud^ ber fid^ felbftbeftim^
menbe freie SßiHe, ber bie üueHe be!§ moralifd^en Hebeln iperben
fann. 2)emna($ finb bie beiben (^runbübel be!§ menf(^li(^en
^afein^ burd^ ein unb baffelbe (SJrunbprincip begrünbet unb
[teilen infofern atterbing^ in 3^f^^^^ttl^^ng , menn aud^ ni^t
in einem fo unbebingten naturnotl^n^enbigen, ba§ fie ftet^ p=
fammen auftreten müßten, 'i)a ber @eift eben burd^ (ginfid^t
unb 2ßillen^!raft über ha§> ^^^fifd^e — bie greuben tüie bie
Seiben — fid^ gu erl^eben toermag.
@^ geigt fid^ alfo, 'i:)ai trie W Sßelt einmal ift, fd^on bie
©rl^altung unb alfo überljaupt bie ©yifteng ber lebenbigen Sßefen
bie ©mpfinbung§fä]^ig!eit t)orau^fe|t, ba§ ebenfo @enu§ be§ ®a=
fein^ unb ba^ Seiüu^tfein bat^on bebingt fei, foinie aud^ ba^
(^efiil^I unb S3eiüu§tfein ber Sbealität, bie in ben 33ilbungen
tüirlt unb fid^ offenbart, ^emgemäfe ift babur(^ in ber 3Jlenfc^en=
3f^atur bie gäl^ig!eit für 't)a§> ^beale, in atten Gebieten ©mpfäng-
li(^!eit, ©efü^l unb ^erftänbni^ §u l^aben, baburd^ begrünbet in
intettectueEer, äftl^etifd^er unb nid^t minber in fittlid^er 33egie]^ung.
2lud^ bie fittlid^e Statur be§ 3)Zenfd^en, bie gäl^igfeit ba^ @ute
p realifiren, fe^te gugleid^ ba^ (SJegent^eil, 'oie Tlaä)t ober grei=
l^eit ha§> moralifd^e Uebel gu erzeugen, t»orau^, "oa ol^ne biefe
gä^igleit aud^ ba^ moralifd^ ®ute unb bemnad^ bie ©rreid^ung
eine^ ibealen ober vernünftigen Qwdc^ ber gangen 6d^öpfung
nid^t möglich tüäre.
Söenn bem aber fo ift, n)enn ba0 §öd^fte unb ^efte im
5Dafein biefer 2öelt, bie Sflealifirung ber Qbeen be^ SBal^ren unb
©Uten in vernünftiger ©rfenntni^ unb 2öitten^t:^ätig!eit nid^t
möglid^ träre, olf)ne 3Jiöglid^!eit be§ @egent]5)eil^, fo entfielt auf
tl^eiftifd^em 6tanbpun!t, ober vielmel^r gum ^el^ufe ber di^ä)U
IV. B^^ 2:^eobiccc. 159
fertigung beiS ©laiiben^ an einen )?erfönlic^en ©Ott aU @(^öpfer
unb gütigen Sen!er ber Söelt, 'i)k grage: Söarum iiberl^aupt
biefe Söelt ber Uebel unb be^ 33öjen gef($affen n)orben fei, tr»arnm
ni(^t eine anbere? Dber tt>enn eine anbete nid^t möglid^ mar,
tvaxum ein bemühter :perfönli($er ©ott, ber 5lto öoran^fel^en
mnfete, überl;anpt eine Sßelt gefc^affen !)abe? 2öel(^e§ tpol^l bie
IXrfad^e ober H^» 2Rotit) ba§n tüar, \Da§> er bamit erreii^en tüoEte,
nnb iüarum er in göttlicher SSoran^fid^t ber fd^limmen SBenbung
ber ^inge W ©($öpfung überhaupt nid^t lieber nnterlaffen
l^abe, n?enn er al^ abfolnte^ äßefen !ein 33ebürfni^ bamit ^u
befriebigen l)atte, nnb an^erbem nid^t^ il^n bagn gtüingen !onnte?
®te Sfteligionen ^dbtn im Slllgemeinen biefe grage !aum
anfgelüorfen unb meiftent^eil^ leidet genommen, n^enn nid^t )5]^ilo=
fopl^ifd^e 6peculation \iä) bamit toerbanb. 3^ ben niebrig
fte^enben war unb ift bie ©otte§t»orftellung fo unt)oE!ommen,
fo tüeit entfernt t)on bem 33egriffe eine^ abfoluten Söefen^, ha^
man an ben Unt)olI!ommen^eiten ber 2Belt, ber Statur unb be^
3}lenfd^enlebeng !aum einen 5lnftofe nal)m, — ipenigften^ nid^t
mit 33egug auf ba^ göttlid^e Söefen ober hk (^ottl^eiten, bie man
felbft getreulid^ an biefen Unöottlommenlfjeiten (toenigften^ "i^en
moralif($en) tljetlnel^men lie^. S)ie naturaliftifd^e unb ant^ropo=
morpl)if(^e Sluffaffung be^ (^öttlid^en lie§ bie 6d^h)ierig!eiten
nid^t pm Ilaren ^einufetfein !ommen, n)eld^e bag ^etüu^tfein
t>on (SJott aU abfolutem Qbeal ber SSernunft ent^üttt unb aU
bem 3Jlenfd^engeifte unlö^bare^ SJl^fterium erf(^einen läfet. —
SDie tl^eologifd^e unb pl^ilofopl^ifd^e ©peculation 'f^at auf t?er=
fd^iebene Söetfe t)erfud^t 't)a^ Problem ju löfen, b. ^, bag 3}lotit>
§u erfennen, ba§ @ott gur ©d^öpfung biefer 2öelt beftimmte.
®ie öor^errfd^enb naturaliftifd^e unb :pantl)eiftifd^e Sftid^tung
ndf)m an, 'Dk Sßelt ber ©nblid^leit fei entftanben infolge einer
innern D^löt^igung ber gottlid^en Statur felbft, bie il^re gülle in
bie 2Belt ergo§, ober bie infolge eine§ göttlid^en £eben^^)roceffeg
au§> xi)m l^ertiorging. 33ei fold^er 2luffaffung ift toon einer eigent=
lid^en Sßeltfd^öpfung feine Stebe, fonbern nur toon einem 2Befen^=
^ct ober Seben^procefe ©otte^ felbft, unb bie Seiben unb Uebel
160 IV. Sux 2:^cobtcee.
be^ ^afein§ finb ^efd^affenl^cUen unb ©d^ic!fale ©otte§ felbft.
3lber @ott ift bann nur aU eh)igeg Sßejen ober ©ubftrat be^
2öeltgefd^e!)en0 aufgefaßt unb entfprid^t mä)t ber 3bee eineä
abfolut t)ott!ommenen 2öefen§, tüte unfere ^Sernunft fie fd^aut,
auc^ niä)t beut göttlichen 2Befen, ba^ im ©tauben angenommen
unb im religiöfen ßultu^ üerel^rt unb angerufen mirb. 6oId^
göttlid^eg 2öefen ift gleich bem emigen ©c^idfal, bem blinben
3Ser]^ängni6, über ba^ fid^ weiter nid^t^ benfen unb fagen,
fonbern l^öd^ften^ noc^ peffimiftifd^ grübeln unb biegten läfet. —
2lnber§ öerl^ält e^ fid^, totnn 't)k 2Belt nid^t al§ 2öefen^= ober
Seben^act ©otte^, fonbern aU 2öer! feinet SßiHen^ unb feiner
^raft aufgefaßt toirb. Slud^ ba ift aber irieber bie grage, o^
fie au§ ?^otl)n)enbig!eit gefd^affen inarb ober au^ freiem 2ßillen
ober 33elieben. 2ßenn au^ 3^otl^tr>enbig!eit, toaä fonnte ©ott
nötl^igen ba^u? 3rgenbetn?a^ 5leu^ere^ nid^t, ba au§er ®ott
nid^t^ ift ober tüar öor ber 6d^öpfung; irgenbein innerer 3^^"9
ober ein 33ebürfni6 ebenfalls nid^t, t)a @ott al^ abfolut t)oll=
fommene^ Sßefen !ein S3ebürfni§ ^aben unb burd^ nid^t^ üoH^
fommener ober befeligter toerben !ann. (S^ mufete bemnad^
irgenbettrag leu^erlid^eg (b. l). nid^t p feinem SBefen ß^el^örige^
ober fein eigene^ 2^h^n Setreffenbe^) ober etina^ S^tfäHige^,
Slccibentette^ fein, ba^ i^n toeranla^te gur ©d^öpfung. — Qn ber
^l^at nel^men ^l^eologen unb ^l^ilofopl^en zt\Da§ bergleid^en an,
entlpeber bie @^re ©otte§ (äufeerlid^) ober bie 6elig!eit, ha§>
(^lüd ber ©efd^öpfe. 2lber aud^ biefe Söfung be^ Problems
l;ält nid^t ©tanb, aud^ nic^t, lüenn man beibe^ gugleid^ aU Si''^ed
ober Moti'o ber ©d^öpfung annimmt. 2ßa§ bie ©l^re ©otte^
betrifft, fo ift immerl)in fel^r fraglid^, ob man bergleid^en al§
3Äotit> göttlid^er ©d^üpfertl)ätig!eit anneljmen bürfe; benn für§
erfte !ann biefe @^re für baö abfolut öollfommene 2öefen feine
^ebeutung l^aben, ba fie nur ein öerfd^minbenbe^ 3Jloment il^m
gegenüber fein !ann, unb bann mirb biefer 3^^^ ^^^^ ^^^
6d^öpfung, irenigfteng fomeit h)ir fie fennen (unb banad^ attein
!önnen trir ja pofitit? unb negatiö urtl^eilen), gar nid^t erreicht.
IV. ^ux St^ecbtcec. 161
6(^on bie fielen Seiben im 3^aturleben können taurti §ur @r=
reid^ung biefe^ Qtd^ät^^ Beitragen; benn fo tüunberbar allerbing^
bie teleologif(^en ©eftaltungen unb pf^(^if(^en gä{)ig!eiten ber
Sebemefen finb, fo finb fie bo(^ ^intoieberum, tnie ^x^^x !)eröor=
get)oben lüurbe, auä) ©d^ulb an ben öielfai^en Seiben ber leben=
bigen 2ßefen unb bienen ^ur Slu^fü^rnng bes milben ^ampfe^
um^ ^afein. 2ßa§ au^erbem W SJienfc^entüelt betrifft, fo fd^eint
burd^ 'iia^ moralifd^e Hebel nid^t blo^, fonbern aud^ bnrd^ "i^it
Xlnn)iffen!)eit, ben Aberglauben unb burd^ 'ok elenben unb ab^
gefc^mad^ten SSorfleHungen, toeld^e iüeitau^ bie meiften 3}^enfd^en
öon ber (SJottl^eit Ijaben, burd^ bie (Earicaturen, hk fie fid^ toon
berfelben bilben, — biefe weit me^r t>erune^rt gu tr»erben, al§
ß^re gu erlangen. 2ßäre alfo biefe ba^ 3Rotit> ber ©d^ö^fung,
fo tüürbe ber Qwed berfelben Mne^tneg^ al^ erreid^t erfd^einen. —
2le^nlic^e^ gilt öom (^IM ober ber ©eligfeit ber (S^efd^öpfe aB
3Jlotit) ober Qwed ber ©d^ö))fung. 2lud^ biefer gtoecf !ann in
ber 6d^öpfung feine^toegg al^ erreid^t angefel^en tnerben, mufe
im (^egentl;eil al^ öerfel^lt für 'Die meiften (S^efd^öpfe erfd^einen,
in^befonbere für "oit 3Renf(^en, bie in biefem Seben fd^toere (^e=
fd^idfe unb Seiben atter 5lrt gu ertragen l^aben, unb grö^tent^eil^
nur mü^fam ein bürftige^ leiben= unb entbel^rung^reid^e^ ^thtn
fid^ toerfd^affen unb erl^alten fönnen. Unb felbft für ein Qenfeit^
finb Ue 2lugfic^ten auf ein beffere^, tüirflic^ beglüd^te^ S)afein
religiöfen ^Infd^auungen unb bogmatifd^en Seigren felbft innerljalb
be§ ©Ijriftent^umg gufolge nid^t günftiger; benn niä)t blo§ im
^ieffeitg üerbammen unb verfolgen fid^ bie d^riftlic^en Parteien
einanber Ijeftig, untoerföl^nlid^, fonbern hie gegenfeitige ^er=
bammung he^ie^ \iä) and) auf 'Da^) Senfeit^. ©nblid^ fogar
inner:^alb ein unb berfelben Partei ober (Sonfeffion toirb
nur toenigen 3Jlenfd^enfeelen toirflid^e @lü(f feiig feit für emige
^auer §uer!annt, nad^ bem äßorte, 'i^a^ üiele berufen aber
toenige au^eriüä^lt feien. §aben bod^ hie ^^eologen fogar
hie furd^tbare Se^re tion ber ^räbeftination au^geflügelt, ber
pfolge bie meiften 3Jtenfd^en öon @ott (bem 6c^öpfer) pr
gro^ic^ammer, aJi^fterium SSJiagnum. 11
162 IV. S^^ S^cobicee.
eiüigen SSerbammni^ beftimmt fein foHen! gür 9}?enfd^en, bte
bergleti^en glauben, !ann unmöglich bie @lüc!felig!eit ber (S)e=
fc^Dpfe al§ eigentlicher giüed ber göttlichen 2BeItf(^öpfung
gelten!
Söenn alfo ein :perJDnli($er ©ott iüeber burd^ SRot^iüenbig-
!eit ober Srt'öng §ur 2öeltj(^öpfung beftimmt fein, noc^ burc^
irgenbeinen 3^^^/ ^^n er ai§> erreichbar erfannte, gum freitniHigen
6^ö^fung§act üeranla^t n)erben fonnte, ireil in biefer :pl;^fifc^
leibentooHen unb moralifc^ fc^limmen Sßelt berfelbe ai§> mä)i
tealifirbar ober ir>enigften§ aU unrealifirt bleibenb t>orau§gefel^en
tüerben mufete, — fo menbet fic^ f^Iie^Iid^ bie grage fo: Sßarnm
unter biefen IXmftänben bie äöeltfc^opfung ni^t lieber nnterlaffcn
n^urbe, it>enn il)r ©ntftel^en unb 2)afein boc^ r>on ber ©infic^t
unb bem freien '^iUzn eine§ iperfonlic^en ©otte^ abl)ing!
3Jian !ann ja woljl toerfuc^en, au^ biefe grage gu beantiüorten
§um ^e^ufe einer ^^eobicee im frül^er angegebenen ©inne, näm=
lic^ um ben ©lauben an einen perfönlic^en (^ott unb bamit bie
S^teligion gu red)tfertigen, tro| aEer ©intrenbungen, hk bagegen
tiorgebrac^t iüorben finb. (E§> lä^t fic^ tttüa fagen: ^ro§ atter
:pl)^fif($en unb moralif($en Hebel, unb tro^bem, H^ iüeber bie
@^re ©otteg noc^ 'i^a§> ^lüd ber @ef(^öpfe im SlUgemeinen unb
(Spangen, fonbern l)ö^\kn§ tl)eiln3eife unb fogar nur sum geringften
^^eile erreicht ir>irb, !onnte ober burfte bo($ W 6(^öpfung t>on
©Ott nic^t unterlaffen werben, iüeil fonft um be§ liebele unb
be^ SBöfen miEen aud^ ba^ ©ute unb ba^ ^lüd l)ätte ol^ne
©yifteng bleiben muffen, fobafe ba^ Hebel unb ba§ 33öfe mel)r
^erüdfic^^tigung gefunben l;ätte aU ba§ ©ute, unb noc^ toor ber
©yiftenj fid^ felbft @ott gegenüber mäc^^tiger eriüiefen ]f)ätte al^
't)a^ ©Ute. Um bem ©uten, Sbealen unb ber ©lücffeligfeit 9teali^
firung in einer Schöpfung gu ermöglichten, tüar alfo bie 2Belt
troj göttlicher SSorauSfic^t il^re^ 3Serlaufe§ bennod^ 5U fd^affen
unb i:^r raum=§eitlid^e @ntn)icfelung §n gelüäljren. Hm beö 33öfen
voiUtn burfte 't}a§> ©ute alfo nid^t unmöglid^, nid^t unrealifir=
bar bleiben, unb um ber Seiben tüiEen nid^t "ok ©lücffeligfeit
IV. S^x 2:^eobicce. 163
t)on ©efd^öpfen ol^ne mögliche ©yiftens Bleiben.* ^ie^ ettüa
Hefee \iä) fagen. ^amit tüäre aber bann nt(^t ber freie QötU
lid)t SBitte, fonbern toären W Sbeen be^ ^uten unb Söa^ren
ta^ 33efttmmenbe, glei($fam S^öt^igenbe bei ber Schöpfung, unb
mü^te ber perjönli(^e ©ott getüiff ermaßen nur al§> Drgan ber
Sflealifirung ber S^een erfd^einen. ^ie etnigen Qbeen lüären
ba^ ^eftimmenbe, ©ntf($eibenbe l^ierbei, unb ba^ fd^mierigfte
Problem tüäre nun tDieber, 'i)a§> SSerl^ältni^ biefer 3been gum
:perfönli($en, abfoluten @ott §u beftimmen, ba biefelben in biefem
gatte nid^t aU freiet ^robuct be^ göttlid^en Sntellect^, unb
bereu Tla^t ni^t aU Slu^brud göttlichen SBiEen^ betrad^tet
ujerben !önnte. Söiffenfd^aftlic^ lä§t \iä) bemnad^ immerhin an=
gefid^tö ber tl^atfäd^lid^en SS^erpItniffe be^ ^afein^ W Slnna^^me
eineg :perfönli(^en (3oUe§> nid^t (ober no$ nid^t) ertüeifen, \mt
i^n ber religiöfe Glaube, aud^ in feiner l^öd^ften gorm, annimmt
unb ber ©ultu^ t)ere^rt. S)ennD(^ biirfen tr>ir bie Sfteligion, aui^
auf iüiffenfd^aftlid^em 6tanbpun!t, mä)t o^m n)eitere0 preisgeben
ober aU unberei^tigt erüären, ober i!)re ©yiften^ au^ nur für
eine problematifd^e Ijalten. 2ßir l^aben bieS no(^ näl^er §u er=
örtern.
^ie Sfleligion ift nun einmal eine gro^e, attgemeine ge=
fd^id^tlid^e ^Ijatfad^e ber 3J^enfd[}!)eit, bie fid^, tüenn aud^ in nod^
fo fd^tpad^en ©puren, aud^ fd^on in ber frü^eften Qzü unb ^ti
ben ungebilbetften ober toer!ommenften 3SöI!ern finbet, tüie fie
fid^ aud^ in ben St^itm ber l^od^ften (Kultur unb hd ben gebil=
t)etften Golfern nod^ ermatten ^at, tüenn aud^ neue gormen an=
nel^meub unb me'^r ober ioeniger S^lationalifirung unb SSergeiftigung
erfa^renb. (^anj aufgegeben irarb fie !aum je im Slllgemeinen,
toenn au^ (Singeine fid^ tioEftänbig toon il^r loSfagten ober loS=
pfagen öerfud^ten — n)a§ ja bod^ ^auptfäd^lid^ nur ber jetüeiligen
mel^r ober weniger un^ltbar gett»orbenen gorm gu gelten pflegt.
* SSgL meine ©c^rift: „®a§ neue SBiffen unb ber neue ®iauU" {^äpiiQ
1873), @, 119 ff.
11*
164 IV. B^x S^cobicee.
Unter 35erf)ältniffen, ir»ie bie, in tüeld^en bie 3}lenfd^!)eit lebt,
ift bieg au(^ lanm je in tooHem (Srnfte mögli($, ba iüir allent^
falben unö öom llnenblid;en, Unbegreiflid^en umfangen fef)en in
unferm ^afein im 9iaume ipie in ber Q^it, t)om nnenblid^ ©rofeen
unb unfaßbar kleinen. @g !ann alfo nur al§> t)oII!ommen un=
ftattl^aft begeic^net irerben, bie ^Religion für ein Sßerf be§ ^e-
trugen ober für eine blo^e SHufion §u erflären olEjne reale
(iJrunblage; für eine ^äufd^ung, burd^ meldte "ou 2)Jenf (^l^eit
tvk am Dkrrenfeil burd^ aEe 3^l)^taufenbe gefül;rt marb, bie
aber bennod^ für 't>k 3Söl!er unb 3)lenfd^en aEer S^ii^n unb
Stäume bie l^öc^fte, entfc^eibenbe ^otte gefpielt, 'iik l)öci^fte 3}lad^t
au^^geübt unb im ^iiinbe bod; bie l;öd;fte 6tär!ung in ben
2^it^n beö Seben^, tpie bie beglüdenbfte Hoffnung für ben Sob
geii)äl;rt l^at. Sid^t, Seben unb Sefeligung ftrömt \a immerlfjin
ber 3)knf d^fjeit aug ber 3bee @otte§, bem (Glauben an ©ott p
in ber dUä^t unb ^efal;r be^ S)afein^. 2lud^ bie Sßiffenfd^aft
barf 'tik^ nid^t t)er!ennen, benn biefe mu^, toenn fie nid^t t>on
üorn^erein bem menfc^Iid^en S)en!en atte ^ebeutung abfpred^en
n)itt, öon ber allgemeinen Sflationalität be^ ^afeinö au^gel^en,
ni(^t t>on ber 2lnnal)me, ha^ ber (^runb ber 3ßelt tin unöer=
nünftiger fei, au^ iüeld^em au(^ nur Unvernünftige^ unb ^Hu^
forifd^e^ l^ert}Drgel^en !önne. 3n biefem gaEe !önnte fie ja fid;
felbft unb alfo aud^ gleid^ biefer il;rer S3el)auptung feine S3e=
beutung mel^r guerfennen. 5lnbererfeit§ ift ber äJienfd^engeift
!eine blofee ^enfmafd^ine, für tüeld^en nur ber entfpred^enbe
übjectitoe ober reale a}ied^ani§mu^3 be^ Dkturgefd^e^enc^ ton
Sebeutung unb erkennbar tnäre, fonbern biefer ©eift ift
Seben, ift gül;len unb SSollen, bie ebenfaEg i^re ^ered^tigung
l)aben unb im allgemeinen Sßefen be^ ^afein^ begrünbet fein
muffen, in jenem ©runbprincip, ba^ toir al^ 2öeltpl^antafie
bejeid^nen, aus bem fie fo gut irie 'i)a§> rationale 'Renten felbft
l)err>orgel)en.
2öir werben alfo bie S^leligion gunäd^ft aud^ al^ ein ^robuct
eineö Dkturtriebe^ im 3Jlenfd^en auffaffen bürfen, ber fid^ burd^
bie fubjectiüe ^l)antafie offenbart unb gu objectitoiren fud^t. 21B
IV. ^nx X^tobkti, 165
eine Slnlage im 9}lenf(^en, beten ^etl^ätigung unb ©ntmidelung
mit ben iintjoUfommenften gormen begann unb hk in ber ©nt=
tt>i(Jelung burd^ mancherlei Stufen ]^inbur(^gel;t mit 3rrungen
unb 3}ti»bilbungen aller Irt; fobafe 'i)it ^otte^ibee in äl)nlid)er
Söeife fi(^ attmäl)li($ au^bilbete, tüie etiva bie 3bee be§ 6(^önen,
bie au(^ in l^öc^ft untooEfommener SBeife, ja mit grote^fen ©e^
ftaltungen begann unb burc^ man($erlei Söanblungen unb (Sari-
caturen l)inburd^ fid^ enttpidelte, U§> fie enblid^ bei ben ^ö^txn
©nlturtoölfern gur ^larl;eit unb (relativen) ^ottfommenl^eit ge=:
langte; iüie e§ ferner mit ber 3bee be^ (Stuten, ber 3flealifirung
ber fittlid>en Sbee nid^t anber^ ergangen ift unb ergel)t, bie
ebenfalls buri^ fel)r unt)oE!ommene Stufen l^inburd^ fic^ ent=
voiä^li^, in iveld^en jum X^dl ba§ ^egentl)eil t)om n)ir!li(^
Sittlichen für fittlid^ gehalten marb; — h)ie benn nic^t bag 2öa^
be^ S^ß^^^tt, fonbern 'oa§> ©afe alg bie iüirfenbe ^reib!raft hti
t)er Sftealifirung ber 3been im ©ntmidfelung^procefe ber 3}lenfd^=
l^eit gu lüirfen pflegt, tr>eil man ha^^ tben am Slnfange nod)
ni^t ^aben !ann, tüogu ber ^rieb öor^anben ift unb rüa§> aU
3iel erftr ebt iüirb. 3Jlit ber ©rforfd^ung ber 2Bal)r]^eit, mit
ber Sflealifirung ber 3bee berfelben in ber @r!enntni^ ging e^
nid;t anber^; burd^ Qrrtl^ümer l^inburd^ fül^rte ber 2ßeg in Stufen
empor, 2lel)nlid^ t^erl^ält e§ fid^ alfo auc^ mit ber Sfleligion unb ber
©ntiüidelung ber ©otte^ibee in ber SJienfi^^eit. ®ie Sfteligion
erfd^eint in il)ren toerfd^iebenen gormen unb Stufen ai§> ein be=
ftänbige^ Sud^en, SSerlangen nad^ einem ^löl^ern, IXebernatür^
lid^en, ©öttlid^en unb aU zin beftänbiger Glaube mit fefter 3«=
Derfid^t, bieg gefunben gu l^aben; einer guüerfid^t ober lieber^
^eugung, Ut mel)r ober minber lang anbauert, bann aber burd^
ben gortfc^ritt in ber @eifte§bilbung, menigfteng Wi ben Kultur-
t)öl!ern übertüunben, ober erfd^üttert it)irb. tiefer ©laube hilhzi
ftetg 'i)a§> tpef entließe ^lüä ber 3Sül!er unb 3Jlenfd^en, bie i^^n
befi^en; — benn aud^ 3Hufionen unb 3i^^t^ümer, für Söal^r^eit
unb 2öir!lic^!eit gel^alten, !önnen ja beglüden — unb lXnge=
bilbete, mie W Minber, finb fogar nod^ nic^t fäl)ig, in anberer
gorm beglüdft p tperben in geiftiger ^egiel)ung. 3^ [tarier.
166 IV. S^x 2:^cobicce.
mäd^tiger aber ber ©laube M ben 2lnpngern einer beftimmten
Dieligton fid^ au^bilbet, ber fie beglücft al§ abfolute 2öa]f)r]^eit
unb als I;ö!^ere§ (SJefd^en! unb ©ebot ber @ottt)eit felbft, ^u um
fo grö^erm llnglüd gereid^t berfelbe tr>ieberum anbern SSölfern
unb 3}^enfd^en mit anberm ©lauben, ben man aU faljd^ erflärt
unb vertilgen toiH. 2lud^ bie 9ieligionen treten auf biefe Sßeife
ein in ben Äampf um§ ^afein unb pflegen Unl^eil unb (Slenb
über 't>k 3}tenf(^en p bringen. 2tud^ ba§ (^fjriftent^um (in ber
gorm ber d^riftlid^en ^ird^en) mad^t baöon leiber leine 2lugnal)me,
^en §au))tgrunb bation bilben bie bogmatifd^en geftfteUungen,
W man d[§> birecte göttlid^e Offenbarung geltenb mad^te unb
bereu unbebingte Slnnal^me man iebermann gumutl^ete unb §u=
mutl^et, ireld^en Glauben er bi^ljer aud^ befannt ^aben mag, —
fo jnjar, ba§ man bie SRid^ tannal^me ober ba§ SBieberöerlaffen
berfelben aU S^lebellion gegen ©ott, aU f(ud^= unb tobe^tüürbige^
3Serbred^en anfa!) unb pm ^^eil nod^ anfief)t. 3)enn immer iüirb
e§> aU mala fides angefel^en, iüenn jemanb biefe ©Iauben§fä|e
l^ört unb fie nid^t annimmt. ®ap fommen nod^ bie 6treitig=
feiten unb kämpfe ber d^riftlid^en Parteien felbft unter einanber^
bie ebenfalls au^ bogmatifc^en Differenzen entftunben unb auf=
red^t erl^alten tpurben unb merben. Diefe bogmatifd^en §au:pt=
beftimmungen be^ !ird^lid^ = d;riftlid^en Sel^rfpftem^ finb nun t>on
ben mobernen Söiffenfd^aften aU unl;altbar erliefen, — fo fel^r,
ha^ mä)i Uo§> bie fog. übernatürlid^en d^riftlid^en ©lauben^fäge
il^re ©runblage verloren l;aben, fonbern felbft bie fog. natür-
lid^en 2öa]f)rl)eiten (nad^ !iri^li(^em 6prad^gebrau(^) ipiffenfi^aft-
lid^ nid^t beriefen unb nid^t fidler beir)a!)rl;eitet n)erben fönnen.
S)ie 9fleligion aber, in^befonbere bie d;riftlid^e, geljt barum nid^t
SU ©runbe; im ©egentlfjeil, fie fann erft nad^ il^rem maleren
Söefen nunmel^r §ur ©eltung !ommen, nad^ i^xex etl^ifd^en unb
§um X^cii m^ftifd^en <Beii^, Qe me^r bie bogmatifd^e Beut
be^ ürd^lid^en ©l^riftent^um^ mit i(;rem ©lauben^l^od^mutl^, mit
il^rer Sieblofigfeit unb i^rem toerfolgung^füd^tigen ^anati^mu^ in
"oen §intergrunb gebrängt tt»irb, befto me:^r !ann fid^ ber et^ifd^e
&^axaiUx unb bie gottinnige ©efinnung, bie bas ßl^riftentl^um (E]f)rifti
IV. ^nx S^cobicec. 167
bilben, gut Geltung bringen. 2)iefe§ aber ift bod^ ba^ eigentlx($
©ntfd^eibenbe unb ba§, tr>ag attein notl^tl^ut; benn felbft ber ftrengfte
(S^läubtge irirb Ijeut^utage !aum me!)r gu bel^aupten lüagen, bafe ber
©laube an Ut SDogmen unb äu^erli($e reltgiöfe (^iultu^acte ot)ne
fittlid^e ^efinnung unb ^l^at, unb ol^ne innige ©ottergebenbeit unb
Semutb bem IXnerforfd^lic^en gegenüber, bie aEein entf(^eibenbe 33e=
beutung ober au^ nur einen tüirüic^en religiöfen 2Bertb l;aben.
©§ mufe t)ielme^r zugegeben werben, 'i^a^ bagegen umgele^rt fittli($e
unb religiöfe (^efinnung auä) bann no(^ aB mertl^t^ottunb tioEgültig
era($tet trerben muffen, n^enn bie üblichen Dogmen nid^t me!)r ge=
glaubt n)erben fönnen, meil fie mit beffer erlannten 2ßaf)rl)eiten in
2öiberfpru(^ ftel;en. 5Denn nid^t auf bie tbeoretifd^e ©infi($t, bie
ftet^ unplänglid^ ift ))ei bem 3JJenf($en bem ^öttlid^en gegen=
über, fonbern auf bag :pra!tif($e, etl^ifd^^religiöfe (nid^t p:^arifäifc^=
religiöfe) ^erl^alten fommt e§ an, ba^ ftet^ möglid^ ift unb ba§
befte 3^^9^^6 9^^^ für W Qbealität unb göttlid^e ©runblage
beg 2)afein^. ^a ber t^eoretifd^e ©laube unb Ut fog. rationale
^^eologie ni(^t mel^r l)altbar finb, fommt e^ nur barauf an,
bur($ 't^a§> @tl)if($e fid^ be§ ©öttlic^en tl^eill^aftig gu mad^en, tüie
ber ©tifter be^ (Sl)riftentl;um^ ftet§ fo entf(^ieben forberte. ®en
Glauben !ann man nid^t aufsmingen benen, 'ok ©rünbe bagegen
baben ober gu l^aben meinen ; aber e§ l^anbelt fid^ bafür barum, Ut
3J^enfd^en fo gu bilben, ba^ fie 6el)nfud^t, S^erlangen nad^
bem ©öttlid^en, nad^ ber @yiften§ unb SSolHommenljeit
@otte^ l)aben unb ba^ fie tnünfd^en, bafe (^ott al§> 'oolh
fommenfteg Söefen fei, — tüenn biefe ©yiften^ aud^ nid^t ganj
fidler tljeoretifd^ betüiefen tüerben !ann. <Be^n^uä)t unb Hoffnung
unb M'ot öereinigenb 2itbc gum ©öttlid^en l^at an bie ©tette
be^ Glaubens gu treten; bieg 1^at mel)r Söert^, al§> nod^ fo fefter
^ogmenglaube unb ürd^lid^eS (S5ebal)ren. (B§> iüirb bamit aud^
©laubensfanati^mug — Sieblcfig!eit gegen Slnber^gläubige —
enben, tooburd^ bie S^eligion fo fel)r toiel Unheil, §a§ unb SSer=
folgung über bie Tlen'\ä)^eit l^erbeigefü^rt, fotüie Unbilbung unb
3}ertüilberung ^»eranlafet l?at; unb tüirb ir>ir!lic^ d^riftlic^e ^efin=
nung gur (Stellung lommen. 3ln hk 6tette ber lel^rljaften, au^
168 IV. 3«r Sr^eobkee.
befc^ränfter S[5erftanbegtl^ätig!eit l^ertjoröegangcnen, in enbltd^e
^Begriffe gefaxten Seftimmungen über ©Ott tritt bann 'i)a§> m^ftifd^e
Moment ber innigen Eingabe an baö llnenblid^e. Unbegreifliche,
©tüige, an ha^ ©öttlid^e, ba^ in feiner SSoEfornmenl^eit nur in
ber immer !larern @ntn?idelung ber Qbeen gur Offenbarung !ommt,
aber nie enbgültig in 33egriffe ober gormein gefaxt tr>erben !ann.
gormein, bie zttva mitten im6trom unenblic^er (S^eifte^enttnidelung
in ber Wlen\ä)^tit aU ftarre (^ebilbe unt>eränberlid^ fortbefteljen
müßten, ©ang ol)ne erflärenbe Seftimmungen !ann aEerbingg ba^
©öttli(^e für ba^ menfc^lid^e ^eipu^tfein immerl^in nic^t bleiben
unb biefe JDerben nad^ menf(^li(^er 2lrt unb nad^ menf($lic^em Wla^-
ftab baffelbe öerftänblid^ mai^en, alfo mel)r ober toeniger antl)ropo=
morp^ifd^ fein. Slber fie bürfen nid^t ftarr unb untoeränberli(^ fein,
fonbern muffen felbft fortfd^reiten, irie e^ ber unenbli(^en Se^nfud^t
ber 3Renfd^l)eit unb bem unenblid^en 6ud^en ber menfc^lid^en Seele
gemäfe ift unb vok bie fortfd^reitenbe (SJeifte^entinid^elung bie S3e=
fäl^igung bagu ex)^ö^. Qm 2lttgemeinen !ann man \a mit ^^^0)1
bel)aupten, ba^ ©ott für ben 3}lenfd^en ftet§ ha§> fei, \da§> er au§>
il)m, bem an \iä) SSerborgenen mad^t, gu mad^en t)erftel)t naä)
feinem S3ilbungggrab , feiner fittli(^en ©efinnung unb feiner
©emütl^ioöereblung. S)a§ 2öefen beg ßlf^riftentl^um^ befielt bem=
nad^ barin, ba§ bie Gläubigen ®ott aU attgütigen SSater auf=
Pfaffen t)erftel)en unb gegenfeitig beffen ©teEe vertreten, il)n
gleic^fam al^ fold^en realifiren in ilfjrem SSer^lten gegeneinanber,
b. 1^. in ber (Srfüttung be^ ©ebote^ ber 9^äd^ftenliebe, n^eld^e bie
öotte^liebe felbft pr 9lealifirung bringt. SDieiS ift ganj überein=
ftimmenb mit bem Urt^eil^fprud^ hei bem legten (SJerid^t. — gür
bag Söefen ber d^riftlid^en 9teligion ift ber entfpred^enbe 5lu§brutf
ni($t (^b^^iftug am Äreuge, fonbern ^\)xi^iu^ am Delberge, fid}
bem 2BiEen be§ SSater^ für ßeiben unb S^ob bemütl^ig ergebenb.
^er ^reuge^tob ^ai an fid^ mit ber 3fteligion nid^t^ gu fd^affen,
tüol^l aber ift (^eM unb ©rgebung Qefu am Delberg bie iral^re,
mefentlid^e 9tealifirung religiofer ©efinnung. S^lol^e 9)^enfd^en
ir erben il^re ©ott^eit fid^ in rollen gormen t»orftellen, fon^ie
unfittlid^e, niebrige ©eban!en öom ßJöttlid^en fid^ bilben unb
IV. 3ur S^eobicee. 169
tDilbe 58öl!er, 'ok nod^ gan§ ben Sinneöeinbrüden unb ber un=
t)oII!Dmmenett, pgellofen Z^tiQhit ber fubjecttöen $I;antafie
iprei^gegeben finb, ipftegen im Slbfonberlii^en, 6eltfamen ober grob
6innli(^en fid^ U;re übernatürlichen 9öttli($en Sßefen ober 3anber=
.Gräfte öorgufteUen.
Sft 'i^k ©eifte^bilbung tüeit genug fortgeschritten in ©rfennt-
ni§ be^ Ittgemeinen burd^ 2lbftraction, foir>ie ha§> ^eiüu^tfein be§
Sbealen burd^ SSernnnftfd^auung, bann iüirb ba^ (SJöttlid^e ge=
haä)t aU 2lbfolute§ nnb aU Inbegriff aEer SSottfommenl^eit.
3n ben niebern S^teligionen fü]f)len bie 3SöI!er nod^ lein S3ebürf=
nife, i^re ^otti£)eit (^3ötter) aU ab jolut unb aEt>oII!ommen §u
beulen, fie bilben fi(^ biefelbe ant!)ropomorpl)if(^ unb mel)r ober
tneniger naturaliftifd^ mit ben natürlid^en unb menfd^li($en Uu-
t)o(I!ommenl^eiten. ®ie Functionen ober 2öer!e, W fie biefen
(Göttern sut!)eilen, erforbern in ber 3:^i^at au^ !eine 2lbfolut!)eit,
i)a fie nur relativer unb unüottfommener Slrt finb. Söirb t)k
©ottl^eit aU 5lbfoluteö aufgefaßt-, fo ftammt biefer (SJebanfe au^
ber Xiefe be^ menfd^lic^en ©eifte^ felber, 'i^k bann freilid^ eine
ä!)nli($e ^iefe be^ 2)afein§ üorau^fe|t, au§ toeld^er ber ©eift
felber ftammt. <So begrünbet fi(^ bie 2lbfolut!)eit @otte^ ^anpb
fäc^lid^ burd^ W ^^atfad^e, 'i^a^ im 3)^enfd^engeift ber (^eban!e
be§ Slbfoluten entftel^en fonnte, tüie W '^^^^n burd^ it)re immer
!lareren Offenbarungen einen l^omogenen (S^runb im IXrtoefen be^
^afein^ be!unben. greili($ entfte]5)t aber eben hei bem @eban!en
be^ 5lbfoIuten n)ieber 'i)k 6d^n)ierig!eit, hk ©ntftel^ung be^ 9lela=
tiüen baraug gu erüären. 2Bie !ann ba^ abfolut SSoEfommene
ha§> 9telatit)e unb lXnt»olI!ommene !)ert) orbringen, ober aud^ nur
l^eröorbringen iüotten? @tir>a bur($ 6elbftbefd^rän!ung ober 3Ser-
enblid^ung feinet Sßefen^ ober eine§ ^l^eile^ feinet Söefen^?
JCber biefe ift unmöglid^, ift bem 33egriffe be§ Slbfoluten h?iber=
fpred^enb, 'i)a§> nic^t bIo§ aU unbefd^rän!t, fonbern auä) aU
unbefd^rän!bar geba(^t werben mu^. 6oE bemnad^ eine 2öelt=
fd^D^fung überl^aupt ftattgefunben l^aben, fo !onnte fie nur burd^
göttlid^e ^raftbetl^ätigung ftattfinben, au§ iüeld^er bie SBelt ]^er=
t)orging ober toielmel^r, treidle bie SBelt ipurbe. 2)ie ^raft aber.
170 IV. 3"^ S^eobicce.
treibe babei tl^ätig toon ©Ott ausging, mu^te einerfeit^ göttUd^
fein, anbererf eitg aber boc^ lieber ein 2lnbereg bem (S)öttlid;en
gegenüber feinem Sßefen nad^. (Eine folc^e ^raftbet^tigung
gleid^t aber, ipie fc^on frnl^er erörtert tüurbe, am meiften ber
^^ätig!eit ber fubjectiüen menf(^Iid;en ^^antafie, h^i lpeld)er
anä) bie fubjectitoe geftaltenbe ^raft be^ ©eifte^ in ber SSor-
ftettung ein Slnbere^ üon fic^ burd^ il^re ^^ätigfeit i)eröorbringt,
felbft aber unüeränbert fortbeftel^t. ®ie 2BeItf(^öpfung tnäre
alfo !)iernad^ — ipie f^on bemerft — al^ ein 2öer! göttli($er
3magination§!raft aufgufaffen, bie Söelt felbft aU eine göttliche
Imagination, freilid^ nid^t blo§ formaler, fonbern realer 2lrt; unb
l'idax fo, ha^ Uz göttli($e, fd^öpferifd;e Imagination il;rem realen
^robncte, ber Sßelt, immanent ift nnb in i^x fortlrirlt di§> allge^
meinet ©eftaltnngjaprincip ober 2öeltpl)antafie. 3)ie^ mit bem Siele,
W @efe^lid;!eit unb S^edmäfeigfeit ^u realifiren im SSeltproce^,
baburd^ §um SBemnfetfein, ^ur 6elbftn)al)rnel)mung ju gelangen, unb
bann mit 33eit»u^tfein W Qbeen pr ©rlenntni^ unb Offenbarung
5U bringen unb fie in Sbealen barpfteHen in bemühter SSerftanbe^-
unb ^ernunftbet^ätigung unb hux^ felbftänbige^ freiet ©treben.
SBeitergel^enb in bem SSerfuc^e, ba^ Ibfolute felbft nod^ näljer ^u be=
ftimmen, fönnte bann nad^ 2lnalogie biefer emanenten 33etl)ätigung
beffelben in ber Söeltfd^öpfung unb im Söeltproce^ aud^ "oa^» imma=
nente Sßefen unb Seben ©otteio eben nad^ 2lnalogie ber ^etl;ätigung
ber äöeltpl^antafie beftimmt lüerben, tüie biefe xiaä) Slnalogie ber
fubjectiöen menfd^lid^en ^l^antafie aufgefaßt irurbe. ©emgemä^
mürbe ba^ 2lbfolute al§> lautere (^eftaltung^^lraft unb imma=
nenter Sebensprocefe auf^ufaffen fein, ioie 't)k 2öeltpl;antafie al§
objectitje in ber ©eneration^potens real fid^ bet^ätigt, in ber
fubjectitoen ^toax nur formal, aber bafür aud^ geiftig geftaltet. ^er
gefammte 3Raturproce§ märe bemgemäfe aufgufaffen al^ ^orbilb
für hk ©rienntnife be^ göttlichen Seben^proceffe^, bagegen aber
eben in biefer ©r!enntnife al^ D^^ad^bilb be^ göttlid^en £eben§
anjufel^en. ^od^ bie^ 2lHe^ ift nid^t ftreng miffenfd^aftlid^ gu
ermeifen unb !ann aud^ ni^t bogmatifd^ geltenb gemad^t merben,
fonbern tUn nur aU ein ^erfu^ über pc^fte Probleme be^
IV. 3ur ^^eobicee. 171
menf(^Iid^en ©eifte^. ^ie ©ottl^eit bleibt unbegreifli(^, mag fie
perfönli($ qt^a^i iüerben ober unperfönU(^, ober toielmel^r über-
perfönlic^, ba iebenfatt^ in i^v aU IXrgrwnb be§ menf(^Ii($en
^afein§ ein 3}Zoment in il^rem abfolnten Söefen gebai^t tnerben
mufe, au§> bem au^ bie menj'(j^Ii(^e ^erfünli($!eit l^erto orgelten
fonnte, infofern bo(^ an§ abfolut IXnperfönlid^em bie§ nid^t ge=
f(j^e{)en !onnte, toie au§> bem abfolut Unvernünftigen nnmöglid^
3Sernunft ]^ert>orgel)en, ober au§> bem, it>a§ gang bem ^eit)ufetfein
fremb ift, bem abfolut Unbeiüu^ten S3eir»u^tfein fid; bilben !ann.
%üx bie 3Jienfc^^eit, ber hk Sleligion ein attgemeine^ ^ebürfnit
ift, !ann W ^erfonification be^ (^öttlii^en al^ ein not^tüenbige^
unb bered^tigteg SSerl^alten geltenb gemad^t werben; für bie
3Jlenf(^en ift ba§ göttlid^e Söefen aU ^erel^rung^gegenftanb
(menn aud^ nid^t al^ 33unbe^genoffe im Kampfe um^ S)afein mit
^enad^tl^eiligung ber SJlitbeinerber) perfönli^, iüie e^ aud^ an
fid^ fein mag, — ba e^ in biefem 2lnfid^ ^n^ar bem menfd^lid^en
©eifte unfa^ar ift, aber jebenfatt^ nid^t unterperfönlid^ gebadet
iperben !ann, fonbern toenigften^ potentiett perfönlid^ ober über=
perfönlid^. 3)ie t»on ben Tlzn\ä)en perfönlid^ gebadete @ottl)eit
trirb bieg nur in feljr t»erfd^iebenem (S^rabe ber 3Sott!ommenl)eit.
Ungebilbete, ioie bie ^inber, !önnen fid^ ba§ göttlid^e Söefen
al§> lebenbigeg ober perfönlid^ mirfenbe^ nur in fe^^r befd^ränfter
Sßeife, §um 3^^eil nur !leinlic^ unb mit lleinlid^en fingen be=
fd^äftigt beulen, unb beaiel)en bie göttlid^e 2Bir!fam!eit, gürforge
unb §ülfe l^auptfäd^lid^ nur auf fid^ unb il)re eigenen !leinen
2lngelegenl)eiten unb ^ebürfniffe. 2)emgemäfe geftaltet fid^ aud^
ber religiöfe (i:ultu§ unb felbft audf; ber 2lberglaube. Man fud^t
in bemfelben bie göttlid^e äRad^t unb 2ßir!fam!eit Ü)tiU gegen
bie 3f^aturgefe|e aufzubieten, tljtiU in bem ^ampf um^ ^afein
ber S^aturmefen unb ben 3Jiitmenfd^en gegenüber §u gelpinnen.
®ie (S^ottl^eit mirb ba^er forttt>äl)renb, toie am 33eginn be§ menfd^=
lid^en S)afein§ gegen bie äußere ?^ot^ unb bie Seiben be^ Seben^,
aU Helferin §u gen^innen gefud^t burd^ 2lnrufen, ^dbtn unb
Seiftungen toerfd^iebener 2lrt. 3e l)ö^er aber 'i)k (S^otte^ibee fid^
entmidelt, befto reiner, ebler geftaltet fidt; auä) ber religiöfe
172 IV. 3«i* 2:i)eobicee.
ßultu^, befto freier toon felbftfü^tigen 33eftreBungen, befto meBr
auf geiftige (Srl^ebung unb ^ilbung gerid^tet; befto mefjr fuc^t
man in ber Sleligion ni(^t äußere §ülfe im Seben^fampfe, fon=
bern innere, unb befto reiner finb hk ©aben, hk ber ©ottl^eit
bargebrad^t werben, ©rgebung in ben gefe^lid^en SSerlauf be-o
^afeinö, 35er^errlic^ung göttlicher 33oll!ommen^eit unb babur($
^ereblung be^ eigenen Sßefen^.
3öenn @ott für ben Tltn\^zn ift, \da§> er au^ il^m ju
mad;en treife, toenn bie intettectuette, et^ifd^e unb äft^etifc^e S3il=
bung W ©otte^öorfteEung unb =SSere^rung in il^rer 3^oII!ommen=
l^eit beftimmt, fo ift !lar, ba§ bur($ bie gortfc^ritte ber 2öiffen=
f(^aft unb ßiüilifation ir>efentli(^ anä) hu S^teligion geforbert,
Derebelt, tiertooElommnet merben mu§, unb baB h^i fortgefd^rittener
Kultur frühere ^SorfteHungen t»on ber @ottl)eit unb altüber=
fommene ßultu^arten nid^t mefjr genügen !önnen unb lein Sftec^t
I)aben, 'i)en ©ebilbeten gegenüber mit Öelüalt aufredet erl^alten
p iüerben; benn im 2l(lgemeinen mufe bod^ ber ^runbfa^ gel=
tenb gemacht trerben, ha^ nid)t W IXngebilbeten ma^gebenb im
geiftigen (auä) im religiöfen) Seben fein muffen, fonbern bie C^e=
bilbeten, benn ba§ ^egent!)eil n^ürbe gur Barbarei unb §u einer
Slrt $olpt^ei§mu§ ^urüdEfül^ren.
5Die ^teligionen pflegen bie Sßiffenfd^aft aU i^re Gegnerin
gu betrad^ten unb fui^ten in alten gormen unb toon jel^er ben
gortf(^ritt berfelben, aU für fie gefät)rli(^, gu !)emmen. ^n ber
^^at beftel^t unb beftanb öon IXrbeginn an ein geiniffer ©egen=
fa^ ober Stntagoni^mu^ stpifc^en Sfleligion unb SBiffenfd^aft ober
SSerftanbeeforfi^ung, unb glüar ein unt>ermeibli(^er, trteil in ber
9^atur ber ^aä)^ felbft begrünbeter. ^ie 9fleIigion l^at fid^ §u=
näd^ft auicgebilbet burd^ P;antafietf)ätig!eit unb, jirar guerft nid^t
burd^ felbftänbige ©ebilbe ber $(;antafie für ba§ ©öttlid^e ober
'i)a§> Uebernatürlid^e, fonbern baburd^, ba^ äufeere ©egenftänbe,
!leine unb groge, t)on befonberer 33ebeutung für ba^ menfc^Ud^e
^afein bagu t)ertr»enbet tnurben, bie göttlid^en ilräfte in fie
l^ineinguben!en unb biefelben l^intüieberum für Offenbarungen
be^ ©öttlid^en unb für baiS ©öttlid^e felbft gu l)alten, — tüte
IV. 3ur 2:i^eobicec. 173
Äinber in aEe ©egenftänbe il;re ^l^antafiegebilbe !)ineint>er=
legen unb fie fo betrai^ten unb bel^anbeln, aU tt>ären fie ba§
blo§ Smaginirte tr>ir!lt(^. 60 tüutbe W ^aiuv mit i^xm
©rfd^einungen attent!)alben öergöttlid^t, in ben gel)eiligten £rei§
religiöfer (^egenftänbe erl)oben xinb baburc^ glei($fam gefeit unb
aU nbernatürli(^ ber natürlid^en gorfd^nng unb ©rüärung ent=
rxicft. 60 fonnte ^k menfc^lic^e 2öiffenf($aft gar nii^t anber^
entfte!)en unb fid^ entir>i(feln aU im ©egenfa^ unb ^ampf mit
ber Sfteligion, b. ^. mit ber ^ergöttli($ung ber D^^atur huxä) bie
$]^antafiet^ätig!eit. ®iefe naturaliftifd^e Steligion tüarb inbefe,
menigften^ bei "otn ©ulturt) eifern, allmä^lic^ übertpunben, bie
D^atur tDurbe burd; U^ tr>iffenj($aftlid^e (^l)ilofo^l^if(^e) gcrfd^ung
immer meljr entgöttert unb natürlid^, b. ^, aU gefe|li($e§, ni(^t
übernatiirlid^e^, ir>unberbare§ ©ein uxit) ®ef(^el)en erflärt; bie
9f^aturgötter verloren immer mel)r Gebiete unb ir»i(^en fo§ufagen
fd^liefelid^ hi§> §um geftirnten §immel gurüd. 2ln t^k 6telle ber
naturaliftifd;en üieligionen traten geiftige, tr>eld^e nid^t mel^r fii^t^
bare ©egenftänbe ber 51atur aU Götter gelten liefen, fonbern
geiftige Sßefen al^ übernatürliche Wlä^U geltenb mad^ten ober
gerabeju nur einen unfid^tbaren @ott aU geiftige^, perfönlid^e^
Sßefen. 3lber 'i^k\z§> Ijöd^fte SBefen geigte fid^ nid^t felbft un=
mittelbar aU folc^e^, fonbern gab fid^ burd^ Menfd^en unb alfo
gef d^id^tlid; funb burd^ ©rflärungen unb SSorfd^riften, "i^k aU
göttlid^e Offenbarungen angefünbigt unb geltenb gemad^t tüurben.
In W Stelle ber üergöttlid^ten DIaturgegenftänbe traten nun
l)iftorifd), burd; menfd^lid^e $erfönlid^!eiten gegebene Seljren, ^e-
griffe, ©a|ungen, (^lauben^fä^e. S)iefe nun mad;ten iüieberum
aU birect göttlid^ gegebene 2lnfprud^ barauf, aller n)iffenfd^aft=
lt(^en gorfd^ung al^ blo^ natürlid^er 3Serftanbe§t^ätig!eit, tok
aller iüirflid^en Prüfung unb gortbilbung ober SSerbefferung ent-
l)oben §u fein, ^ie (S^lauben^fäge follen al§> unumftöfelid^e, gött=
lid^e, übernatürliche Söal^rl^eiten öon ber Sßiffenfd^aft felbft ]^in=
genommen tüerben aU fidlere ^rämiffen für formale logifc^e
Operationen, al^ meldte aEein nod^ ^a^t ber Söiffenfd^aft fein
fönnen, — tvk W fog. pofitit)e ^Ijeologie aud^ tüefentlic^ 'i^axin
174 IV. 3ur 3:^eobicee.
befte!)t, tüofür bag f)ö$fte 33eifpiel, bie fog. 6($olafti! bienen
!ann. ®ie h)ir!(i($e Sßiffenfd^aft aber, auä) bie pl^ilofopl^ifd^e,
!ann bieg nic^t gelten laffen, fonbern mu§, tüie fie frül;er bie
t)ergötterte ^ainx iljrer menfd;li(^en 3Serftanbegforf($ung unter=
30g, fo auä) bei ben ^iftorif($en ^Religionen bag @efc^i(^tli(^e
berfelben, fotr>ie bie Dogmen il^rer Prüfung unterhielten nnb
ni^t bIo§ unterfui^en, trag logifc^ au§> i^mn fid^ für golge^
Tungen §iel;en laffen, fonbern au($ ob fie an fid^ \dai)x feien,
atten 33ebingungen ber SGßal^rl^eit unb tr>iffenf(^aftli(^en @r!ennt=
nife entfpred^en. Dl)ne bieg iDürbe burd^ bogmatifd^e 6^fteme
W gan^e 2öiffenfd^aft für abgefd^loffen gelten muffen, gum 6till=
ftanb fontmen unb eim Sßeiterentmicfelung in aUtn Gebieten
ber gorfd^ung märe auggefd^Ioffen, — tük bieg bie ©efd^id^te
ber Sßiffenf Gräften ber neuern Qtit in iljrem klingen um i^re
ßyiftenj mit ben ürd^lid^en Dogmen unb Sluctoritäen l^inreid^enb
geigt. Iber irie in früherer S>^it ber naturaliftif(^en 9ieIigion,
unb tüie ben ©laubengfagungen ber nic^td^riftlid^en 9leIigionen
gegenüber bie Sßiffenf^aft i^x ^^ä)t in 2lnfprud^ nehmen mufete,
fo auc^ gegenüber 'i^tn ürd^Iid^en 6a^ungen unb ^uctoritäten,
bie im Saufe ber gefd^ic^tlid^en ©nttoidelung aug 'oem 6^riften=
tl^um l)ert)orgegan9en finb. Dl^ne biefeg 9fte($t ber Sßiffenfc^aft
iüäre man aug ben naturaliftifd^en S^leligionen, felbft ber nieber=
ften 2lrt, niemalg l;eraugge!ommen unb ol^ne ©ebrauc^ beffelben
l^ätte bem Sßiberftanb ber ürd^Iid^en 5luctoritäten gemä§ bie
gange moberne $öiffenf(^aft, felbft W S^aturtüiffenfd^aft mit att
il^ren pra!tifd^en Erfolgen, nid^t entftel^en lönnen. @g ift atter»
bingg rid)tig, ba§ bie Steligion, ber ©laube, unabljängig ift t)on
aEer Siffenfc^aft, folange er im ©emütl^e Wibt unb alg re=
ligiöfe, fromme unb etl^ifd^e ©efinnung fid^ betl^ätigt; aber fo=
balb er aug biefem ^eraugtritt in bag inteEectueHe &^bitt, \iä)
mit 3f^aturgegenftänben unb gefd^id^tlid^en ^erfonen unb (Sreig^^
niffen in enge SSerbinbung fegt, gugleid^ fid^ lel^rl^aft geftaltet
in beftimmten Gegriffen unb (Sagungen, ift er ber n)iffenfd^aft=
lid^en gorfd^ung üerfatten. — Sle^nlid^ mie ber Staat ber 9fle=
ligion, bem (Glauben nid^tg eingureben ^at, folange er fub=
IV. 3ur 2:^eobicee. 175
jectitoe ^er^en^fad^e unb t|)eorettf(^e 2lnfi($t bleibt, iDo^l aber
bann, iüenn ber Glaube aU üleltgion in einer ©emeinfd^aft fic^
eine beftimmte Drganifation gibt mit beftimmten Tagungen nnb
einer gefeEfc^aftlii^en, einer ^luctorität nntern)orfenen Drbnnng.
3Jlan pflegt \dD^ tik golgen ber freien gorfi^ung üon Seite
ber SSertreter ber !ir(3^li($en Slnctorität anf 't)a§> ftär!fte au^u-
fül^ren nnb an^gumalen, aU fei bamit bem abfolnten Snbjecti^
tji^mn^ ^I;nr nnb ^^or geöffnet, nnb mnffe alle ©etüi^l^eit nnb
Sßal^rl^eit toerloren gelten bnrd^ blojge 2ßill!nr, bnri^ bie <Bä)'(r)aä)'
l^eit Unit) tlnfäl)igfeit ber menf(^Ii(^en 3Sernnnft, foiüie bnr($ 'i)k
^o§l)eit nnb ben §0($mntl) ber SSertreter ber 2ßiffenf(^aft. 2lber
man pftegt e§ gn nnterlaffen, anc^ ba^ anbere ©ytrem nä!)er
in^ 2lnge gu faffen nnb in feinen (Sonfeqnen^en ^n verfolgen, bafe
nämlid^ bur($ abfointe Inctorität nnb 'i)a§ (^tbdixtn iljxex Präger
gar 6c^Iimme§ gefc^eljen !ann, ba fie bod^ and^ nnr f(^it)a(^e, irr=
tl^nm^fäl^ige SJlenfc^en finb, nnr mit ber fo öiel gefc^mä^ten f(^n)a=
d^en ^ernnnft an§geftattet, nnb an^brüdlid^ aU fnnb^aft aner!annt
lüerben, alfo hzi Sln^übnng i'^rer Slnctorität be§ Wti§>hxan^§> nnb
felbft beg 35erbre(^en0 fä^ig fein muffen. ^§> hUibt nnbea($tet, ha^
bnrc^ biefe abfointe 3Inctorität, refp. beren Präger, bie 9JJenf(^en
nm ben @ebran($ il^rer l)ö(^ften (^db^, ber SSernnnft nämlid^, nnb
l^oax in ber l)ö($ftenmenf(^li(^en5lngelegen^eit gebracht, babnr($it>ie
t>ernnnftlofe ©efd^öpfe bel^anbelt tnerben t»on biefen 3lnctoritäten,
nid^t mel)r it>ie i? ernnnf tbegabt, alfo ni^t mel)r iüie 3}^enf(^en!
©^ l^at noc^ 6inn nnb ^egrnnbnng in ber menfd^lid^en D^latur,
^inber nnb Söilbe ober gänglic^ Ungebilbete toottfommen ber
Slnctorität nntergnorbnen, — aber anc^ biefe nnr geitn)eife, nm
fie pm (B^bxauä) ber SSernnnft p filieren; — aber e§> ift ööttig
gegen alle S^latnr nnb gegen alle§ 3}lenf($enrec^t nnb vernünftige
Seben^betrad^tnng, bie 35ernnnft felbft nnb hk §anptt>ertreter
berfelben, bie n3iffenf($aftlid^en gorf($er, "oen oft fo iüenig gebilbe=
ten, !enntni^lofen Prägern ber Slnctorität nnb be^ ©lanben§
nntergnorbnen nnb fie nnr tük blinbe Söerfgenge öerlrenben ^n
iDolIen. ®ie SSernnnft nnb Sßiffenfd^aft gel^t nid^t anf 2öill!nr
an^, fonbern tritt im ©egent]5)eil biefe fo 'mtit aU möglid^ t>er=
176 IV. ^üx X^eobicec.
tneiben unb übertrinben, unb ba§ SlUgemeine unb allgemein unb
objecttt) ©ültige erfennen unb pr Geltung bringen, — babei aEe
2öiII!ür nnb aUe§> Uo§> fnbjectiöe P;antafiet3erf al^ren au^f d^lie^enb ;
mäl^renb umge!e:^rt gerabe ber ©taube di^ ©ad^e be^ Sßitten^
gilt unb, tüenn ol^ne ©rfenntnife geträl^rt, Sad^e rein fubjectitoer
SSillfür ift, 't)it freilid^ oft aud^ für tim übernatürlid^e (^in=
gebung ober (^dbt be^eid^net gu werben pflegt. ®ie 2ßiffenfd^aft
ift e§, tooburd^ ber fubjectiüe ©laube mel^r unb mel^r eine objec-
tiioe ^ebeutung erl^ält unb baburd^ 'okl fefter, gefid^erter toirb
al^ ber toiffen^Iofe, ber fo leidet bei bem SSolfe p erfd^üttern
ift, tüie ja bie unaufl)örlid^en klagen ber ^erfünber unb Söäc^ter
beffelben fo laut bezeugen. 5tud^ inner!)alb be^ ^roteftanti^mu^
ift in neuerer 3ßit ßitie t^eologifd^e S^id^tung entftanben, bie auä
bem (BthkU be^ (SJlauben^ ben QnteEect mit feiner rationalen
^l^ätigfeit gan^ au^fc^Iie^en tüill, alfo mie ber $apft, nur noc^
rabicaler ba^ Sacrificiuin intellectiis forbert, — al» gäbe e^ für
ben Glauben unb feine ©emi^^eit in ber 3}lenfd^ennatur ein ganj
eigene^, t?om .^ntellect getrennte^ pf^d^ifd^e^ Organ, gang t)er=
]ä)k'i)zn t)on bem be§ @r!ennen^. ^^tun birgt ber ©laube aEer=
bingg ginei 3}Zomente in fid^, ein m^ftifc^e^ unb ein Ijiftorifd^^
rationale^; burd^ ba^ mtjftifd^e allein entfielet aber tdn beftimmter
(SJlaube, e§ begrünbet ba^ SDafe be^ ©tauben^, aber nid^t aud^
beffen beftimmten Snl^att, ber bod^ immer ©rfennen, Söiffen, alfo
einen Se^rin^alt »erlangt, "oa er ol^ne biefen unbeftimmt unb gel^alt^
lo^ märe. ®emgemä§ !ann ber Qnl^alt be^ ©laubeng nie t)on ber
2öiffenfd^aft unb ^ilbung gang unberül;rt bleiben, ^lufeerbem aber
getüinnt ber ©laube (bie 9fteligion) burc^ ^k Söiffenfd^aft, ben gort:=
fd^ritt beg SBiffen^, einen reinem fittlid^en unb eblem (Sljarafter.
^ie§ fd^on baburc^, 'i)a^ in bem ^D^afee ber blinbe, lieblofe %anati^'^
muö gegen Slnber^gläubige üerfd^minbet ober iüenigfteui^ gemilbert
ioirb unb ^a§> attgemeine 3)lenfd^enred^t ber eigenen Uebergeugung
auä) 2lnbern gugeftanben toirb, toie man e^ felbft inSlnfprud^ nimmt.
Saburd^ l)ört, 'ma§> !aum genug betont tüerben lann, — 't)k ^teli-
gion, ber ©otte^glaube, ber in feiner reinen, eblen gorm 'oa^
l)öd^fte ©ut ber 3Jienfd^^eit ift ober menigften^ fein foll, auf, ^k
IV. 3ur t^eobtcce. 177
3)lenfd^ett gegeneinanber in ^afe gu entflammen unb p geinb=
f(^aft unb müt^enben SSerfoIgungen §u treiben, — tnoburc^ bil=
l^er gerabe bie S^eligion ber 3Jlenf^l^eit fo t>iel IXnglü^ Bereitete
unb fi(^ felBft entiüürbigte. ®ie 9fleligion l^at alfo bur(^aug
feinen @runb gegen bie Sßiffenfd^aft feinbfelig gefinnt p fein
unb fie fortiüäl^renb t)or bem 35oI!e gu t)erbä(^tigen. 5Die
reine, einfädle etl^ifd^e unb gottinnige 9fleligion, mie fie im
(E^riftentl^um (Sl^rifti am beften gegeben ift, biefe ^at t»on ber
Sßiffenfd^aft ni^t^ gu fürchten. $Die äßiffenfd^aft felbft aber fott
gegen 't)k 9fleligion ebenfo toenig geinbf(^aft liegen ober auf
bereu SSernid^tung auggel^en, 'i^a fie biefe^ l^ol^e geiftige @ut, "i^a^
mie naturnotl^tpenbig fid^ ertoeift, bem S^oüe nid^t erfe^en !ann.
Iber aud^ ganj trennen t»on ber ^Religion foll fid^ 'du 2öiffenf(^aft
nid^t unb biefelbe nid^t fogufagen il^rem ^ä)id\al preisgeben, —
f(^on um beg S^i^fr^^teS mitten nid^t, ber baburd^ im geiftigen
£eben ber Sßölfer gft»ifd^en ben ©ebilbeten unb Ungebilbeten ent=
fte{)t, ber immer größer unb unl^eilöotter merben mü^te. SDie 3$er=
binbung fott öielmel^r erl^alten unb tootte Trennung 'toermieben to^x-
ben, iüeil tu Sfteligion fid^ ftet§ il^re naivere lel^rl^afte ©eftaltung nad^
ben SSer^ältniffen ber ß^ultur unb ben gortfd^ritten ber SOSiffen=
fd^aft geben mufe aud^ in ber ©egeniüart unb 3u!unft, inie e§
in ber SSergangenl^eit, felbft im d^riftlid^en Slltertl^um unb im
SJlittelalter gefd^ef^en ift. 5Die Sfteligion l^at burd^ $]^antafie=
betl^ätigung i^ren Urfprung genommen unb burd^ biefelbe il^re
erfte ©eftaltung erl^alten, irie frül^er fd^on l^ert)orgel^oben trurbe;
Srrtl^ümer unb 2ßa!)ngebilbe atter 2Irt bilbeten gröfetentl^eils il^ren
3n^It, unb eS tüar bieS !aum anberS möglid^ ^ei ber t>ottftän=
bigen Unbilbung unb Hnfenntni^ bes menfd^lid^en ©eifteS. 3)ie
©eifteSenttoid^elung felbft fonnte nur auf biefe 2ßeife il^ren 2ln=
fang nel^men* unb nur attmäl^lid^ gu rationaler ©eftaltung fort=
fd^reiten mit gunel^menber ^ilbung unb 2^!^ätig!eit ber @r!ennt=
@. mein Serf: ,,UeBer bie ©enefiö ber 9}icnfd^l^ett unb bereit geiftige
@nttt)i(ferung in Üleligion, ©ittlid^feit unb ©^rad^c" (2«ünd^en 1883).
iixoi)'\^ammev, 9Jit)ftcrtum SJlagnuitt. 12
178 IV. 3ur St^eobicce.
ni^raft. ©iefe mufete banad^ ftreben, ba§ religtöfe SSemufetfein
immer mel^r öon 2öa:^n= unb 5^rugbilbern §u befreien, ben
(glauben öom SlberglauBen ^u fd^eiben unb p reinigen, — aEer:=
bing^ unter fd^iperen kämpfen unb großen Opfern. @^ ift ein
IXnglüd für W 3Jienf(^l^eit, ba^ il^re religiöfen 35orftelIungen in
einer S^it gebilbet unb mel^r ober ireniger für W folgenbe geit
fiyirt irurben aU unumftö^ic^e Sßal^rlf^eiten, in toeli^er bie
ÄenntniB t»on 3f^atur unb (3^\ä)iä)t^ ndä) fef)r gering ix)ar unb
in beiben Gebieten Qrrtl^ümer unb gabeln aEer Irt l^errfd^ten.
S)abur(^ ift bie Sfieligion unb bie 2ßiffenf($aft f)auptfä(^(i(J gu
beftänbigem 6treit gegeneinanber öeranlafet h}orben, ber beiben
5uglei(^ fo fd^äblid^ toax unb fo öiel §emmniffe bereitete, ^nht^
hti ber menfc^li($en ^^^atur, n)ie fie nun einmal ift, tuar hicS»
niä)i p üermeiben, tr>enn überhaupt ein geiftige^ Seben entftel^en
unb fid^ au^bilben foHte; e^ gehört bie^ mit §u bem f (girieren
©efc^ic^ ber 3)Zenfi^^eit. ®ie 3fteligion foü nur i^re ^eittüeiligen
lel^r^ften geftfteEungen nid^t aU abfolute geltenb mad^en aud^
ber SBiffenfd^aft gegenüber, h)enn biefe infolge il^re^ gortfd^ritte^
biefelben nid^t meljr al§> rid^tig !ann gelten laffen. ^intoieberum
toirb aud^ niemanb mit S^lec^t bel^aupten !önnen, 'i^a^ bie 2ßiffen=
fd^aft je im 6tanbe fein ioerbe, aud^ nur bag äu^erlid^e S)afein
öoKftänbig gu ergrünben, gefd^toeige benn ben einigen, abfoluten
(^runb naä) feiner IXnenblid^feit unb feinem äöefen gu erlennen
unb enbgültig barüber gu entfd^eiben, fobafe für 't^zn ©lauben
fein ©egenftanb, Uin @el^eimni§ mel^r übrig bliebe! 2)a^ grofee
©e^eimni^ befielet fort, für tie S^leligion ein ©egenftanb ber
^Serel^rung unb ber Hoffnung, für bie SBiffenfc^aft tin Qizl un-
abläffigen Strebend unb gorfd^en^ p fein. Unb gtoar nid^t blo^
für bie ^l^ilofopl^ie, fonbern aud^ für 'J)it übrigen Sßiffenfc^aften,
in^befonbere für bie 3f^aturtüiffenfc^aft, 'oa gerabe biefe aud^
banad^ ftrebt, gtoar nid^t im ©angen unb ©ro^en ba^ Myste-
rium magnum be^ 2)afein^ ^n erforfd^en, toie bie $^ilofopl^ie,
tüol^l aber im einzelnen in ber 9^atur ti^ üerborgenen Gräfte
unb ©efege §u ergrünben unb 'oamit beren ©el^eimniffe §u ent=
Bütten, — freitid^ fo, bafe hinter bem gelöften ©e^eimnife
IV. 3«r S^eobkce. 179
über ^roBIem gleid^ tüieber ein neue^ I;eröortritt unb nie
ein ©nbe gu fommen f($eint, — it)a§ ja f(^on bie Statur in
il)xtx äußern llnenbli(^!eit !lar genug gum 2Iu^brn(l bringt.
®er 2Biffenfd^aft unb in^befonbere ber ^l^ilofopl^ie l^ierüber
einen 3Sorn)urf p machen ober gerabegu p bel^aupten, 'oa^ e§
mä)t§ mit ii^r fei, ba§ fie nichts gu leiften öermöge, ift ebenfo
unberechtigt, tt»ie n^enn man ber Slftronomie einen SSorit>urf
barau^ mad;en ober fie für nu|Io§ erüären inollte, tüeil fie W
Unenbli$!eit be^ lXnit>erfum^ niä)t au^gumeffen ober nid^t an§u=
geben toermag, mag auf ben einzelnen ungäl^ligen §immel§!örpern
eigentlich t)orge]^e. ©er SBei^l^eit Ie|ter 6($Iu§ ift eben für hk
^raft be^ menf(^Iid^en @eifte§ attentl;alben 9flefignation in S3e§ug
auf ha§> Se|te, ^öd^fte, unb benno$ §uglei(^ unabldffige^ 6treben
naä) ©rtpeiterung ber (Sr!enntni§ in allen S3e§iel^ungen unb in
33egug auf alle Dbjecte, hk bem menf($li(|en S3en)u§tfein fi(^
aufbrängen. 5Die§ gilt für "Dk 2ßiffenf(^aft tüie für bie ^Religion,
in jener in tl^eoretifc^er, in biefer in pra!tif($er ^e§iel^ung aU
unbebingte Ergebung in 'oen gel^eimni^t>otten göttlichen SßiHen
ober Sflat^fd^lu^. ^iel ioäre fc^on erreicht, it»enn enblid^ 3Biffen=
fd^aft unb Steligion l)armonif(^ gufammenit»ir!ten, 'oi^ SJlenfd^^eit
gu öerebeln unb p beglüden, menn e^ in^befonbere ber 2öiffen=
fc^aft gelänge, ben religiöfen §a^ unb §o(^mutl^, ber W S5öl!er
unb Steligionen trennt, ^u milbern unb baburd^ hie Sfleligion felbft
gu einem ©egen unb (^lüä für bie 3Söl!er §u geftalten. 5Die§
£e|tere, foit>ie bie Harmonie giüifd^en D^leligion unb Sßiffenfd^aft,
ift bebingt l^auiptfäc^lid^ burd^ (Sine§: burd^ S5efeitigung be§ fog.
Uebernatürlid^en au§> bem (^zWk ber D^leligion, 'i^a infolge be§
©lauben^ an birecte^ Sßir!en beg IXebernatürlid^en ober ^öiU
lid^en in ber 3}lenfd^]^eit fotüol^l bie ioirllid^e 6ittlid^!eit gefäl^rbet,
ba§ natürlid^e fittlid^e ©etüiffen unterbrüdft unb 'oa^» natürlid;e
3}lenfd^enre(^t ber 2lnber§g(äubigen aufgel^oben, aU aud^ ba§
Sfled^t ber SSernunftforfc^ung gel^emmt, ja t»ernid^tet toirb. ®ie
9leligion mu§ al^ eine natürliche ^etl^ätigung beg menfd^lid^en
(^eifte§ aufgefaßt unb geübt ioerben, iüie ^unft, 2öiffenfd^aft u. f. \v,
S)iefe SBel^auiptung mag auf ben erften S3lidf al^ unrichtig ober
12*
180 IV. Svir Sr^eobiccc.
parabo? erfd^einen, ba bod^ bte S^leligton, ber Glaube eö tüefentlid)
mit bem ©öttlic^en, Hebernatürlid^en §u t^un ^at 2lttein e§ l^anbelt
\iä) 't)dbti nid^t um ben Qnl^alt be§ ©lauben^, fonbetn um ben
Urfprung unb bte ©eiüäl^r unb Sluctorität bafür. 2öo biefe aud^
al^ übernatürlid^ gilt, aU birect göttlid^ , ba ir»irb in 'tik menfd^=
lid^e ©efd^id^te ein Sactor eingefül^rt, ber ba§ S^atürlid^e unb
SSernünftige unb bamit aEe natürlid^e ©nttüidfelung unb Se=
mäl^rung, felbft ba^ fittlid^e Seben ftört unb fd^äbigt. S)a biefe^
übernatürlid^e, birect göttliche 3Jloment in ben toerfd^iebenen
Sfleligionen felbft üerfd^ieben ift, fo entbrennt felbftüerftänblid^
ber ^ampf ber 58e!enner um fo entfd^iebener, inilber. Je mel^r
fie bation überzeugt finb, 't^amii ©otte^ 6a(^e, nic^t blol i^^re
menfd^Iid^e ^u tiertreten; ©etüiffen, 3}lenfd^lid^!eit, '^c^t unb
2öa]^r]^eit^)5rüfung geljen barüber gu ©runbe, tt>ie bie (SJefc^id^te
ber Steligionen, in^befonbere aud^ ber d^riftlid^en geigt, ba für
©otte^ <5aä)^ 5lIIe^ erlaubt fein muß unb natürlid^e^ Siedet ber
3Jlenf(^en bem übernatürlid^en, göttlichen gegenüber feine (SJeltung
beanfpruc^en fann. ßbenfo !ann öon einem 3flec^t ber SSernunft
5ur gorfd^ung feine ^^'oe mel^r fein, wo ber @laube befielet,
@ott ^db^ ben ^nl^alt birect felbft gegeben ober geoffenbart.
60 ift e^ gefommen, 'Da^ 'ok 9fleligion, ta^ ber Glaube an @ott
p einer üueHe be^ IXnl^eil^ für tk 3}ienfd^]^eit geirorben ift,
§u einer Quelle ber Sieblofigfeit, be^ §affe^ unb ber SSerfolgung
ber 3}lenfd^en gegeneinanber, fotoie §u einer 6d^ranfe ber geiftigen
(gnttüidtelung, anftatt eine üueHe be^ grieben^, ber allgemeinen
3Jlenfd^enliebeunb 2)ienfd^enbeglüdung gu werben, tüoju fie offenbar
t)or 5lttem ber Stifter beö (S^riftent^um^ aud; erl^eben tnottte. —
lieber tk bel^auptete ober öermeintlid^e Hebernatürlid^feit felbft
befielet ja fd^on großer, erbitterter Streit unter ben Parteien; ein
6treit, ber um fo l^eftiger unb enblofer, äugerlid^er unb oft grau^
famer feinmufe, 'i)a bemUebernatürlid^en gegenüber SSernunftgrünbe
gar nid^t^ gelten, nid^t geltenb gemad^t tüerben bürfen, — fobafe nur
äußere ©etoalt fd^liefelid^ bie ©ntfd^eibung gibt. S)enn toie fottte
ba anber^ entfd^ieben trerben fönnen beliebigen, fubiectiüen 3}iei=
nungen gegenüber? ©^ treten n)ol;l 3Jlenf d^en auf mit ber S3e=
IV. 3ur sr^eobtcce. 181
l^auptung, birect göttlid^er ©ingebung ober ®rleu(^tung getüür^
bigt SU fein für 't)a^, tva^ fie t»er!iinben. StIIetn biefe tiermeint^
H($e ©rleud^tung ift rein fubjectito nnb !ann anbern gegenüber
burd^ m^i§> ben)iefen trerben. SDiefem fog. IXebernatürlid^en !ann
bal^er gar feine Sebeutung ^ngef (^rieben Serben; fottte bergleid^en
gelten, fo iüürbe fid^ alle^ in fubjectitoe 3Jieinungen nnb nn=
begrünbete, ipie nnbegrünbbare S3el^auptnngen auflöfen nnb bie
S^leligion gu ^arteiungen nnb 6ecten aEer 2lrt ^eranlaffung
tüerben, 'ok fid^ nur gegenfeitig beftreiten, uiä)t aber überzeugen
lönnten, ha fie nid^t auf obiectit>en ©rünben, fonbern ^htn nur
auf fubjectiöen Eingebungen, ref:p. (Sinbilbungen berul^ten. 60II
'oa§> behauptete IXebernatürlic^e ober bie fog. birecte göttlid^e Dffen=
barung gu obiectitoer (l^iftorifd^er) Geltung lommen, fo mu§ e§
fid^ organifiren, in einer ^ird^e mit ^irc^enauctorität barftetten,
nnb hit^ ift bann eine l;ierar(^ifd^e ^nftitution, ein ürd^lic^e^
3flegiment mit att feiner Unbulbfamfeit, feinem ©eifte^bruc^ unb
feiner nad^ Umftänben ftrengen unb felbft graufamen ^etnalt^
^errfd^aft, bie im 9^amen @otte§ toon fog. 6tettt)ertretern @otte§
auggefül^rt inirb, hzmn gegenüber !eine anbere ©lauben^anfid^t
unb leine menfd^Iid^en Sfted^te (S^eltung pgeftanben tüirb, 't)a
'i)a^ ©öttlid^e felbftüerftänblid^ über bem 3)lenfd^lid^en ftel)t unb
ber 6tettt>ertreter ober ^iatti)alUx ßJotte^ über aUe menfc^licf;e
2luctorität, SJlad^tbefugnife unb SBiffenfd^aft erl^aben ift! S)enn
loenn aud^ bel^auptet trirb, 'i)a^ ha§> Uebernatürlid^e bie ^f^atur
nid^t auff)eben, fonbern nur ergangen foll, fo ift 't)ie§> nid^t fo
ernft gemeint, toie fd^on bemerft, 't)a attentl^alben Unter n? er fung
be§ 9fiatürlid^en, be^ natürlid^en 9lec^t§ unter ta^» übernatürlid^e,
be^ natürlid^en, fittlic^en ©elniffen^ unter ba§ religiöfe, !ird^=
lid^e ©etüiffen unb ber natürlid^en SSernunft unter fog. über-
natürlid^e Offenbarung unb 2luctorität, b. ^. unter ba§, toag
man bafür ausgibt, geforbert gu iperben pflegt. Unter ber 33e=
I;auptung, 5^räger be§ Uebernatürlic^en gu fein, mad^en fid^
'oi^ einen 3Kenfd^en gleid^fam p lottern für bie anbern,
öon benen unbebingte Untern? erfung geforbert tüirb unter Me§,
toa^ bie fog. göttlid^e Stuctorität, b. ^. bie menfd^Iid^en 6teII=
182 IV. 3ur 2;^eobtcec.
tiertreter ©otte§ Befd^Ue^en, feftfteHen unb gebieten, mag e5 betn
natürlid;en 9fled;te, ber SSernunft unb SBiffenfd^aft unb bem in=
teHectuetten unb fittlt(^en gortfc^rttt ber 3}lenfd;I;eit entfpred;en
ober ntd;t. ^abei l^aben fie md;t§ für fi(^ angufül^ren al§ ba§
Selbftgeugnife, t>on bem f(^on ©{)rtftu!3 felber fagt, ba§ e§ leinen
SBertl^ !)abe, unb ba§ attentl^alben, tüte e§ in ber menf(^lid;en
©nttüidelung nid;t anber^ fein !ann, ber l^iftorifd^en unb ratio=
naien Prüfung ni^t 6tanb l^ält. — §intr»ieberum aber fott mit
ber ^efeitigung be^ llebernatürli($en au§ ber S^teligion gugleid;
ba§ rein D^atürlid^e in berfelben möglii^ft eingefd^rän!t lr»erben.
^. f). bie ^Religion fott, obtt>o^l fie fi(^ tim räumlid^'seitlid^e @e=
ftalt ober Drganifation mit oft fel^r irbifd;en Seftrebungen gegeben
\)at, bD$ nunmel^r toom rein 3ßitli(^en unb 9fläumlid;en fo toiel aU
irbif(^ unb menfd^lid; möglid; ift, befreit, alfo t>om blo^ 5Ratür=
liefen unb @ef($ic^tli(^en, ba§ bem gortfd^ritte ber lt)iffenfd^aft=
lid^en gorfi^ung anheimfällt, lo^gelöft unb i!^r etnige^v unbebingteg
Söefen für "oa^f menf(^li(^e ©emütl^ baburd^ it)ir!fam gemad;t unb
i)or ttn ©onflicten mit irbif(^en 3JJä($ten gefiederter ir>erben al^
e§ bi^l^er ber %aU mar. S)ag urfprünglid^e, einfädle ß:^riften=
tl^um o!)ne 2öiffenfd;aft unb 2Beltregiment bietet aud; l)ierfür ein
!lare§ SSorbilb. ^ie ^Religion aber mit gef(^id^tli(^en ©reigniffen
unb ©inrid;tungen unb mit geittreiligen Statur auff äff un gen innig
unb tüefentlid^ t?erbinben unb jugleii^ fie toor ber 2Biffenf(^aft, t)or
ber 35ernunftforf($ung unb S3ilbung baburc^ retten unb fiebern
iüoEen, 't>a^ man ba§ Dpfer ber Vernunft (Sacrificium intellectus)
forbert, l^eifet biefelbe gu ©runbe xiä)Un unb bie (^ebilbeten aU=
mäl)Ii(^ bem 5ltl)ei§mu§, trenigften^ im ©inne ber pofititoen 9fleli=
gionen pfü^ren. ^enn it»er foE ober !ann fd;lie^li($ an einen
@ott glauben, ber dm SSernunft al^ §ö(^fteg gefi^affen unb bann
ben ®ebrau(^ berfelben gerabe in ber l;öc^ften 5lngelegenl)eit t)er=
boten, ja ba^ Dpfer, ben 3Ser§i(^t auf ben @ebrau(^ berfelben,
aU ^flid^t unb l;öc^fte§ 35erbienft be§ toernünftigen SSefen^ an=
red^nen foll? ^ein vernünftige^, gefd)öpfli(^e^ Söefen fönnte ja
fo toerfal^ren, irenn e§ vernünftig l;anbeln moüte, tüie foHte ber
©d^öpfer von feinen vernünftigen ©efd^öpfen principieE folc^e^
IV. 3"^ S^cobicee. 183
»erlangen, nod^ ba^u nid^t birect für fid^, fonbern für fog. ©tell=
Vertreter! ^a^ 2lnalogte muffen tüir bo(^ au(^ l^ierüber ur=
t!)etlen bürfen ! IXnb trie f oEte ber göttltd^e Schöpfer eine 3^atur
gefd^affen ^ahzn unb bie freie, b. 1^. ernftlid^e ©rforfd^ung ber=
felben hem menfc^li($en Reifte »erbieten, ireil biefe gorfd^ung
nnb ©rfenntnife gum Unglauben, §um Irrglauben unb ^t^ti§mu§>
fül^ren muffe, ol^ne hk leitenbe unb einfd^rän!enbe gül^rung be^
©tauben^, refp. ber ©lauben^auctorität? 3)en SJlenfd^en p=
mutigen an einen @ott gu glauben, ber folc^e^ t^ut, fold^e^
f(^afft unb »erlangt, l^eigt fie nöt^igen, einen irrationalen @ott
an^unel^men ober ben Glauben baran ganj aufzugeben! 5Die
Seigre »om Uebernatürlid^en !lingt n3ol)l ganj unfi^ulbig, ja
fromm unb erbaulid^, unb 'ok S3e!ämpfer berfelben können leicht
al^ Ungläubige unb (SJottlofe »or ben ^enntnife^ unb ©eban!en=
lofen »erbäc^tigt iperben, aEein man fe^^e nur auf 'i^k gefd^id^t^
lid^en ^^atfad^en aU (Eonfequen^en, bie naturgemäß barau^
folgen, um ^n erfennen, iüeld^ eine furd^tbare ©eifel, ireld^
mörberifd^er Söürgengel für 'i^k 3}lenfd^l^eit fid^ bal^inter »erbirgt
in ber »ermeintlid^en 33ere(^tigung ber (Gläubigen, aEe 2lnber^=
benfenben al^ @ott»erlaffene, al^ (gm^3örer gegen @ott ^u be=
txaä)kn unb bemgemäß ol^ne ^etüiffen^bebenlen gu bel^anbeln,
fid^ felbft aber in §oc^mut^ über biefelben aU attein 'äzä)U
gläubige unb 2llleinbered^tigte p ergeben. Unb hie§> tro| ber
6d^iüäd^e ber menfi^lid^en SSernunft, 'iiiz ]iä) Ui Prüfung nid^t
blo§ be^ Sn^alt^, fonbern me^r naä) ber S^atfad^e einer gött=
liefen Offenbarung !unbgibt unb unabläffig ^er»orge]^oben tüirb,
n)ä^renb man bod^ für ben eigenen Glauben (ber bod^ aud^
nid^t blinb, inteEectlo^ fein tnitt) abfolute Geltung in ^n]^xu^
nimmt!
2)ru(f öon g. 91. Jörod^ou« in Seipäifl.
|. |rfll)fiI)aiiöiiEr'5 ^r\^im kt |I)tIöfn|il)if,
^rofeffor 0. ^ro^f (Jammer geriet^ kfanntüdj fc^ou frü§ burrf)
feine ^^ilofo^^ie mit bem toithzx aufttjuc^ernben -Sefuiti^muö unb burd)
biefen mit ber pö^fttic^en ^urie in ^onflict. ©c^on 1857 toarb ein
Sn^ öon i§m („lieber ben Urfprung ber menfd)tic^en ©eelen") auf
ben -3nbej ber verbotenen ^üc^er gefegt, bem batb tüeitere folgten
(,,lleber bie i^rei^eit ber Söiffenfc^aft" n. a.). ®ann (1862) erf^ien
ein päpftüc^e^ 33ret)e gegen feine $^i(ofop^ie unb auf @runb baöon
mürbe berfelben auc^ ber jn^eite ^aragrop^ be§ famofen <B\)Uab\x^ öon
80 üerbammten ^Sä^en gen^ibmet (1864). 5lud) n)ar i^ro^fd^ammer
ber einzige tebenbe beutfd)e $f)i(opfop^, beffen ©d^riften bei bem t)ati=
canif(^en dondi fpecieH S3erü(ffic^tigung fanben. @g njar ^auptfäd^Ud^
bie gorberung ber i^rei^eit ber SBiffenf^aft, gegenüber ber jefuitifc^=
päpftüc^en 33e^anptung, bag bie ^f)i(o|op^ie (worunter atle natürtidje
Siffenfdjaft überhaupt tierftanben ift) bie 9}?agb ber 2:^eo(ogie fei, b. l).
fic^ ber ^irc^engettjalt unbebingt unterwerfen muffe, — welche 5lnftog
erregte. Xxo^ aller 5lnfeinbung unb Verfolgung, grober unb raffinirter
5lrt unb tro^ aller erfahrenen fonftigen 3uvüc!fe^ung ^at gro^frf)ammer
bie grei^eit aU 9?ec^t ber Siffenfc^aft tert^eibigt unb atfo ba§ Ütec^t
ber Uniberfität, bamit aber auc^ beö ©taateg felbft, vertreten unb üer=
fochten; — be« (Staate« felbft, beffen ^lufgabe unb atfo "ipflic^t unb
ditäjt e§ ift, bie 9J2ögli(^!eit einer felbftönbigen wiffenfc^aftlic^en gor=
fcf)ung 3u fidlem au^ ben 35ergen)altigung«=SSerfud^en ber fird^lic^en
3luctoritäten gegenüber. 5luf biefem ©tanbpunft ^t nun gro^fd^ammer
fein ®t)ftem ber ^^ilofop^ie felbftänbig feit -3:a^ren auögebilbet unb
aümä^lid^ jur jDarfteßung gebraut. 2)ie§ ift in folgenben 2Ber!en
gefc^e^en:
I. Sie ^^f)i\o^opf)ic aU 3i>ealttiiffenfcä^aft itttb <S^ftem.
3ur Einleitung in "ok ^^ilofopl^ie. Tlünä)en, 2lb. Mtx-
mann'^ S^ad^folger (Emil gran!e), 1884. 6. 98. ^xd§>
2 Maxi
2)icfe einleitenbe «S^rift fagt 3unäd§ft ber ^errfc^enben Unfid^er=
^ett unb Un!lar§eit in ber Seftimmung ton Segriff unb Aufgabe ber
^^ilofopl^ie gegenüber biefe alg 2Biffenfc§aft von ber ibealen Sa^r^eit,
a(§ Obeatroiffenfcf)aft; al^ ^rincip einer einheitlichen ^^i(ofop^ifd)en
SßcUauffaffung aber n3irb eine fc^öpfcrifd)e, objectit) nnb fuOjcctiö gc=
ftattenbe Silad^t angenommen, bie aU 2BeItpf)antafie be^cic^nct iuirb unb
jugleic^ al^ rcateö $rincip bcö 9?atnrproccffeö (objectiuc "il^fjantafie)
n)ir!fam ift unb at§ formale^ ^rincip ber (Srfenntnig mt beö pra!ti=
fd)en ^eben^ (fubjectiue $()antafte) fid) bet^ätigt.
II. Sie ^^antafie aU ®tnn^ptincip be^ ^cUpvo-
ceffe^^ 9)Iünd;en, ^^eob. Mermann, 1877. 6. XXIY,
575. ^rei§ 11 3J^ar!.
S3on ben brei 33ü(^crn biefe§ grunbtegenben 2[Berfe8 beftimmt ba§
erfte Söefen unb principiellen (i^^araftcr ber ^^antafie unb i^rc Untcr=
fd}eibung in objcctiöe (©enerationöpotenj) unb fubjectiue. ®abei inirb
^ugteid^ bie S3ebeutung ber ^^antafie für ben @r!enntniJ3proceg in
Unterfuc^ung gejogen. 3)aö 3113 cite 33ud) enthält eine naturp^i(ofo=
pl)ifc^e ©Üjse, ^auptfdd^üd^ ben (gntmidetungöproceg ber objectit)en ^l)an=
tafie jur ©ubjectiöität (@ee(e) ^eigenb. ^(§ 9}?otto bafitr !ann ©d^iHer'ö
SBort gelten: „?eben gab i^r (ber 9^atur) bie gäbet, bie ©c^ule I)at
ftc entfcelet; fc^affenbeg Seben aufä neu gibt bie 33ernunft il)r jurüd."
S)aä britte S3u(^ ift ber 5lnt^ropoIogie gemibmet unb jcigt bie ®enefi§
beg menfc^ü^en ©eifteö au§ ber objectioen "^^antafic ^erauö, mit feinen
t)erfc^iebenen Functionen, refp. S^ermögen; jeigt alfo bie ©enefiö be§
@cmüt^e§, beö ©etbftbemugtfcinö, beö (frfenntnißoermögen^ unb beö
Sßitlen^. 5ln^ang^n)eife n)erben aud^ bie abnormen pf^c^ifc^en 33et^ä-
tigungen ber 9JJenf^ennatur erijrtert.
III. Uchct bie ©enefi^ ber ^enfc^^eit nn\> bereu
geifttge ^nitoiäeiunQ in fReligiott^ ®itiü^tcit
ttttb @<iracfte* Münzen, 2Ib. Sldermann'^ 3^ad;folger
(@mil graule), 1883. ©. XVI, 525. ^rei^ 10 maxi
3)er OnI)a(t biefcö 2Ber!e6 ift im ZM fd)on nä^er angegeben,
(gö iüirb 3unäd)ft gezeigt, wie bie 3Kenfd)^eit burd) S3et()ätigung ber
objectioen unb fubjectiöen ^^antafie entftunb, atfo an^ bem 5ÖJenfc^en=
©efc^rec^t bie 9}?cnfd)()cit iourbe unb bie Waffen unb 53ötfer entftunben
((Sfi^je einer S3ö(ferpfi)^o(ogie). ®ann luirb bie 9^eügion nac^ Ur-
fprung, @nttt)idc(ung unb SBefen betrachtet unb ^war tuieberum in if)rer
^ejie^ung ^um allgemeinen SßeÜprincip, ber SBettp^antafie. ^uc^ ha^
fittüd^c i^eben tüirb in feinem Urfprung unb Söefen auö biefem allge=
meinen ^rincip, unb jniar ber objectioen unb fubjectioen ^^antafte ab=
geleitet, unb enbUc^ ebenfo bie ©prad^e, bie ja otjne^iit baö Dffen=
barunggorgan beö ©ciftigen ift unb ^ugleic^ at§ fünftterifc^e ©djöpfung,
begrünbet burc^ bie objectiüe ^^antafie unb au^gefitljrt burc^ bie fub=
itcim, erfd^eint.
IV. Uchev bte Orgattifattott uttb ^uUnv bet mcn^^^
li^en ®efellfc^aft* ^^ilojo!p{)if($e Unterführungen über
9fle(^t unb 6taat, fociale^ Seben unb ©rgte^nng. ^ünd^en,
2lb. Slcfermann'^ S^ac^f olger ((gmil gran!e), 1885. 6. XIV,
461. ^rei^ 8 Ttaxl
!iDiefer (e^te Z^txi beö ©^ftcmg ift ber ^ejieljung be§ SÖeltpritt*
cipö auf ha^ ^xdtx\ä)t !?ebcn getribmet. (gg mxh alfo bie @ettcf{§
beö 9?e(^t§ unb be8 ©taateg aug bcmfelben gezeigt, fotüte bereu tüeitere
(SntUJtcfetuug unb bereu SSerl^ältutg 5um @t^tfc^en unb jur ^etigton.
(Sbcnfo wirb bann bie ^ebeutung beg $rincip§ für bie focialen ^er=
^ättniffe erörtert unb eubtic^ auf @runb biefeS ^rincip^ ein !ur3er
©runbrig eine§ päbagogtfd^en ©t)ftem§ jur ©arfteHung gebracht.
3u bicfen $aupttt)erfeu beö ©Jjftem^ fontmen noc^ ^u treiterer
Erläuterung unb iöegrünbuug beffetben folgenbe 9?ebenfc^riften:
1. momtcn nnt> «Bclt^^antafte» ü^ünd^en, Sr^eob. 5Icfermann, 1879.
@, X, 181. ^ret§ 3 maxt 50 ^f.
®er erfte Xi)tii biefer ©d^rift enthält eine !urje, überfic^tüd^e 3)ar=
fteHung beg -Sn^aÜö beö erften, grunblegenben äBerfeS {„i)k ^^antafie
aU @runbprincip"). 3)er jujeite 2;^eit gibt eine 5lu^einanberfe^ung mit
ben §auptbertretern ber 2ti)xz öon ben SJJonaben aU 'ißrincipien beö
Söettgefc^e^eng, inöbcfonbere mit ^eibnij, §erbart, S, §. gierte u. a.,
fotüie mit einigen mouabologifc^ gefinnten mob erneu 9^ aturfor feiern. @S
n)irb bie ^t)itofop^ifc^e (Sin^eitö(et)re gegenüber bem fog. Puraüömu^
gettenb gemad^t.
2. Uchcv bie ^cbcututtö bct ©itt^Ubuttö^Itaft tu bct ^^Uofo|>^ie
Äattf ^ unb ^pino^a'^* mU^tn, 2Ib. Stcfermann'g 9^ac^foIger ((Smit
granfe), 1879. @. VIII, 172. $rei8 3 äJ^arf 50 ^f.
®em mobernen 9?uf: „Bnrücf ju f aut", trirb ^ier baburc^ ^ec^=
nung getragen, ba^ ber eigentliche ?ebengpuuft ber f auffegen "iptjUofopljie
in ber „Ä'riti! ber reinen S5ernunft" aufgefüllt unb in ber ^robuctiöen
(Sinbitbungö!raft gefunben lüirb, um t)on ^a auö eine Söeiterbitbung
ber pl^itofopbift^en Söettauffaffung ju geininnen. 3wg^^i^ ^i^^ ^^ ^^^f^^
(Sinbitbungö!raft ha^ öereinigeube S3anb für bie brei ^ritüen tanfö
gefunben unb bamit ber fc^einbare S^i^fP^^t berfelben aufgehoben. —
an S3e3ug auf ©pinoja ujirb gezeigt, ba§ bei i§m nic^t burc^ bie an
fic^ untätige ©ubftanj, fonbern im @runbe burd^ bie Imagination
SDafein unb 2Bir!en in ber Seit bebingt fei.
3, Uebct hie ^tinct^ien bcv Stnftotclifc^cn ^^ilofo^^ic nnb bic
^ebctttung hcv ^^antaftc in t^etfel^en* 9[)Züuc^en, 2lb. 2tcfer»=
mann'ö D^a^fotger ((Smit f^ranfe), 1881. @. VI, 143. ^veis 3 Tlaxt
33ei 5lriftotc(eg ift nic^t btoö tion einer finnüd^en imb äftljetifc^en,
fonbern aud^ üon einer (ogifc^en ^^antafie bie 9^ebe; bantit ift bic
SBebeutung ber fubjectiüen ^()antafte fe()r beftimmt angebeutet. 5lnberer=
feit^ f^ric^t er auc^ t)on einem ber 9?atur immanenten £ünft(er, ber
unbewußt n^irfe n^ie ber ^ünftler mit SSemugtfein; bieö entfprid^t ber
objectiüen ^()antafte mit i^rer 33ßir!famfeit. 2)amit ift lüeit !(arer
unb beftimmter ba8 D^aturgefc^e^en er!(ärt, a(^ burc^ bie ^^^xt t>om
-Önteüect (vou;) unb feinem 25er^ä(tnig ^ur SO^aterie, bie ^ttiar allent=
^tben a(§ bie eigentlich 2lriftoteIif(^e gettenb gemacht njirb, aber öott
Ün!larf)eit unb -Önconfequenjen bei näherer S3etrac^tung fid^ jeigt.
4* ^ic ^V^ilo^op^ic hc& ^f)otna^ tfon ^qnino ftitifd^ dctttürbtgt
^tipm, ^. 21. «ro(if)au8, 1889. @. XX, 537. ^reis 10 maxi
®iefeö 2ßer! enthält junäd^ft eine einfache, !(are unb objectiüe
Darftellung ber S^^omiftifc^en ^^itofop^ie; barauf ^in eine einge^enbe
^iti! berfelben mit !ritifdf|er Serücfftd)tigung aud) ber Hriftotetifd^en
*^^i(ofop^ie, ber 2^f)omaö im Söefentüc^en folgte, enbüc^ aber auc^ eine
(^egenüberfteüung beö eigenen p^itofop^ifc^en Sljftemö in ben n^ic^tigern
':Pun!ten, um an bie (Stetle beö fritifc^ 9^egirten aud^ ^J^ofitiüeö ju fe^cn
unb bamit bcm eigenen Sijfteme nähere Scteuc^tung unb ^egrünbung
ju getüä^ren.
-3ebeö ber genannten Söerfe bitbet aud^ für fid) ein fetbftänbigeö
(5^an5e§ unb !ann einjetn belogen tnerben burc^ aÜe Sud)^anbtungen.